Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 4816/00
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 8.000,00 DM festgesetzt.
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G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen, weil die mit der Antragsschrift geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.), einer der Rechtssache zukommenden grundsätzlichen Bedeutung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.) und eines Abweichens von einer Entscheidung eines anderen Gerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (4.) nicht eingreifen.
31. "Ernstliche Zweifel" im Sinne des Gesetzes sind nur solche, die erwarten lassen, dass die Berufung in einem durchzuführenden Berufungsverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg hätte. Solche Zweifel sind auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers nicht einmal im Ansatz begründet.
4Mit seinem Vorbringen zu dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wendet sich der Kläger im Kern allein gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, er könne eine Überlastung aufgrund des Umfangs der ihm übertragenen Aufgaben dadurch vermeiden, dass er sein Dezernat anwachsen lasse. Die vom Kläger dagegen angeführten - durchaus plastisch geschilderten - Schwierigkeiten, die für ihn persönlich mit einer derartigen Vorgehensweise verbunden sein können, stellen jedoch die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung nicht durchgreifend in Frage. Denn gerade dann, wenn - wie hier vom Kläger geltend gemacht - eine erhebliche Arbeitsbelastung besteht, gehört es zum Kernbestand der Aufgaben eines jeden Richters, mit Blick auf das ihm übertragene Dezernat im Einzelfall zum einen die Dringlichkeit der ihm jeweils obliegenden Aufgaben zu bestimmen und zum anderen für sich selbst eine an sachgerechten Kriterien orientierte Reihenfolge der vorzunehmenden Erledigungen festzulegen. Dass damit Unzulänglichkeiten für nachteilig betroffene Verfahrensbeteiligte verbunden sein können und dass diese die damit einhergehende Unzufriedenheit gegenüber dem jeweiligen Richter zum Ausdruck bringen, liegt in der Natur der Sache, ist aber von dem Richter im Einzelfall hinzunehmen.
5Auch der Hinweis des Klägers, er habe wegen einer mit einer dauernden Überlastung verbundenen erhöhten Fehleranfälligkeit nicht nur mit dienstrechtlichen Konsequenzen, sondern auch mit Maßnahmen des Richterdienstgerichts und mit Strafanzeigen zu rechnen, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage. Denn ebenso wie vom Verwaltungsgericht für Maßnahmen der Dienstaufsicht angeführt, obliegt es auch dem Richterdienstgericht und dem Strafgericht im Einzelfall zu prüfen, ob etwaige Fehler in der Sachbehandlung auf eine vom Richter nicht zu verantwortende Überlastung zurückzuführen sind und im Hinblick darauf ein Schuldvorwurf entfallen kann.
62. Das Antragsvorbringen des Klägers lässt auch weder rechtliche noch tatsächliche Schwierigkeiten hinreichend hervortreten.
7Die vom Kläger als seit Jahren streitig dargestellte Frage, wie sich der Pensenschlüssel auf die konkreten Verhältnisse des Richters auswirkt, lässt keine rechtlichen Schwierigkeiten der Sache erkennen. Denn in der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Pensenschlüssel eine verbindliche Aussage über das "normale" Arbeitspensum eines einzelnen Richters insbesondere deshalb nicht enthält, weil er weder als (verbindliche) Rechtsnorm erlassen worden ist und als solche angesichts der richterlichen Unabhängigkeit auch nicht erlassen werden konnte, noch auf die Verhältnisse eines konkreten Richterdezernats abstellt. Es handelt sich bei ihm lediglich um ein verwaltungsinternes Instrument des Justizministeriums zur Berechnung des gesamten Richterbedarfs auf Landesebene in erster Linie zu dem Zweck, den Personalbedarf in den Haushaltsverhandlungen nachvollziehbar darlegen zu können. Er dient (lediglich) der möglichst gleichmäßigen Justizversorgung der Bevölkerung einerseits und einer möglichst gleichmäßigen Verteilung der Arbeitslast auf die zur Verfügung stehenden Richter andererseits.
8Vgl. OVG NRW, Urteile vom 29. Juni 1995 - 12 A 2148/93 - und vom 26. August 1985 - 12 A 95/84 -, m.w.N.
9Mit Blick darauf kann dahinstehen, ob der Pensenschlüssel sich - wie der Kläger meint - derart verdichtet hat, dass er wie eine verbindliche Regelung angesehen werden muss. Denn die im vorliegenden Zusammenhang allein relevante Frage der tatsächlichen Belastung eines einzelnen Richters kann nicht ausschließlich anhand des Pensenschlüssels bestimmt werden. Zwar ist die tatsächliche Belastung nicht völlig unabhängig von den dem Richter auf der Grundlage des Pensenschlüssels übertragenen Aufgaben zu sehen. Letztlich entscheidend hängt der tatsächliche Umfang der Belastung jedoch von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab, die maßgeblich durch die Vielgestaltigkeit der gerichtlichen Verfahren auch desselben Sachgebiets und den damit verbundenen Unterschied im zeitlichen Aufwand für deren Erledigung geprägt werden. Dies gilt gleichermaßen für die Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Überlastung des Richters eingetreten ist. Ob mit Hilfe des Pensenschlüssels - wie der Kläger in seinem Schriftsatz vom 23. August 2001 meint - jedenfalls ein "Annäherungswert" ermittelt werden kann, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, da einem solchen Wert lediglich eine pauschalierte Aussagekraft zukommen könnte, die jedoch für den allein maßgeblichen Einzelfall ohne Belang ist. In Anbetracht dessen bedarf es auch nicht der vom Kläger angeregten Umfrage unter den Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit des Landes NRW zu der Frage, ob der Pensenschlüssel wie eine quasi-rechtliche Regelung angewendet wird, wenn es um die Verteilung und die Bewertung der Arbeit geht.
