Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1462/96.A
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert, soweit es noch nicht rechtskräftig geworden ist.
Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung der Regelung unter Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. Juni 1994 verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers zu 2) die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für Angola vorliegen. Die Berufung wird insoweit zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Klage des Klägers zu 1), soweit sie noch rechtshängig ist, abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen der Kläger zu 1) zu 40/50, der Kläger zu 2) zu 9/50 und die Beklagte zu 1/50. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 1) zu 16/20, der Kläger zu 2) zu 3/20 und der Beteiligte zu 1/20.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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T a t b e s t a n d
2Der 1961 in N. E. A. (V. /Angola) geborene Kläger zu 1) und sein 1991 in M. (Angola) geborener Sohn, der Kläger zu 2), sind angolanische Staatsangehörige.
3Nach seinen Angaben lebte der Kläger zu 1) zunächst mit der leiblichen Mutter des Klägers zu 2) zusammen, war aber mit ihr nicht verheiratet. Nach der Trennung von ihr habe er mit einer anderen Frau zusammen gelebt, mit der er ebenfalls nicht verheiratet gewesen sei. Der Kläger zu 2) sei bei ihm und seiner zweiten Lebensgefährtin aufgewachsen.
4Von ihrem letzten Wohnsitz in C. /M. aus verließen die Kläger am 5. April 1994 Angola und reisten am 7. April 1994 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein.
5Noch im April 1994 beantragte der Kläger zu 1) für sich und seinen Sohn die Anerkennung als Asylberechtigte. Mit Bescheid vom 9. Juni 1994, den Klägern zugestellt am 22. Juni 1994, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - Bundesamt - die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Weiterhin wurden die Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb eines Monats nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Zudem wurde ihnen, falls sie die Ausreisefrist nicht einhielten, die Abschiebung nach Angola oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht.
6Im Juni 1995 hat die angolanische Staatsangehörige N. E. D. U. gegenüber dem Ausländeramt des Landratsamts C. L. geltend gemacht, Mutter des sich damals bei ihr befindlichen Klägers zu 2) zu sein.
7Auf eine daraufhin erfolgte Anfrage des Ausländeramts des Landratsamts C. L. zur Überprüfung der Richtigkeit dieser Aussage hat die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in M. mit Schreiben vom 13. Dezember 1995 und 4. Januar 1996 im Wesentlichen mitgeteilt: In dem Krankenhaus, in dem Frau U. sich zur Entbindung aufgehalten haben solle, würden keine Listen über die entbundenen Kinder geführt. Versuche, unter der im Personalausweis angegebenen Anschrift von Frau U. näheres in Erfahrung zu bringen, seien fehlgeschlagen, da diese bei den derzeitigen Mietern und bei den Nachbarn nicht bekannt sei. Bereits aufgrund der Namensführung bestünden jedoch erhebliche Zweifel daran, dass Frau U. die Mutter des Klägers zu 2) sei, da angolanische Staatsangehörige grundsätzlich einen zusammengesetzten Namen führten, der aus dem zweiten Teil des Familiennamens der Mutter und dem zweiten Teil des Familiennamens des Vaters gebildet werde. Im Übrigen habe eine Überprüfung des Personalausweises der Frau U. durch die angolanischen Behörden ergeben, dass dieses Ausweispapier gefälscht sei.
8Im Januar 1996 äußerte sich Frau U. zu ihrem Verhältnis zum Kläger zu 2) gegenüber einer Mitarbeiterin des Freundeskreises Asyl aus I. im Wesentlichen wie folgt: Sie sei mit dem Kläger zu 1) befreundet gewesen. Aus dieser Verbindung sei der Kläger zu 2) geboren worden. Aufgrund einer Verhaftung in Angola habe sie den Kläger zu 2) aus den Augen verloren. Im Sommer 1994 sei sie aus Angola geflohen. Erst im Sommer 1995 habe sie den Kläger zu 2) wiedergefunden und mit nach I. genommen. Am 3. Januar 1996 sei der Kläger zu 1) zu ihr gekommen. Nachdem sie ihm deutlich gemacht habe, mit ihm nicht mehr zusammenleben zu wollen, habe dieser den Kläger zu 2) mit nach Winterberg genommen.
9Ausweislich eines Berichts der Kreispolizeibehörde N. vom 4. April 1996 hat der Kläger zu 1) anlässlich einer Vernehmung am selben Tag angegeben: Die Mutter des Klägers zu 2) sei N. U. E. D. . Sie stamme aus dem selben Dorf wie er.
10Unter dem 1. Juli 1996 hat die deutsche Staatsangehörige T. E. U. C. bescheinigt, die Kläger in ihren Haushalt aufgenommen zu haben. Am 6. März 1997 haben der Kläger zu 1) und Frau C. das Aufgebot für ihre Eheschließung bestellt. Am 29. Juni 1997 hat Frau C. das Kind U. M. K. C. geboren, für das der Kläger zu 1) seine Vaterschaft anerkannt hat.
11Am 18. Mai 1998 sind den Klägern erstmals befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, die zwischenzeitlich mehrfach, zuletzt bis zum 1. August 2000, verlängert worden sind.
12Während seines Aufenthalts im Bundesgebiet ist dem Kläger zu 1) mehrfach eine Arbeitserlaubnis erteilt worden, so als Bauhelfer für Arbeiten im Hochbau, als Hilfsarbeiter in einer Fleischerei und als Küchenhilfe in einer Gaststätte sowie für eine Tätigkeit in einem Fastfood-Restaurant. Ab dem 1. Juli 1998 ist er in einem Arbeitsverhältnis als Palettenreparateur beschäftigt gewesen. Seit dem 24. April 2000 befindet er sich in Untersuchungshaft.
13Der Kläger zu 2) lebt nach wie vor in der Familie der Lebensgefährtin des Klägers zu 1) Frau C. . Er spricht nicht die Sprache seines Heimatlandes. Zu weiteren Einzelheiten der Lebensverhältnisse der Kläger im Bundesgebiet sowie zu deren Beziehung zueinander hat Frau C. in einem Schreiben vom 5. Juni 2000, auf das verwiesen wird, näher Stellung genommen.
14Mit Beschluss vom 19. Juni 2000 - 16 F 149/00 - hat das Amtsgericht Soest auf Antrag des Klägers zu 1) Frau C. als Pflegerin das Personensorgerecht für den Kläger zu 2) übertragen.
15Bereits am 4. Juli 1994 hat der Kläger zu 1) für sich und seinen Sohn gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 9. Juni 1994 Klage erhoben. Nachdem die Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 29. Februar 1996 ihre Anträge auf Verpflichtung zur Anerkennung als Asylberechtigte und zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG zurückgenommen hatten, hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil der im Übrigen auf § 53 AuslG gestützten Klage in der Weise stattgegeben, dass es die Beklagte unter Aufhebung der Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 9. Juni 1994 verpflichtet hat festzustellen, dass in den Personen der Kläger die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG für Angola vorliegen; zugleich hat das Verwaltungsgericht die in dem Bescheid des Bundesamtes vom 9. Juni 1994 enthaltene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung nach Angola aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Für die Kläger bestehe hinsichtlich Angola ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG iVm Art. 3 EMRK, da aufgrund der aktuellen wirtschaftlich-sozialen Lage in Angola gegenwärtig davon ausgegangen werden müsse, dass für Angolaner, die in Familienverbänden mit Kleinkindern in ihr Heimatland zurückkehrten, die konkrete Gefahr einer menschenrechtswidrigen Unterversorgung bestehe, weil sie regelmäßig nicht über die familiären Bindungen verfügten, die ihnen Aufnahme bieten könnten.
16Gegen das ihm am 14. März 1996 zugestellte Urteil hat der Beteiligte am 21. März 1996 die Zulassung der Berufung beantragt.
17Mit Beschluss vom 10. August 1998 hat der Senat die Berufung des Beteiligten zugelassen. Auf der Grundlage des § 130a VwGO hat der Senat mit Beschluss vom 27. Oktober 1998 das angefochtene Urteil geändert und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Regelung unter Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 9. Juni 1994 verpflichtet festzustellen, dass in der Person der Kläger die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für Angola vorliegen; im Übrigen ist die Berufung zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt: Eine Anwendbarkeit des § 53 Abs. 4 AuslG scheide von vornherein aus, da die Kläger nicht schlüssig dargelegt hätten, dass ihnen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation Gefahr drohe. Den Klägern sei jedoch im Hinblick auf die allgemeine Situation in Angola Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren. Ihnen drohe im Fall der Rückkehr nach Angola eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben. Eine Abschiebung stelle eine Verletzung der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Verfassungsgebote dar. Die Nr. 4 des Bescheides des Bundesamtes sei, soweit den Klägern die Abschiebung nach Angola angedroht worden sei, rechtswidrig, da die Kläger im Besitz befristeter Aufenthaltserlaubnisse seien.
18Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. April 1999 - 9 B 15.99 - die Revision zugelassen, soweit die Beklagte zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG verpflichtet worden ist. Mit Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 9.99 - hat das Bundesverwaltungsgericht den Beschluss des Senats vom 27. Oktober 1998 aufgehoben, soweit er die Beklagte zur Feststellung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG verpflichtet, und insoweit die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen.
19Zur Begründung der Berufung trägt der Beteiligte vor: Unabhängig von der Frage, ob der Kläger zu 1) aufgrund der beabsichtigten Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht besitze, liege für die Kläger ein Abschiebungshindernis iSd § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht vor. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Kläger der für die Zuerkennung dieses Abschiebungshindernisses geforderten extremen Gefahrenlage ausgesetzt würden. Bei einer Rückkehr nach M. wären sie jedenfalls dort nicht von den unmittelbaren Auswirkungen des Bürgerkriegs in Form von Kampfhandlungen und Minengefahr betroffen. Es sei dort auch möglich, zur Sicherung des Existenzminimums die Unterstützung von Hilfsorganisationen in Anspruch zu nehmen.
20Der Beteiligte beantragt sinngemäß,
21das angefochtene Urteil, soweit es noch nicht rechtskräftig geworden ist, zu ändern und die Klage abzuweisen.
22Die Kläger beantragen,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Sie führen zur Begründung an: Allein die Tatsache, dass sie dem Stamm der "Mukongo" angehörten, stelle ein gewaltiges Problem in Angola dar. Hinzu komme, dass der Kläger zu 1) in der Vergangenheit mit der UNITA zusammen gearbeitet habe. Dies sei in Angola bekannt und würde bei seiner Rückkehr zu einer sofortigen Verhaftung und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch zu seiner Tötung führen. Der Kläger zu 2) gehe in Deutschland zur Schule und würde in Afrika überhaupt nicht zurecht kommen. Im Übrigen könne der Kläger zu 1) bei einer Rückkehr nach Angola weder für seine 1997 geborenen Tochter weiter Unterhaltszahlungen leisten, noch die bei einer Bank und bei seiner Lebensgefährtin Frau C. aufgenommenen Kredite zurückzahlen.
25Im Anschluss an den Antrag des Beteiligten beantragt die Beklagte,
26das angefochtene Urteil, soweit es noch nicht rechtskräftig geworden ist, zu ändern und die Klage abzuweisen.
27Zur Begründung führt die Beklagte aus: Die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG scheide schon aus Rechtsgründen aus, da der Kläger zu 1) im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei, die nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde bei Vorlage angolanischer Ausweispapiere verlängert werde. Da aufgrund dessen der Verbleib des Klägers zu 1) in der Bundesrepublik Deutschland auf absehbare Zeit gesichert sei, bestehe für eine Aufhebung der grundsätzlich geltenden Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG durch extensive Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG unter Heranziehung des Grundgesetzes kein Bedarf. Gleiches gelte für den Kläger zu 2), da dessen alleinige Abschiebung schon im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG nicht zu befürchten sei.
28Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (ein Band) und der Ausländerbehörde des Kreises T. (zwei Bände) Bezug genommen. Hinsichtlich der im Übrigen verwerteten Erkenntnisse wird auf die den Beteiligten bekannten Erkenntnismittellisten Angola (Erkenntnisse bis 1997) und Angola (Erkenntnisse ab 1998) - Stand: Juni 2000 - sowie die weiteren in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse verwiesen.
29E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
30Gegenstand der Berufung ist nur noch das auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für Angola gerichtete Verpflichtungsbegehren der Kläger. Denn der Bescheid des Bundesamtes vom 9. Juni 1994 ist hinsichtlich der Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigte und der Feststellung des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG durch die erstinstanzliche Klagerücknahme der Kläger bestandskräftig geworden. Deren Klage auf Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1 bis 4 AuslG ist durch den Beschluss des Senats vom 27. Oktober 1998 rechtskräftig abgewiesen worden, da gegen den Beschluss insoweit kein Rechtsmittel eingelegt worden ist. Die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Bundesamtes ist, soweit den Klägern die Abschiebung nach Angola angedroht worden ist, durch den genannten Beschluss des Senats rechtskräftig aufgehoben worden, da auch insoweit kein Rechtsmittel eingelegt worden ist; die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision bezog sich allein auf den das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG betreffenden Teil, was auch in dem Zulassungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts und in dessen Revisionsurteil seinen Niederschlag gefunden hat. Die Klage auf Aufhebung der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung im Übrigen ist durch das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig abgewiesen worden.
31Die Berufung des Beteiligten ist zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
32Die auf die Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gerichtete Klage des Klägers zu 1) ist zulässig.
33Das für die Zulässigkeit der Klage erforderliche Rechtsschutzinteresse ist nicht dadurch entfallen, dass er im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis ist.
34Mit der begehrten Entscheidung kann der Kläger zu 1) zwar lediglich die Feststellung des tatbestandlichen Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erlangen. Eine derartige Feststellung hat für die Dauer von drei Monaten zur Folge, dass die Abschiebung in den betreffenden Staat - ohne eine gesonderte Entscheidung der Ausländerbehörde - ausgesetzt ist (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), und stellt für die Zeit danach die Erteilung einer Duldung in das Ermessen der Ausländerbehörde (§ 41 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG iVm § 55 Abs. 2 AuslG). Insofern vermittelt die dem Kläger zu 1) erteilte befristete Aufenthaltserlaubnis derzeit eine sehr viel weiter gehende Rechtsstellung, da durch sie sogar die Ausreisepflicht entfällt (§ 42 Abs. 1 AuslG).
35Diese weiter gehende Rechtsstellung ist dem Kläger zu 1) jedoch nur zeitlich begrenzt eingeräumt. Sie fällt weg, wenn die Befristung abläuft und keine neue Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Dass letzteres nicht nur eine rein theoretische Möglichkeit darstellt, zeigt sich darin, dass zum einen die bisherigen Verlängerungen der Aufenthaltserlaubnisse unter Hinweis auf die - auch bis heute noch nicht - erfüllte Pflicht zur Vorlage eines Passes erfolgt sind und zum anderen das Fortbestehen der tatsächlichen Lebensgemeinschaft des Klägers zu 1) mit Frau C. und deren gemeinsamer Tochter U. M. K. in Anbetracht der in jüngerer Zeit eingetretenen Geschehnisse nicht als völlig sicher angesehen werden kann.
36Die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entfaltet hingegen Dauerwirkung. Die Ausländerbehörde ist, wie sich aus § 42 Satz 1 AsylVfG ergibt, an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG gebunden. Diese Bindungswirkung dauert fort, d. h. die Ausländerbehörde muss von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen ausgehen, solange nicht die Feststellung durch das Bundesamt im förmlichen Verfahren nach § 73 Abs. 3 AsylVfG widerrufen wird.
37Vgl. zum Rechtsschutzinteresse bei Vorliegen einer Duldung wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung: BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1998 - 9 B 409.98 -, InfAuslR 1999, 525; Hamb. OVG, Urteil vom 22. Januar 1999 - 1 Bf 550/98.A -, InfAuslR 1999, 443 = NVwZ 1999, Beilage Nr. 9, 94; Hailbronner, AuslG, Teil B 1, § 53 RdNr. 11.
38Dem Kläger zu 1) steht daher - bei Vorliegen der entsprechenden materiellen Voraussetzungen - das Recht zu, sich praktisch auf Vorrat den mit der Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG verbundenen Schutz zu verschaffen.
39Dem steht auch nicht die von der Beklagten angeführte Entscheidung des 13. Senats des erkennenden Gerichts
40Beschluss vom 27. August 1999 - 13 A 61/99.A -
41entgegen. Denn diese Entscheidung verhält sich nicht zu der im vorliegenden Zusammenhang allein relevanten Frage des Rechtsschutzinteresses für eine Klage auf Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Vielmehr ist dort die materielle Frage des Erfordernisses einer aus verfassungsrechtlichen Gründen gebotenen erweiternden Auslegung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bei Vorliegen einer allgemeinen Gefahr iSv § 53 Abs. 6 Satz 2 und § 54 AuslG für den Fall verneint worden, dass aus anderen Gründen nicht mit einer Abschiebung zu rechnen ist.
42Die Klage des Klägers zu 1) ist jedoch, soweit sie noch rechtshängig ist, unbegründet.
43Der Kläger zu 1) hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten, für seine Person das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für Angola festzustellen.
44Nach dieser Bestimmung kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Vorschrift hebt allein auf das Bestehen einer konkreten, individuellen Gefahr ab, ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zuzurechnen ist. Allerdings genügt für die Annahme einer "konkreten Gefahr" im Sinne dieser Vorschrift nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr ist der Begriff der "Gefahr" iSd § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab angelegte der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit", wobei allerdings das Element der "Konkretheit" der Gefahr für "diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert, die außerdem landesweit gegeben sein muss.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 1997 - 9 B 627.96 -, Urteil vom 29. März 1996 - 9 C 116.95 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 3 = DVBl. 1996, 1257 = NVwZ 1996, Beilage Nr. 8, 57, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 1 = DÖV 1996, 250 = DVBl. 1996, 203 = InfAuslR 1996, 149 = NVwZ 1996, 199, und - 9 C 15.95 -, BVerwGE 99, 331 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 2 = DVBl. 1996, 612 = NVwZ 1996, 476.
