Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 4075/01
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das vor dem 1. Januar 2002 anhängig gewordene Zulassungsverfahren auf 4.090,33 EUR (= 8.000,- DM) festgesetzt.
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G r ü n d e:
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
3Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei keine deutsche Volkszugehörige, weil sie heute nicht in der Lage sei, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Dagegen wird im Zulassungsantrag eingewandt: Die 1926 geborene Klägerin sei deutscher Abstammung. Sie habe in der Familie von ihrer Mutter und Großmutter Deutsch gelernt. Zu Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen im Juni 1941 sei sie 15 Jahre alt gewesen und habe fast ihre persönliche Selbständigkeit erreicht gehabt. Aufgrund der familiären Vermittlung habe sie damals mehr als ein einfaches Gespräch in Deutsch führen können. Damit entfalle in ihrem Fall gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG die Notwendigkeit der Feststellung, ob sie auch heute noch ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache führen könne. Die Rechtslage könne insoweit nicht anders sein als nach § 6 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz BVFG (in der bis zum 6. September 2001 geltenden Fassung - a.F.). Im Übrigen könne die Klägerin auch heute noch ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache führen. Es sei willkürlich, die Frage nach der Farbe eines Kleides oder einer Jacke zur maßgeblichen Entscheidungsgrundlage eines Urteils zu machen. Außerdem lägen dem am 14. März 1997 durchgeführten Sprachtest falsche Maßstäbe zugrunde. Denn der Test sei auf der Grundlage der seinerzeit gültigen Rechtsprechung durchgeführt worden, die an die Sprachbeherrschung wesentlich höhere Anforderungen gestellt habe. Nach der Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes könne nur noch verlangt werden, dass die Klägerin ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen könne. Diesem Anforderungsniveau werde der Test nicht gerecht, weil in großem Umfang nicht nur Dinge und Vorgänge angesprochen worden seien, die zur Lebenswirklichkeit der Klägerin als Kind gehört hätten. Zudem könnten einige wenige Fragen in diesem Verfahren nicht der abschließende Maßstab sein. Die Klägerin sei seit Jahren für die Gesellschaft "Wiedergeburt" in Moskau tätig und verrichte dort unter anderem den Telefondienst. Sie habe auch viele Kulturveranstaltungen, Vorträge und Besichtigungen organisiert, teilweise in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut. Es sei ausgeschlossen, dass sie in einer solchen exponierten Stellung ohne hinreichende deutsche Sprachkenntnisse ausgekommen wäre. Von daher wäre das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen, die Klägerin persönlich anzuhören, wenn es die im Sprachtest gezeigten Sprachkenntnisse für nicht ausreichend angesehen habe.
4Diese Einwände greifen nicht durch. Für die Anwendung von § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG ist im vorliegenden Verfahren kein Raum. Denn der Klägerin ist nach eigenem Bekunden als Kind Deutsch in der Familie umfänglich vermittelt worden. Die Fiktionsvorschrift betrifft aber nur Fälle, in denen ein ausreichender Spracherwerb in der Kinder- und Jugendzeit auf Grund der allgemeinen Verhältnisse im Aussiedlungsgebiet nicht möglich oder nicht zumutbar war, nicht aber Fälle in denen ursprünglich familiär vermittelte hinreichende Sprachkenntnisse im Laufe der Jahre weitgehend verloren gegangen sind. Insoweit hat sich die Rechtslage mit der Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz vom 30. August 2001 auch nicht geändert. Die in der Zulassungsschrift in Bezug genommene Entscheidung des Senats vom 22. September 1999 - 2 A 2994/97 - zu § 6 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz BVFG a.F. betrifft einen anderen Sachverhalt. Denn der Klägerin in diesem Verfahren war die deutschen Sprache nicht hinreichend im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG a.F. vermittelt worden, weil der Vater als die einzig mögliche Vermittlungsperson zu einem Zeitpunkt verhaftet worden war als die Klägerin erst dreizehn Jahre alt war und es deshalb nicht mehr zu der erforderlichen Vertiefung der bis dahin erworbenen deutschen Sprachkenntnisse kommen konnte. Die Klägerin im vorliegenden Verfahren hat aber auch nach der Deportation der Familie weiter mit ihrer deutschsprachigen Mutter bis zu deren Tod im Jahr 1943 zusammengelebt. Als ihre Mutter starb war die Klägerin bereits siebzehn Jahre alt, und es ist nichts dafür ersichtlich, dass ihre Sprachentwicklung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen gewesen ist.
