Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 1586/07
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung E. vom 10. Oktober 2006 und ihres Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2006 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt das beklagte Land.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Das beklagte Land darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die am 2. September 1961 geborene Klägerin besuchte nach dem Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife am 2. Juni 1980 zunächst die Fachhochschule I. - Fachrichtung Bekleidungstechnik. Zum Wintersemester 1984/85 nahm sie an der Universität I1. das Lehramtsstudium auf, das sie am 29. Mai 1989 mit der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen in der beruflichen Fachrichtung Bekleidungs- und Textilgewerbe und im Unterrichtsfach Sonderpädagogik abschloss.
3Ab April 1990 bis Dezember 2003 war die Klägerin in verschiedenen Unternehmen des Bekleidungssektors tätig. Von Dezember 1990 bis Dezember 1993 arbeitete sie zudem stundenweise als nebenberufliche Lehrkraft an der Fachschule für Bekleidungstechnik H. /T. . Am 2. Mai 2000 legte sie an der Fachhochschule I. die staatliche Diplomprüfung im Studiengang Bekleidungstechnik ab. Vom 19. April 2004 bis zum 21. Juli 2004 nahm sie eine Elternzeitvertretung am N. -M. -Berufskolleg in N1. wahr.
4Am 3. Juni 2004 bewarb sich die Klägerin als sogenannte Seiteneinsteigerin auf eine schulscharf ausgeschriebene Stelle am N. -M. -Berufskolleg in N1. im Fach Textil- und Bekleidungstechnik. Mit Bescheinigung vom 21. Juli 2004 erkannte die Bezirksregierung E. die von der Klägerin im Land Niedersachsen abgelegte Erste Staatsprüfung als Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Berufskollegs in der beruflichen Fachrichtung Textil- und Bekleidungstechnik und in dem Fach Wirtschaftslehre/Politik an.
5Mit Arbeitsvertrag vom 18. August 2004 wurde die Klägerin für die Zeit vom 30. August 2004 bis zum 5. September 2006 als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis eingestellt. In dem Arbeitsvertrag war vereinbart, dass die Befristung sachlich begründet sei zur Erprobung während der Weiterqualifizierungsmaßnahme, die die Befähigung zum Unterrichten in den Fächern Textil- und Bekleidungstechnik vermitteln und mit der Prüfung für das Zweite Staatsexamen für das Lehramt an berufsbildenden Schulen enden solle (§ 1). Die Klägerin werde im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses zum Land Nordrhein-Westfalen in den Vorbereitungsdienst für Lehrämter an Schulen aufgenommen, auf das die Ordnung des berufsbegleitenden Vorbereitungsdienstes und der Zweiten Staatsprüfung an Schulen (OVP-B) Anwendung finde. Gemäß § 5 OVP-B erhalte sie für die Absolvierung des Vorbereitungsdienstes sieben Anrechnungsstunden auf ihre Unterrichtsverpflichtung (§ 2). Die Klägerin werde dem N. -M. -Berufs-kolleg in N1. zugewiesen (§ 6). Bei Bewährung während der gesamten Vertragsdauer und Bestehen des Zweiten Staatsexamens werde der Klägerin ab dem 6. September 2006 ein Dauerbeschäftigungsverhältnis angeboten (§ 9).
6Die Klägerin nahm am 6. September 2004 ihren Dienst beim N. -M. - Berufskolleg auf.
7Am 28. August 2006 teilte der Vorsitzende der Prüfungskommission auf Anfrage der Bezirksregierung E. mit, die Klägerin habe die Prüfung im Rahmen der Weiterqualifizierungsmaßnahme bestanden. Der Schulleiter des N. -M. - Berufskollegs bestätigte am selben Tag telefonisch, dass die Klägerin sich auch an der Schule bewährt habe.
8Am 29. August 2006 wurde der Klägerin das Zeugnis über die Zweite Staatsprüfung für das Lehramt an Berufskollegs in den Fächern Textil- und Bekleidungstechnik und Wirtschaftslehre/Politik ausgehändigt.