46Der Satz 1 des § 53 Abs. 6 AuslG ist im Zusammenhang mit den Regelungen in dessen Satz 2 sowie in § 54 AuslG zu sehen. Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG werden Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, in dem Staat allgemein ausgesetzt ist, bei Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt. Gemäß § 54 AuslG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von sonstigen Ausländergruppen allgemein oder in einzelne Zielländer für längstens sechs Monate ausgesetzt wird (Satz 1); für längere Aussetzungen bedarf es des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern (Satz 2). Mit dieser Regelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung im Abschiebezielstaat oder einer dort lebenden Bevölkerungsgruppe gleichermaßen droht, über die Relevanz dieser Gefahr für eine Abschiebung/Nichtabschiebung nicht im Einzelfall durch das Bundesamt oder eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums befunden wird.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 13 = DÖV 1999, 607 = DVBl. 1999, 549 = InfAuslR 1999, 266 = NVwZ 1999, 666, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, aaO, und - 9 C 15.95 -, aaO.
48Allgemeine Gefahren iSd § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG können daher auch dann nicht Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründen, wenn sie den Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr ist danach die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Verfahren eines einzelnen Ausländers "gesperrt", wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht. Diese Entscheidung des Bundesgesetzgebers haben die Verwaltungsgerichte zu respektieren. Sie dürfen daher im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe angehören, für die ein Abschiebestopp nach § 54 AuslG nicht besteht, nur dann ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zusprechen, wenn keine anderen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG gegeben sind, eine Abschiebung aber Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist dann der Fall, wenn der Ausländer in seinem Heimatstaat einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem einzelnen Ausländer unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu gewähren.
49Vgl. die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit den Urteilen vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, aaO, und - 9 C 15.95 -, aaO; zuletzt Beschluss vom 23. März 1999 - 9 B 866.98 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 17, und Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, aaO.
50Die Frage nach der aus einer allgemeinen Gefahr erwachsenden extremen Gefährdungslage ist stets mit Blick auf sämtliche dem Ausländer drohenden Gefahren zu beantworten. Dabei geht es allerdings nicht um eine "mathematische" oder "statistische" Summierung der Einzelfragen, vielmehr ist jeweils eine einzelfallbezogene umfassende Bewertung der aus der allgemeinen Gefahr für den Ausländer folgenden Gesamtgefährdungslage vorzunehmen, um auf dieser Grundlage über das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage entscheiden zu können.
51Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. März 1999 - 9 B 866.98 -, aaO.
52Ausgehend von diesen Erwägungen besteht in der Person des Klägers zu 1) kein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für Angola.
53Im Wesentlichen beruft sich der Kläger zu 1) für sein Begehren auf die allgemeine humanitäre Situation in Angola.
54Die humanitäre Lage in Angola ist geprägt durch den seit Jahren herrschenden Bürgerkrieg der UNITA unter der Leitung von Jonas Savimbi gegen die legal gewählte Regierung unter Präsident Dos Santos. Nachdem es am 20. November 1994 zur Unterzeichnung des Friedensprotokolls von Lusaka, mit dem der Bürgerkrieg beendet werden sollte, gekommen war, gerieten in der Folgezeit die Bemühungen zur Umsetzung des Friedensprotokolls immer mehr ins Stocken, bis sie Ende 1998 praktisch zum Stillstand gekommen waren.
55Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 22. Dezember 1998.
56Zugleich entwickelten sich auch wieder heftige Kämpfe zwischen den Bürgerkriegsparteien, bei denen die UNITA-Kräfte sich zunächst den Regierungstruppen häufig als überlegen zeigten und zeitweise bis zu 70 % des gesamten Territoriums Angolas fest im Griff hielten.
57Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
58Im Herbst 1999 konnten die Regierungstruppen jedoch beachtliche militärische Erfolge gegenüber der UNITA erzielen. Es gelang ihnen u. a. die früheren UNITA-Hochburgen Andulo und Bailundo zurückzuerobern. Der Radius um die monatelang unter Granatenbeschuss der UNITA gestandenen Provinzhauptstädte Koito, Huambo und Malange konnte erweitert werden.
59Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999; Frankfurter Rundschau vom 29. September 1999; Süddeutsche Zeitung vom 27. Oktober 1999.
60Nunmehr konzentriert sich der Bürgerkrieg auf einzelne Provinzen, insbesondere auf das zentrale Hochland und den Norden an der angolanischen Grenze zum Kongo sowie auf das südöstliche Grenzgebiet zu Namibia.
61Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
62Die Kriegssituation hat eine allgemeine Nahrungsmittelknappheit und große Flüchtlingsströme zur Folge gehabt. Nach Schätzungen der Koordinierungsstelle der Vereinten Nationen für humanitäre Hilfen in Angola - UCAH - sind derzeit etwa 3,5 Millionen der insgesamt etwa 10,5 bis 12,6 Millionen Einwohner des Landes - nähere Angaben fehlen - unmittelbar vom Krieg betroffen. Die fortgesetzten Kampfhandlungen und die jüngst unternommene Offensive der Regierungsparteien gegen die UNITA-Einheiten, aber auch die von beiden Konfliktparteien vorgenommenen Neuverminungen (Antipersonenminen) haben die Flüchtlings- und Versorgungssituation in ernst zu nehmender Weise verschärft. Der UNHCR beziffert die Zahl innerangolanischer Flüchtlinge mit 2 Millionen. Infolge der Kämpfe zwischen der Regierungsarmee und der UNITA sind große Bevölkerungsbewegungen aus den Kampfgebieten in die Provinzhauptstädte im Landesinnern bzw. an der Küste sowie nach M. entstanden. Dies hat zur Überfüllung der betroffenen Städte bzw. zum Entstehen von Flüchtlingslagern in deren Umkreis geführt.
63Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
64Die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln ist nach zutreffender Ansicht des Auswärtigen Amtes in ganz Angola vor dem Hintergrund des anhaltenden Bürgerkriegs als sehr kritisch zu bezeichnen. Die Versorgung der Vertriebenen erfolgt überwiegend durch internationale Hilfsorganisationen, auch wenn einige Flüchtlinge von Familienangehörigen unterstützt werden oder Arbeit im sog. informellen Sektor finden. Zwar haben sich die Möglichkeiten der internationalen Hilfsorganisationen, Zugang zu den Bürgerkriegsflüchtlingen zu finden, in den letzten Monaten durch das Zurückdrängen der UNITA und die Wiedereröffnung wichtiger Straßenverbindungen verbessert, dennoch kann die unerwartet schnell angestiegene Zahl der intern Vertriebenen unter den gegenwärtigen Umständen nur mit großen Einschränkungen versorgt werden. In den vom Bürgerkrieg nicht berührten Landesteilen war nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes im Dezember 1999 eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln noch auf niedrigem Niveau gewährleistet, auch durch die Tätigkeit nationaler wie internationaler Hilfsorganisationen. Die Überlebensmöglichkeiten für allein stehende Frauen und Kinder ohne familiären Rückhalt waren und sind hingegen bedenklich. Denn in der ersten Hälfte des Jahres 2000 ist nach Auffassung des Auswärtigen Amtes eine weitere Verschlechterung der Versorgungslage im gesamten Land in Folge konfliktbedingter Ernteausfälle zu erwarten.
65Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
66Zu der als sehr kritisch zu bezeichnenden Versorgungslage mit Nahrungsmitteln kommt hinzu, dass auch die allgemeine medizinische Versorgung in Angola sehr angespannt ist, vor allem weil Medikamente fehlen. Ein staatliches angolanisches Gesundheitswesen ist nur in minimalen Ansätzen vorhanden. Größere staatliche Krankenhäuser gibt es nur in der Hauptstadt M. . Die Behandlung ist kostenlos, aber fast immer unzureichend. Da staatlichen Krankenhäusern häufig Strom, Wasser, Medikamente und Gerätschaften fehlen, sind aufwendige Behandlungen meist nicht durchführbar. Die notwendigen Medikamente müssen oftmals privat besorgt werden. Ohne die internationale Hilfe wären auch die wenigen vorhandenen Gesundheitsposten, kleinen Krankenhäuser und Hospitäler kaum überlebensfähig. In M. gibt es zwar einige Privatkliniken, die über akzeptable Behandlungsmöglichkeiten verfügen, sie sind aber gemessen am Durchschnittseinkommen sehr teuer.
67Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
68Diese Einschätzung der humanitären Lage in Angola durch das Auswärtige Amt wird im Wesentlichen auch durch andere Stellen gestützt.
