Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 1554/99
Tenor
1
G r ü n d e :
2Der auf die Zulassungsgründe des § 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Antrag hat keinen Erfolg.
3Die Darlegungen der Antragstellerin innerhalb der Antragsfrist begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
4Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, § 2 Abs. 1 Satz 3 UmlageVO in der im Jahre 1998 gültigen Fassung sei unwirksam. § 8 AltPflG ermächtige den Verordnungsgeber nicht, den in § 7 AltPflG erwähnten Begriff "alte Menschen" in § 2 Abs. 1 Satz 3 UmlageVO als "Personen nach Vollendung des 60. Lebensjahres" zu definieren. Die Ungültigkeit des § 2 Abs. 1 Satz 3 UmlageVO führe zur Ungültigkeit der UmlageVO insgesamt. Unmittelbar auf die gesetzlichen Regelungen in § 7 AltPflG könne der Heranziehungsbescheid nicht gestützt werden, weil die in § 8 AltPflG enthaltene Verordnungsermächtigung eine Rechtsanwendungssperre enthalte. Dem ist nicht zu folgen.
5§ 2 Abs. 1 Satz 3 UmlageVO hatte in seiner Ursprungsfassung vom 28. September 1994 (GV. NRW. 1994, S. 843) folgenden Wortlaut:
6"Bei der Umrechnung der über die ambulanten Dienste erbrachten Leistungsstunden für die Pflege alter Menschen in Vollzeitstellen ist von einer Durchschnittsarbeitszeit von 1553 Jahresarbeitsstunden für eine Vollzeitkraft auszugehen."
7Die Verwendung des Begriffs "alter Menschen" entsprach der Formulierung in § 7 Abs. 3 AltPflG. § 2 Abs. 1 Satz 3 UmlageVO ist durch Art. I Nr. 1 b der Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Erhebung einer Umlage nach dem Altenpflegegesetz vom 12. Dezember 1996 (GV. NRW. 1996, S. 520) - ÄndVO - mit Wirkung ab 1. Januar 1997 (vgl. Art. II) geändert worden. Art. I Nr. 1 b ÄndVO lautet:
8"§ 2 wird wie folgt geändert:
9In Absatz 1 Satz 3 werden die Wörter alter Menschen durch die Wörter von Personen nach Vollendung des 60. Lebensjahres ersetzt."
10Es könnte sich deshalb allein die Frage stellen, ob der Verordnungsgeber durch § 8 AltPflG zu dieser Änderung des § 2 Abs. 1 Satz 3 UmlageVO ermächtigt war. Fehlte es an einer solchen Ermächtigung, wie die Antragstellerin meint, so wäre Art. I Nr. 1 b ÄndVO ungültig. Das hätte allerdings nur zur Folge, daß die UmlageVO, soweit § 2 Abs. 1 Satz 3 in Rede steht, wieder in der ursprünglichen Fassung anzuwenden wäre.
11Zur Fortgeltung alter Rechtsvorschriften im Falle der Nichtigkeit der sie ersetzenden Regelungen vgl.: Schneider, Gesetzgebung, 1982, S. 275 f., Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt, 1980, S. 258 f., Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl. 1982, S. 175, BVerwG, Urteil vom 10. August 1990 - 4 C 3.90 ,BVerwGE 85, 289, 292.
12Diese entspricht der gesetzlichen Vorgabe in § 7 Abs. 3 AltPflG und ist mit der Konzeption der UmlageVO im übrigen zu vereinbaren. Aus diesem Grunde kann auch nicht angenommen werden, daß eine Ungültigkeit des Art. I Nr. 1 b ÄndVO die Ungültigkeit der übrigen Regelungen der ÄndVO oder gar der UmlageVO insgesamt zur Folge hätte.
13Der Vortrag der Antragstellerin, die Regelungen des § 7 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nrn. 3 und 4 und Abs. 5 AltPflG seien nichtig, weil sie, soweit darin der Begriff "alte Menschen" verwendet werde, nicht den Grundsätzen der Normklarheit und der Justitiabilität entsprächen, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
14Die grundsätzliche Zulässigkeit unbestimmter Begriffe entbindet den Gesetzgeber nicht davon, eine Vorschrift so zu fassen, daß sie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normklarheit und Justitiabilität entspricht. Sie muß in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so formuliert sein, daß die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die Gerichte müssen in der Lage sein, die gesetzgeberische Entscheidung zu konkretisieren. Andererseits kann nicht erwartet werden, daß jeder Zweifel ausgeschlossen wird. Die Auslegungsbedürftigkeit nimmt einer Vorschrift noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit; es ist Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären.
15So BVerfG, Beschluß vom 7. Juli 1971 - 1 BvR 775/66 -, BVerfGE 31, 255, 264.
16Hiervon ausgehend hätte die Antragstellerin im einzelnen und substantiiert darlegen müssen, inwiefern die fraglichen Vorschriften nach den vorgenannten Grundsätzen zu beanstanden sein sollen. Daran fehlt es.