9Durch Änderungsvertrag vom 1./15. September 2006 wurde sie mit Wirkung vom 6. September 2006 auf unbestimmte Zeit als Lehrkraft im Angestelltenverhältnis im Schuldienst des beklagten Landes weiterbeschäftigt (§ 1) und weiterhin dem N. - M. -Berufskolleg in N1. zugewiesen (§ 2).
10Mit Schreiben vom 28. September 2006 beantragte die Klägerin ihre Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe. Alle anderen Teilnehmer des berufsbegleitenden Vorbereitungsdienstes seien nach Bestehen der Zweiten Staatsprüfung in das Beamtenverhältnis auf Probe übernommen worden.
11Die Bezirksregierung E. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2006 unter Hinweis auf die Überschreitung der in den §§ 6 Abs. 1, 52 Abs. 1 LVO NRW festgelegten Höchstaltersgrenze von 35 Jahren für die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe ab. Eine Übernahme auf der Grundlage des sogenannten Mangelfacherlasses des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung vom 22. Dezember 2000 (Az.: 121-22/03 Nr. 1050/00), der eine Überschreitung der Altersgrenze um längstens zehn Jahre zulasse, komme nicht in Betracht. Die Klägerin habe nach Abschluss der Weiterqualifizierungsmaßnahme am 6. September 2006 das 45. Lebensjahr um vier Tage überschritten gehabt.
12Mit Schreiben vom 16. Oktober 2006 legte die Klägerin Widerspruch ein und wies darauf hin, dass der Arbeitsvertrag die Übernahme in ein Dauerbeschäftigungsverhältnis nach erfolgreichem Abschluss der Weiterqualifizierungsmaßnahme vorsehe und sie diese bereits am 29. August 2006 beendet habe.
13Mit Bescheid vom 23. Oktober 2006 wies die Bezirksregierung E. den Widerspruch zurück. Eine Übernahme in das Beamtenverhältnis schon zum 29. August 2006 sei nicht möglich gewesen, da nach dem Arbeitsvertrag Voraussetzung für die Weiterbeschäftigung neben dem Bestehen der Zweiten Staatsprüfung auch die Bewährung während der gesamten Vertragsdauer sei und die eine Laufzeit von mindestens zwei Jahren umfassende Weiterqualifizierungsmaßnahme zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig abgeschlossen gewesen sei. Aufgrund der Einführungswoche in der letzten Sommerferienwoche hätten die Arbeitsverträge eine Laufzeit von zwei Jahren und einer Woche. Daher sei der 6. September 2006 als frühestmöglicher Zeitpunkt für die Übernahme in ein Dauerbeschäftigungsverhältnis vertraglich vereinbart worden.
14Die Klägerin hat am 23. November 2006 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ihr Widerspruchsvorbringen vertiefend ausgeführt, ihre erfolgreiche Teilnahme an der Weiterqualifizierungsmaßnahme und damit auch ihre Bewährung habe bereits Ende August 2006 festgestanden, so dass eine Einstellung vor Erreichen des 45. Lebensjahrs möglich gewesen wäre. Eine starres Abstellen auf das Ende der Maßnahme zur Verwaltungsvereinfachung sei ermessenswidrig. Im Übrigen sei die Maßnahme bereits am 30. August 2006 beendet gewesen, da die Einführungswoche vom 31. August bis zum 3. September 2004 bereits Teil der Maßnahme gewesen sei. Unabhängig davon verstoße die Höchstaltersgrenze gegen die Richtlinie 2000/78/EG des Rates der Europäischen Union vom 27. November 2000, weil sie eine Diskriminierung wegen Alters beinhalte. Die Sicherstellung der gesetzlichen Mindestversorgung nach dem BeamtVG rechtfertige allenfalls eine Höchstaltersgrenze von 45 Jahren.
15Die Klägerin hat beantragt,
16das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung E. vom 10. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2006 zu verpflichten, über ihren Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe neu zu entscheiden.