69So hat der UNHCR im September 1999 auf der Grundlage der Analyse der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und humanitären Situation in Angola aufgefordert, von unfreiwilligen Rückführungen abgelehnter angolanischer Asylsuchender nach Angola abzusehen. Dabei hat er darauf hingewiesen, dass nur wenige der großen Städte noch über eine intakte Verwaltung, ausreichende Wasserversorgung, eine funktionierende medizinische Versorgung und sonstige Infrastrukturen verfügten. Hunger und Seuchen stellten eine weitere ernste Bedrohung für die angolanische Bevölkerung dar. Der größte Teil der betroffenen Bevölkerung könne von den Nothilfeprogrammen humanitärer Organisationen nicht erreicht werden. Verschiedene humanitäre Organisationen hätten ihre Aktivitäten in beinahe allen Teilen des Landes eingestellt oder zumindest eingeschränkt und verbliebenes Personal und Ausrüstungsgegenstände nach M. verbracht.
70Vgl. UNHCR, Stellungnahme vom 8. September 1999.
71Auch das Außenministerium der Niederlande geht davon aus, dass sich die humanitäre Lage in M. u. a. wegen des ständigen Zustroms von Flüchtlingen in den letzten Monaten verschlechtert habe. Die meisten Menschen verfügten über kein sauberes Trinkwasser, und die sanitäre Lage sei alarmierend. Man wohne zumeist in dürftigen, überfüllten Unterkünften oder Slums mit fehlender Stromversorgung. 80 % der Stadt bestehe aus Armutsvierteln ohne nennenswerte Kanalisation. Die Regierung sorge zwar dafür, dass über besondere Wege ausreichend Nahrungsmittel in der Stadt erhältlich seien, allerdings seien die Lebensmittel für viele Menschen zu teuer, was zur Unterernährung führe. Zahlreiche regierungsunabhängige und karitative Organisationen verteilten selektiv Lebensmittel an wirtschaftlich schwache Gruppen. Die informelle Wirtschaft spiele eine große Rolle. Darüber hinaus gebe es Zugang zu vielen Stellen und Leistungen, wenn man über gute Beziehungen und die erforderlichen Geldmittel verfüge. Die Lage auf dem Gesundheitssektor sei schlecht. In M. gebe es ein Militärkrankenhaus, das nur Militärs, hohen Beamten und Politikern zugänglich sei. Ferner gebe es viele Privatkliniken, die jedoch nur Ausländern und Angolanern offen stünden, die über US-Dollar verfügten. Daneben gebe es noch die schlecht arbeitenden städtischen Krankenhäuser und in den verschiedenen Stadtteilen sehr primitiv ausgestattete Erste- Hilfe-Stationen unterschiedlichster Qualität.
72Vgl. Außenministerium der Niederlande, Stellungnahme vom 6. Dezember 1999.
73Ähnlich wird die Lage in Angola durch die Schweizerische Flüchtlingshilfe beurteilt. Danach verfügt die in Elendsvierteln eingepferchte Mehrheit der Bevölkerung in M. weder über Strom noch Wasser. Sowohl das Zentrum als auch die Vororte seien mit Abfallbergen übersät. Angesichts der sehr hohen Arbeitslosigkeit und massiver Unterbeschäftigung sowie aufgrund der erheblichen Divergenz zwischen den Preisen und den Einkommen lebe die Mehrheit der Bevölkerung in extremer Armut und äußerster Not und kämpfe täglich ums Überleben. Eine immer größere Zahl der Bewohner sei zum Überleben auf Schwarzarbeit angewiesen. Die allgemeine Korruption, die ständig ansteigende Kriminalität, das Betteln und die Prostitution kennzeichneten das Leben in der Hauptstadt. Mit Ausnahme der sehr kleinen reichen Minderheit genüge es nicht, jung und gesund zu sein und in M. Angehörige zu haben, um sich dort minimale Lebensbedingungen zu sichern. Gemäß einer Mitte Juni 1999 von verschiedenen humanitären Organisationen in Huambo durchgeführten Erhebung seien bereits 16,7 % der Kinder unter fünf Jahren unterernährt, 3,5 % davon schwer unterernährt. Wegen fehlender Mittel der humanitären Organisationen könnten von 12.000 Kindern nur 2.850 Kinder zusätzliche Rationen pro Tag erhalten. In M. lebten ca. 5.000 Kinder auf der Straße. Sie könnten teilweise durch Schuheputzen, Autowaschen oder Wassertragen ihren Lebensunterhalt sicherstellen. Viele hingegen würden auch stehlen, betteln oder sich prostituieren.
74Vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme aus Juli 1999.
75Das Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge stellt zur medizinischen Infrastruktur in Angola fest, dass diese äußerst mangelhaft und oft nicht einmal in der Lage sei, harmlose und gewöhnliche Beschwerden angemessen zu behandeln. In M. fehle es in öffentlichen Krankenhäusern an allem. Im Inneren des Landes gebe es Krankenhäuser aus der Kolonialzeit, die - mit Ausnahme derjenigen, die von den internationalen Hilfsorganisationen betrieben würden - nur ganz beschränkt Hilfe leisten könnten. Neben den öffentlichen Einrichtungen existierten vor allem in M. Privatkliniken, die zwar teilweise eine mittelmäßige Versorgung sicherstellen könnten, aber extrem teuer und deshalb für die Mehrheit der Bevölkerung nicht zugänglich seien. Diejenigen Patienten, die sich an die öffentlichen Krankenhäuser wendeten, seien meist gezwungen, das medizinische Personal direkt zu bezahlen und/oder auf eigene Kosten das Material und die benötigten Medikamente zu besorgen. In Folge der neu aufgeflammten Kämpfe hätten sich insbesondere Infektionskrankheiten, die man vorher einigermaßen in den Griff bekommen hätte, wieder verbreitet. Dabei stellten Kinder, schwangere Frauen, ältere Personen und Vertriebene, die durch den Krieg und Unterernährung geschwächt seien, besondere Risikogruppen dar. Die Kindersterblichkeit bleibe sehr hoch. Da Kinder oft an Unterernährung litten, blieben sie die Hauptopfer von Infektionskrankheiten wie Keuchhusten, Masern und Meningitis.
76Vgl. Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge, Länderinformationsblatt Angola (Stand: November 1999).
77Angesichts dieser nach wie vor als äußerst schwierig zu bewertenden humanitären Lage kann die Frage, ob ein Ausländer bei seiner Rückkehr nach Angola aufgrund der dortigen allgemeinen Situation einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben iSv § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausgesetzt sein wird, nicht generell bejaht werden. Vielmehr bedarf es einer vertieften Prüfung der jeweiligen besonderen Umstände des Einzelfalles, bei der insbesondere das jeweilige Alter des Ausländers, dessen allgemeine Konstitution und dessen Gesundheitszustand, die verwandtschaftlichen und persönlichen Beziehungen zu in Angola bereits lebenden Personen, die Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten sowie das Vorhandensein besonderer Qualifikationen zu berücksichtigen sind.
78Ausgehend von diesen Erwägungen ist für den Kläger zu 1) eine erhebliche konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben iSv § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG (und damit erst recht eine extreme Gefahrenlage) zu verneinen.
79Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1) in M. als der zurzeit einzig möglichen Anlaufstation allein stehend sein wird, ihm also die persönlichen Beziehungen und Unterstützungen fehlen werden, die generell eine Existenzsicherung dort erleichtern könnten. Zudem wird die Wiedereingliederung des Klägers zu 1) in die dortigen Lebensverhältnisse dadurch erschwert, dass er mehr als sechs Jahre in der Bundesrepublik Deutschland gelebt hat und sich deswegen den örtlichen Gegebenheiten entfremdet haben dürfte. Unter Anlegung des maßgeblichen Prognosemaßstabs ist aber dennoch davon auszugehen, dass er in der Lage sein wird, insbesondere mit Blick auf die während seines langen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland erlangten Kenntnisse und Fertigkeiten seinen eigenen Lebensunterhalt, wenn auch nur auf niedrigstem Niveau, sicherzustellen und so für sich die Gefahr von erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen abzuwenden. Bei ihm handelt es sich um einen 38-jährigen Mann, der unter keinerlei gesundheitlichen Einschränkungen leidet. Aufgrund dessen ist er in der Lage, seine Arbeitskraft zur Sicherung seiner Existenzgrundlage einzusetzen. Gerade im informellen Sektor, der eine große Rolle spielt,
80vgl. Stellungnahme des Außenministeriums der Niederlande vom 6. Dezember 1999,
81bestehen durchaus Möglichkeiten, sich durch Arbeit die für die Grundversorgung notwendigen Nahrungsmittel zu verschaffen. Dafür, dass der Kläger zu 1) eine derartige Beschäftigungsmöglichkeit wird finden können, spricht, dass er durch seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland Kenntnisse auch im sprachlichen Bereich erlangt hat, die ihm gegenüber den Großteil der übrigen Bevölkerung eine bessere Ausgangslage verschaffen.
82Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht München vom 12. Januar 1999.
