Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 5 B 1785/99
Tenor
Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 23. September 1999 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 4.000,-- DM festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der Antrag des Antragstellers auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg.
31. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag zu Recht abgelehnt. Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Betroffenen, von der sofortigen Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an rascher Durchsetzung der Anordnung, erkennungsdienstliche Maßnahmen zu dulden, fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
4Die angefochtene Verfügung vom 19. August 1999 leidet nicht an offensichtlichen Rechtsfehlern, die das öffentliche Interesse an ihrem sofortigen Vollzug von vornherein ausschließen würden. Es spricht vielmehr nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung vieles dafür, dass die Anordnung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen im Hauptsacheverfahren Bestand haben wird. Die vom Antragsteller gerügte Verletzung der Anhörungspflicht nach § 28 VwVfG NRW ist jedenfalls deshalb unbeachtlich, weil die Anhörung vor Abschluss des Vorverfahrens nachgeholt worden ist und der Antragsgegner zu dem Vorbringen des Antragstellers eingehend Stellung genommen hat (§ 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW). Die Verfügung des Antragsgegners findet ihre Rechtsgrundlage in § 81 b, 2. Alternative StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts werden erkennungsdienstliche Unterlagen nach § 81 b, 2. Alternative StPO nicht für Zwecke eines gegen den Betroffenen gerichteten oder irgendeines anderen konkreten Strafverfahrens erhoben. Ihre Anfertigung, Aufbewahrung und systematische Zusammenstellung in kriminalpolizeilichen Sammlungen dient nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung vielmehr der vorsorgenden Bereitstellung von sächlichen Hilfsmitteln für die Erforschung und Aufklärung von Straftaten. Ein unmittelbarer Zweckzusammenhang zwischen der Beschuldigteneigenschaft des Betroffenen und den gesetzlichen Zielen der Aufnahme und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen nach § 81 b, 2. Alternative StPO besteht nicht. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss.
5BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 - 1 C 29.79 -, BVerwGE 66, 192 = DÖV 1983, 378 = NVwZ 1983, 772; Urteil vom 6. Juli 1988 - 1 B 61.88 -, Buchholz 306 § 81 b StPO Nr. 1 = NJW 1989, 2640.
6Die Notwendigkeit der Anfertigung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls - insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potenzieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten.
7Ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 1988 - 1 B 61.88 -, Buchholz 306, § 81 b StPO Nr. 1 m.w.N.
8Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potenzieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist.
9Vgl. Senatsurteile vom 25. Juni 1991 - 5 A 1257/90 - und vom 29. November 1994 - 5 A 2234/93 -; Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1994 - 5 B 2686/93 - und vom 16. Oktober 1996 - 5 B 2205/96 - .
10Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht zu beanstanden. Auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die durch das Antragsvorbringen nicht entkräftet worden sind, wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. Gegen den Antragsteller ist ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen bzw. wegen sexueller Nötigung anhängig. Er ist verdächtig, am 7. August 1999 an einer in seiner Anwaltskanzlei seinerzeit angestellten 17-jährigen Auszubildenden sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben. Aufgrund der Zeugenaussage der Betroffenen und den ergänzenden Angaben ihrer Mutter bestehen hinreichende Verdachtsmomente gegen den Antragsteller, die durch dessen Einlassung und die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht ausgeräumt sind. Der Antragsteller bestreitet im Kern nicht den von der Betroffenen in ihrer Zeugenvernehmung geschilderten Sachverhalt, meint aber, der "Vorfall" sei von der Betroffenen falsch verstanden worden. Er habe sich zu der Betroffenen besonders hingezogen gefühlt und ihr Avancen gemacht. Das Tatgeschehen müsse angesichts seines freizügigen Umgangs mit Körperlichkeit allen Angestellten in der Kanzlei gegenüber in einem anderen Licht gesehen und als strafrechtlich unerheblich gewertet werden. Es wird Aufgabe des anhängigen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und des sich gegebenenfalls anschließenden Strafgerichtsverfahrens sein, die Tatumstände im Einzelnen zu klären. Bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung erweisen sich jedenfalls die Angaben der Betroffenen nicht als von vornherein unglaubhaft und aus der Luft gegriffen. Mit seiner Einlassung hat der Antragsteller wesentliche Teile der Aussage der Betroffenen bestätigt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von Mitarbeiterinnen des Antragstellers. Sämtliche eidesstattlichen Versicherungen enthalten keine Angaben zum eigentlichen Tatgeschehen, sondern lediglich Mutmaßungen, ob die Angaben der Betroffenen glaubhaft und die vorgeworfenen Handlungen dem Antragsteller zuzutrauen sind.