17Die Antragstellerin meint weiter, es handele sich bei der Umlage nach dem Altenpflegegesetz um eine offensichtlich verfassungswidrige Sonderabgabe. Das Verwaltungsgericht habe die Offensichtlichkeit zu Unrecht verneint. Auch dieser Einwand greift nicht durch.
18Der Senat hat bereits in seinem Beschluß vom 16. März 1998 - 4 B 40/98 -, NWVBl. 1998, 359, ausgeführt, daß die Frage der Verfassungswidrigkeit im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht geklärt werden kann. Hieran hält er fest. Deshalb läßt sich auch eine offensichtliche Verfassungswidrigkeit nicht feststellen.
19Der Umstand, daß das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
20Beschluß vom 28. April 1999 - 7 K 7478/97 - u.a.
21und das Verwaltungsgericht Düsseldorf
22Beschluß vom 1. Juni 1999 - 3 K 9998/97 -
23in erstinstanzlich anhängigen Hauptsacheverfahren dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt haben, ob die für die Umlageerhebung maßgeblichen Vorschriften des Altenpflegegesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar sind, rechtfertigt keine andere Entscheidung, zumal die Gerichte zu durchaus unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen gelangen.
24Beide Gerichte gehen zwar davon aus, daß es sich bei der Umlage um eine Sonderabgabe handelt, sind sich jedoch nicht einig darin, an welchen der für die Erhebung einer derartigen Abgabe erforderlichen Voraussetzungen es mangeln soll. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen fehlt es an einer Gruppenhomogenität, weil Einrichtungen zur Pflege alter Menschen nicht sachgerecht von Pflegeeinrichtungen abgegrenzt werden könnten, die sich nicht mit der Pflege alter Menschen befassen. Die Frage, ob - bei gleichwohl unterstellter Homogenität - eine spezifische Beziehung zwischen dem Kreis der Abgabepflichtigen und dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck besteht, läßt das Gericht offen, weil der Umfang der Gruppenverantwortung nicht geregelt sei. Demgegenüber nimmt das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine hinreichende Homogenität der belasteten Gruppe an und bejaht auch eine spezifische Beziehung. Es ist jedoch der Auffassung, daß die Sonderabgabe nicht gruppennützig verwendet wird.
25Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Lüneburg
26Vorlagebeschluß vom 10. März 1999 - 5 A 21/98 - (= BVerfG - 2 BvL 1/99 - )
27und des VGH Baden-Württemberg
28Beschluß vom 28. Juli 1998 - 2 S 624/98 -, NVwZ-RR 1999, 35 im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes,
29verhalten sich nicht zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen. Auch hier divergieren im übrigen die Begründungen. So ist das Verwaltungsgericht Lüneburg der Auffassung, es liege zwar eine Gruppenhomogenität vor, es fehle aber sowohl an der spezifischen Sachnähe als auch an einer gruppennützigen Verwendung, während der VGH Baden-Württemberg Bedenken hinsichtlich der Gruppenhomogenität und Finanzierungsverantwortlichkeit äußert.
30Die Antragstellerin wendet sich außerdem gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es fehle an einem berechtigten Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Fiskalische Interessen, etwa das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltswirtschaft, seien im Rahmen der Interessenabwägung nicht zu berücksichtigen. Von Bedeutung sei hingegen, daß die Zahlung der Umlage für sie erhebliche Liquiditätsprobleme mit sich bringe.
31Darauf kommt es im Ergebnis jedoch nicht an. Nach der Begründung des Verwaltungsgerichts würde sich die Frage, ob die Antragstellerin nach Abwägung der widerstreitenden Interessen ein berechtigtes Interesse besitzt, entscheidungserheblich nur stellen, wenn sich ernstliche Zweifel allein aus der Verfassungswidrigkeit einer Norm ergäben. Derartige Zweifel hat das Verwaltungsgericht aber gerade verneint.
32Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht bei seiner Interessenabwägung aber auch nicht auf allgemeine fiskalische Interessen abgestellt, sondern ausgeführt, daß durch Einnahmeausfälle letztlich die finanzielle Ausstattung der Fachseminare für Altenpflege in Frage gestellt werde. Weshalb im übrigen die Zahlung der Umlage für das Jahr 1998 zu Liquiditätsproblemen bei der Antragstellerin führen soll, ist aufgrund der Darlegungen im Zulassungsantrag nicht nachvollziehbar. Die erheblichen Verluste, die die Antragstellerin nach der eidesstattlichen Versicherung ihres Prokuristen unabhängig von Umlagezahlungen erwirtschaftet hat, ohne daß bisher Anlaß zu einer Betriebseinstellung bestand, deuten darauf hin, daß sie mit abgesicherten Bankkrediten arbeitet. Weshalb gerade die Umlage für das Jahr 1998 insoweit nicht finanzierbar sein soll, ist nicht erkennbar.
33Soweit die Antragstellerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 146 Abs. 4 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), genügt der Zulassungsantrag nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dargelegt, wenn in dem Zulassungsantrag eine konkrete Frage aufgeworfen wird und ein Hinweis auf den Grund enthalten ist, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll. Der pauschale Hinweis auf die "für die Beurteilung des Streitfalls maßgeblichen Rechtsfragen" reicht dafür nicht aus.
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.
35Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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