17Das beklagte Land hat beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Es hat die Begründungen der angefochtenen Bescheide vertiefend vorgetragen, dass die Laufzeit der Verträge zur Teilnahme an der Weiterqualifizierungsmaßnahme für alle teilnehmenden Lehrkräfte gleichermaßen gelte. Der berufsbegleitende Vorbereitungsdienst dauere nach der OVP-B 24 Monate und werde in ständiger Verwaltungspraxis von einer Einführungswoche eingeleitet, so dass das Ende des befristeten Arbeitsvertrags auf den 5. September 2006 datiert worden sei. Die Entscheidung über das Dauerbeschäftigungsverhältnis erfolge dann am Tag nach Ablauf des 24monatigen Vorbereitungsdienstes - hier dem 6. September 2006. Ansonsten müsse in der kurzen Zeitspanne zwischen Aushändigung des Zeugnisses über die Zweite Staatsprüfung und Beginn des Dauerbeschäftigungsverhältnisses entschieden werden. Zudem variiere der Zeitpunkt der Zeugnisausgabe. Die Richtlinie 2000/78/EG sei bereits durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz umgesetzt. Eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters sei gemäß § 10 Satz 2 Nr. 3 AGG zulässig.
20Das Verwaltungsgericht E. hat die Klage mit Urteil vom 17. April 2007 abgewiesen. Die durch die §§ 6 Abs. 1, 52 Abs. 1 LVO NRW festgelegte Höchstaltersgrenze von 35 Jahren sei nach ständiger Rechtsprechung mit höherrangigem Verfassungsrecht vereinbar. Sie stehe ausweislich des Urteils des OVG NRW vom 15. März 2007 - 6 A 2007/04 - auch mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sowie dem europäischen Recht im Einklang. Die Klägerin habe ferner keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme nach § 84 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO NRW. Ermessensfehler ließen sich insoweit nicht feststellen. Zwar unterrichte die Klägerin ein Mangelfach im Sinne des sogenannten Mangelfacherlasses. Sie habe aber die danach zulässige Überschreitung der Höchstaltersgrenze um längstens zehn Jahre im Zeitpunkt ihrer Einstellung in ein unbefristetes Dauerbeschäftigungsverhältnis am 6. September 2006 um weitere vier Tage überschritten gehabt. Es sei nicht zu beanstanden, dass das beklagte Land in ständiger Verwaltungspraxis auf das Ende des befristeten Arbeitsvertrags beziehungsweise die Begründung eines Dauerbeschäftigungsverhältnisses abstelle und sich mit dem Beginn der Weiterqualifizierungsmaßnahme am Unterrichtszeitbeginn des jeweiligen Schuljahres orientiere. Diese Verfahrensweise sei aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinreichend sachlich gerechtfertigt. Ein Abstellen auf den individuellen Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung über das Bestehen der Zweiten Staatsprüfung würde hingegen zu Unwägbarkeiten und Zufällen führen.
21Gegen das dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 25. April 2007 zugestellte Urteil hat dieser am 22. Mai 2007 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 27. März 2008, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 1. April 2008, hat der Senat die Berufung zugelassen.
22Mit ihrer am 9. April 2008 bei Gericht eingegangenen Berufungsbegründung trägt die Klägerin vor, dass das Ausbildungsverhältnis nach § 5 Abs. 3 OVP-B bereits am 29. August 2008 mit dem Bestehen der Zweiten Staatsprüfung beendet gewesen sei und sie damit die Voraussetzungen für eine Verbeamtung ebenso wie nicht im Seiteneinstieg eingestellte Bewerber erfüllt habe. Bei der Überprüfung einer Ausnahme von der Höchstaltersgrenze gehe das beklagte Land zu Unrecht davon aus, dass kein Ermessensspielraum bestanden habe. Die in der mündlichen Verhandlung nachgeschobenen Erwägungen könnten den Ermessensfehler nicht heilen, da nach § 114 Satz 2 VwGO nur eine Ergänzung, nicht aber die erstmalige Ausübung des Ermessens im gerichtlichen Verfahren zulässig sei. Im Übrigen widerspreche eine Ermessensausübung, die zum materiellen Rechtsverlust führe, dem Zweck der Ermächtigung. Ein Rechtsverlust könne ferner nicht mit dem Bedürfnis nach Verwaltungsvereinfachung begründet werden. Unabhängig davon sei für die Frage, ob das Einstellungshöchstalter überschritten sei, nach § 84 Abs. 1 Satz 2 LVO NRW der Tag maßgeblich, an dem die Übernahme in das Beamtenverhältnis beantragt worden sei. Einen solchen Antrag habe die Klägerin - konkludent durch das Bestehen der Zweiten Staatsprüfung - vor Vollendung des 45. Lebensjahrs gestellt. Schließlich verstoße die Höchstaltersgrenze gegen die Richtlinie 2000/78/EG und das AGG, da mit ihr kein auf sachliche Gründe zurückzuführendes Ziel verfolgt werde. Es sei nicht ersichtlich, dass die Höchstaltersgrenze für die Gewährleistung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Dienstzeit und Versorgungsansprüchen erforderlich sei. Im Zusammenhang mit der Richtlinie 2000/78/EG stehe dem Verordnungsgeber auch kein Gestaltungsspielraum zu. Vielmehr müsse jede Maßnahme des Mitgliedsstaates für sich genommen angemessen sein. Ein Gestaltungsspielraum lasse sich ferner nicht mit Art. 70 Verf NRW vereinbaren, wonach der Gesetzgeber verpflichtet sei, im Gesetz selbst Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung zu bestimmen.
