Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 356/00
Tenor
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten ab dem 17. April 2000 (Eingang der Anlagen bei Gericht) bewilligt und Rechtsanwalt E. , W. , beigeordnet.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die nicht erstattet werden.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 8.000,-- DM festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Dem Kläger, der die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt, ist für das von der Beklagten betriebene Verfahren auf Zulassung der Berufung gemäß §§ 166 VwGO, 114, 115 Abs. 1, 121 Abs. 2 ZPO Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten ab dem 17. April 2000 (Eingang der Anlagen bei Gericht) zu bewilligen.
3Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gegeben sind, noch der Rechtssache die vorgetragene grundsätzliche Bedeutung zukommt (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO).
4Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass dem Kläger ein Aufnahmebescheid gemäß § 27 Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG zu erteilen sei. Auch wenn der Kläger seit 1994 seinen ständigen Wohnsitz im Bundesgebiet habe, stehe ihm ein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides zu, da die Voraussetzungen einer besonderen Härte gegeben seien. Denn der Kläger sei als sonstiger Familienangehöriger in den seiner Ehefrau erteilten Aufnahmebescheid eingetragen worden und mit dieser zusammen eingereist. Damit sei auch er im vertriebenenrechtlichen Verfahren gekommen. Der Kläger erfülle auch die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG. Der Kläger, der deutscher Volkszugehöriger gemäß § 6 Abs. 2 BVFG sei, sei vom Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft auch nicht gemäß § 5 Nr. 1 d BVFG ausgeschlossen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift, für die die Beklagte die materielle Beweislast trage, seien nicht erfüllt, da weder festgestellt werden könne, dass bei dem Kläger eine besondere Bindung an das totalitäre System der früheren Sowjetunion bestanden habe, noch dass er die berufliche Stellung eines Sowchosdirektors nur aufgrund einer besonderen Systembindung erlangt habe.
5Die Beklagte beruft sich dagegen zunächst darauf, dass die Voraussetzungen einer besonderen Härte im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG nicht gegeben seien. Seit dem Ablehnungsbescheid des Bundesverwaltungsamtes vom 11. Mai 1994 sei zwischen den Parteien streitig, ob der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 1 d BVFG erfülle. Die Klärung dieser Frage könne nur im Rahmen des Aufnahmeverfahrens erfolgen, das gerade dazu diene, unberechtigte, aus Rechtsgründen nicht zu erfüllende Erwartungen in den Aussiedlungsgebieten zu vermeiden. Der Ausgang dieses Aufnahmeverfahrens habe deshalb im Aussiedlungsgebiet abgewartet werden müssen. Zwar sei der Kläger als weiterer Familienangehöriger in der Anlage zum Aufnahmebescheid seiner Ehefrau aufgeführt worden. Damit sei er aber bereits nicht im Wege des vertriebenenrechtlichen Verfahrens eingereist, da diese Praxis sich als Vorwegnahme einer ausländerrechtlichen Familienzusammenführung darstelle. Auch der Schutz von Ehe und Familie durch Art. 6 GG erfordere es in vertriebenenrechtlicher Hinsicht nicht, eine besondere Härte anzunehmen.
6Insoweit sei auch grundsätzlich zu klären, ob Familienmitglieder, die lediglich in der Anlage zum Aufnahmebescheid aufgeführt worden seien, ihre eigenen Verfahren auch dann weiterführen könnten, wenn sie bereits in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien. Auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen Ehe und Familie als besondere Härtegründe im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG anzusehen seien, sei grundsätzlich zu klären. Beide Fragen seien in einer Vielzahl von Verfahren von entscheidungserheblicher Bedeutung. Zu klären sei auch grundsätzlich, ob der Schutz von Ehe und Familie dann eingreife, wenn über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Nr. 1 d BVFG gestritten werde.