10Auch tatsächliche Schwierigkeiten der Sache hat der Kläger nicht hinreichend dargetan.
11Soweit er solche darin sieht, das Pensum eines Amtsrichters bei Fragen einer andauernden Überlastung zu klären, kann ihm zugestanden werden, dass es sich durchaus als schwierig darstellt, abstrakt festzulegen, unter welchen Umständen von einer Überlastung eines Richters gesprochen werden kann. Darauf kommt es jedoch im vorliegenden Zusammenhang nicht an.
12Dass der Beklagte zu 2. im Hinblick gerade auf die Person des Klägers keine konkrete Festlegung getroffen hat, wie viel dieser im Jahr arbeiten muss, vermag ebenfalls keine tatsächlichen Schwierigkeiten der Sache zu begründen. Denn diese vom Kläger begehrte auf die Zukunft gerichtete Festlegung ist dem Beklagten zu 2. in Anbetracht der Vielgestaltigkeit der Aufgaben und des unterschiedlichen Zeitaufwands für die Erledigung der Verfahren weder allgemein noch im Einzelfall - und damit auch nicht konkret für die Person des Klägers - möglich und deshalb auch nicht abzuverlangen.
13Dass in Anbetracht dessen - worauf der Kläger in seinem Schriftsatz vom 23. August 2001 zutreffend hingewiesen hat - ein Bemessungsmaßstab für die richterliche Arbeit, der einerseits die Ansprüche des Bürgers und auch die finanziellen Belange des Landes NRW berücksichtigt und andererseits auf die subjektive Leistungsfähigkeit eines einzelnen Richters abstellt, nicht vorhanden ist, ist hinzunehmen. Dieses Fehlen verbindlicher Maßgaben kann entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht durch die Anwendung des Pensenschlüssels ausgeglichen werden. Denn auch mit Hilfe des Pensenschlüssels kann angesichts dessen pauschalierter Aussagekraft die tatsächliche Belastung eines Richters nicht hinreichend sicher ermittelt werden.
14Das Unterlassen der vom Kläger in der Zulassungsschrift begehrten Beweisaufnahme zu seiner tatsächlichen Situation vermag weder tatsächliche Schwierigkeiten der Sache zu begründen noch unter einem anderen Gesichtspunkt die Zulassung der Berufung zu rechtfertigen. Denn für eine Verpflichtung zu einer derartigen Beweiserhebung hätte es jedenfalls eines hinreichend substantiierten Sachvortrags des Klägers bedurft. Daran fehlt es jedoch. Der Kläger hat es im Kern bei dem bloßen Verweis auf die für seine Person nach dem Pensenschlüssel ermittelten Pensenzahl belassen und lediglich pauschal behauptet, durch die ihm übertragenen Aufgaben überlastet zu sein. Insbesondere hat er diese Behauptung nicht unter Darlegung näherer Einzelheiten derart präzisiert, dass die begehrte Beweiserhebung über einen Ausforschungsbeweis hätte hinaus gehen können.
153. Den Zulassungsgrund einer der Rechtssache zukommenden grundsätzlichen Bedeutung hat der Kläger schon deshalb nicht hinreichend dargetan, weil er weder eine für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Rechtsfrage aufgeworfen noch einen Klärungsbedarf hinreichend dargetan hat. Allein die Hinweise darauf, dass die Entscheidung der Sache Einfluss zum einen auf die Qualität der Rechtsprechung und zum anderen auf das Einstellungsverhalten des Beklagten zu 2. habe, genügt nicht den an eine Grundsatzrüge zu stellenden Darlegungsanforderungen.
164. Den Zulassungsgrund einer Abweichung von einer Entscheidung eines anderen Gerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat der Kläger ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Er hat sich mit seinem Vorbringen zu diesem Zulassungsgrund allein auf eine Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs berufen. Dieser stellt jedoch kein divergenzrelevantes Gericht dar. Durch die Formulierung "des Oberverwaltungsgerichts" hat der Gesetzgeber in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zum Ausdruck gebracht, dass eine Zulassung nur bei einer Divergenz des im Instanzenzug übergeordneten Berufungsgerichts und nicht irgend eines anderen Obergerichts zur Zulassung der Berufung führen kann.
17Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 3 GKG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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