Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 B 1390/04
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses.
3Ohne Erfolg bleiben die Einwände gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dem Antragsteller stehe summarischer Prüfung zufolge der mit dem Antrag zu 1. geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung einer mit Ausschließlichkeitszusage erfolgenden Vergabe von Vereinbarungen nach §§ 93 ff. BSHG über Leistungen des ambulant betreuten Wohnens für suchtkranke Menschen im Kreis X. zu, weil durch die hoheitliche Maßnahme der Vergabe eines Vereinbarungsabschlusses gemäß dem Vereinbarungsentwurf (Anlage E der Ausschreibungsunterlagen) rechtswidrig in subjektive Rechte des Antragstellers eingegriffen werde. Insoweit kann dahinstehen, ob die - eher als ergänzende Begründung angeführte - Annahme des Verwaltungsgerichts zutrifft, durch das streitgegenständliche Ausschreibungsverfahren werde die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit des Antragstellers verletzt.
4Vgl. in diesem Zusammenhang auch BVerwG, Urteil vom 13. Mai 2004 - 3 C 2.04 -, Juris, wonach eine Regelung der Investitionsförderung für ambulante Pflegedienste in der Weise, dass in jedem räumlichen Betreuungsbereich nur ein Pflegedienstträger gefördert wird, das Grundrecht der konkurrierenden Anbieter auf freie Berufsausübung verletzt.
5Denn das Verwaltungsgericht hat das Bestehen eines Unterlassungsanspruchs auch damit begründet, dass die Vergabe eines Vereinbarungsabschlusses mit Gebietsschutz den Anspruch des Antragstellers auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung über den Abschluss einer Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG verletzt. Jedenfalls diese insoweit selbständig tragende Begründung der angefochtenen Entscheidung wird durch das Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.
6Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 des Entwurfs der ausgeschriebenen Vereinbarung räumt der Sozialhilfeträger dem Leistungserbringer, der den Zuschlag erhält, das alleinige Recht ein, Personen zu betreuen, die der in § 2 Abs. 1 des Vereinbarungsentwurfs beschriebenen Zielgruppe angehören, in dem angegebenen Einzugsgebiet wohnen und einen Sozialhilfeanspruch haben. Durch dieses Alleinbetreuungsrecht ist der Antragsgegner nach Erteilung des Zuschlags gehindert, während der zweijährigen Geltungsdauer der Vereinbarung (vgl. § 12 des Entwurfs) mit einem anderen Einrichtungsträger eine Vereinbarung für den Leistungsbereich des ambulant betreuten Wohnens in dem jeweiligen Losgebiet abzuschließen; er könnte der Aufforderung zu entsprechenden Verhandlungen (vgl. § 93b Abs. 1 Satz 2 BSHG) schon aus diesem Grunde nicht nachkommen. Der beschließende Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass durch die Bindungswirkung einer Vereinbarung mit Gebietsschutz der Anspruch anderer Einrichtungsträger und damit auch des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG,
7vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30. September 1993 - 5 C 41.91 -, FEVS 44, S. 353 (355), sowie Urteil vom 1. Dezember 1998 - 5 C 29.97 -, FEVS 49, S. 345 (349),
8verletzt wird. Da der Antragsgegner den Abschluss weiterer Vereinbarungen ohne Prüfung der in § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG genannten Kriterien schon deshalb ablehnen muss, weil er dem Leistungserbringer, der den Zuschlag erhalten hat, ein Alleinbetreuungsrecht eingeräumt hat, liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor.