7Die Berufung sei aber auch insoweit zuzulassen, als das Verwaltungsgericht das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes des § 5 BVFG verneint habe. Die Besetzung der Direktorenstelle sei im typischen Nomenklatura-Auswahlverfahren erfolgt und habe eine besonders große politische Zuverlässigkeit seitens des Stelleninhabers verlangt. Demgemäß habe der Kläger vor der Besetzung des Direktorenpostens der KPdSU beitreten müssen. Hinzu komme, dass sämtliche Mitglieder einer Betriebsleitung häufig auch Mitglieder des betrieblichen Parteikomitees gewesen seien und zumindest der Betriebsdirektor in der Nomenklaturahierarchie häufig einen höheren Rang eingenommen habe. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass der Kläger auch dem betrieblichen Parteikomitee angehört und dort an allen Sitzungen teilgenommen habe. Damit habe er besondere Aktivitäten für die Partei entfaltet. Das Verwaltungsgericht hätte zumindest aufklären müssen, um welche Sitzungen es sich gehandelt habe und wer daran teilgenommen habe und in welcher Eigenschaft der Kläger teilgenommen habe. Insoweit liege auch ein Verfahrensmangel vor.
8Das Verwaltungsgericht habe außerdem die Frage der Kausalität unzutreffend beurteilt. Da die Stelle eines Sowchosdirektors im typischen Nomenklatura-Auswahlverfahren besetzt worden sei und einer besonders großen politischen Zuverlässigkeit seitens des Stelleninhabers bedurft habe, habe die Stelle nicht ohne eine besondere Bindung erreicht werden können. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nur ein Studium an einem Technikum absolviert habe und demgemäß nur Technik-Mechaniker gewesen sei. Er habe somit lediglich eine technische Qualifikation erworben, aber keine Qualifikation für die darüber hinaus bestehenden weiteren Aufgaben wie Buchführung, Personalverwaltung und die speziellen Aufgaben aus der jeweiligen Produktion des Betriebes. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger weitere Qualifikationen erworben habe. Darüberhinaus habe die Rechtssache insoweit auch grundsätzliche Bedeutung. In einer erheblichen Anzahl von Verfahren bei der Beklagten gehe es um die Frage, ob Direktoren von staatlichen Betrieben vom Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft ausgeschlossen seien.
9Diese Ausführungen rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Soweit die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 BVFG verneint, ist diese Frage durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
10vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. November 1999 - 5 C 3.99 -, DVBl. 2000, S. 1522, und - 5 C 4.99 -,
11geklärt. Danach erfordert der sich aus Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebende Schutz von Ehe und Familie, dass eine besondere Härte im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG dann anzunehmen ist, wenn ein ohne Aufnahmebescheid eingereister deutscher Volkszugehöriger einen deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen heiratet, der seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und nicht bereit ist, dem Aufnahmebewerber in die Aussiedlungsgebiete zu folgen. Gleiches muss auch dann gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein deutscher Volkszugehöriger ohne Aufnahmebescheid zusammen mit seinem Ehegatten einreist, der einen Aufnahmebescheid erhalten hat. Spätestens in dem Augenblick, in dem der Ehegatte den Status eines Spätaussiedlers und damit eines Deutschen im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG erworben hat, ist es dem Aufnahmebewerber nicht mehr zuzumuten, in die Aussiedlungsgebiete ohne seinen Ehegatten zurückzukehren. Dies gilt auch dann, wenn dem Aufnahmebewerber ein Aufnahmebescheid von der Beklagten deswegen nicht erteilt worden ist, weil diese davon ausging, dass der Aufnahmebewerber die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 5 Nr. 1 d BVFG erfülle. Weshalb in einem derartigen Fall etwas anderes gelten soll, ist im Zulassungsantrag schon nicht dargelegt worden.
12Da diese Frage durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht geklärt ist, kommt dem Rechtsstreit insoweit keine grundsätzliche Bedeutung zu.