83Zudem hat er während seines Aufenthalts im Bundesgebiet vielseitigen Fertigkeiten erworben. So war er über lange Zeiten hinweg in verschiedenen Bereichen berufstätig. Insbesondere hat er als Bauhelfer, als Hilfsarbeiter in einer Fleischerei, als Küchenhilfe und als Palettenreparateur gearbeitet. Auch die durch diese Tätigkeiten erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten heben ihn aus dem Kreis der übrigen Bevölkerung heraus. Wenn es ihm trotz dieser Umstände nicht gelingen sollte, eine Arbeitsstelle zu finden, stünde ihm noch die Möglichkeit offen, auf die Unterstützung der zumindest noch zum Teil in M. tätigen internationalen Hilfsorganisationen zurückzugreifen, durch die auch überwiegend die Versorgung der Binnenvertriebenen erfolgt.
84Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
85Auch wenn diese Hilfsorganisationen schon angesichts der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel nicht alle Bedürftigen erreichen, ist in Anbetracht der Wendigkeit des Klägers zu 1), die dieser auch während seines bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet unter Beweis gestellt hat, anzunehmen, dass er auf diesem Weg Nahrungsmittel jedenfalls in dem Umfang wird erlangen können, dass es ihm für seine Person möglich sein wird, in M. zu überleben, ohne dabei körperliche/gesundheitliche Beeinträchtigungen davon zu tragen, die die Erheblichkeitsschwelle des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erreichen. Angesichts dessen kann für den Kläger zu 1) auch im Hinblick darauf, dass die Schweizerische Flüchtlingshilfe die Auffassung vertritt, es genüge nicht, jung und gesund zu sein und in M. Angehörige zu haben, um sich dort minimale Lebensbedingungen zu sichern,
86- vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Stellungnahme aus Juli 1999 -
87davon ausgegangen werden, dass er für sich zumindest in M. die Gefahr von im Rahmen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG relevanten körperlichen/gesundheitlichen Beeinträchtigungen wird abwenden können.
88Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn der Kläger zu 1) zusammen mit dem Kläger zu 2) nach Angola zurückkehren sollte.
89In diesem Zusammenhang ist die Frage ohne Belang, ob dem Kläger zu 1) eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben deswegen beachtlich wahrscheinlich droht, weil er sich in diesem Fall nicht nur auf die Beschaffung der zu seinem eigenen Überleben erforderlichen Lebensmittel beschränken könnte, sondern sich auch um die Sicherstellung der Versorgung für den Kläger zu 2) bemühen und zudem diesem die zur Vermeidung einer Verwahrlosung notwendige Fürsorge zukommen lassen müsste. Vielmehr ist allein eine isolierte Betrachtung des Schicksals des Klägers zu 1) vorzunehmen. Diese ist nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in der zurückverweisenden Entscheidung vom 21. September 1999 - 9 C 9.99 - veranlasst. Denn ansonsten wäre die vom Bundesverwaltungsgericht gerügte Nichtbeachtung seiner Rechtsprechung durch den Senat in Bezug auf den Kläger zu 2) nicht mehr verständlich. Auch der Kläger zu 2) wird vom Bundesverwaltungsgericht völlig isoliert in den Blick genommen, wobei insoweit nach dem damals festgestellten Sachverhalt allerdings völlig offen bleibt, wie der Kläger zu 2) alleinstehend in M. nur dem Ansatz nach hätte überleben sollen.
90Im Gegensatz dazu hatte der Senat in der aufgehobenen Entscheidung vom 27. Oktober 1998 die Möglichkeit nicht bedacht, in abschiebungsrechtlicher Hinsicht das Schicksal des Klägers zu 1) von demjenigen des Klägers zu 2) unter Hinanstellung aller aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Bedenken zu trennen. Vielmehr hatte er zugrunde gelegt, dass der Kläger zu 1) gezwungen sei, gemeinsam mit dem Kläger zu 2) nach M. /Angola zurückzukehren, und ihm wegen der dadurch notwendigen Betreuung des Klägers zu 2) eine Arbeitsaufnahme und damit die Beschaffung von lebenswichtigem Wohnraum und Lebensmitteln nicht in dem erforderlichen - ein Überleben sichernden - Umfang möglich sein würde. Der Senat hat diesen Hintergrund seiner Entscheidung allerdings lediglich mit den Wendungen von den "besonderen Umständen des Einzelfalles" und "dem allein stehenden Kläger" zum Ausdruck gebracht, wobei letztere Wendung sich nur auf fehlende Möglichkeiten verwandtschaftlicher Hilfe bezog. Es stellt deswegen ein Missverständnis der Senatsentscheidung dar, wenn die Beklagte meint, dem Kläger zu 1) sei der Feststellungsanspruch nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nur deswegen zugebilligt worden, weil für den Kläger zu 2) eine extreme Gefahrenlage gesehen worden sei. Der Senat hat vielmehr ein wechselseitig aufeinander bezogenes Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Gefährdungslage von Kindern der damals gegebenen Kleinkindgruppe auf der einen und der sehr schlechten Arbeitsmarkt- und Versorgungslage in M. auf der anderen Seite gesehen und zugrundegelegt, dass dann, wenn dem Kläger zu 2) die zum Überleben erforderliche elterliche Fürsorge zugedacht werden müsse, der Kläger zu 1) seinerseits nicht in der Lage sein würde, die notwendige Energie und Wendigkeit gerade auch in zeitlicher Hinsicht aufzubringen, um sich und den Kläger zu 2) am Leben zu erhalten.
91Da die Ausführungen in der zurückverweisenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für den Senat bindend sind, kann an der bei der Senatsentscheidung vom 27. Oktober 1997 herangezogenen Grundlage für die Prognoseentscheidung nicht mehr festgehalten werden.
92Ausgehend davon kann eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Klägers zu 1) nicht festgestellt werden. Ihm wird es auch bei einer gemeinsamen Rückkehr mit dem Kläger zu 2) möglich sein, sein eigenes Existenzminimum sicherzustellen, auch wenn dies letztlich zu Lasten des Klägers zu 2) erfolgt, wenn nämlich die von dem Kläger zu 1) beschafften Nahrungsmittel nicht für beide Kläger ausreichen oder wenn der Kläger zu 2) einer dessen Leben gefährdenden Verwahrlosung ausgesetzt wird.
93Auch das Vorbringen, der Kläger zu 1) habe in der Vergangenheit mit der UNITA zusammengearbeitet, vermag ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG schon in dessen unmittelbarer Anwendung nicht zu begründen. Unabhängig davon, dass die im Bescheid des Bundesamtes aufgezeigten Zweifel an der Glaubhaftigkeit des diesbezüglichen Vortrags des Klägers zu 1) durchgreifend bestehen, ist festzustellen, dass wegen der Zugehörigkeit zur UNITA vor allem nur dann mit staatlichen Repressalien zu rechnen ist, wenn sich diese Zugehörigkeit in nachgewiesenen, langjährigen und besonders kämpferischen Aktivitäten zugunsten Savimbis manifestiert hat.
94Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
95Derartiges ist für den Kläger zu 1) nicht festzustellen. Für Personen, deren Aktivitäten für die UNITA den beschriebenen Umfang nicht erreichen, ist nach Einschätzung der Europäischen Botschaften, der US-Botschaft sowie internationaler Organisationen in M. die Wahrscheinlichkeit staatlicher Repressalien gering.
96Im Übrigen spricht gegen die Annahme einer an die Zusammenarbeit mit der UNITA anknüpfenden Gefährdung, dass sich ein Teil der Angehörigen der UNITA zwischenzeitlich von der übrigen Organisation getrennt und unter dem Namen "UNITA- Renovada" zusammen geschlossen hat. Die UNITA-Renovada hat sich öffentlich von Savimbi und seiner Politik/Kriegführung distanziert und stellt die zweitgrößte Fraktion im Parlament. Zudem hat der Präsident Dos Santos am 11. November 1999 in seiner Rede zum Unabhängigkeitstag UNITA-Angehörigen ein Amnestieangebot gemacht.
97Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
98Schließlich hat der Senat schon früher die Auffassung vertreten, dass Asylbewerbern aus Angola wegen ihrer Mitgliedschaft oder des Verdachts der Mitgliedschaft in der UNITA oder wegen der Nähe zur UNITA bei ihrer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht.
99Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. August 1997 - 1 A 5903/95.A - und vom 4. Dezember 1997 - 1 A 89/92.A -.
100An dieser Einschätzung ist auch angesichts der zwischenzeitlichen Entwicklung festzuhalten, da keine hinreichenden Erkenntnisse vorliegen, die Anlass für die Annahme einer Verfolgungsgefahr ergeben könnten.