23Die Klägerin beantragt,
24das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem in der ersten Instanz gestellten Antrag zu erkennen.
25Das beklagte Land beantragt,
26die Berufung zurückzuweisen.
27Es trägt vor, dass mit der auch im Fall der Klägerin angewandten Verwaltungspraxis, sogenannte Seiteneinsteiger erst nach Beendigung der Gesamtqualifizierungsmaßnahme in ein Dauerbeschäftigungsverhältnis zu übernehmen, das Ermessen hinreichend ausgeübt sei. Anderenfalls hinge es vom Zufall des Prüfungstermins ab, ob ein Kandidat noch verbeamtet werden könne.
28Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes (Beiakte Heft 1) Bezug genommen.
29Entscheidungsgründe:
30Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
31Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass das beklagte Land über ihren Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entscheidet, denn der Bescheid der Bezirksregierung E. vom 10. Oktober 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2006 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
32Die Klägerin hat zwar die allgemeine Höchstaltersgrenze der §§ 6 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 LVO NRW, wonach als Laufbahnbewerber nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a) LVO NRW in das Beamtenverhältnis auf Probe nur eingestellt oder übernommen werden darf, wer das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, bereits am 2. September 1996 und damit über zehn Jahre vor ihrer unbefristeten Einstellung in den Schuldienst des beklagten Landes mit Wirkung vom 6. September 2006 überschritten. Das beklagte Land hat jedoch die Zulassung einer Ausnahme von der Höchstaltersgrenze nach § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO NRW in ermessensfehlerhafter Weise abgelehnt.
33Die Klägerin kann sich allerdings nicht auf den eine allgemeine Ausnahme zulassenden Runderlass des Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung - 121-22/03 Nr. 1050/00 - vom 22. Dezember 2000, zuletzt verlängert durch Runderlass des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 16. November 2004 - 211-1.12.03.03-973 -, (sogenannter Mangelfacherlass) berufen. Sie unterfällt nicht der durch Nr. I. dieses Erlasses eingeführten Verwaltungspraxis, Lehrern mit Mangelfächern ein Überschreiten der Altersgrenze um längstens zehn Jahre zu ermöglichen. Sie vertritt mit der beruflichen Fachrichtung Textil- und Bekleidungstechnik zwar ein in dem Erlass aufgeführtes Mangelfach für Bewerber für das Lehramt für die Sekundarstufe II an berufsbildenden Schulen. Die auf dem Erlass beruhende Verwaltungspraxis lässt jedoch nur ein Überschreiten der Altersgrenze um längstens zehn Jahre zu.
