Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 B 1843/05
Tenor
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt C. beigeordnet. Wegen der aus dem Einkommen zu zahlenden Beträge werden Monatsraten in Höhe von 45,00 EUR festgesetzt.
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entlassungsverfügung des Kommandeurs I. vom 17. Mai 2005 (VG Düsseldorf 10 K 3288/05) wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird unter entsprechender Änderung der Festsetzung durch das Verwaltungsgericht für beide Rechtszüge des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Streitwertstufe bis zu 7.000 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Antragstellers, ihm zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt C. beizuordnen, hat nach Maßgabe des Tenors und der nachstehenden Ausführungen Erfolg.
3Ausgehend von den im Kern glaubhaften Angaben in dem Schriftsatz des Antragstellers vom 11. November 2005 mitsamt Anlagen (Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und weitere Belege), dabei namentlich dem Vortrag zum Verlust seiner letzten Arbeitsstelle und zur Höhe der dort gezahlten, nunmehr der Bemessung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legenden Bezüge, kann der Antragsteller die Kosten der Prozessführung nur zum Teil, nämlich in Höhe der festgesetzten Raten, aufbringen (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Satz 1, 115 ZPO). Da die für die Entscheidung erforderlichen Angaben hinreichend glaubhaft gemacht wurden, hat der Senat dem Umstand, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (wohl irrtümlich) nicht datiert und unterzeichnet worden ist, keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen und auf die Aufforderung zur Einreichung einer vervollständigten Fassung verzichtet.
4Ein Fall des § 115 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 166 VwGO ist nicht gegeben. Mit Blick auf den Wert des Streitgegenstandes werden die voraussichtlichen Kosten der Prozessführung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren den Betrag von vier Monatsraten übersteigen.
5Einer Prüfung, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 Satz 1 ZPO, § 166 VwGO), bedarf es nicht. Hat nämlich - wie hier - der Gegner das Rechtsmittel eingelegt, so sind in einem höheren Rechtszug diese zusätzlichen Grundvoraussetzungen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht zu prüfen (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 166 VwGO).
6II. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat in der Sache Erfolg. Die (fristgerecht) dargelegten Gründe, auf deren Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
7Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, mit welcher es dem Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin vom 17. Mai 2005 in der Gestalt des Beschwerdebescheides vom 15. Juli 2005 stattgegeben hat, tragend darauf gestützt, dass die Entscheidung über die Entlassung an einem nicht unwesentlichen, im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach durchgreifenden Ermessensfehler leide. Wie sich aus der Nichtabhilfeentscheidung und dem anschließenden Beschwerdebescheid ergebe, sei für die Entscheidung der Antragsgegnerin, im Fall des Antragstellers eine weniger einschneidende Maßnahme als die fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG nicht in Betracht zu ziehen, (jedenfalls auch) die Erwägung maßgeblich gewesen, dass der Antragsteller im Jahre 2000 durch ein Jugendgericht wegen Volksverhetzung zu 30 Stunden Sozialarbeit verurteilt worden sei. Diese Verurteilung hätte indes nach den Vorschriften des BZRG nicht mehr - auch nicht indiziell - berücksichtigt werden dürfen. Ein Ausnahmefall, in dem eine ermessensfehlerhafte Begründung unschädlich bleibe, sei hier nicht anzunehmen. Es lasse sich nämlich nicht feststellen, dass wegen besonderer Umstände allein die getroffene Entscheidung rechtmäßig hätte ergehen können, der Antragsteller also hätte entlassen werden müssen.