9Entgegen der in der Beschwerdebegründung geäußerten Auffassung des Antragsgegners kann eine Rechtsverletzung des Antragstellers nicht mit der Begründung verneint werden, dessen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung werde durch das konkrete Vergabeverfahren nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil sogar gesichert, weil die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigenden Kriterien (Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Leistungsfähigkeit) bereits in die Verdingungsunterlagen Eingang gefunden hätten. Das gilt schon deshalb, weil der Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung nicht mit dem Abschluss des Vergabeverfahrens erlischt, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus besteht. So könnte der Antragsteller beispielsweise für den Fall, dass er bzw. die Bietergemeinschaft, der er angehört, im Vergabeverfahren den Zuschlag nicht erhielte, anschließend den Antragsgegner zu Verhandlungen über den Abschluss einer Vereinbarung auffordern. Diese Aufforderung müsste der Antragsgegner im Hinblick auf das dem erfolgreichen Bieter eingeräumte Alleinbetreuungsrecht ablehnen. Darin läge eine Verletzung des Rechts des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Die Argumentation des Antragsgegners, er übe sein Ermessen ausschließlich im Rahmen des Vergabeverfahrens aus und sei zu Ermessensentscheidungen außerhalb dieses Verfahrens nicht verpflichtet, dürfte mit den Regelungen der §§ 93 ff. BSHG nicht im Einklang stehen. Danach können Einrichtungsträger den zuständigen Sozialhilfeträger jederzeit zu Verhandlungen über den Abschluss einer Vereinbarung auffordern und müssen sich nicht darauf verweisen lassen, die Durchführung eines Vergabeverfahrens zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuwarten. Die vom Antragsgegner angeführte Vorschrift des § 93b Abs. 1 Satz 1 BSHG regelt lediglich, für welchen Zeitraum die Vereinbarungen abzuschließen sind, besagt aber nicht, dass Aufforderungen zum Abschluss einer Vereinbarung nur zu bestimmten Terminen ergehen können. Dass die Entscheidung über eine solche Aufforderung zeitnah getroffen werden muss und nicht bis zum nächsten Vergabeverfahren, das möglicherweise erst nach mehreren Jahren stattfindet, aufgeschoben werden darf, ergibt sich aus § 93b Abs. 1 Satz 2 BSHG, der dem Sozialhilfeträger für den Abschluss einer Vereinbarung nach § 93a Abs. 2 BSHG eine Frist von lediglich sechs Wochen einräumt und dem Einrichtungsträger nach Ablauf dieser Frist die Möglichkeit eröffnet, die Schiedsstelle anzurufen, welche unverzüglich über die Gegenstände entscheidet, über die keine Einigung erreicht werden konnte.
10Der Antragsgegner kann das von ihm beabsichtigte Vorgehen, einen neuen Anbieter auf die Wiederholung des Vergabeverfahrens zu einem späteren Zeitpunkt zu verweisen, auch nicht durch die Selbstbindung rechtfertigen, die er sich durch den Gebietsschutz auferlegt hat. Denn diese Selbstbindung ist rechtswidrig, weil die Zuerkennung eines Gebietsschutzes in dem Sinne, dass für ein bestimmtes Gebiet Leistungen an Hilfebedürftige nur durch einen Einrichtungsträger erbracht werden, gegen den in §§ 93 ff. BSHG verankerten Grundsatz der Anbieterkonkurrenz verstößt. Der Antragsteller weist in der Beschwerdeerwiderung zutreffend darauf hin, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23. Juli 1996 die Voraussetzungen für einen Leistungswettbewerb der gemeinnützigen und gewerblichen Träger um die Hilfesuchenden als Nachfrager geschaffen hat. Ein solcher Wettbewerb ist nur möglich, wenn in ein und demselben Gebiet verschiedene Einrichtungsträger ihre Leistungen anbieten können.
11Vgl. zu der die Sozialhilfe prägenden pluralen Angebotsstruktur auch Mrozynski, Die Vergabe öffentlicher Aufträge und das Sozialrecht, ZFSH/SGB 2004, S. 451 (456, 461); ferner Münder in LPK- BSHG, 6. Aufl. 2003, vor § 93 Rn. 3
12Von einem Nebeneinander verschiedener Anbieter geht auch die Bestimmung des § 93 Abs. 1 Satz 3 BSHG aus, die im Übrigen zeigt, dass das Bestehen einer Vereinbarung mit einem bestimmten Einrichtungsträger den Sozialhilfeträger nicht daran hindert, weitere Vereinbarungen mit anderen Trägern abzuschließen. Der Antragsgegner darf den Abschluss derartiger Vereinbarungen jedenfalls nicht mit der Begründung ablehnen, durch das einem Leistungserbringer eingeräumte Alleinbetreuungsrecht und die von ihm eingegangene Verpflichtung, den Betreuungsbedarf der Zielgruppe im Einzugsgebiet vollständig zu decken (vgl. § 2 Abs. 4 des Vereinbarungsentwurfs), sei sichergestellt, dass die erforderlichen Hilfeleistungen durch diesen Anbieter erbracht würden, so dass es der Zulassung weiterer Einrichtungsträger nicht bedürfe. Das liefe auf eine Einbeziehung von Bedarfsgesichtspunkten in das Abschlussermessen des Sozialhilfeträgers hinaus, die indes mit Blick auf die in § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG normierten Kriterien der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit und die ihnen beigelegte angebotssteuernde Wirkung nicht zulässig ist.
13Vgl. das Urteil des Senats vom 26. April 2004 - 12 A 858/03 - m.w.N., und Mrozynski, a.a.O., S. 460 f.