101Der erstmals im Mai 2000 erhobene Einwand des Klägers zu 1), allein die Tatsache, dass er dem Stamm der "Mukongo" angehöre, stelle ein gewaltiges Problem in Angola dar, lässt ebenfalls schon keine erhebliche konkrete Gefahr für dessen Leib, Leben oder Freiheit iSv § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hervortreten. In diesem Zusammenhang fehlt es an jeglichen näheren Angaben dazu, warum dem Kläger zu 1) gerade wegen der Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe bei einer Rückkehr nach Angola eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit drohen könnte. Auch ansonsten ist nichts für die Annahme einer derartigen Gefahr ersichtlich. Zwar mag es sein, dass die dem Mukongo-Volk zugehörigen Bakongo grundsätzlich dem Verdacht ausgesetzt sind, die UNITA bei ihrem Kampf gegen die Regierung zu unterstützen,
102so amnesty international, Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 12. Januar 1999,
103bzw. seit langem eine bedeutende gesellschaftspolitische Verankerung des militärischen Kampfes der UNITA gegen die Zentralgewalt in M. darstellen.
104So Institut für Afrika-Kunde, Stellungnahme für das Verwaltungsgericht München vom 15. Oktober 1998.
105Dennoch besteht kein Anhalt dafür, dass jedem Angehörigen der Gruppe der Bakongo allein wegen der Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe Beeinträchtigungen in Angola drohen. Denn eine gezielte Diskriminierung bestimmter Volksgruppen ist nicht festzustellen. Insbesondere sind die von exilpolitischen Bewegungen der Bakongo behaupteten Repressionen gegenüber dieser Volksgruppe nicht erwiesen.
106Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
107Schließlich besteht auch keinerlei durchgreifender Anhalt, dass der Kläger zu 1) aus sonstigen asylrechtlich relevanten und damit auch im vorliegenden Zusammenhang gegebenenfalls beachtlichen Gründen einer Gefahr iSv § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausgesetzt sein könnte.
108Die auf die Verpflichtung zur Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gerichtete Klage des Klägers zu 2) hat hingegen Erfolg.
109Die Klage ist zulässig.
110Der Zulässigkeit der Klage des Klägers zu 2) steht nicht entgegen, dass dieser bei der Klageerhebung in Folge seiner Minderjährigkeit weder nach § 62 Abs. 1 VwGO noch nach § 62 Abs. 4 VwGO iVm § 55 ZPO prozessfähig war. Denn der Kläger zu 2) ist wirksam durch den Kläger zu 1) vertreten worden.
111Zwar war der Kläger zu 1) als Vater des unehelich geborenen Klägers zu 2) nicht dessen gesetzlicher Vertreter, was aus Art. 20 Abs. 2 EGBGB iVm §§ 1705 und 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB, jeweils in der bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I 2942) - KindRG - geltenden Fassung, folgt. Die Vertretungsbefugnis des Klägers zu 1) ergibt sich jedoch aus § 12 Abs. 3 AsylVfG. Danach ist im Asylverfahren jeder Elternteil zur Vertretung eines Kindes unter 16 Jahren befugt, wenn sich der andere Elternteil nicht im Bundesgebiet aufhält oder sein Aufenthaltsort im Bundesgebiet unbekannt ist. Diese Vorschrift, die schon ihrem Wortlaut nach nicht auf das Bestehen einer Ehe zwischen den Elternteilen abstellt,
112vgl. dazu Funke-Kaiser in GK- AsylVfG, § 12 RdNr. 31; Hailbronner, AuslR, Teil B 2 § 12 RdNr. 45,
113kommt hier zur Anwendung. Dabei kann dahinstehen, ob die angolanische Staatsangehörige N. E. D. U. tatsächlich die Mutter des Klägers zu 2) ist. Denn für den Fall, dass deren Angaben gegenüber dem Ausländeramt des Landratsamts des Landkreises C. L. zutreffen sollten, greift § 12 Abs. 3 AsylVfG ein, da Frau U. erst am 25. Juli 1994 und damit nach der Klageerhebung in das Bundesgebiet eingereist ist. Sollten ihre Angaben unzutreffend gewesen sein, wäre davon auszugehen, dass der Aufenthaltsort der Mutter des Klägers zu 2) unbekannt gewesen ist, mit der Folge, dass § 12 Abs. 3 AsylVfG ebenfalls angewendet werden kann. Im Übrigen wäre der Kläger zu 1), auch wenn man angolanisches Recht für anwendbar hält, zur Vertretung des Klägers zu 2) berechtigt gewesen. Zwar ist nach Art. 139 Abs. 1 des angolanischen Zivilprozessgesetzbuches - C.pr.c. -
114vgl. zum Wortlaut der angolanischen Vorschriften Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht
115grundsätzlich die elterliche Autorität, unabhängig davon, ob das Kind ehelich oder nichtehelich geboren ist, vom Vater und von der Mutter gemeinsam auszuüben. Nach Art. 147 Abs. 2 C.pr.c. steht jedoch im Falle der Unmöglichkeit eines der Elternteile dem anderen die Ausübung der elterlichen Autorität zu. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, da die Mutter des Klägers zu 2) zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Hinblick darauf, dass sie sich nicht im Bundesgebiet aufhielt bzw. dass ihr Aufenthaltsort unbekannt war, an der Ausübung der elterlichen Autorität gehindert gewesen ist.
116Auch bis zu der mit Beschluss des Amtsgerichts T. vom 19. Juni 2000 erfolgten Übertragung des Personensorgerechts auf Frau C. war der Kläger zu 2) wirksam durch den Kläger zu 1) vertreten. Sofern Frau U. die Mutter des Klägers zu 2) sein sollte, folgte die Vertretungsmacht des Klägers zu 1) für die notwendigen Prozesshandlungen entweder aus Art. 21 EGBGB iVm §§ 1626a Abs. 2, 1687 a, 1687 Abs. 1 Satz 5, 1629 Abs. 1 Satz 4 BGB, jeweils in der seit dem Inkrafttreten des KindRG geltenden Fassung, weil es sich um unaufschiebbare Maßnahmen zum Wohl des Klägers zu 2) handelte, oder aus einer stillschweigenden Übertragung der Vertretungsmacht durch Frau U. . Ist Frau U. nicht die Mutter des Klägers zu 2), kommt nach wie vor § 12 Abs. 3 AsylVfG zur Anwendung.
117Dass der Kläger zu 2) - ebenso wie der Kläger zu 1) - im Besitz einer befristeten Aufenthaltserlaubnis ist, lässt das Rechtsschutzinteresse für die Klage aus den bereits dargestellten Erwägungen nicht entfallen.
118Die Klage des Klägers zu 2) ist auch begründet.
119Die Beklagte ist verpflichtet, hinsichtlich des Klägers zu 2) das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für Angola festzustellen, da diesem eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben in Angola droht.
120Dies folgt daraus, dass das Existenzminimum des Kläger zu 2) in Angola nicht gesichert ist.
121Die Überlebensmöglichkeiten von Kindern ohne familiären Rückhalt sind nach der allgemeinen Erkenntnislage bereits an sich als bedenklich anzusehen und erfordern ein hohes Maß an Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit sowie das Erlernen und Entwickeln von Überlebensstrategien. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass die auf den Straßen Luandas lebenden Kinder ihren Lebensunterhalt teilweise nur durch Tätigkeiten wie Schuheputzen, Autowaschen und Wassertragen oder sogar nur durch Diebstähle, Betteln oder Prostitution sicherstellen können. Auch die Mittel der humanitären Organisationen reichen nicht aus, alle Kinder hinreichend zu versorgen.
122Der Kläger besitzt demgegenüber nicht die danach erforderlichen familiären und persönlichen Voraussetzungen, um sein Überleben sichern zu können. Auf verwandtschaftliche Beziehungen wird er nicht zurückgreifen können, da seine Angehörigen mit Ausnahme des Klägers zu 1) entweder im Bundesgebiet leben oder unbekannten Aufenthalts sind. Er wird auch aus individuellen, allein in seiner Person und seiner besonderen Sozialisation liegenden Gründen nicht in der Lage sein, die für Kinder ohne familiären Rückhalt in M. unabdingbar erforderlichen Überlebenstechniken ausreichend entwickeln zu können. Wesentliche Ursache dafür ist die Entfremdung des Klägers zu 2) gegenüber seinem Heimatland. Es fehlt ihm an jeglichem im vorliegenden Zusammenhang erheblichen Bezug zu Angola. Da er bereits mit drei Jahren Angola verlassen hat und sich seit nunmehr sechs Jahren im Bundesgebiet aufhält, sind ihm die Lebensverhältnisse in seinem Heimatland völlig unbekannt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass er mangels entsprechender Sprachkenntnisse nicht in der Lage ist, sich in Angola zu verständigen. Dadurch ist es ihm schon nicht möglich, überhaupt am allgemeinen Alltagsleben teilzuhaben. Dies schließt es erst recht aus, dass er sich die notwendigsten Lebensmittel für eine Grundversorgung verschaffen kann.