8Die Antragsgegnerin hat dem mit ihrer Beschwerde im Wesentlichen Folgendes entgegengesetzt: Mit Blick darauf, dass die Dienstzeit des Antragstellers (Zeitsoldat mit 4-jähriger Verpflichtungszeit) ohnehin regulär zum 31. August 2005 geendet hätte, bestünden bereits Bedenken hinsichtlich der (fortbestehenden) Zulässigkeit des Eilantrages. Dieser Antrag könne aber jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben, denn im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass die angefochtene Entlassungsverfügung offensichtlich rechtmäßig sei. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Ermessensfehler sei nicht nachvollziehbar. Weder im Ausgangsbescheid noch im Beschwerdebescheid sei die vom Verwaltungsgericht aufgegriffene Verurteilung des Antragstellers aus dem Jahre 2000 zur Grundlage der Entscheidung über die Entlassung gemacht worden; auf die Nichtabhilfeprüfung und den Inhalt des diesbezüglichen Vorlageberichts komme es nicht an. Davon, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vorlägen, gehe demgegenüber wohl auch das Verwaltungsgericht aus. Der Besitz von CDs mit einem derart menschenverachtenden Liedgut, wie es hier - durch die polizeilich ermittelten Textauszüge belegt - in Rede stehe, und deren Abhören stellten eine solch schwerwiegende Dienstpflichtverletzung dar, dass ein Zeitsoldat in den ersten vier Dienstjahren für die Bundeswehr nicht mehr tragbar sei. Die betreffende Pflichtverletzung berühre nicht lediglich Randbereiche der militärischen Ordnung, sondern deren Kernbereich, der sich auf die Zuverlässigkeit des einzelnen Soldaten mit erstrecke. Hinzu komme der beträchtliche Schaden für den guten Ruf" der Bundeswehr in der Öffentlichkeit. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde in dem vorliegenden Zusammenhang bereits durch den Begriff der ernstlichen Gefährdung", welcher hier erfüllt sei, näher konkretisiert. Das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung im Übrigen die Rechtsprechung des beschließenden Senats unberücksichtigt gelassen, derzufolge die Betätigung des in § 55 Abs. 5 SG eingeräumten Ermessens im Sinne einer intendierten Entscheidung" allein auf atypische Fälle ziele.
9Der Senat lässt offen, ob der Antragsteller nach Ablauf seiner Dienstzeit noch ein Sachentscheidungsinteresse an der begehrten Aussetzungsentscheidung betreffend seine Entlassung aus der Bundeswehr hat. Sein Aussetzungsantrag ist jedenfalls in der Sache nicht begründet. Die hierauf bezogenen Einwände der Beschwerde greifen durch. Auch Die Vollziehungsanordnung ist nicht zu beanstanden. Der angefochtene Beschluss ist deswegen abzuändern.
10Die rechtliche Bewertung des im Kern unstreitigen Sachverhaltes betrifft Rechtfragen, die durch die Rechtsprechung geklärt sind. Dem insoweit schon im Verfahren erster Instanz angehörten Antragsteller musste deswegen nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht Gelegenheit gegeben werden, über das bislang im Schriftsatz vom 11. November 2005 Vorgetragene hinaus seinen bekannten Rechtsstandpunkt zu bekräftigen und ggf. weiter zu vertiefen.
11Hiervon ausgehend ist dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers nicht schon wegen etwaiger Mängel der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu entsprechen (nachfolgend 1.). Weiter fällt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung auf der Grundlage einer Bewertung der Erfolgsaussichten der Hauptsache im Ergebnis zu Lasten des Antragstellers aus (nachfolgend 2.). Schließlich ist hier selbst bei einer die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens aussparenden (allgemeinen) Interessen- und Folgenabwägung dem öffentlichen Vollziehungsinteresse der Vorrang vor dem privaten Aufschubinteresse des Antragstellers einzuräumen (nachfolgend 3.).
121. Die Antragsgegnerin hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ihrem Beschwerdebescheid den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend begründet. Die insoweit vom Antragsteller bereits erstinstanzlich geäußerten und im Beschwerdeverfahren aufrecht erhaltenen Bedenken teilt der Senat nicht. Die in Rede stehende Begründung ist nicht inhaltsleer oder formelhaft, sondern erstreckt sich in angemessenem Umfang auf die wesentlichen Aspekte, die aus der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Sicht der Antragsgegnerin eine besondere Dringlichkeit der Angelegenheit stützen. Darauf, ob die angeführten Gründe in der Sache zutreffen, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Im Übrigen kann den Ausführungen zur allgemeinen Interessen- und Folgenabwägung (unten 3.) entnommen werden, dass ein besonderes Vollziehungsinteresse nicht nur formal ausreichend begründet worden ist, sondern auch tatsächlich besteht.
