Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 5 E 5/02
Tenor
Der Antrag des Antragsgegners, festzustellen, dass die Durchsuchungsanordnung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 11. Dezember 2001 rechtswidrig gewesen ist, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Beschlagnahmeanordnung in dem genannten Beschluss wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der Antragsgegner wendet sich gegen eine im Rahmen vereinsrechtlicher Ermittlungsverfahren erlassene verwaltungsgerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung.
4Mit Blick auf das erwartete Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes und der damit bewirkten Streichung des Privilegs der Religionsgemeinschaften beabsichtigte das Bundesministerium des Innern (BMI) zum Ende des Jahres 2001 den Erlass einer sofort vollziehbaren Verbotsverfügung gegenüber dem sog. "Kalifatstaat" (Hilafet Devleti) sowie gegenüber 17 Teilorganisationen und der inländischen Teilorganisation "Stichting Dienaar aan Islam" der gleichnamigen, in den Niederlanden registrierten Stiftung.
5Unter dem 6. Dezember 2001 ersuchte das BMI das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW), die Verbotsverfügung am 12. Dezember 2001 um 6.00 Uhr zuzustellen und um 6.15 Uhr mit dem Vollzug der Verbotsverfügung und der Beschlagnahme gegenüber den in einer dem Ersuchen beigefügten Anlage 1 (Nr. 1 - 24) aufgeführten Personen und Organisationen zu beginnen. Darüber hinaus ersuchte das BMI das IM NRW gemäß § 4 Abs. 1 VereinsG um weiterführende Ermittlungen, sofern sich hierfür während des Vollzugs ein Anlass ergebe.
6Ebenfalls unter dem 6. Dezember 2001 teilte das BMI dem IM NRW in einem weiteren Schreiben mit, die in der beigefügten Anlage 1 zu diesem Schreiben aufgeführten Vereinigungen seien verdächtig, Teilorganisationen des "Kalifatstaats" zu sein. Das BMI habe gegen sie ein Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG eingeleitet und ersuche das IM NRW, die Vereins- und Privaträume der in der Anlage 1 aufgeführten Personen und Organisationen (Nr. 1 - 46 der Anlage 1) mit dem Ziel zu durchsuchen, Beweismaterial, das für ein Verbot dieser Organisationen geeignet sei, sicherzustellen. Am 8. Dezember 2001 trat das Erste Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes in Kraft (Art. 2 des Änderungsgesetzes vom 4. Dezember 2001, BGBl. I S. 3319).
7Am 10. Dezember 2001 beantragte die Antragstellerin unter Hinweis auf das vereinsrechtliche Verbotsverfahren den Erlass eines gegen den Antragsgegner gerichteten Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses. Zur Begründung trug sie vor, der " ", dessen Vorsitzender der Antragsgegner sei, stehe im Verdacht, eine Teilorganisation des verbotenen Vereins "Kalifatstaat" zu sein. Es gelte, in der Wohnung des Antragsgegners Beweismaterial sicherzustellen, das die Verbindung des Vereins " " zum "Kalifatstaat" dokumentiere.
8Mit Beschluss vom 11. Dezember 2001 ordnete das Verwaltungsgericht die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners an zum Zwecke der Beschlagnahme von Beweismaterial, das die Verbindung des Vereins " " zu dem verbotenen Verein "Kalifatstaat" dokumentiert und für ein Verbot des Antragsgegners geeignet ist. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurde in den Morgenstunden des 12. Dezember 2001 die Wohnung des Antragsgegners durchsucht. Dabei wurden zahlreiche Gegenstände beschlagnahmt.
9Am 19. Dezember 2001 hat der Antragsgegner Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegt. Zur Begründung führt er aus, dass Anhaltspunkte dafür, dass der Verein " " als Teilorganisation des "Kalifatstaats" anzusehen sei, der Verbotsverfügung des BMI vom 8. Dezember 2001 nicht zu entnehmen seien. Darüber hinaus seien die beschlagnahmefähigen Beweismittel nicht konkret bezeichnet worden. In dem Beschluss seien den Verein " " betreffende Verbotsgründe nicht benannt. Ebenso mangele es an einer Begründung, warum von der vorherigen Anhörung abgesehen worden sei; entsprechendes gelte für Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit. Auch fehle die Unterschrift des Richters, der den Beschluss erlassen habe. Es könne nicht nachvollzogen werden, weshalb das gesamte Inventar beschlagnahmt worden sei; dies spreche dafür, dass es sich nicht um eine Ermittlungsmaßnahme, sondern um den - rechtswidrigen - Vollzug der Verbotsverfügung gegenüber dem Verein " " gehandelt habe.
