Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 1571/00
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 8.000,- DM festgesetzt.
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Gründe:
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat der Klage unter anderem mit der insoweit selbständig tragenden Begründung stattgegeben, dass in der auf Antrag der Klägerin erfolgten Eintragung der deutschen Nationalität in ihren 1997 ausgestellten russischen Inlandspass ein Bekenntnis zur deutschen Nationalität im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG zu sehen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die 1926 geborene Klägerin in ihrem ersten 1943 ausgestellten sowjetischen Inlandspass sowie in allen späteren Dokumenten mit russischer Nationalität eingetragen gewesen sei, weil es sich dabei nicht um Gegenbekenntnisse im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehandelt habe. Ein Bekenntnis zur deutschen Nationalität sei 1942/1943 unzumutbar gewesen. Eine Pflicht, einen nicht-deutschen Nationalitätseintrag so früh wie möglich ändern zu lassen, kenne das Bundesvertriebenengesetz nicht.
4Die hiergegen im Zulassungsantrag vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
5Die Beklagte wendet gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts ein, es sei keineswegs erwiesen, dass die Eintragung der deutschen Nationalität im Inlandspass im Jahr 1943 überhaupt mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden wirtschaftlichen oder beruflichen Nachteilen verbunden gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht schließe hierauf allein aufgrund der während des 2. Weltkrieges für deutsche Volkszugehörige in der ehemaligen Sowjetunion bestehenden allgemein bekannten schwierigsten Umstände. Eine derart verallgemeinernde Prüfung ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles sei aber nicht zulässig. Die Klägerin habe selbst angegeben, dass den sowjetischen Behörden sowohl die deutsche Volkszugehörigkeit ihrer Großmutter und Mutter als auch ihre eigene deutsche Abstammung bekannt gewesen seien. Dennoch habe dies nicht dazu geführt, dass die Klägerin, ihre Großmutter oder ihre Mutter verschleppt und unter Kommandantur gestellt worden seien. Daraus folge, dass im Fall der Klägerin die Wahl der russischen Nationalität ein Gegenbekenntnis darstelle.
6Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Situation deutscher Volkszugehöriger in der ehemaligen Sowjetunion während des 2. Weltkrieges - von der auch die Beklagte ausgeht - nicht nachvollziehbar. Denn im Jahr 1942/1943 musste jeder in den Wohngebieten der Klägerin Lebende, der sich gegenüber sowjetischen Behörden als deutscher Volkszugehöriger zu erkennen gab bzw. bekannte, mit seiner umgehenden Deportation rechnen. Es ist nichts dafür ersichtlich oder von der Beklagten vorgetragen, dass die Klägerin dieses Schicksal nicht auch erlitten hätte, wenn sie sich öffentlich 1942/1943 im Zusammenhang mit der Ausstellung ihres ersten Inlandspasses zur deutschen Nationalität bekannt hätte. Dass sie nur vorübergehend nach U. und L. übersiedeln musste und nicht wie andere deutsche Volkszugehörige deportiert worden ist, lässt sich damit erklären, dass sie gegenüber den sowjetischen Behörden wegen der Angaben ihres Stiefvaters im Rahmen der 1936 in Moskau durchgeführten Volkszählung trotz ihrer deutschen Abstammung als Russin galt. Das Verwaltungsgericht hat deshalb völlig zu Recht und in Übereinstimmung mit der Rechtssprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichts angenommen, dass der Klägerin 1942/1943 ein Bekenntnis zur deutschen Nationalität nicht zumutbar gewesen ist, mithin der Eintrag der russischen Nationalität in ihren ersten Inlandspass kein rechtlich relevantes Gegenbekenntnis im Sinne der Rechtsprechung gewesen ist.
7Kann in der Eintragung einer nichtdeutschen Nationalität in den ersten Inlandspass kein Bekenntnis gegen die deutsche Nationalität gesehen werden, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass dann an das erstmalige spätere Bekenntnis eines Aufnahmebewerbers keine höheren Anforderungen zu stellen sind, als bei einem Aufnahmebewerber, der bei der erstmaligen Ausstellung des Inlandspasses seine Nationalität mit "deutsch" angibt.
8Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133; vom 12. November 1996 - 9 C 8.96 -, BVerwGE 102, 214, und vom 17. Juni 1997 - 9 C 10.96 -, BVerwGE 105, 60.
9Die Zulassungsschrift enthält keine konkreten Gesichtspunkte, die Anlass zu einer erneuten Überprüfung dieser Rechtsprechung geben könnten.
10Aus dem Vorstehenden folgt, dass der Rechtssache die im Zulassungsantrag geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht zukommt.
11Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
12Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 VwGO.
13Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 2 Satz 3 GKG).
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