132. Die Entlassungsverfügung der Antragsgegnerin in der Gestalt des (ihre Begründung ergänzenden und vertiefenden) Beschwerdebescheides ist aller Voraussicht nach rechtmäßig; schon dies verleiht dem öffentlichen Vollziehungsinteresse ein besonderes, die Interessen des Antragstellers an der begehrten Aussetzung überwiegendes Gewicht. Eine offensichtliche" Rechtswidrigkeit der Entlassungsverfügung und des Beschwerdebescheides, wie sie das Verwaltungsgericht seiner hiervon abweichenden Interessenabwägung zugrundegelegt hat, lässt sich nicht feststellen. Das gilt unbeschadet dessen, dass das Verwaltungsgericht lediglich eine summarische Prüfung" der Rechtslage vorgenommen hat.
14a) Gemäß § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift, welche der Entlassungsbehörde einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Beurteilungsspielraum nicht eröffnen,
15vgl. BVerwG, Urteile vom 26. September 1963 - VIII C 123.63 -, BVerwGE 17, 5, und vom 31. Januar 1980 - 2 C 16.78 -, BVerwGE 59, 361,
16sind nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand erfüllt.
17Die fristlose Entlassung des Antragstellers wurde unstreitig noch innerhalb der Vier-Jahres-Frist des § 55 Abs. 5 SG verfügt. Dass die - hier mit der Vier-Jahres-Frist zusammenfallende - reguläre Dienstzeit des Antragstellers wenige Monate nach dem Entlassungszeitpunkt endete, ist in diesem Zusammenhang bedeutungslos.
18Davon, dass der Antragsteller durch das ihm in der Entlassungsverfügung angelastete Verhalten seine Dienstpflichten verletzt hat, geht auch das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss - zu Recht - aus. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die insoweit einschlägigen Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug. Lediglich bekräftigend ist in diesem Zusammenhang hervorzuheben, dass es entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht darauf ankommt, dass sich der Vorfall vom 4. März 2005 - das Abspielen zweier gebrannter CDs der Musikgruppen Landser" und Neue Werte" mit menschenverachtendem und volksverhetzendem Inhalt - im privaten Bereich, nämlich auf einer Geburtstagsfeier seines Bruders, zugetragen hat. Denn die Pflichtenstellung des Soldaten beschränkt sich nicht auf den dienstlichen Bereich. Dies gilt namentlich für die in § 17 Abs. 2 SG bestimmte Pflicht des Soldaten zur Achtungs- und Vertrauenswahrung; Satz 2 stellt insoweit ausdrücklich klar, dass sich diese Pflicht auch auf den außerdienstlichen Bereich erstreckt. Die Pflicht des Soldaten, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anzuerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten (§ 8 SG, Hervorhebung durch den Senat), endet ebenfalls nicht am Kasernentor". Die Pflichtwidrigkeit des angesprochenen Verhaltens entfällt schließlich auch nicht dadurch, dass Angehörige der Bundeswehr keine unmittelbare Kenntnis von dem Vorfall erlangt haben und die Texte der fraglichen CDs nur bruchstückhaft von Außenstehenden zu vernehmen gewesen sein mögen. Die vom Antragsteller vermisste Bezugswirkung" zur Ordnung in der bzw. zum Ansehen der Bundeswehr hängt hiervon nicht ab. Im Übrigen steht auf der Grundlage der polizeilichen Ermittlungen fest, dass die Lautstärke, mit der die CDs abgespielt wurden, so erheblich war, dass Anwohner sich beschwert fühlten und deswegen die Polizei riefen. Außerdem waren jedenfalls einzelne Texte (Nigger und Juden müssen alle getötet werden" und Nicht alle Menschen sind gut und haben reines Blut") u.a. für eine türkische Nachbarin deutlich vernehmbar.