5Das Verwaltungsgericht ist auf der Grundlage des am 14. Mai 1997 in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Moskau durchgeführten Sprachtests zutreffend davon ausgegangen, dass nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin in der Lage ist, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Diese rechtliche Würdigung lässt sich anhand des Sprachtestprotokolls nachvollziehen. Dabei kommt es nicht allein darauf an, dass die Klägerin einzelne Fragen, wie die nach der Farbe ihres Kleides oder ihrer Jacke, auf Deutsch offenbar nicht verstanden hat und auch, nachdem ihr die Frage auf Russisch gestellt wurde, nicht auf Deutsch beantworten konnte. Dies mag mit einem Mangel im Wortschatz zusammenhängen. Entscheidend gegen ihre Fähigkeit, ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, spricht der Umstand, dass ihre Antworten ganz überwiegend nicht aus vollständigen Sätzen bestanden, sondern in einer Aneinanderreihung von Wörtern oder allenfalls Satzfragmenten. Dies dokumentiert eine jedenfalls unzureichende aktive Sprachkompetenz. Auf die - dreimal wiederholte - Frage: "Kochen Sie deutsches Essen?" antwortete die Klägerin: "Meine liebe Riebelkuche, Appelkuche, Milch, Kaffee, Obst, Klöße, Kuchen." Die nächste Frage nach ihrer Religion beantwortete sie mit: "Religion lutheranisch". Danach gefragt, ob sie deutsche Bücher oder Zeitschriften lese, erklärte sie: "Goethe, Schiller, Großmutter - Brüder Grimm, Haschelpatten". Auf die weitere Frage, welche Märchen der Brüder Grimm sie kenne, antwortete die Klägerin: "Ich Märchen Brüder Grimm, Igel-Hase, Rotkappel, Aschelputten i anderen. Mei Mutter las mir Märschen klein Kinder". Auf die Frage, ob sie deutsche Feste feiere, erklärte sie: "Meine Familie feiern deutsche Feste. Sehr gut Weihnachten mit Lieder. Ostern mit Osterhase, viele, viele Eier. Pfingsten mit vielen Grün. Von groß Tisch war viele viele Essen, tanzen, mei Mutter spielen Gitarren, mei Freunde sangen." Die Frage nach dem Wetter beantwortete die Klägerin mit: "Ist sonnt - 20 Grad". Befragt danach, ob sie zu Hause Tiere habe, erklärte sie: "Hund nein. Katze nein. Ich Tuberkulose, Allergie. Ich Pflanzen viel". Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Klägerin offenkundig große Probleme hat, sich auf Deutsch ausreichend zu artikulieren. Es ist nicht erkennbar, dass sie in der Lage wäre, sich in zusammenhängenden vollständigen und grammatikalisch einigermaßen korrekten Sätzen auszudrücken. Die Ergebnisse des durchgeführten Sprachtests tragen vielmehr die Feststellung, dass jedenfalls die aktiven Sprachkenntnisse der Klägerin über rudimentäre Ansätze nicht hinausgehen. Da die gestellten Fragen einfacher Struktur waren und sich auf den persönlichen Lebensbereich der Klägerin bezogen, ist nicht ersichtlich, dass dem Sprachtest fehlerhafte Maßstäbe zugrundegelegen haben könnten. Die protokollierten Ergebnisse tragen auch die Feststellung, dass die Klägerin nicht in der Lage ist, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen, worauf es nach der Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes allein ankommt. Es kann keine Rede davon sein, dass die Klägerin nur einige wenige Fragen nicht habe beantworten können und es dem durchgeführten Sprachtest von daher an einer hinreichenden Aussagekraft fehle.
6Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihren Angaben zufolge seit Jahren für die Gesellschaft "Wiedergeburt" tätig ist und dabei unter anderem den Telefondienst wahrnimmt. Denn es ist nicht nachvollziehbar dargetan, dass sie dabei in größerem Umfang die deutsche Sprache aktiv verwendet. Die Ausführungen des Prozessbevollmächtigten dazu in der Zulassungsschrift sind nur allgemeiner Art und spekulativ gehalten.
7Unter Berücksichtigung des Vorstehenden ist nicht ersichtlich, dass die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweisen könnte. Die in der Zulassungsschrift aufgeworfenen Frage, ob die im Zeitpunkt der Aussiedlung erforderlichen Sprachkenntnisse auch auf Sprachkursen beruhen dürfen, wenn dem Aufnahmebewerber als Kind Deutsch in der Familie vermittelt worden ist, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht, weil die Klägerin nicht in der Lage ist, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen.
8Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
9Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3, 73 GKG.
10Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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