14Verletzt der Abschluss einer Vereinbarung mit Gebietsschutz danach den Antragsteller in seinem Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, so kann dahingestellt bleiben, ob die Durchführung eines Vergabeverfahrens mit ausschließlichem Leistungsrecht gegen weitere sozialhilferechtliche Vorschriften (z.B. § 93b und § 3 Abs. 2 BSHG) verstößt und ob der Antragsteller aus derartigen Verstößen einen Unterlassungsanspruch wegen eines Eingriffs in eigene Rechte herleiten könnte.
15Ferner ist nicht entscheidungserheblich, ob es sich bei der vom Antragsgegner beabsichtigten Vereinbarung um einen öffentlichen Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB handelt, für den grundsätzlich die Vorschriften der §§ 97 ff. GWB über das Vergabeverfahren gelten. Wenn man diese Frage - wie das Verwaltungsgericht - verneint, besteht schon deshalb keine gesetzliche Verpflichtung des Antragsgegners zur Durchführung eines Vergabeverfahrens und somit keine Rechtfertigung für den darin liegenden Eingriff in das subjektiv-öffentliche Recht des Antragstellers auf pflichtgemäße Ermessensentscheidung. Aber auch dann, wenn man - wie der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf in seinem Beschluss vom 8. September 2004 - die Auffassung vertritt, bei der hier in Rede stehenden Vereinbarung handele es sich um einen entgeltlichen Dienstleistungsvertrag im Sinne von § 99 Abs. 1 GWB, folgt daraus nicht zwingend, dass ein Vergabeverfahren durchgeführt werden darf. Denn die Unzulässigkeit eines solchen Verfahrens kann sich aus gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des Vergaberechts ergeben, worauf auch das OLG Düsseldorf hingewiesen hat. So verhält es sich hier. Die Gebietsschutzklausel in § 2 Abs. 3 des Vereinbarungsentwurfs des Antragsgegners dürfte - wie oben ausgeführt - mit dem Prinzip der Angebots- und Trägervielfalt, das den §§ 93 ff. BSHG zugrunde liegt, nicht zu vereinbaren sein und das Recht der übrigen Einrichtungsträger auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG verletzen. Bei dieser Sachlage darf ein Vergabeverfahren, das auf den Abschluss einer derartigen Vereinbarung gerichtet ist, nicht durchgeführt und insbesondere ein den Vertragsschluss bewirkender Zuschlag nicht erteilt werden.
16Die Einwände, die der Antragsgegner gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichts erhebt, der Antragsteller habe hinsichtlich des Antrags zu 1. das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO dargelegt und glaubhaft gemacht, greifen ebenfalls nicht durch. Da es für diese Beurteilung auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt, geht der Hinweis auf den vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 115 Abs. 3, 118 Abs. 1 Satz 3 GWB ins Leere; denn das Nachprüfungsverfahren ist inzwischen durch den Beschluss des Vergabesenats des OLG Düsseldorf vom 8. September 2004 rechtskräftig abgeschlossen. Durch die einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts wird entgegen der Auffassung des Antragsgegners auch nicht in unzulässiger Weise die Hauptsache vorweggenommen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig sei, ist nicht zu beanstanden. Im angefochtenen Beschluss wird zutreffend ausgeführt, dass dem Antragsteller bei einer Erteilung des Zuschlags - aller Wahrscheinlichkeit nach an einen konkurrierenden Anbieter - ein unzumutbarer, im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigender Nachteil droht, der darin besteht, dass sich der Antragsgegner wegen der Gebietsschutzklausel am Abschluss einer Vereinbarung mit dem Antragsteller gehindert sähe. Der Hinweis des Antragsgegners auf den geringen Umfang der ausgeschriebenen Leistungen verfängt nicht, weil sich die Unzumutbarkeit, eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten, nicht aus der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit, sondern daraus ergibt, dass nur durch eine einstweilige Anordnung die dem Antragsteller drohende Rechtsverletzung verhindert werden kann.
17Aus den vorstehenden Ausführungen folgt schließlich, dass das Beschwerdevorbringen auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Anträge zu 2. und 3. nicht zu erschüttern vermag. Es bedarf der mit dem Antrag zu 2. begehrten Verpflichtung, weil im Rahmen des Vergabeverfahrens eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung des Antragsgegners nicht gewährleistet ist. Die Vergütungshöhe ist im Hinblick auf § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BSHG notwendiger Bestandteil der Verhandlungen mit dem Antragsteller, zu deren Aufnahme der Antragsgegner verpflichtet ist, so dass auch hinsichtlich des Antrags zu 3. ein Anordnungsanspruch besteht.
18Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
19Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
20
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.