34Auf die Ausnahmeregelung des § 84 Abs. 1 Satz 2 LVO NRW kann sich die Klägerin in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht berufen. Danach gilt zwar eine Ausnahme von der Einhaltung der Höchstaltergrenze als erteilt, wenn der Bewerber an dem Tage, an dem er den Antrag auf Einstellung oder Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe gestellt hat, die Höchstaltergrenze nicht überschritten hatte und die Einstellung oder Übernahme innerhalb eines Jahres nach Antragstellung erfolgt. Diese Fiktionswirkung tritt jedoch nur bei Überschreitung der Regelaltergrenze - hier von 35 Jahren - ein. Eine Kumulation mit der Ausnahmemöglichkeit des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO NRW, hier durch den Mangelfacherlass, kommt nicht in Betracht. Das folgt bereits daraus, dass der Mangelfacherlass keine Erhöhung der Altersgrenze vorsieht, sondern lediglich deren Überschreitung gestattet.
35Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 198. Juni 1998 - 2 C 20.97 -, ZBR 1999, 22; OVG NRW Beschluss vom 2. Februar 1999 - 6 A 693/96 -, und Urteil vom 23. Mai 2007 - 6 A 4840/04 -, jeweils m.w.N.
36Zudem soll das auf der Grundlage des Erlasses ermöglichte Überschreiten der Altersgrenze ausdrücklich auch eventuellen Sondertatbeständen Rechnung tragen.
37Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Mai 2008 - 6 A 1996/07 -.
38Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Neubescheidung gleichwohl aus der Ausnahmevorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO NRW herleiten, weil das beklagte Land im Rahmen des ihm in Anwendung dieser Regelung zustehenden Ermessens wesentliche, aus der besonderen Ausnahmesituation der Klägerin herrührende Gesichtspunkte verkannt hat. Das Ermessen dieser weit gefassten, voraussetzungslosen Ausnahmevorschrift ist zwar regelmäßig durch den Mangelfacherlass und die darauf beruhende Verwaltungspraxis hinreichend ausgeübt. Daneben verbleibt der Behörde jedoch, falls im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, ein Ermessensspielraum. Die in diesem Zusammenhang von der Behörde angestellten Erwägungen müssen den allgemein für die Ausübung behördlichen Ermessens aufgestellten Anforderungen genügen.
39Bei der Handhabung der auf dem Mangelfacherlass beruhenden Verwaltungspraxis stellt das beklagte Land für die Frage der Überschreitung der Höchstaltersgrenze (um nicht mehr als zehn Jahre) im Grundsatz in rechtlich unbedenklicher Weise auf den Zeitpunkt der Begründung eines Dauerbeschäftigungsverhältnisses ab. Denn diese Verwaltungspraxis kann an die Regelung zur laufbahnbezogenen Regelaltersgrenze anknüpfen, für deren Einhaltung - wie sich aus § 52 Abs. 1 LVO NRW in Verbindung mit § 84 Abs. 1 Satz 2 LVO NRW ergibt - ebenfalls der Zeitpunkt der Übernahme in ein Dauerbeschäftigungsverhältnis maßgeblich ist.
40Auch wenn danach im Allgemeinen rechtlich bedenkenfrei auf die Begründung des Dauerbeschäftigungsverhältnisses bei der Entscheidung über die Einhaltung der Höchstaltersgrenze abgestellt werden darf, verkennt das beklagte Land hier mit der einschränkungslosen Anwendung dieses Prinzips in ermessensfehlerhafter Weise die besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles.
41Das beklagte Land hat sich bei seiner ablehnenden Entscheidung zunächst darauf gestützt, dass die Klägerin erst mit Ablauf des 5. September 2006 den vertraglich vereinbarten Zeitraum des befristeten Arbeitsverhältnisses durchlaufen und den 24monatigen Vorbereitungsdienst beendet habe. Diese rein formale Erwägung verfehlt den inneren Sinn des Arbeitsvertrages sowie des Vorbereitungsdienstes und ist mit den rechtlichen Vorgaben der OVP-B nicht in Einklang zu bringen.
42Der Arbeitsvertrag bietet die Grundlage für die Ableistung des berufsbegleitenden Vorbereitungsdienstes (§ 5 Abs. 1 Satz 1 OVP-B), der daneben in einem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis erfolgt (§ 5 Abs. 1 Satz 2 OVP- B). Ziel dessen mitsamt der dem Vertrag beigegebenen Befristung war die "Erprobung" der Klägerin und die Vermittlung "der Befähigung zum Unterrichten" sowie die Ablegung der Zweiten Staatsprüfung (vgl. § 1 Abs. 2 des Vertrages). Mit dem Erreichen dieser Ziele war also der Zweck des Vertrages einschließlich der Befristung erfüllt. Das kommt unmissverständlich in § 5 Abs. 3 OVP-B zum Ausdruck, wonach mit der schriftlichen Bekanntgabe der Entscheidung über das Bestehen der Prüfung der Vorbereitungsdienst und das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis enden.