13Eine Zulassung kommt auch nicht in Betracht, soweit das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 5 Nr. 1 d BVFG verneint hat. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung insoweit sowohl darauf gestützt, dass bei dem Kläger bereits eine besondere Bindung an das totalitäre System nicht feststellbar sei als auch darauf, dass jedenfalls Anhaltspunkte dafür fehlten, dass er die berufliche Stellung eines Sowchosdirektors nur aufgrund einer besonderen Systembindung erlangt habe, diese besondere Bindung also kausal für seine Ernennung gewesen sei. Zumindest hinsichtlich Letzterem liegen die von der Beklagten behaupteten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nicht vor. Sie nimmt insoweit im wesentlichen Bezug auf eine nicht beigefügte und nicht veröffentlichte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts München und ein in jenem Verfahren vorgelegtes Gutachten, das ebenfalls nicht beigefügt ist, und führt insoweit aus, der Kläger habe lediglich eine technische Qualifikation erlangt, die ihn nur teilweise für die Stellung eines Sowchosdirektors qualifiziert habe. Dies ist nicht geeignet, die Ansicht des Verwaltungsgerichts, das unter Bezugnahme auf das in diesem Verfahren eingeholte Gutachten des Instituts für Ostrecht München e.V. vom 29. Mai 1998 dargelegt hat, der Kläger habe diese Position zumindest auch aufgrund fachlicher Qualifikation einerseits als auch wegen langjähriger Berufserfahrung als Chefingenieur in einem anderen Sowchos andererseits erreicht, ernstlich in Zweifel zu ziehen. Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht insoweit bezüglich der von der Beklagten in der Zulassungsschrift angesprochenen Parteizugehörigkeit des Klägers nachvollziehbar darauf abstellt, eine besonders aktive und zuverlässige Tätigkeit des Klägers in der KPdSU könne für dessen Berufung als Sowchosdirektor nicht maßgeblich gewesen sein. Denn der Kläger sei erst im Zuge seiner Ernennung 1970 in die Partei eingetreten, so dass Bewährungen in der Partei nicht vorgelegen hätten. Auch hiermit setzt die Beklagte sich nicht auseinander, sondern behauptet schlicht, die zeitlich mit dem Parteibeitritt zusammenfallende Ernennung zum Sowchosdirektor stelle sich beim Fehlen umfassender Qualifikationen als das Ergebnis einer ausdrücklichen Hinwendung zur Partei dar, beruhe also darauf.
14Da dieser Grund das Urteil selbständig trägt, kommt es auf die weiteren Ausführungen der Beklagten zu einer besonderen Systemverbundenheit des Klägers nicht mehr an.
15Vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 20. Februar 1998 - 11 B 37/97 -, NVwZ 1998, 850-852, und vom 25. Oktober 1999 - 5 B 8.99 -.
16Der Sache kommt auch nicht die nach Ansicht der Beklagten vorliegende grundsätzliche Bedeutung zu, weil die Frage, ob Direktoren von staatlichen Betrieben wie der Kläger gemäß § 5 Nr. 1 d BVFG vom Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft ausgeschlossen seien, in einer erheblichen Anzahl von bei der Beklagten anhängigen Verfahren von Bedeutung sei. Damit ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Denn die grundsätzlichen Rechtsfragen zu § 5 Nr. 1 d BVFG sind durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt.
17Vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 18. März 1999 - 5 C 2. und 5.99 -.
18Auch ist aus der Zulassungsschrift nicht ersichtlich, welche grundsätzlichen Rechtsfragen, über die vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen hinaus, sich in diesem Verfahren stellen sollen. Es ist vielmehr jeweils eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall, ob eine Funktion den Voraussetzungen der Vorschrift unterfällt.
19Außerdem handelt es sich insoweit um ausgelaufenes Recht, da diese Vorschrift seit dem 1. Januar 2000 durch § 5 Nr. 2 b BVFG (insoweit geändert durch das Gesetz zur Sanierung des Bundeshaushalts, Haushaltssanierungsgesetz - HSanG -, vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2534) ersetzt worden ist. Zwar fehlt hinsichtlich der Gesetzesänderung eine Übergangsregelung, dennoch ist auf den Kläger das Recht in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung anzuwenden. Denn in den Fällen einer besonderen Härte im Sinne des § 27 Abs. 2 BVFG ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entstehung der besonderen Härte, hier also auf das Jahr 1994, abzustellen.
20Vgl. zu der anzuwendenden Rechtslage BVerwG, Urteil vom 18. November 1999 - 5 C 3.99 -.
21Rechtsfragen, die ausgelaufenes oder auslaufendes Recht betreffen, kommt aber regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu, es sei denn, es sei weiterhin für eine nicht absehbare Zukunft für einen nicht überschaubaren Personenkreis anwendbar.
22Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. August 1993 - 9 B 393.93 -, in Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 412.3, § 11 BVFG Nr. 5 m.w.N.
23Die Beklagte hat jedoch nicht dargelegt, dass das ausgelaufene Recht für eine unbeschränkte Zahl von Verfahren ausschlaggebend sei. Sie hat ohne nähere Darlegung behauptet, es sei noch eine erhebliche Anzahl vergleichbarer Verfahren anhängig.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergeht gemäß § 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 GKG.
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG); das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 2 Satz 3 VwGO).
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