Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 18 B 1190/98
Tenor
Der Beschluß wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 9. Februar 1998 wird bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde hinsichtlich der Versagung einer Aufenthaltserlaubnis wiederhergestellt und bezüglich der Abschiebungsandrohung angeordnet.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller und der Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge je zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000,- DM festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde des Antragstellers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
3Die im vorliegenden Verfahren anzustellende Interessenabwägung fällt für die Zeit bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides zugunsten des Antragstellers aus.
4Es kann offenbleiben, ob die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 9. Februar 1998 unter Zugrundelegung der im Zeitpunkt ihres Erlasses bestehenden Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig war. Denn die Widerspruchsbehörde wird bei ihrer noch ausstehenden Widerspruchsentscheidung die nunmehr bestehende Sach- und Rechtslage zu würdigen haben.
5Vgl. Senatsbeschluß vom 26. Juni 1996 - 18 B 1633/95 - m.w.N.
6Zwischen den Beteiligten ist vornehmlich die Frage nach dem Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft im Sinne des § 17 Abs. 1 AuslG zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau sowie seiner Tochter S. streitig. Hierzu liegen beachtenswerte Anhaltspunkte dafür vor, daß jedenfalls gegenwärtig eine derartige Gemeinschaft besteht. Die im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen und Erklärungen lassen das Bestehen einer ernsthaften familiären Lebensgemeinschaft als möglich erscheinen. Insoweit ergeben sich zwar - ungeachtet der sich für die Vergangenheit aus anderen Umständen ergebenden Bedenken - nach wie vor Zweifel insbesondere daraus, daß der Antragsteller und seine Ehefrau in verschiedenen Gemeinden Wohnungen angemietet haben. Der Begriff der familiären Lebensgemeinschaft erfordert jedoch nicht unbedingt durchgängig eine häusliche Gemeinschaft. Insbesondere können sich aus - wie hier behaupteten - beruflichen oder ähnlich bedingten äußeren Zwängen verschiedene Wohnsitze ergeben, ohne daß damit die familiäre Lebensgemeinschaft in Frage gestellt sein muß. Erforderlich bleibt jedoch auch in derartigen Fällen eine gemeinsamen Lebensführung in der Form der Beistandsgemeinschaft zwischen erwachsenen Angehörigen und der Erziehungsgemeinschaft zwischen erwachsenen und minderjährigen Angehörigen. Leben die Familienmitglieder getrennt, so bedarf es zusätzlicher Anhaltspunkte, um gleichwohl eine familiäre Lebensgemeinschaft annehmen zu können.
7Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 16.96 -, InfAuslR 1998, 272.
8Hinsichtlich einer - hier auch in Rede stehenden - Erziehungsgemeinschaft können entsprechende Anhaltspunkte im Verhältnis zwischen einem Vater und seinem Kind etwa in intensiven Kontakten, gemeinsam verbrachten Ferien, der Übernahme eines nicht unerheblichen Anteils an der Betreuung und der Erziehung des Kindes oder in sonstigen vergleichbaren Beistandsleistungen liegen, die geeignet sind, das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunktes weitgehend auszugleichen. Bei einer Vater-Kind-Beziehung kommt hinzu, daß der spezifische Erziehungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung des Kindes durch die Mutter entbehrlich wird, sondern der Vater - allein oder gemeinsam mit der Mutter - wesentliche elterliche Betreuungsleistungen erbringen kann, die gegebenenfalls auch als Beistandsgemeinschaft aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG entfalten können. Erschöpft sich dagegen der familiäre Kontakt in Besuchen, so handelt es sich um eine bloße Begegnungsgemeinschaft, die kein Aufenthaltsrecht begründet.
9Vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 20. März 1997 - 2 BvR 260/97 - und vom 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 -; BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 16.96 -, a.a.O.
10Nach dem durch eidesstattliche Versicherungen belegten Vorbringen des Antragstellers kann eine familiäre Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seiner Ehefrau oder zumindest mit seiner Tochter S. nicht ausgeschlossen werden. Beide Eheleute versichern übereinstimmend, daß eine intakte Beziehung zwischen ihnen bestehe und es einen festen Familienverbund zwischen ihnen und ihrer Tochter gebe. Der Antragsteller will sich vornehmlich um seine Tochter kümmern, wenn er in der Früh- bzw. Nachtschicht arbeitet. Für die Spätschicht benötige er die Zweitwohnung in Solingen, weil er keinen Führerschein besitze und nachts die Verbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen Solingen und Monheim unzureichend sei. Diesem Vorbringen ist der Antragsgegner zuletzt in wesentlichen lediglich damit entgegengetreten, daß er auf die beiden Wohnsitze der Eheleute verwiesen hat und er die Unterhaltung zweier Wohnsitze unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie des Antragstellers für nicht nachvollziehbar hält. Damit werden zwar beachtenswerte Argumente aufgezeigt, die allerdings in der vorgenommenen isolierten Betrachtungsweise nicht geeignet sind, das substantiierte Vorbringen des Antragstellers zur gegenwärtigen familiären Situation gerade auch unter Berücksichtigung des Vater-Kind-Verhältnisses entscheidend zu entkräften.
11Eine abschließende Klärung des wenig übersichtlichen Sachverhalts wird der Widerspruchsbehörde möglich sein und obliegen, die alle Möglichkeiten der Sachaufklärung auszuschöpfen haben wird. Bis dahin überwiegt das Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Verbleib. Eine zeitlich darüber hinaus gehende Vollziehungsaussetzung ist nicht angezeigt.
12Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG. Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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