Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 17 A 251/07
Tenor
Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit die Berufung zurückgenommen worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der am 1944 geborene Kläger ist Mitglied des beklagten Versorgungswerks. Er arbeitete als niedergelassener HNO-Arzt und führte zusätzlich ambulante Operationen in einem örtlichen Krankenhaus durch. Am 4. Dezember 2003 stellte er seine ärztliche Tätigkeit ein. Seit dem 1. Februar 2004 bezieht er von der Beklagten eine vorgezogene Altersrente.
3Bereits unter dem 15. September 2002 hatte er bei der Beklagten die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente beantragt, da er wegen psychischer Beschwerden (reaktive Depression und psychovegetativer Erschöpfungszustand, Depression mit Angstkrankheit) und chronischer Schmerzen im Bereich der gesamten Wirbelsäule nicht mehr zur Berufsausübung in der Lage sei. Dem Antrag waren diverse ärztliche Atteste, eine Auflistung von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit seit 1999 sowie eine Zusammenstellung der Medikation beigefügt.
4Die Beklagte beauftragte daraufhin die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin N. sowie die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie G. , beide Westfälisches Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in E. , mit einer psychiatrischen Begutachtung des Klägers. Diese legten unter dem 30. November 2002 ein fachpsychiatrisches Gutachten vor, in dem es zusammenfassend heißt: Es handele sich bei dem Kläger um eine akzentuierte Persönlichkeit mit zwanghaften Zügen. Neben den bekannten somatischen Beschwerden bestehe eine Tendenz zur Somatisierung. Die geschilderten Beschwerden und die damit verbundene Einschränkung der Arbeitsfähigkeit seien glaubhaft. Der Kläger könne den hohen Anforderungen, die an eine Tätigkeit als niedergelassener Facharzt zu stellen seien, nicht mehr in allen Punkten gerecht werden. Es sei von einer Einschränkung der Berufsfähigkeit auszugehen; eine vollständige Berufsunfähigkeit liege nicht vor. Eine ärztliche Tätigkeit mit reduzierter Stundenzahl und ausreichenden Pausen sei möglich. Zur Verbesserung der psychischen Beschwerden könne eine stationäre psychosomatische Rehabilitation mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt entscheidend beitragen.
5Mit Bescheid vom 9. Januar 2003 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Bezugnahme auf das vorgenannte Gutachten ab.
6Mit Widerspruch vom 15. Januar 2003 machte der Kläger geltend: Die Begründung des Ablehnungsbescheids befasse sich ausschließlich mit dem psychischen Aspekt seiner Erkrankung; die sonstigen Probleme orthopädischer, internistischer, neurologischer und HNO-bezogener Art blieben unberücksichtigt. Das eingeholte psychiatrische Gutachten sei unvollständig und lasse eine konkrete Beantwortung der im Gutachten aufgeworfenen Fragen vermissen. Die Begutachtung habe sich in einem etwa zweistündigen Gespräch erschöpft; psychiatrische Testverfahren seien nicht durchgeführt worden.
7Die daraufhin von der Beklagten um eine ergänzende Stellungnahme gebetenen Gutachterinnen führten unter dem 25. Februar 2003 unter anderem aus: Der Kläger sei in der Lage, täglich vier bis sechs Stunden einer ärztlichen Tätigkeit nachzugehen, wenn er diese Zeit durch ausreichende Pausen unterbreche. Eine Reduzierung der Belastung werde zu einer Verminderung von Ausfallzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit führen. Eine stationäre Rehabilitation mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt werde zur weiteren Verbesserung der Gesundheit beitragen. Von einer Testung sei abgesehen worden, da hiervon keine über den erhobenen psychischen Befund hinausgehende Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien.
8Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 17. Juni 2003, zugestellt am 20. Juni 2003, zurück.
9Der Kläger hat am 21. Juli 2003 Klage erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt:
10Das der Ablehnung des Rentenantrags zugrunde liegende Gutachten der Ärztinnen N. und G. sei unzulänglich. Es lasse eine nachvollziehbare neurologische, psychiatrische oder psychotherapeutische Diagnostik vermissen und schöpfe die Vorbefunde nicht aus. Der Ablehnungsbescheid sei auch deshalb rechtswidrig, weil er ausschließlich die psychiatrische Komponente des Gesundheitszustands des Klägers berücksichtige. Demgegenüber blieben seine orthopädischen, internistischen, neurologischen, kardiologischen und HNO-Beschwerden völlig außer Betracht.