43Der Klägerin ist das Zeugnis über das Bestehen der Zweiten Staatsprüfung am 29. August 2006 ausgehändigt worden. Die mit dem befristeten Arbeitsverhältnis als rechtliche Grundlage (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 OVP-B) des Vorbereitungsdienstes verbundenen Zwecke waren damit vollständig erfüllt. Ein hinreichender Grund, der Klägerin den Abschluss eines unbefristeten Dauerbeschäftigungsverhältnisses vorzuenthalten, bestand fortan nicht mehr.
44Hinzu kommt, dass eine Fortsetzung des befristeten Vertrages bis zu dem darin benannten Endzeitpunkt (5. September 2006), an den das beklagte Land anknüpft, mit den rechtlichen Vorgaben der OVP-B nicht in Einklang zu bringen ist. Nach § 7 Abs. 1 OVP-B dauert der Vorbereitungsdienst (nur) 24 Monate. Er kann verlängert (§ 7 Abs. 2 OVP-B) und "aus besonderen Gründen" auch verkürzt (§ 7 Abs. 3 OVP-B) werden. Die Einführungswoche, mit der der Vorbereitungsdienst hier auf zwei Jahre und eine Woche ausgedehnt worden ist, stellt mangels gegenteiliger Regelungen keinen solchen besonderen Grund dar.
45Die Ablehnung einer Ausnahme ist weiter darauf gestützt, dass aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität auf individuelle Besonderheiten keine Rücksicht genommen werden könne; für den Beginn des Dauerbeschäftigungsverhältnisses müsse daher der für alle Teilnehmer der Weiterqualifizierungsmaßnahme geltende Endzeitpunkt des auf zwei Jahre und eine Woche befristeten Vertrages herangezogen werden.
46Diese Argumentation ist hier nicht tragfähig. Dem beklagten Land waren alle für die Entscheidung über die Übernahme in ein Dauerbeschäftigungsverhältnis wesentlichen Umstände vor Ablauf der Vertragslaufzeit und damit auch vor Vollendung des 45. Lebensjahrs durch die Klägerin am 2. September 2006 bekannt. Am 28. August 2006 teilten der Vorsitzende der Prüfungskommission der Bezirksregierung E. auf deren Anfrage das Bestehen der Zweiten Staatsprüfung und der Schulleiter der Klägerin deren Bewährung mit. Die Aushändigung des Prüfungszeugnisses erfolgte am 29. August 2006. Auf dieser Grundlage hat das beklagte Land zudem bereits am 1. September 2006, also noch vor dem 45. Geburtstag der Klägerin, eine abschließende Entscheidung zu Gunsten einer Dauerbeschäftigung der Klägerin getroffen. Denn von diesem Tag datiert seine Unterschrift unter dem Änderungsvertrag. Dass das Erreichen der Altersgrenze zu diesem Zeitpunkt unmittelbar bevorstand, war dem beklagten Land seit über zwei Jahren bekannt, da sich die Klägerin als sogenannte Seiteneinsteigerin über diesen Zeitraum bereits im Schuldienst des beklagten Landes befunden hatte. Für einen Beginn der Dauerbeschäftigung erst am 6. September 2006 sind unter diesen Umständen weder Praktikabilitätserwägungen noch sonstige sachliche Gründe ersichtlich.
47Dass die Klägerin inzwischen das 47. Lebensjahr vollendet hat, steht dem Erfolg der Klage nicht entgegen. Im Wege einer Ausnahme § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LVO NRW lässt sich dem Umstand Rechnung tragen, dass die Übernahme der Klägerin in das Beamtenverhältnis auf Probe im Jahr 2006 auf Grund von rechtlich nicht tragfähigen Erwägungen unterblieben ist.
48Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 BRRG hierfür nicht gegeben sind.
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