Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 B 1971/00
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens je zur Hälfte.
Der Streitwert wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für das Antragsverfahren und das Zulassungsverfahren auf jeweils 16.000,- DM festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat keinen Erfolg.
3Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§§ 146 Abs. 4, 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsteller schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben. Im Übrigen fehlt es auch an dem erforderlichen Anordnungsgrund.
4Nach dem gegenwärtigem Sachstand und der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung lässt sich ein Anspruch der Antragstellerin zu 1) auf Erteilung eines Aufnahmebescheides gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG i.V.m. §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 1 BVFG nicht feststellen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, liegt ein Bekenntnis im Sinne des § 6 Abs. 1 BVFG nur vor, wenn sich die 1922 geborene Antragstellerin zu 1) in ihrer Heimat kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen in der Sowjetunion am 22. Juni 1941 zum deutschen Volkstum bekannt hat. Lässt sich ein solches Bekenntnis in diesem Zeitpunkt weder unmittelbar aus Tatsachen noch mittelbar aufgrund von Indizien feststellen oder liegt in diesem Zeitpunkt ein Gegenbekenntnis im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, kommt es im Rahmen des § 6 Abs. 1 BVFG nicht darauf an, ob die Antragstellerin zu 1) sich zu einem späteren Zeitpunkt zum deutschen Volkstum bekannt hat. Zwar kann auch bei bis zum 31. Dezember 1923 geborenen Personen von einem sogenannten früheren Gegenbekenntnis wieder abgerückt werden und eine Hinwendung zum deutschen Volkstum erfolgen, das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss aber bei diesem Personenkreis spätestens kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vorgelegen haben, um rechtlich als Bekenntnis im Sinne des § 6 Abs. 1 BVFG angesehen werden zu können.
5Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Juni 1985 - 8 C 30.83 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 44, und vom 17. Oktober 1989 - 9 C 18.89 -, Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 62 (jeweils zur inhaltsgleichen Regelung des § 6 BVFG in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung).
6Soweit in der Zulassungsschrift bezüglich der Rückgängigmachung eines Gegenbekenntnisses auf zeitlich nach dem 22. Juni 1941 liegende Gesichtspunkte abgehoben wird, gehen diese Ausführungen fehl, weil solche Gesichtspunkte allenfalls bei Personen, die unter den Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 BVFG fallen, von Bedeutung sein können.
7Ein unmittelbares Bekenntnis zum deutschen Volkstum bis zum 22. Juni 1941 hat die Antragstellerin zu 1) bislang nicht hinreichend nachgewiesen. Ein solches Bekenntnis kann zwar aus dem Eintrag der deutschen Nationalität im sowjetischen Inlandspass abgeleitet werden. Ob die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt in einem sowjetischen Inlandspass mit deutscher Nationalität eingetragen gewesen ist, erscheint aber nach gegenwärtigem Sachstand zumindest zweifelhaft. Hiergegen spricht, worauf das Verwaltungsgericht bereits abgestellt hat, der Umstand, dass die Antragstellerin zu 1) in ihren späteren sowjetischen Inlandspässen sowie in anderen Urkunden mit russischer Nationalität eingetragen gewesen ist. Eine einmal gewählte Nationalität konnte in der Sowjetunion grundsätzlich nicht geändert werden. Die Antragstellerin zu 1) hat bislang nicht im Einzelnen und konkret nachvollziehbar vorgetragen, wie und wann es zu der angeblichen Änderung des Nationalitäteneintrags in ihrem Inlandspass gekommen sein soll. Dazu liegt bislang nur eine pauschale Erklärung von Frau S. P. vom 22. März 2000 vor, der für sich allein genommen schon wegen der inhaltlichen Ungereimtheiten unter Berücksichtigung der Angaben der Antragstellerin, auf die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2000 hingewiesen und die von den Antragstellern nicht geklärt worden sind, kein wesentlicher Beweiswert zukommt. Auch spricht der Umstand, dass die Antragstellerin ihren Antragsangaben zufolge nicht den allgemeinen gegen die deutsche Volksgruppe gerichteten Vertreibungsmaßnahmen unterlegen war, dagegen, dass sie sich gegenüber den sowjetischen Behörden zur deutschen Nationalität bekannt hat. Ihr persönliches Lebensschicksal deutet vielmehr darauf hin, dass sie in der Sowjetunion von den dortigen Behörden - entsprechend dem in den späteren Inlandspässen dokumentierten Nationalitäteneintrag - immer als Russin angesehen worden ist. Die abschließende Klärung dieser Fragen muss dem Verfahren in der Hauptsache vorbehalten bleiben. Sollte ein Gegenbekenntnis der Antragstellerin zu 1) im maßgeblichen Zeitpunkt vorgelegen haben, könnte dies nicht durch Umstände, die an sich geeignet wären, mittelbar auf ein Bekenntnis zu schließen (z.B. Sprache, Abstammung), in seiner rechtlichen Bedeutung relativiert werden. Aufgrund der vorstehenden Gesichtspunkte fehlt es im vorliegenden Zusammenhang an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
8Darüber hinaus haben die Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Zur Begründung haben sie lediglich ausgeführt, das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz gebiete es unabhängig von der Vorwegnahme der Hauptsache bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine Entscheidung zu fällen. Mit Rücksicht auf das hohe Alter der Antragstellerin zu 1) sei eine zügige Entscheidung geboten, die von der Antragsgegnerin rechtsmissbräuchlich verzögert werde. Daraus ergeben sich keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, weshalb es den Antragstellern im Gegensatz zu sonstigen Rechtsschutzsuchenden nicht möglich und zumutbar sein soll, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Irgendwelche konkreten Nachteile, die den Antragstellern durch weiteres Abwarten entstehen könnten, sind jedenfalls nicht ersichtlich. Das Alter der Antragstellerin zu 1) rechtfertigt für sich genommen eine Vorwegnahme der Hauptsache nicht. Auch ist die Klage in der Hauptsache erst am 4. April 2000 erhoben worden. Von einer überlangen Verfahrensdauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens kann deshalb keine Rede sein.
9Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 1 ZPO.
10Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3, 20 Abs. 3, 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Im Hinblick darauf, dass die begehrte einstweilige Anordnung auf eine Vorwegnahme der Hauptsache hinausläuft, sieht der Senat von einer Reduzierung des Streitwertes für das vorläufige Rechtsschutzverfahren ab.
11Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
12
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.