123Auch im Falle einer gemeinsamen Rückkehr mit dem Kläger zu 1) gilt nichts anderes. Der Kläger zu 1) wird allenfalls zur Sicherstellung seines eigenen Lebensunterhalts, aber nicht auch noch zusätzlich zur Sicherstellung des Lebensunterhalts für den Kläger zu 2) in der Lage sein. Aus den angeführten Gründen folgt zwingend, dass eine das Überleben des Klägers zu 2) gewährleistende Fürsorge durch den Kläger zu 1) mit den extremen Lebensbedingungen in M. auf dem (informellen) Arbeitsmarkt dort nicht zu vereinbaren ist. Der Kläger zu 1) wird vielmehr für sein eigenes Überleben "jede" Arbeit zu jeder Tages- und Nachtzeit annehmen müssen und nicht in der Lage sein, den Kläger zu 2) in einem dessen Überleben sicherstellenden Umfang zu versorgen. Hinzukommt, dass das Verhältnis der Kläger zueinander bereits während ihres bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet durch deutliche Spannungen geprägt ist. So hat die Lebensgefährtin des Klägers zu 1) bekundet, begleitet von erheblichen psychischen und Alkohol bedingten Problemen habe der Kläger zu 1) den Kläger zu 2) in den letzten Jahren wiederholt mit brutaler Härte geschlagen und getreten sowie auch im Übrigen wenig Interesse an dessen persönlicher Entwicklung gezeigt und seine Ablehnung oftmals zum Ausdruck gebracht. Da diese Spannungen und deren bedrohliche Auswirkungen für den Kläger zu 2) angesichts einer von grundlegenden existenziellen Sorgen geprägten Situation, auf die die Kläger in Angola treffen werden, verstärkt zu erwarten sein werden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger zu 1) - selbst wenn er dazu in der Lage sein sollte - hinreichend dafür Sorge tragen wird, das Existenzminimum des Klägers zu 2) sicherzustellen.
124Die Kläger können sich, selbst wenn eine entsprechende Bereitschaft beim Kläger zu 1) unterstellt würde, der beschriebenen Gefährdung für den Kläger zu 2) auch nicht dadurch entziehen, dass sie ihren Aufenthaltsort nicht in M. wählen, sondern sich in andere Landesteile begeben. Denn zum einen sind weite Teile Angolas infolge der anhaltenden Kämpfe und der Verminung von wichtigen Verbindungsstraßen auf dem Landweg nicht zu erreichen.
125Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
126Durch die von Seiten der UNITA zunehmend als Guerillakrieg geführten Auseinandersetzungen sind die Straßen noch unsicherer geworden, als dies während des mit herkömmlichen Mitteln geführten Krieges der Fall war.
127Vgl. Internationales Afrikaforum, Ausgabe 2/2000, S. 150.
128So ist es den Klägern nicht möglich, in den im Norden Angolas in der Provinz V. gelegenen Geburtsort des Klägers zu 1) zu gelangen, wo dieser möglicherweise noch verwandtschaftliche Beziehungen und damit eine Möglichkeit zur Sicherstellung des Existenzminimums auch für den Kläger zu 2) haben könnte. Denn dieser Teil des Landes wird nach wie vor noch von der UNITA kontrolliert, und eine Möglichkeit, von Regierungsgebieten aus in die UNITA-Zonen zu reisen, besteht praktisch nicht.
129Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
130Zum anderen bestehen außerhalb Luandas überwiegend noch größere Probleme für die Bevölkerung, ihr Existenzminimum zu sichern, da sich die humanitären Hilfsorganisationen als eine wesentliche Säule für die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus weiten Teilen des Landes zurückgezogen haben und, wenn überhaupt, dann nur noch in M. tätig sind. Hinzukommt, dass es den Klägern außerhalb von M. und außerhalb des Geburtsorts des Klägers zu 1) ebenfalls an jeglichen Kontakten fehlt.
131Angesichts dieser Umstände drohen dem Kläger zu 2) bei einer Rückkehr nach Angola mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit unmittelbare gesundheitliche Beeinträchtigungen erheblichen Umfangs infolge von Unterernährung und der damit verbundenen Folgeerkrankungen, die letztlich zu seinem baldigen Tod führen würden.
132Der unmittelbaren Anwendung des Satz 1 von § 53 Abs. 6 AuslG steht auch nicht die Sperrwirkung des Satz 2 entgegen.
133Wann eine die Sperrwirkung auslösende allgemeine Gefahr vorliegt, ist dem Wortlaut des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG nur eingeschränkt zu entnehmen.
134Klar ist nach dem Wortlaut nur, dass die Gefahren, die erfasst sind, unterschiedslos die gesamte Bevölkerung des Abschiebezielstaats oder jedenfalls eine dort lebende Bevölkerungsgruppe betreffen müssen. Wie groß diese Gruppe gegebenenfalls zu denken ist und welcher Art die Gefahren nach ihrer Intensität und Unmittelbarkeit sowie dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens sein müssen, damit der Ausschlusstatbestand des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG greift, ist dem Gesetz seinem Wortlaut nach jedoch nicht unmittelbar zu entnehmen. Eine Beantwortung dieser Frage erschließt sich aber durch die Auslegung dieser Vorschrift im Zusammenhang mit den Regelungen in § 53 Abs. 6 Satz 1 und § 54 Satz 1 AuslG. Danach greift die Sperrwirkung unter zwei Voraussetzungen ein:
135Die erste Voraussetzung ist, dass dem Grunde nach - also nicht nur bezogen auf den Einzelfall - ein Anwendungsfall von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegt. Dies bedeutet, dass die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe insgesamt jeweils individuell einer Gefahr ausgesetzt ist, die den in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG genannten Voraussetzungen entspricht. Mit anderen Worten ausgedrückt: Eine allgemeine Gefahr iSv § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG liegt nur dann vor, wenn jedem Angehörigen der Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit iSv § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG droht.
136Diese Auslegung folgt daraus, dass es nach der Systematik des Gesetzes nicht denkbar und auch nicht mit dem Gesetzeszweck vereinbar wäre, wenn Satz 1 durch Satz 2 des § 53 Abs. 6 AuslG auch für solche Gefahrensituationen im Abschiebezielstaat ausgeschlossen wäre, in denen die Erheblichkeit der Gefahr im Sinne ihrer Qualität, Unmittelbarkeit und Wahrscheinlichkeit unter der Eingriffsschwelle des Satzes 1 von § 53 Abs. 6 AuslG läge. Es würde keinen Sinn machen, von einer Sperrwirkung für die Anwendbarkeit des Satzes 1 auszugehen, wenn diese Regelung für den aus der Gruppe heraus isoliert betrachteten Einzelfall ohnehin nicht greifen würde. In Rede stehen muss also eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit für den schutzsuchenden Ausländer, die die Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe im Abschiebezielstaat allgemein betrifft und die erheblich, also von besonderer Intensität ist. Diese Gefahr muss den Betreffenden außerdem konkret, d. h. alsbald nach deren Rückkehr, drohen. Bezogen auf die Bevölkerung/Bevölkerungsgruppe bedeutet dies also, dass eine latente massenhaft drohende unmittelbare Beeinträchtigung erheblicher Rechtsgüter der genannten Art zu befürchten sein muss. Dem entspricht es, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
137vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 -, Buchholz 402.240 § 73 AuslG 1990 Nr. 12 = DÖV 1999, 118 = InfAuslR 1998, 409 = NVwZ 1998, 973, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, aaO,
138darauf abstellt, dass trotz bestehender konkreter erheblicher Gefahr die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in dem Verfahren eines einzelnen Ausländers gesperrt ist, wenn dieselbe Gefahr zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht.
139Hieraus folgt zugleich als zweite Voraussetzung, dass die Verbreitung dieser Gefahr im Abschiebezielstaat so groß sein muss, dass wegen der Vielzahl der Fälle eine Entscheidung der obersten Landesbehörde gefordert ist. Die Größe der Gruppe muss also ein solches Ausmaß erreichen, dass es nicht dem Bundesamt oder den einzelnen Ausländerbehörden überlassen bleiben kann, über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG zu befinden, sondern vielmehr eine politische Leitentscheidung geboten ist. Wann eine solche Gruppengröße erreicht ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und lässt sich deshalb nicht allgemein gültig beantworten.
140Ausgehend von diesen Erwägungen kann vorliegend keine eine Sperrwirkung auslösende allgemeine Gefahr iSv § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG angenommen werden.
141Dies folgt zunächst daraus, dass hier das befürchtete Fehlen der Sicherung des Existenzminimums und die damit unmittelbar verbundenen schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nur dem Kläger zu 2) individuell aufgrund seiner besonderen Lebensumstände drohen. Auch wenn es grundsätzlich möglich ist, neunjährige Kinder, die im dritten Lebensjahr ihr Heimatland verlassen und sich danach sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten haben, die keinerlei relevanten Bezug zu ihrem Heimatland haben und insbesondere die Sprache ihres Heimatlandes nicht sprechen, die über keine verwandtschaftlichen Beziehungen in ihrem Heimatland verfügen und deren Existenzminimum auch nicht durch einen mit ihnen zusammen zurückkehrenden Verwandten sichergestellt werden kann, zu einer Gruppe zusammenzufassen, würde es sich bei einer derartigen Gruppe schon von ihrer Größe her nicht um eine "Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört," iSd § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG handeln. Denn eine derartige Gruppe wäre von ihrer Zusammensetzung her durch so viele Einzelheiten gekennzeichnet, dass kein Anlass für eine politische Leitentscheidung besteht.