11Der Antragsteller ist ferner im Jahre 1995 vom Landgericht A. ( ) wegen Nötigung zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Der dieser Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt wies, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, Parallelen auf zu dem Tatvorwurf im derzeit laufenden Ermittlungsverfahren. Die strafgerichtliche Verurteilung, das derzeit gegen den Antragsteller geführte Ermittlungsverfahren sowie die verharmlosenden, den entgegenstehenden Willen der betroffenen Frauen als Einverständnis deutenden Einlassungen des Antragstellers begründen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, der Antragsteller könne mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potenzieller Beteiligter noch aufzuklärender einschlägiger Handlungen einbezogen werden. Die zu erstellenden erkennungsdienstlichen Unterlagen sind auch geeignet, potenzielle zukünftige Straftaten, insbesondere in Sachzusammenhängen, wie sie beim Antragsteller relevant geworden sind, aufklären zu helfen, indem sie zur Feststellung oder zum Ausschluss einer Tatbeteiligung beitragen können. Dass in den bisherigen Ermittlungsverfahren die Identität des Antragstellers nicht zweifelhaft war, schließt nicht aus, dass der Antragsteller zukünftig eine Tat begehen könnte, die eine Ermittlung und Identifizierung des Täters durch die Polizei erfordert.
12Bei der weiteren, über die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren hinausgehenden Interessenabwägung überwiegt ebenfalls das öffentliche Interesse. Im Rahmen dieser Abwägung sind insbesondere die Schwere und Begehungsweise des Delikts, der Umfang des Schadens für die geschützten Rechtsgüter und für die Allgemeinheit, die Wiederholungsgefahr, die Schwierigkeit bei der Aufklärung des in Rede stehenden Deliktstyps, die Konkretisierung des gegen den Beschuldigten gerichteten Verdachts sowie die Häufigkeit der Fälle, in denen der Betroffene einer Straftat verdächtigt worden ist, zu berücksichtigen.
13Vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Juli 1994 - 5 B 2686/93 - und 16. Oktober 1996 - 5 B 2205/96 -.
14Der vom Antragsgegner beabsichtigte Grundrechtseingriff ist zwar gravierend, aber dem Antragsteller zuzumuten, da eine Wiederholungsgefahr angesichts des dem Antragsteller zur Last gelegten Verhaltens - auch bereits für die Dauer eines eventuellen Hauptsacheverfahrens - keineswegs auszuschließen ist. Der Antragsteller steht im Verdacht, dass er sich auch durch eine strafrechtliche Verurteilung nicht hat abhalten lassen, eine weitere Straftat vergleichbaren Deliktscharakters begangen zu haben. Zudem kann die Aufklärung von Straftaten der in Rede stehenden Art ohne erkennungsdienstliche Unterlagen erschwert sein.
152. Auch die Rüge besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) bleibt ohne Erfolg. Dahinstehen kann, ob Rechtssachen mit tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten solche sind, die voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursachen,
16vgl. etwa Schenke, NJW 1997, 81, 91,
17oder solche, deren Schwierigkeiten sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Beschwerdeverfahren klären und entscheiden lassen.
18Vgl. etwa Seibert, DVBl. 1997, 932, 935.
19Wie aus den vorstehenden Ausführungen hervorgeht, liegt - bezogen auf das hier zu beurteilende vorläufige Rechtsschutzverfahren - keine dieser Alternativen vor; die Schwierigkeiten dieses Verfahrens bewegen sich vielmehr im Rahmen eines normalen Maßes und lassen sich ohne weiteres im vorliegenden Zulassungsverfahren klären.
203. Die Beschwerde ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Der Antragsteller hat keine Frage aufgezeigt, die in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren einer grundsätzlichen Klärung bedürfte.
214. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 GKG.
22Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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