19Ob es sich - etwa nach disziplinarrechtlichen Maßstäben - um einen schweren" oder nur leichten" Fall einer Dienstpflichtverletzung handelt und ob in dem jeweils zu beurteilenden Einzelfall ggf. verschärfende oder mildernde Umstände hinzutreten, ist im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der Verletzung von Dienstpflichten in § 55 Abs. 5 SG ohne Belang.
20Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 2 C 17.91 -, BVerwGE 91, 62; Beschluss des Senats vom 20. Januar 2005 - 1 B 2009/04 -, ZBR 2005, 350.
21Der Antragsteller hat seine Dienstpflichten auch schuldhaft verletzt. Aufgrund vorangegangener Belehrung über die Treuepflicht zum Grundgesetz war ihm bewusst, dass er durch das Besitzen und Abspielen von CDs mit Liedgut, welches - wie er anhand der Cover der Hüllen erkannt hat (vgl. Aussage bei der Vernehmung am 10. März 2005) - den Grundprinzipien des Grundgesetzes erkennbar widerspricht, gegen seine Pflicht zur Verfassungstreue verstößt. Auch wegen der weiteren ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen in Gestalt der Missachtung von Befehlen hat er schuldhaft, und zwar in der Schuldform des Vorsatzes, gehandelt.
22Die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die seitens der Antragsgegnerin verfügte fristlose Entlassung liegen ebenfalls vor. Das weitere Verbleiben des Antragstellers in der Bundeswehr hätte nämlich aller Voraussicht nach sowohl die militärische Ordnung als auch das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährdet. Ob dies jeweils der Fall ist, haben die Verwaltungsgerichte in einer objektiv nachträglichen Prognose" (selbst) nachzuvollziehen.
23Vgl. Beschlüsse des Senats vom 20. Januar 2005 - 1 B 2009/04 -, a.a.O., und vom 7. Februar 2006 - 1 B 1659/05 -, jeweils m.w.N.
24Eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung ist regelmäßig zu bejahen, wenn die Einsatzbereitschaft der Soldaten erheblich vermindert und im Gefolge dessen die Verteidigungsbereitschaft der Truppe, d. h. der einzelnen betroffenen Einheit bzw. letztlich auch der Bundeswehr im Ganzen, in Frage gestellt wird. Die Beurteilung, ob eine ernstliche Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr vorliegt, hängt wesentlich von dem Bild ab, welches bezogen auf die Bundeswehr und ihre Soldaten durch das in Rede stehende Verhalten in der Öffentlichkeit entsteht. Dabei kommt namentlich dem Charakter der Bundeswehr als einer die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Verteidigung prägenden Institution - und infolgedessen gerade auch der Pflicht zur Verfassungstreue nach § 8 SG - eine hohe Bedeutung zu. Der Senat folgt in diesem Zusammenhang im Kern der Bewertung in den angefochtenen Bescheiden, namentlich in dem ausführlich begründeten Beschwerdebescheid vom 15. Juli 2005: Insbesondere bei dem Besitzen und Abspielen von als verfassungsfeindlich einzustufendem Liedgut durch einen Soldaten der Bundeswehr handelt es sich - unabhängig von der Einstellung des betreffenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Antragsteller nach § 153 a StPO - mit Blick auf die Ziel- und Schutzrichtung des § 55 Abs. 5 SG, künftigen Schaden von der Bundeswehr abzuwenden, nicht um eine Bagatelle", sondern um ein Verhalten, welches von einer insoweit sensibilisierten Öffentlichkeit aufmerksam registriert und keinesfalls toleriert wird. Ein solches Verhalten ist demgemäß in besonderer Weise geeignet, zu einem erheblichen Ansehensverlust der Bundeswehr zu führen. Zugleich begründet es durchgreifende Zweifel an der Zuverlässigkeit des betroffenen Soldaten, dem Einsatzauftrag der Bundeswehr im Rahmen der bestehenden Verfassung hinreichend Rechnung zu tragen. Im Gefolge dessen können leicht Spannungen in den inneren Dienstbetrieb der Bundeswehr hineingetragen werden, welche sich negativ auf den Zusammenhalt innerhalb der Truppe, auf ein reibungsloses Zusammenspiel der Einsatzkräfte im Rahmen des Prinzips von Befehl und Gehorsam und damit letztlich auf die Einsatzfähigkeit im Ganzen auswirken. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Prognose gerechtfertigt ist, dass gerade von dem Antragsteller auch künftig weitere einschlägige Dienstpflichtverletzungen zu erwarten gewesen sind. Es bedarf deshalb auch keiner Klärung der Frage, ob dieser sich inzwischen - wie von ihm bei seiner Vernehmung angegeben - endgültig von der sog. Skinheadszene getrennt hatte. Worauf der Beschwerdebescheid ohne weiteres nachvollziehbar hinweist, handelt es sich nämlich bei rassistischen, rechtsextremen Aktivitäten von Soldaten um ein - von dem jeweiligen Einzelfall losgelöstes - allgemeines Problem, welches, um eine ansonsten drohende Festsetzung dieses Problems in den Streitkräften zu verhindern, schon im Anfangsstadium mit der gebotenen Härte bekämpft werden muss. Dies schließt es ein, bereits dem durch objektive Tatsachen - hier das Besitzen und Abspielen einschlägiger CDs - begründeten Anschein des Fortbestehens einer derartigen Gesinnung und inneren Einstellung wirksam entgegenzutreten. Dafür, dass hier eine ggf. zu vernachlässigende (einmalige) Affekthandlung" vorgelegen hätte,
25vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 2 C 17.91 -, a.a.O.,
26liegen unbeschadet der Alkoholisierung des Antragstellers bei dem Vorfall am 4. März 2005 konkrete Anhaltspunkte nicht vor. An einer Vorbildwirkung hat es bei jenem Vorfall ebenfalls nicht grundlegend gefehlt; angesichts der Lautstärke des Abspielens waren die Liedtexte jedenfalls in der unmittelbaren Nachbarschaft deutlich vernehmbar. Schließlich durfte die Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidung über die Entlassung mitberücksichtigen, dass der Antragsteller auch im Übrigen - wie die ihm vorgehaltenen weiteren, bereits durch Verhängung einer einfachen Disziplinarmaßnahme (Disziplinarbuße) geahndeten Dienstpflichtverletzungen bestätigen - ein gestörtes Verhältnis zur Wahrung von Disziplin und Gehorsam in der Bundeswehr gezeigt hat. Dass die anderen Pflichtverletzungen jeweils für sich genommen schwerlich ausgereicht hätten, die streitige fristlose Entlassung maßgeblich zu tragen, ist hierfür bedeutungslos.
27b) Beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG steht die Entscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der für die Entlassung zuständigen Behörde. Dieses Ermessen ist hier fehlerfrei ausgeübt worden.
28Zwar wird das Wort kann" im vorliegenden Zusammenhang - soweit ersichtlich - als (echte) Ermessenseinräumung und damit nicht nur als Verdeutlichung der Übertragung einer Kompetenz angesehen.
29So zumindest im Ergebnis etwa BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 2 C 17.91 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 26. August 1999 - 12 A 2849/96 -, IÖD 2000, 101, und Juris.
30Gleichwohl handelt es sich hierbei nicht um die Einräumung eines umfassenden" Ermessens dergestalt, dass die Entlassungsbehörde gewissermaßen - ähnlich wie in einem Disziplinarverfahren - alle für und gegen den Verbleib des Zeitsoldaten im Dienst sprechenden Gesichtspunkte im Rahmen einer Gesamtwürdigung zusammentragen, gewichten und gegeneinander abwägen müsste. Dem stünde nämlich die besondere Zielrichtung bzw. Zweckbestimmung der in Rede stehenden Vorschrift entgegen.