142Aber auch wenn die Gruppe, der der Kläger zu 2) zuzurechnen ist, weiter gefasst wird, kann keine allgemeine Gefahr angenommen werden. Denn für eine solche Gruppe ließe sich nicht feststellen, dass allen Gruppenanhörigen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben droht. Wie bereits dargestellt, ist das Vorliegen einer derartigen Gefahr in Anbetracht der Situation in Angola entscheidend von den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles abhängig. Allein diese erlauben eine Beurteilung der individuell drohenden Gefährdung. So kann insbesondere etwa nicht davon ausgegangen werden, dass alle neunjährigen Kinder bei einer Rückkehr nach Angola einer erheblichen konkreten Leibes- oder Lebensgefahr ausgesetzt wären. In diesem Zusammenhang wird exemplarisch auf die Aktion karitativer Einrichtungen verwiesen, im Rahmen derer Anfang Mai 2000 138 angolanische Kinder, die im Alter von unter zwölf Jahren zu Opfern des Krieges geworden waren, nach erfolgreicher Behandlung in deutschen Kliniken auf dem Luftweg in ihre Heimat zurückgekehrt sind.
143Vgl. Internationales Afrikaforum, Ausgabe 2/2000, S. 150.
144Dieser für die Gefahrenprognose an die Notwendigkeit einer an die jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles anknüpfenden Bewertung der Verhältnisse in Angola und der daraus folgenden Verneinung einer allgemeinen Gefahr iSv § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG entspricht es im Übrigen, dass die oberste Landesbehörde bislang noch keine Veranlassung gesehen hat, auf der Grundlage des § 54 AuslG einen allgemeinen Abschiebestopp für Angola zu erlassen.
145Etwas anderes würde auch dann nicht gelten, wenn man - in Abweichung von dem oben näher dargestellten Verständnis des Begriffs der allgemeinen Gefahr - in den in Angola generell herrschenden Verhältnissen eine allgemeine Gefahrensituation iSv § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG für eine Gruppe, der der Kläger zu 2) angehört, sehen würde. Denn auch in einem solchen Fall läge eine individuell dem Kläger zu 2) drohende Gefahr vor, für die die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 nicht eingreifen würde.
146Dem stünde auch nicht die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 - entgegen. Danach können individuelle Gefährdungen des Ausländers, die sich aus einer allgemeinen Gefahr iSd § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ergeben, auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berücksichtigt werden, wenn sie auch durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber gleichwohl insgesamt nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind; der Normzweck des § 53 Abs. 6 Satz 2 iVm § 54 AuslG lasse es nicht zu, den Ausländer aus der allgemein gefährdeten Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe aufgrund zusätzlicher individueller "Besonderheiten" oder Umstände auszugliedern, die bei wertender Betrachtung eine solche Differenzierung nicht rechtfertigen, weil sie lediglich zu einer Realisierung der allgemeinen Gefahr für den Einzelnen führen und die eine politische Leitentscheidung bedingende Typik unberührt lassen.
147So BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, aaO.
148Vorliegend würde sich aber die dem Kläger zu 2) drohende erhebliche konkrete Gefahr nicht als typische Auswirkung der allgemeinen Gefahrenlage darstellen. Vielmehr läge die Ursache für die zu befürchtenden Beeinträchtigungen des Klägers zu 2) im Kern in dessen persönlicher Situation und wäre von ihrem Schwergewicht her individuell gerade in der Person des Klägers zu 2) angelegt. Aufgrund dessen würde es sich auch nicht um die Realisierung einer allgemeinen Gefahr für den Kläger zu 2) handeln.
149Im Übrigen erscheint es auch zweifelhaft, ob der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung vom 8. Dezember 1998 überhaupt gefolgt werden kann. Denn es bleibt unklar, wie die in der genannten Entscheidung aufgestellten Rechtssätze mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht zum Vorliegen eines Abschiebungshindernisses unmittelbar aus § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG in Krankheitsfällen in Einklang zu bringen ist, wenn dort entscheidend darauf abgestellt wird, dass die medizinische Versorgung im Abschiebezielstaat nicht ausreichend sei.
150Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383 = Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 10 = DVBl. 1998, 284 = InfAuslR 1998, 189 = NVwZ 1998, 524.
151Unzureichende Behandlungsmöglichkeiten einer Erkrankung haben in aller Regel ihre Ursache in der allgemeinen, alle Staatsangehörigen gleichermaßen treffenden medizinischen Infrastruktur des Abschiebezielstaates. Auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 - wäre es dann aber sachgerecht, die fehlende Behandlungsmöglichkeit als nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage zu sehen. Aussagen dazu sind in der genannten Entscheidung jedoch nicht zu finden.
152Unabhängig von alledem ist in verfassungskonformer Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG auch dann ein Abschiebungshindernis für Angola in der Person des Klägers zu 2) anzunehmen, wenn die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG eingreifen würde. Denn angesichts der den vorliegenden Fall prägenden Besonderheiten stellt die individuellen Situation, in die der Kläger zu 2) bei einer Rückkehr nach Angola geraten würde, eine extreme Gefahrenlage in dem Sinne dar, dass er gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde. Infolge der fehlenden Möglichkeit, - auch unter Berücksichtigung einer gemeinsamen Rückkehr mit dem Kläger zu 1) - seinen Lebensunterhalt auch nur auf geringstem Niveau sicherzustellen, drohen ihm unmittelbar schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen und letztlich sogar der Tod. Dieser Einschätzung kommt besonderes Gewicht zu, wenn in den Blick genommen wird, dass die äußerst schwierige humanitäre Lage in Angola Kinder wie den Kläger zu 2) im besonderen Maße trifft. So hat das Auswärtige Amt schon im Januar 1999 festgestellt, dass von den bereits damals herrschenden Versorgungsdefiziten Kinder tendenziell am stärksten betroffen sind, da sie überproportional unter Fluktuationen des Familieneinkommens mit den daraus resultierenden Kürzungen der Ausgaben für Nahrungsmittel, Gesundheit etc. leiden.
153Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht München vom 12. Januar 1999.
154Dem entspricht es, dass das Auswärtige Amt die Überlebensmöglichkeiten insbesondere für Kinder ohne familiären Rückhalt als bedenklich einstuft.
155Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
156Diesen - im Übrigen von keiner anderen Stelle in Zweifel gezogenen - Feststellungen kommt besonderes Gewicht zu, wenn man sie im Zusammenhang mit der weiteren Aussage sieht, dass die Situation in Angola bei Entscheidungen über Abschiebungen eine besonders sorgfältige Prüfung nahe lege, und darüber hinaus in den Blick nimmt, dass die Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes den Gepflogenheiten der Diplomatie Rechnung tragend im Allgemeinen von einer erheblichen Zurückhaltung geprägt sind. Wenn vor diesem Hintergrund in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes derart deutliche Formulierungen gewählt werden, erlaubt dies nur die Schlussfolgerung, dass auch nach Ansicht des Auswärtigen Amtes ein Höchstmaß an Gefährdung besteht.
157Diese Gefährdung verschärft sich noch weiter dadurch, dass das Auswärtigen Amt für das erste Halbjahr 2000 eine weitere Verschlechterung der Versorgungslage im gesamten Land aufgrund konfliktbedingter Ernteausfälle erwartet.
158Vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 8. Dezember 1999.
159Angesichts dieser Umstände, die von keiner anderen Institution in Frage gestellt worden sind, ist es in einem hohen Grad wahrscheinlich, dass dem Kläger zu 2) bei einer Rückkehr nach Angola schwerwiegende körperliche Beeinträchtigungen und letztlich sogar der Tod drohen würden. Denn seine individuelle Situation ist - wie ausgeführt - gerade dadurch gekennzeichnet, dass er aufgrund der fehlenden familiären und persönlichen Voraussetzungen nicht über die in Anbetracht der verschärften Situation in besonderem Maße erforderlichen Überlebensstrategien verfügt. Diese Gefahr würde sich auch unmittelbar
160vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 14 = InfAuslR 1999, 265 = NVwZ 1999, 668
161nach dessen Rückkehr realisieren, da es gerade für Neuankömmlinge in M. besonders schwierig ist, ihr Überleben sicherzustellen.
162Vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht München vom 12. Januar 1999.
163Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO iVm § 100 Abs. 1 ZPO. Dabei sind das Verhältnis der in § 87 b Abs. 2 AsylVfG gesetzlich festgelegten Gegenstandswerte für die einzelnen Begehren der beiden Kläger, die teilweise Rücknahme der Klage durch die Kläger in der ersten Instanz sowie das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der einzelnen Beteiligten in den unterschiedlichen Instanzen berücksichtigt worden. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11 und 711 Satz 2 ZPO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben.
164Für eine Zulassung der Revision fehlt es an den gesetzlichen Voraussetzungen.
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