11Zur Veranschaulichung seines Gesundheitszustands hat der Kläger zwei im Auftrag der SWISS LIFE, Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt, eingeholte Gutachten vorgelegt: Das fachorthopädische Gutachten des PD Dr. X. , Leitender Oberarzt der Orthopädischen Klinik des Universitätsklinikums E1. vom 22. September 2003 gelangt zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund einer erheblichen verschleißbedingten Veränderung der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule nurmehr leichte körperliche Tätigkeiten unter Vermeidung von Zwangshaltungen im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen ausüben könne. Zu einer Betätigung als HNO-Arzt sei er wegen der im Rahmen von Untersuchungen einzunehmenden Zwangshaltungen nicht in der Lage. Vollschichtig möglich seien allerdings aufsichtsführende Tätigkeiten. Das fachpsychiatrische Gutachten des PD Dr. T. , Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und der Assistenzärztin H. , beide Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität E1. , vom 24. Juni 2002 attestiert dem Kläger eine narzisstische Persönlichkeitsstörung mit zwanghaften Anteilen (ICD-10: F 60.8) sowie eine mittelgradig ausgeprägte depressive Störung mit somatischem Syndrom (ICD-10: F 32.11). Er empfinde seine Erkrankung erheblich schwerer als sie im fachkompetenten Fremdurteil erscheine. Die testpsychologische Untersuchung habe Hinweise auf eine Aggravationsneigung ergeben. Der Kläger sei aufgrund seiner psychischen Beschwerden auf 50 % seiner beruflichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Eine Fortsetzung der Berufstätigkeit im Umfang von ca. fünf Stunden täglich sei aus psychiatrisch- psychotherapeutischer Sicht möglich und wünschenswert. Eine Psychotherapie sei dringend indiziert, werde aber vom Kläger skeptisch beurteilt. Angesichts seiner „gering ausgeprägten Introspektionsfähigkeit“ in Bezug auf seine psychische Problematik sei zudem eine verhaltenstherapeutische Behandlung anzustreben.
12Der Kläger hat darüber hinaus diverse Stellungnahmen und Atteste der ihn behandelnden Ärzte Dr. H1. -I. (Facharzt für Inneres), Dr. G1. (Facharzt für Orthopädie) und Dipl.-med. A. (Facharzt für Psychiatrie) vorgelegt, die zu der übereinstimmenden Einschätzung gelangen, dass der Kläger seit Ende 2003 keinerlei ärztliche Tätigkeiten mehr ausüben könne. Er hat ferner zwei Entlassungsberichte über einen Aufenthalt in der Klinik und Poliklinik für Orthopädie des Universitätsklinikums F. in der Zeit vom 1. bis 10. Februar 2006 eingereicht.
13Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
14die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 9. Januar 2003 und ihres Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2003 zu verpflichten, ihm eine Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren.
15Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie hat vorgetragen:
18Der Kläger sei nicht berufsunfähig. Sein psychischer Zustand stehe ausweislich des Fachgutachtens der Ärztinnen N. und G. vom 30. November 2002 einer ärztlichen Tätigkeit mit reduzierter Stundenzahl nicht entgegen. Dies gelte auch unter Berücksichtigung seiner sonstigen Beschwerden, namentlich Tinnitus, Schwindel, orthopädischer Probleme und Schwerhörigkeit. Zumindest eine Tätigkeit als Aktengutachter, etwa bei Versicherungs- oder Versorgungsträgern, sei ihm möglich. Die im Verlauf des Gerichtsverfahrens vom Kläger vorgelegten weiteren ärztlichen Gutachten, Atteste und Bescheinigungen gäben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.
19Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 12. Dezember 2006, dem Kläger zugestellt am 22. Dezember 2006, mit der Begründung abgewiesen, dass eine Berufsunfähigkeit des Klägers im Sinne von § 10 Abs. 2 der Satzung des Beklagten nicht gegeben sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe Bezug genommen. Der Kläger hat gegen das Urteil Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, dem das erkennende Gericht in Hinblick auf die Verfahrensfehlerhaftigkeit der Ablehnung eines Beweisantrags stattgegeben hat.