31Alleiniger Zweck der fristlosen Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG ist es, eine - sich im Grunde bereits aus der Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift ergebende - drohende Gefahr für die Bundeswehr abzuwenden. Die fristlose Entlassung soll künftigen Schaden verhindern und dient in diesem Zusammenhang ausschließlich dem Schutz der Bundeswehr. Demgegenüber handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (bzw. eine vergleichbare Maßnahme). Sonach finden auf sie auch nicht die für Disziplinarmaßnahmen geltenden Grundsätze Anwendung und ist (auch im Übrigen) im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG kein Raum für Erwägungen darüber, ob die Sanktion der dienstlichen Verfehlung angemessen ist und ob der Soldat im Hinblick auf die Art und Schwere der Dienstpflichtverletzung noch tragbar oder untragbar ist. Die Frage der Angemessenheit des Eingriffs im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck ist hier in Gestalt einer Vorabbewertung durch den Gesetzgeber jedenfalls im Wesentlichen bereits durch die Vorschrift selbst - und zwar auf der Tatbestandsebene - konkretisiert worden. So setzt § 55 Abs. 5 SG mit der Begrenzung der Rechtsfolge auf Fälle einer ernstlichen" Gefährdung einen besonderen Gefährdungsgrad voraus; außerdem grenzt er in zeitlicher Hinsicht die Entlassungsmöglichkeit auf die ersten vier Dienstjahre ein. Für zusätzliche Erwägungen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist somit nach der Gesetzeskonzeption im Rahmen des § 55 Abs. 5 SG (grundsätzlich) kein Raum.
32Vgl. zum Ganzen: BVerwG, z. B. Urteile vom 31. Januar 1980 - 2 C 16.78 -, BVerwGE 59, 361, und vom 24. September 1992 - 2 C 17.91 -, a.a.O.
33Dies zugrunde gelegt, ist das Ermessen der zuständigen Behörde, beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vom Ausspruch der fristlosen Entlassung absehen zu können, trotz des Wortlauts kann" (und nicht soll") im Sinne einer sog. intendierten Entscheidung" auf besondere (Ausnahme- )Fälle zu beschränken,
34vgl. insbesondere Beschluss des Senats vom 20. Januar 2005 - 1 B 2009/04 -, a.a.O.; dazu auch OVG NRW, Urteil vom 26. August 1999 - 12 A 2849/96 -, a.a.O.; Bayerischer VGH, Urteil vom 25. Juli 2001 - 3 B 96.1876 -, Juris; VG Stade, Urteil vom 18. März 2004 - 3 A 1563/03 -, a.a.O.,
35und zwar solche, die der Gesetzgeber in seine vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsabwägung nicht schon einbezogen hat bzw. einbeziehen konnte, weil sie beispielsweise gerade den jeweils in Rede stehenden Fall völlig atypisch" prägen. In Konsequenz dessen gibt es auch keine generelle Verpflichtung der Behörde, in jedem einzelnen Falle im Rahmen der Begründung der Entlassungsverfügung bzw. des Beschwerdebescheides (zusätzliche) Ermessenserwägungen ausdrücklich anzustellen.
36Ebenso OVG NRW, Beschlüsse vom 6. November 1996 - 12 B 1525/96 - und vom 14. November 1996 - 12 B 1647/96 -.
37Es reicht vielmehr aus, dass sich die Behörde den Umständen nach des in atypischen Fällen gesetzlich eingeräumten Ermessens bewusst gewesen ist und sie etwa bestehende Besonderheiten (im obigen Sinne) - an denen es hier im Übrigen fehlt - zutreffend geprüft und verneint hat. Insoweit vermag der Senat indes keine durchgreifenden (erheblichen) Mängel der in Rede stehenden Bescheide zu erkennen. Solche werden insbesondere auch vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht aufgezeigt.
38Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber bemängelt, dass der Ermessensausübung ein Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, der wegen §§ 63 Abs. 4, 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr hätte berücksichtigt werden dürfen. Dies wird indes der dargelegten Normstruktur des § 55 Abs. 5 SG nicht gerecht. Die danach geforderte rechtliche Bewertung hat zwischen den für die Entlassung angeführten Gründen auf der Tatbestandsseite der Norm und dem nur noch für Ausnahmefälle eröffneten Ermessen zu unterscheiden. Hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht beanstandeten Berücksichtigung einer Vorverurteilung des Antragstellers gilt unter Beachtung dessen im Einzelnen folgendes:
39Die Begründung der Entlassungsverfügung vom 17. Mai 2005 lässt an keiner Stelle hervortreten, dass die Verurteilung des Antragstellers wegen Volksverhetzung aus dem Jahre 2000 bzw. die ihr zugrunde liegende Tat für die Entscheidung der Antragsgegnerin, den Antragsteller nach § 55 Abs. 5 SG zu entlassen, irgendeine Bedeutung gehabt hat.
40Bei dem Vorlagebericht des Kommandeurs Heerestruppenkommando vom 11. Juli 2005 betreffend die Nichtabhilfe der Beschwerde handelt es sich um ein rein verwaltungsinternes Schreiben, dem im Außenverhältnis keine maßgebliche Bedeutung zukommt. Auf den Text dieses Schreibens kann es daher jedenfalls dann nicht ankommen, wenn - wie hier - bereits der Inhalt der Bescheide selbst in Verbindung mit dem gerichtlichen Vorbringen der Antragsgegnerin hinreichenden Aufschluss über das tatsächlich Gewollte gibt.
41Im Rahmen der Begründung des Beschwerdebescheides des Befehlshabers I1. vom 15. Juli 2005 ist zwar folgende Formulierung enthalten:
42Außerdem besteht bei Ihnen aufgrund der Tatsache, dass Sie bereits wegen Volksverhetzung verurteilt wurden, die begründete Befürchtung, Sie werden weitere Dienstpflichtverletzungen begehen. ..."
43Diese Formulierung führt indes nicht auf einen Ermessensfehler. Sie ist als einzelne Textpassage nicht isoliert zu verstehen. Sie ist vielmehr im Gesamtzusammenhang der Begründung der Beschwerdeentscheidung zu würdigen. Danach ist vor allem zu bedenken, dass sie sich in einem Absatz befindet, welcher sich ausdrücklich damit befasst, ob der Antragsteller das Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung erfüllt. Der besagte Satz bezeichnet insofern einen Teilaspekt jener Rechtsprüfung, welcher selbstständig (außerdem") neben anderen in dem fraglichen Zusammenhang noch erwähnten Begründungsbestandteilen steht. Es geht folglich nicht um Fragen der Rechtsfolgenebene (Ermessen), sondern um solche des Tatbestands der Norm. Das steht in Einklang mit den obigen Ausführungen des Senats, denen zufolge die Verhältnismäßigkeitsprüfung weitestgehend durch die Subsumtion unter das hier in Rede stehende Tatbestandsmerkmal der ernstlichen Gefährdung vorweggenommen und für (weitere) Ermessenserwägungen nur ganz beschränkt Raum ist. Ob eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr besteht, unterliegt dabei der vollen Überprüfung durch die Gerichte. Wenn in den Bescheiden in diesem Zusammenhang auf (zusätzliche) Aspekte mit abgestellt wird, welche die Entscheidung ggf. nicht zu tragen vermögen, so bleibt dies im Ergebnis folgenlos, wenn - wie hier - das Tatbestandsmerkmal schon aus anderen Gründen erfüllt ist. Der auf diese Weise ausgeschiedene Aspekt wird hierdurch auch nicht zum Bestandteil von Erwägungen auf der Ermessensebene; er behält vielmehr die Zuordnung bei, die ihm die Behörde gegeben hat.
44Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdebegründung vom 18. Oktober 2005 keinen Zweifel daran gelassen hat, dass die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers wegen Volksverhetzung aus dem Jahre 2000 weder für die Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG noch überhaupt für die Frage, ob in diesem konkreten Fall eine Entlassung ausgesprochen werden soll, rechtserheblich gewesen ist. Zugleich hat sie klargestellt, dass hier ein atypischer Fall" nicht vorliege und es dementsprechend einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und -abwägung jenseits des Tatbestandsmerkmals der ernstlichen" Gefährdung gar nicht bedurft habe.
453. Die weitere, unabhängig von den Erfolgsaussichten der Hauptsache vorzunehmende allgemeine Interessen- und Folgenabwägung fällt ebenfalls zum Nachteil des Antragstellers aus. Das öffentliche, von der Antragsgegnerin vertretene Interesse, den Antragsteller möglichst ohne Aufschub aus dem Soldatenverhältnis zu entfernen, überwiegt deutlich die privaten Interessen des Antragstellers daran, vorläufig so gestellt zu bleiben, als habe sein aktives Soldatenverhältnis auf Zeit nicht durch eine fristlose Entlassung nach § 55 Abs. 5 SG geendet.
46Der Senat anerkennt in Fällen fristloser Entlassung gemäß § 55 Abs. 5 SG grundsätzlich ein erhebliches öffentliches Interesse daran, (begründet) befürchteten Auswirkungen auf die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr möglichst umgehend entgegenzutreten.
47Vgl. zuletzt Beschluss des Senats vom 7. Februar 2006 - 1 B 1659/05 -.
48Dies gilt zumal dann, wenn - wie hier - angesichts eines kurz bevorstehenden Endes der Dienstzeit im Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung ein (regelmäßig länger dauerndes) Hauptsacheverfahren nur sehr begrenzt bewirken kann, dass effektiv und sofort sichtbar ein Zeichen in die Richtung gesetzt wird, etwaige Nachahmungstäter abzuschrecken und hierdurch festgestellte negative Entwicklungen in Bezug auf das Verhalten der Bundeswehrsoldaten zu stoppen oder wenigstens zu begrenzen. Namentlich bei Verstößen gegen die Pflicht zur Verfassungstreue wäre es äußerst schädlich, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, die Bundeswehr würde sich bei der Lösung von den betroffenen Soldaten zögerlich verhalten.
49Demgegenüber wiegen die Folgen einer sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung für den Antragsteller deutlich geringer. Insbesondere drohen ihm keine endgültigen finanziellen Nachteile, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass die Entlassung rechtswidrig verfügt wurde. Dazu, dass er bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens vorläufig in eine außergewöhnliche, existenziell bedrohliche wirtschaftliche Lage geraten würde, hat der Antragsteller auch bei Einbeziehung der Angaben in seiner im Zusammenhang mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe abgegebenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ausreichendes nicht dargetan. Der Zwang, sich schon vor dem Ende der regulären Dienstzeit beruflich neu orientieren zu müssen und dabei zugleich das Risiko zu tragen, ggf. nicht sofort eine (dauerhafte) Beschäftigung zu erlangen, vermag jedenfalls hier das Gewicht der gegenüberstehenden öffentlichen Interessen bei weitem nicht zu erreichen. Die Entlassung erfolgte nämlich gerade einmal ca. 3 ½ Monate vor dem regulären Dienstzeitende. Schließlich kann bei der Bewertung des Gewichts der privaten Interessen des Antragstellers auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Entlassung hier entscheidend auf einem bewussten und in seinen persönlichen Verantwortungsbereich fallenden Verhalten beruht, über dessen mögliche Konsequenzen er sich - u.a. mit Blick auf die erteilte Belehrung über die Pflicht zur Verfassungstreue - hätte im Klaren sein müssen.
50Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
51Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2, 47 Abs. 1 GKG (vgl. Nr. 40.2 des Streitwertkataloges 2004); die Änderung der Festsetzung für das Verfahren erster Instanz findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.
52Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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