Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 B 906/00
Tenor
Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 DM festgesetzt
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G r ü n d e :
21. Nachdem der Antragsgegner seine mit Schriftsatz vom 15. Juni 2000 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. Juni 2000 eingelegte Beschwerde zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen.
32. Der Antrag des Antragsgegners auf Zulassung der Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist die Frist des § 146 Abs. 5 Satz 1 VwGO gewahrt worden.
4Der Antrag ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor. Die vorgetragenen Gründe ergeben keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses, §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Aus ihnen folgt auch nicht, dass das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts abgewichen ist, §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO.
5a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses bestehen nicht. Das Verwaltungsgericht kommt zu dem richtigen Ergebnis, dass das durch die streitige Baugenehmigung vom 7. März 2000 genehmigte Vorhaben der Beigeladenen zu Lasten der Antragsteller gegen nachbarschützende Bestimmungen der Abstandflächenregelung des § 6 BauO NRW verstößt und deshalb dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller der Vorrang zukommt.
6Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass die genehmigte Umbau- und Erweiterungsmaßnahme der Beigeladenen, die einen Teil des schon bisher auf ihrem Grundstück vorhandenen Gebäudebestandes erfasst, die Abstandflächenfrage für das gesamte Gebäude einschließlich seiner grenzständigen Teile neu aufwirft und diese Prüfung dazu führt, dass das Vorhaben diesen Anforderungen zu Lasten der Beigeladenen nicht genügt.
7Entgegen der mit dem Zulassungsantrag wiederholten Auffassung des Antragsgegners ist die grenzständige Anordnung des streitigen Vorhabens nicht unter Inanspruchnahme der - hier allein in Betracht kommenden - Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b BauO NRW zulässig. Nach dieser Bestimmung ist innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche eine Abstandfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an der Nachbargrenze errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude ohne Grenzabstand gebaut werden darf und öffentlich-rechtlich gesichert ist, dass auf dem Nachbargrundstück ebenfalls ohne Grenzabstand gebaut wird. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Geht man mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass der geplante Standort des strittigen Vorhabens bei einer Beurteilung nach § 34 BauGB innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche liegt und dort mit Rücksicht auf die Umgebungsbebauung ohne Grenzabstand gebaut werden darf, fehlt es jedenfalls an der nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b BauO NRW zusätzlich erforderlichen öffentlich-rechtlichen Sicherung, dass auf dem Nachbargrundstück - hier das der Beigeladenen - ebenfalls ohne Grenzabstand gebaut wird. Eine derartige öffentlich-rechtliche Sicherung kann neben einer - von den Antragstellern nicht eingeräumten - Baulast zwar auch durch ein an der Grenze auf dem Nachbargrundstück bereits vorhandenes Gebäude gewährleistet sein.
8Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 1995 - 7 A 159/94 - BauR 1996, 529 = BRS 57 Nr. 137,
9Das Verwaltungsgericht ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass für eine derartige Sicherung die mit Bauschein (Nr. 833/88) vom 19. Oktober 1988 genehmigte 9 m lange Grenzgarage der Beigeladenen nicht ausreicht. § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b BauO NRW erfasst nämlich nur die Fälle, in denen geschlossene Bauweise (vgl. § 22 Abs. 3 der BauNVO) jedenfalls planungsrechtlich zulässig ist und erlaubt für diese Fälle auch abstandflächenrechtlich das Bauen ohne Grenzabstand, wenn auf dem konkreten Grundstück eine Situation geschaffen werden soll, die der einer geschlossenen Bauweise entspricht. Dies ist aber nur dann sichergestellt, wenn das bereits bestehende Gebäude an der Grenze aussagekräftig für geschlossene Bauweise ist und es sich gerade nicht, wie bei der Grenzgarage der Antragsteller (vgl. § 6 Abs. 11 Nr. 1 BauO NW), um ein Gebäude handelt, das auch in offener Bauweise an der Grenze zulässig ist.
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 1996 - 10 A 3624/92 - und Beschluss vom 6. November 1998 - 7 B 2057/98 -.