20Mit seiner rechtzeitig begründeten Berufung macht der Kläger ergänzend geltend:
21Die dem angefochtenen Urteil maßgeblich zugrunde liegenden Gutachten N. /G. , PD Dr. X. und PD Dr. T. /H. seien mehrere Jahre alt und beträfen jeweils nur einen fachmedizinischen Aspekt. Sämtlichen Gutachten fehle eine interdisziplinäre Gesamtbeurteilung des multimorbiden Krankheitsbildes des Klägers. Eine solche Gesamtbeurteilung sei hingegen den Ärzten Dr. G1. , Dr. H1. -I. und Dipl.-med. A. aufgrund ihrer langjährigen Behandlung des Klägers und ihres interdisziplinär geführten Konsiliums möglich. Hiernach sei dem Kläger keinerlei ärztliche Tätigkeit mehr möglich, auch nicht als Aktengutachter oder unter Aufsicht. Das Verwaltungsgericht hätte die Stellungnahmen dieser Ärzte nicht ohne eine auf richterliche Vernehmung gegründete Glaubwürdigkeitsüberprüfung als Gefälligkeitsbescheinigungen qualifizieren dürfen. Der Kläger befinde sich weiterhin in regelmäßiger internistischer und psychiatrischer Behandlung. Darüber hinaus habe er sich wegen beidseitiger Hörstürze mehrere Wochen lang in einer Klinik ambulant behandeln lassen müssen. Seine orthopädischen Probleme hätten sich dramatisch verschlechtert; die genetisch bedingte Wirbelsäulenerkrankung sei nicht heilbar und schreite unaufhaltsam voran. Hinzu komme schließlich eine chronische Neuropathie im gesamten Hautbereich.
22Der Kläger beantragt unter Rücknahme der weitergehenden Berufung,
23das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom 9. Januar 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2003 zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Januar 2009 eine Berufsunfähigkeitsrente anstelle der vorgezogenen Altersrente zu gewähren,
24hilfsweise,
25den Facharzt für Orthopädie Dr. G1. dazu zu hören, dass er nunmehr beim Kläger einen Morbus Bechterew diagnostiziert hat und dieser schon vor dem 1. Januar 2004 vorgelegen hat.
26Die Beklagte beantragt,
27die Berufung zurückzuweisen.
28Sie macht sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zu eigen und hält das Vorbringen des Klägers zur zwischenzeitlichen weiteren Verschlechterung seines Gesundheitszustandes für unsubstanziiert.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
30Entscheidungsgründe:
31Soweit der Kläger die Berufung zurückgenommen hat, ist das Berufungsverfahren einzustellen, §§ 126 Abs. 1 Satz 1, 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Rücknahme betrifft den über den in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag hinausgehenden Teil des ursprünglichen Berufungsbegehrens. Dieses war – ebenso wie die Klage – in zeitlicher Hinsicht nicht eingegrenzt und daher auf eine Rentengewährung ab Antragstellung bei der Beklagten gerichtet. Die Beschränkung des Berufungsantrags trägt dem Umstand Rechnung, dass die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente vor Beginn des Monats nach Einstellung der gesamten ärztlichen Tätigkeit sowie nach Ablauf des Monats der Vollendung des 65. Lebensjahres von vornherein nicht in Betracht kommt, §§ 9 Abs. 1 Satz 4, 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 der Satzung der Beklagten vom 29. September 2001 (MBl. NRW 2002, S. 1047), zuletzt geändert durch Beschluss der Kammerversammlung vom 20. August 2008 (MBl. NRW 2008, 543) – VS –.
32Soweit über die Berufung zu entscheiden ist, ist sie nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der den Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ablehnende Bescheid der Beklagten vom 9. Januar 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2003 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger kann eine Berufsunfähigkeitsrente nicht beanspruchen.
