Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 B 853/00
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 DM festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der Antrag ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
3Das Verwaltungsgericht hat dem nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO zu beurteilenden Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die dem Beigeladenen unter dem 21. Juli 1998 vom Antragsgegner erteilte Baugenehmigung anzuordnen, entsprochen. Es hat im Einzelnen dargelegt, das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege das Interesse des Beigeladenen an der weiteren Ausnutzung der Baugenehmigung. Das genehmigte Vorhaben verletze voraussichtlich die aus den Abstandsvorschriften des § 6 BauO NRW folgenden Rechte der Antragstellerin.
4Das Vorbringen des Antragsgegners im Zulassungsantrag ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu begründen (Zulassungsgrund der §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
5Die erneut vom Antragsgegner angeführte Bewertung, das Vorhaben des Beigeladenen, eine Balkonanlage entsprechend den genehmigten Bauvorlagen an der rückwärtigen - zum Grundstück der Antragstellerin hin ausgerichteten - Wand des bestehenden Gebäudes U. straße 1 herzustellen, sei abstandrechtlich nicht zu beanstanden, weil die Balkone die hierfür allein maßgeblichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 7 BauO NRW (Hervortreten der Balkone um nicht mehr als 1,5 m vor die Außenwand; Abstand der Balkone von mehr als 2,0 m von der gegenüberliegenden Nachbargrenze) einhielten, ist unzutreffend.
6Der Antragsgegner lässt schon unberücksichtigt, dass das Vorhaben der Beigeladenen nicht allein darin besteht, vor die vorhandene - das geltende Abstandrecht nicht einhaltende - Gebäudewand Balkone zu setzen. Das genehmigte Vorhaben umfasst vielmehr auch die Herstellung von Türen in der Gebäudewand, von denen aus die jeweiligen Balkone betreten werden sollen. Bereits hierin liegt eine bauliche Veränderung, die für diese Wand die Genehmigungsfrage im Hinblick auf die einzuhaltende Abstandsfläche neu aufwirft. Die Herstellung derartiger Öffnungen in eine vorhandene Gebäudewand ist vom "Bestandschutz" nicht mehr gedeckt. Diese Türen haben auf die von den Abstandvorschriften geschützten nachbarlichen Belange nachteiligere Auswirkungen als das bisher vorhandene Gebäude ohne solche Öffnungen. Dass die Balkonanlage bei isolierter Betrachtung die Maßgrenzen des § 6 Abs. 7 BauO NRW als solche beachtet, ist damit unerheblich.
7Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. November 1999 - 10 A 2435/99 - und Urteil vom 7. Dezember 1998 - 7 A 6365/96 -, jeweils m.w.N.
8Den vom Verwaltungsgericht angesprochenen und im Zulassungsantrag nicht weiter behandelten Zweifeln daran, ob sich die nach den Bauvorlagen eigenständig auf vier Stützen ruhende und lediglich mit Verbundankern an die vorhandene Außenwand angeschlossene "Balkonanlage" überhaupt als abstandprivilegierter Vorbau im Sinne dieser Bestimmung darstellt, braucht demgemäß nicht weiter nachgegangen zu werden.
9Im Übrigen liegt es, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Beschwerdeverfahrens bedarf, auf der Hand, dass das streitige Vorhaben die abstandrechtlichen Anforderungen zu Lasten der Antragstellerin auch dann nicht einhält, wenn man die baulichen Veränderungen an der vorhandenen Gebäudewand durch den Einbau der Balkontüren unberücksichtigt ließe. Die Balkonanlage bewirkt nämlich für die vorhandene Gebäudewand, an die sie ansetzt, jedenfalls auch eine Funktionsänderung, die gleichfalls die Frage der Abstandwahrung dieser Wand nach Maßgabe des derzeit geltenden Abstandrechtes neu aufwirft. Ohne das vorhandene Gebäude und deren Außenwand ist die Anlage eines Balkons nicht denkbar. Dieser Balkon bewirkt, dass sich die von dem Gebäude insgesamt ausgehenden Wirkungen, gerade in Bezug auf den abstandrechtlich geregelten Schutz des Nachbargrundstücks vor fremder Einsichtnahme, nachteilig verändern. Die Privilegierung des § 6 Abs. 7 BauO NRW von vor die Außenwand tretenden Bauteilen und Vorbauten rechtfertigt sich nach der in der gesetzlichen Regelung zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers allein dadurch, dass diese Bauteile im Verhältnis zu dem "Hauptbau" eine nur untergeordnete Bedeutung haben. Entspricht das "Hauptgebäude" den gesetzlichen Abstanderfordernissen, sollen die angesprochenen Bauteile und Vorbauten, um den hergebrachten Gestaltungs- und Nutzungswünschen Rechnung tragen zu können, bei der Bemessung der Abstandfläche für die Außenwand, an die sie anschließen, außer Betracht bleiben und keine eigenen Abstandflächen auslösen. Die Rechtfertigung dieser abstandrechtlichen Privilegierung untergeordneter Bauteile entfällt jedoch, wenn die maßgebliche Außenwand selbst die hierfür nach geltendem Recht bestimmten Abstandflächen nicht einhält. Daran ändert nichts, dass der Nachbar das vorhandene Gebäude und die sie ausmachenden Außenwände in ihrer bisherigen Gestalt in den Grenzen des insoweit gegebenen Bestandsschutzes hinzunehmen hat.
10Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, § 6 Rdn. 230 unter Hinweis auf den bereits vom VG angesprochenen Beschluss des OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 27. August 1998 - 3 M 65/98 - BauR 1999, 624 zum dortigen Abstandrecht.
11Bei dieser Sach- und Rechtslage können auch die weiter angeführten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Ziffern 2 und 3 VwGO) nicht bejaht werden.
12Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
13Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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