11Etwas anderes folgt auch nicht aus den Angaben des Antragsgegners im Zulassungsverfahren, die auf seinen örtlichen Feststellungen nach Erlass des streitigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts beruhen. Danach wird die genehmigte Grenzgarage nicht als solche, sondern als Abstell- und Bügelraum genutzt. Im Einfahrtsbereich sind Pflanzkübel aufgestellt. An der Grenzgarage befindet sich zudem eine Klingel. Hinter der Grenzgarage wurden - ebenfalls ungenehmigt - grenzständig Baulichkeiten errichtet, in denen sich eine Waschküche, Bad, WC und ein Partyraum mit offenem Kamin befinden. Wiederum dahinter steht nahezu grenzständig ein Holz-Gartenhaus. Nach den Feststellungen des Antragsgegners sind sowohl die Nutzungsänderung der Grenzgarage als auch die sonstigen aufgeführten Gebäude ohne bauaufsichtliche Genehmigung vorgenommen bzw. errichtet worden. Die Gebäude sind somit formell und darüber hinaus materiell illegal, da ihre Errichtung auf oder unmittelbar an der Grenze baurechtlich unzulässig ist. Der Antragsgegner hat bereits insoweit eine umfassende Prüfung und ein ordnungsbehördliches Aufgreifen angekündigt.
12Abgesehen davon, dass das Vorhaben der Beigeladenen lediglich an die Grenzgarage angebaut werden soll, sind sämtliche vorhandenen grenzständigen Gebäude wegen ihrer Illegalität und weil mit ihrer Beseitigung zu rechnen ist, nicht aussagekräftig für eine geschlossene Bauweise. Sie sind daher ungeeignet, eine Anbausicherung zu vermitteln.
13Da mit der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände auf dem Grundstück der Antragsteller zu rechnen ist, haben sie ihr Abwehrrecht gegen die geplante Grenzbebauung der Beigeladenen nicht verwirkt. Sie sind auch nicht von der Ausübung dieses Rechtes aus sonstigen Gründen ausgeschlossen.
14Soweit der Antragsgegner mit seinem Zulassungsantrag Erwägungen dazu anstellt, das streitige Vorhaben bewirke bei den vorhandenen örtlichen Gegebenheiten - etwa wegen der Belichtungsverhältnisse - keine zum Nachteil der Antragsteller gehenden Veränderungen, weshalb in entsprechender Anwendung des § 6 Abs. 15 BauO NRW bzw. nach § 73 Abs. 1 BauO NRW die Möglichkeit einer Abweichungsgestattung bestehe, geht dies fehl. Die Voraussetzungen dieser Regelungen liegen nicht vor.
15b) Eine Zulassung der Beschwerde nach §§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO kommt gleichfalls nicht in Betracht. Der Antragsgegner hat schon nicht dargelegt, in welcher Hinsicht der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem eben solchen Rechtssatz abweicht, der in dem angeführten Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 1995 - 7 A 159/94 - aufgestellt ist, § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO. Eine solche Abweichung liegt im Übrigen nicht vor.
16Der Hinweis des Antragsgegners, das Verwaltungsgericht habe in Anerkennung der gesetzlichen Wertung des § 212a BauGB den Interessen der Beigeladenen Vorrang einräumen müssen, ist unzutreffend. Mit der Regelung des § 212a Abs. 1 BauGB hat der Gesetzgeber keine materielle Bewertung der Interessen des Bauherrn und des die Baugenehmigung anfechtenden Nachbarn in dem Sinne vorgenommen, dass dem Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehbarkeit der Baugenehmigung regelmäßig höheres Gewicht zukommt. Der Gesetzgeber hat mit dieser Bestimmung lediglich eine Verfahrenslast anders als bisher verteilt.
17Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juli 1998 - 7 B 956/98 - NVwZ 1998, 980 und vom 13. Februar 1998 - 10 B 2290/97 -.
183. Keinen Erfolg hat auch der auf § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestützte Antrag des Antragsgegners, die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen. Dieser Antrag entbehrt nämlich - ungeachtet einer Prüfung seiner Zulässigkeit - jeglicher Grundlage, nachdem der Senat die Zulassung der Beschwerde abgelehnt hat.
19Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Senat hat davon abgesehen, die zurückgenommene Beschwerde und den Aussetzungsantrag streitwerterhöhend zu berücksichtigen.
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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