10Der Antragsgegner beantragt - sinngemäß -,
111. festzustellen, dass die Durchsuchungsanordnung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 11. Dezember 2001 rechtswidrig gewesen ist,
122. die Beschlagnahmeanordnung aufzuheben.
13Die Antragstellerin beantragt,
14die Beschwerde zurückzuweisen.
15Zur Begründung trägt sie vor, der Verdacht, dass es sich bei dem Verein " " um eine Teilorganisation des "Kalifatstaats" handelt, habe sich auf Grund der Durchsuchung bestätigt. Die Maßnahme sei auch nicht unverhältnismäßig. Hinsichtlich der Rückgabe der nachweislich privaten Gegenstände, die nicht relevant für eine Untersuchung i.S.d. § 4 Abs. 2 VereinsG seien, werde sie sich umgehend mit dem Antragsgegner in Verbindung setzen.
16II.
17Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß § 88 VwGO hinsichtlich der bereits vollzogenen Durchsuchungsanordnung als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Anordnung (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog) auszulegen,
18vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 30. April 1997 - 2 BvR 817/90, 728/92, 802 u. 1065/95 -, BVerfGE 96, 27 (41), Kammerbeschluss vom 15. Juli 1998 - 2 BvR 446/98 -, NJW 1999, 273 f.; VGH Bad.- Württ., Beschluss vom 14. Mai 2002 - 1 S 10/02 -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 3. März 1994 - 4 M 142/93 -, InfAuslR 1994, 210 ff.;
19hinsichtlich der Beschlagnahmeanordnung verfolgt sie deren Aufhebung.
20Die mit diesem Inhalt zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung des Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2001 ist rechtmäßig.
21Rechtsgrundlage für diese Anordnung ist § 4 Abs. 4 VereinsG i.V.m. §§ 94 ff. StPO. Die hiernach erforderlichen Voraussetzungen für die getroffenen Ermittlungsmaßnahmen waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung
22- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. August 1994 - 5 E 59/94 -, NWVBl. 1995, 69; Beschluss vom 29. August 1994 - 5 E 859/94 -, DÖV 1995, 339 f.; Beschluss vom 29. Juni 1993 - 5 E 83/93 -
23gegeben.
24Von einer Anhörung des Antragsgegners vor dem Erlass des Beschlusses konnte das Verwaltungsgericht zu Recht absehen, weil bei einer vorherigen Anhörung damit zu rechnen gewesen wäre, dass Beweismittel beiseite geschafft oder vernichtet worden wären.
25Vgl. Hess.VGH, Beschluss vom 16. Februar 1993 - 11 TJ 185 u. 186/93 -, NJW 1993, 2826 f., unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 - 1 A 89.83 -, BVerwGE 80, 299 (303).
26Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG kann die Durchsuchung der Räume des Vereins sowie der Räume, der Sachen und der Person eines Mitglieds oder Hintermannes des Vereins angeordnet werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG führen wird.
27Hinreichende Anhaltspunkte in diesem Sinn lagen im maßgeblichen Zeitpunkt vor. So wurden die Räume in der , dem Sitz des Vereins " ", sowohl durch diesen selbst als auch durch den Verein "Islamischer Verein e.V.", eine mit der Verfügung des BMI vom 8. Dezember 2001 verbotene Teilorganisation des "Kalifatstaats", gemeinsam und ohne räumliche Trennung voneinander genutzt. Die auf dem Vereinsgelände betriebene Moschee wurde ebenfalls von den Mitgliedern des Antragsgegners und der verbotenen Teilorganisation genutzt. Der Imam der Moschee hatte seinen amtlichen Wohnsitz in , , dem Hauptsitz des verbotenen "Kalifatstaats". Diese enge Verzahnung des Vereins " " mit der verbotenen Teilorganisation des "Kalifatstaats" begründete trotz ggf. anders lautender Bekundungen in der Vereinssatzung des Vereins " " hinreichende konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass der in den Nrn. 22 und 23 der Anlage 1 zum Ermittlungsersuchen des BMI vom 6. Dezember 2001 namentlich bezeichnete Verein " " ebenfalls eine Teilorganisation des Kalifatstaats ist und dass die angeordnete Durchsuchung bei dem Antragsgegner, dem Vorsitzenden dieses Vereins, zur Auffindung von Beweismitteln führen werde, die gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 VereinsG i.V.m. §§ 94, 99 ff. StPO für diejenigen vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren von Bedeutung sein können, die gegen die bereits verbotenen Organisationen und gegen die noch nicht verbotenen, als Teilorganisationen des Kalifatstaates jedoch verdächtigten Organisationen geführt werden.