331. Dem geltend gemachten Anspruch steht allerdings nicht schon die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 5 VS entgegen. Nach dieser Vorschrift wird neben der vorgezogenen Altersrente eine Berufsunfähigkeitsrente nicht gewährt. Zwar bezieht der Kläger seit dem 1. Februar 2004 eine vorgezogene Altersrente. Er begehrt die Berufsunfähigkeitsrente jedoch nicht neben, sondern anstelle der vorgezogenen Altersrente. Hiergegen ist aus Sicht der genannten Satzungsbestimmung, die einen kumulativen Bezug beider Versorgungsleistungen verhindern will, nichts zu erinnern.
34Dem Begehren steht auch nicht der mitgliedschaftsrechtliche Status des Klägers entgegen. Zwar ist es dem Bezieher einer vorgezogenen Altersrente grundsätzlich verwehrt, an ihrer Statt eine Berufsunfähigkeitsrente zu beanspruchen, wenn sich seine gesundheitlichen Verhältnisse während des Altersrentenbezuges verschlechtern. Darum geht es vorliegend jedoch nicht. Der Kläger hat den mit der Berufung weiterverfolgten Anspruch auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente bereits vor dem Bezugsbeginn der vorgezogenen Altersrente anhängig gemacht. Deren Beantragung und Gewährung sind konkludent unter die auflösende Bedingung einer gerichtlichen Zuerkennung der eingeklagten Berufsunfähigkeitsrente gestellt worden. Dies ergibt sich bei verständiger Würdigung aus der zwischen den Beteiligten getroffenen Abrede, wonach der Kläger im Falle eines Klageerfolgs den Differenzbetrag zwischen Berufsunfähigkeitsrente und vorgezogener Altersrente erhalten soll (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 5. Februar 2008).
352. Dem Kläger kann für den berufungsgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 31. Januar 2009 eine Berufsunfähigkeitsrente nicht gewährt werden, da die hierfür maßgeblichen satzungsmäßigen Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt sind.
36a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 VS hat jedes Mitglied der Beklagten, das für einen Monat seine Versorgungsabgabe geleistet hat, wenn der Versorgungsfall der Berufsunfähigkeit eingetreten ist, Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der Versorgungsfall eingetreten, wenn die Berufsunfähigkeit voraussichtlich auf Dauer oder vorübergehend eingetreten, die gesamte ärztliche Tätigkeit eingestellt und der Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente gestellt worden ist.
37Der Kläger hat als Mitglied der Beklagten für – mehr als – einen Monat eine Versorgungsabgabe geleistet, seine gesamte ärztliche Tätigkeit eingestellt und die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente beantragt. Indes fehlt es an der Voraussetzung der Berufsunfähigkeit.
38b) Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 VS ist ein Mitglied berufsunfähig, wenn seine Fähigkeit zur Ausübung jedweder ärztlicher Tätigkeit zur Einkommenserzielung, bei der die ärztliche Aus- und Weiterbildung ganz oder teilweise verwandt werden kann (Berufsfähigkeit), infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte vollständig entfallen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift ist dabei nicht zu berücksichtigen, ob die Berufsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt umgesetzt werden kann.
39Für die Beurteilung der Berufsfähigkeit des Klägers ist abzustellen auf seine gesundheitliche Situation im Zeitraum zwischen der Einstellung seiner ärztlichen Tätigkeit und dem Bezugsbeginn der vorgezogenen Altersrente. Vor der am 4. Dezember 2003 erfolgten Einstellung der ärztlichen Tätigkeit konnte der Versorgungsfall schon in Hinblick auf § 10 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VS nicht eintreten. Nach Beginn des Altersrentenbezugs am 1. Februar 2004 kommt eine etwaige Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes nicht mehr in Betracht. Denn der mit dem Bezug der vorgezogenen Altersrente vollzogene Statuswechsels eines Mitglieds schließt es – wie dargelegt – grundsätzlich aus, wegen in der Folgezeit erstmals auftretender Umstände ersatzweise eine Berufsunfähigkeitsrente in Anspruch zu nehmen. Der Kläger ist zwar aus den vorgenannten Gründen nicht gehindert, seine bereits vor Beginn des Altersrentenbezugs anhängig gemachte Klage auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente fortzuführen; er ist allerdings auf die Geltendmachung solcher Umstände beschränkt, die bis zu diesem Zeitpunkt vorlagen.