28Entgegen der Auffassung des Antragsgegners war eine konkrete Bezeichnung der beschlagnahmefähigen Beweismittel in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht erforderlich. Für strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist anerkannt, dass unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit Beweismittel dann ihrem Inhalt nach zu kennzeichnen sind, wenn solche Kennzeichnungen - und sei es auch nur annäherungsweise, etwa in Form beispielhafter Angaben - möglich und den Zwecken der Strafverfolgung nicht abträglich sind.
29Vgl. BVerfG, Senatsbeschluss vom 26. Mai 1976 - 2 BvR 294/76 -, BVerfGE 42, 212 (220).
30Ob diese Anforderungen auf vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren, die nicht an einen begrenzten individuellen Tatvorwurf anknüpfen, sondern der Aufklärung der mit der vereinsrechtlichen Organisationsform begründeten besonderen Gefahrenlage dienen,
31vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988, a.a.O.,
32generell übertragen werden können, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls war im vorliegenden Fall nach den genannten Maßstäben ein Absehen von einer weitergehenden Kennzeichnung der beschlagnahmefähigen Beweismittel gerechtfertigt. Vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren, die - wie hier - der Vorbereitung bzw. Untermauerung des Verbots eines gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Vereins und seiner Teilorganisationen dienen, erfordern regelmäßig die Möglichkeit eines umfassenden Zugriffs auf sämtliche potenziell geeignete Beweismittel. Eine nähere - auch nur schlagwortartige - Bestimmung und Aufzählung aller in derartigen Fällen in Betracht zu ziehenden Beweismittel über die ohnehin geltende Evidenzgrenze hinaus,
33vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 25. August 1994, a.a.O.,
34ist im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich. Bei einer Beschränkung auf die in den zu durchsuchenden Räumen vermuteten Beweismittel wäre der sofortige Zugriff auf andere potenziell geeignete Beweismittel von dem Beschluss nicht mehr gedeckt, was dem Zweck des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens zuwiderliefe.
35Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. September 2002 - 5 E 112/02 -.
36Ebenso wenig war es geboten, in dem angefochtenen Beschluss etwaige den Antragsgegner betreffende Verbotsgründe im Einzelnen zu bezeichnen. § 4 Abs. 1 VereinsG verlangt für die Einleitung eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens einen konkreten, auf bestimmte Tatsachen gestützten Verdacht, dass der Verein, gegen den sich das Ermittlungsverfahren richten soll, eine nach Art. 9 Abs. 2 GG oder § 3 VereinsG verbotene Tätigkeit oder Zielsetzung verfolgt,
37vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 1994 - 5 E 24/94 -, Beschluss vom 25. August 1994, a.a.O.,
38ohne eine darüber hinausgehende schriftliche Fixierung dieser Tatsachen in dem Beschluss zu fordern; entsprechendes gilt für die hinreichenden Anhaltspunkte nach § 4 Abs. 4 Satz 2 VereinsG.
39Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2002 - 5 E 111/02 -.
40Eine eigenhändige Unterzeichung des dem Antragsgegner bekannt gemachten Gerichtsbeschlusses durch den Richter war ebenfalls nicht erforderlich. Der angefochtene Beschluss trägt in der Urschrift die Unterschrift des Richters, der den Beschluss erlassen hat. Weder das Vereinsgesetz noch die in § 4 VereinsG in Bezug genommenen Regelungen der Strafprozessordnung oder die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung erfordern über die - hier durch die Übergabe einer Ausfertigung erfolgte - Bekanntmachung des Beschlusses hinaus die Aushändigung eines Beschlussexemplars mit der handschriftlichen Unterschrift des den Beschluss erlassenden Richters.
41Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist auch nicht unverhältnismäßig. Die mit der vereinsrechtlichen Organisationsform begründete besondere Gefahrenlage,
42vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988, a.a.O.,
43rechtfertigt regelmäßig die mit den Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen des § 4 Abs. 4 VereinsG verbundenen Eingriffe in die geschützten Rechtsgüter der hiervon Betroffenen. Dafür, dass von der Anordnung der Maßnahmen wegen der Schwere der damit für den Antragsgegner verbundenen Beeinträchtigungen und des Bestehens anderer Erkenntnismöglichkeiten abzusehen war,
44vgl. BVerfG, Teilurteil vom 5. August 1966 - 1 BvR 586/62, 610/63 und 512/64 -, BVerfGE 20, 162 ff. (187, 198 ff.),
45ist nichts ersichtlich.
46Soweit bei der Durchsuchung Gegenstände beschlagnahmt worden sein sollten, denen die potenzielle Beweiseignung offensichtlich fehlt, betrifft dies lediglich die Art und Weise des Vollzuges, nicht aber die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses, der die Durchsuchung und Beschlagnahme auf potenziell geeignete Beweismittel beschränkt.
47Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
48Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
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