40Den vorliegenden ärztlichen Gutachten, Attesten und Bescheinigungen, auf deren beabsichtigte Verwertung bei der Entscheidungsfindung der Senat ausdrücklich hingewiesen hat, ist nicht zu entnehmen, dass in dem relevanten Zeitraum die Fähigkeit des Klägers zur Ausübung jedweder ärztlicher Tätigkeit zur Einkommenserzielung, bei der die ärztliche Aus- und Weiterbildung ganz oder teilweise hätte verwandt werden können, infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte vollständig entfallen war, § 10 Abs. 2 Satz 1 VS.
41aa) Dies gilt zunächst für die von ihm geklagten psychischen Probleme:
42(1) Die beiden vorliegenden fachpsychiatrischen Gutachten (N. /G. vom 30. November 2002 und PD Dr. T. /H. vom 24. Juni 2002) gelangen zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers infolge seiner psychischen Beschwerden eingeschränkt, aber nicht vollständig entfallen sei. Nach Einschätzung der Gutachterinnen N. und G. kann der Kläger weiterhin täglich vier bis sechs Stunden einer ärztlichen Tätigkeit nachgehen. Dem entspricht die Feststellung der Gutachter PD Dr. T. und H. , die Leistungsfähigkeit des Klägers sei auf 50 % beschränkt und ihm sei eine Fortführung der beruflichen Tätigkeit im Umfang von ca. fünf Stunden täglich zumutbar. Eine solche Teilzeitbeschäftigung wird darüber hinaus aus psychiatrischer Sicht als wünschenswert erachtet.
43Die Ergebnisse dieser Gutachten sind plausibel und nachvollziehbar. Sie beruhen auf einer Auswertung der jeweils vorliegenden Fremdbefunde sowie auf eigenen Untersuchungen der Gutachter. Dem Gutachten PD Dr. T. /H. liegt zudem ein testpsychologisches Zusatzgutachten zugrunde. Der Übereinstimmung der Gutachtensergebnisse kommt vor dem Hintergrund des Umstandes, dass das – erst im Klageverfahren vorgelegte – Gutachten PD Dr. T. /H. den Gutachterinnen N. und G. nicht bekannt war, besondere Aussagekraft zu.
44Die Plausibilität der Gutachtensergebnisse wird nicht in Frage gestellt durch die in dem ärztlichen Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie O. vom 10. Juli 2002 enthaltene Feststellung, „die gesamte Minderung der Erwerbsfähigkeit“ des Klägers liege „sicher über 80 %“. Abgesehen davon, dass diese „Gesamteinschätzung“ offenbar nicht nur die psychischen Leiden des Klägers, sondern auch seine in dem Attest aufgeführten sonstigen Beschwerden in den Blick nimmt, ist nicht erkennbar, ob der Aussteller des Attests eine mögliche Aggravationsneigung auf Seiten des Klägers – eine solche wird von den Gutachtern PD Dr. T. /H. diagnostiziert – in Betracht gezogen hat.
45Anhaltspunkte dafür, dass die im Juni bzw. November 2002 erstellten Gutachten für den vorliegend relevanten Zeitraum (Dezember 2003 / Januar 2004) keine Aktualität mehr beanspruchen könnten, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil belegt der Umstand, dass der Kläger das Gutachten PD Dr. T. /H. im November 2003 unaufgefordert zu den Gerichtsakten gereicht hat, dass er ihm zu jenem Zeitpunkt aktuelle Aussagekraft beigemessen hat.
46Die im gerichtlichen Verfahren des Weiteren vorgelegten fachärztlichen Befundberichte des Facharztes für Psychiatrie Dipl.-med. A. vom 7. August 2005 und 20. März 2006 geben keinen Anlass zu der Annahme, dass der Kläger in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitraum zur Ausübung jedweder ärztlichen Tätigkeit außerstande war. Die in dem letztgenannten Bericht aufgestellte Behauptung, er sei seit Ende 2003 berufsunfähig, lässt eine substanziierte Aussage darüber vermissen, welche der Tätigkeiten, für die der Kläger an sich nach seiner ärztlichen Vorbildung qualifiziert ist, ihm infolge des festgestellten Krankheitsbildes nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zugemutet werden können.
47(2) Eine – kontrafaktisch unterstellte – Berufsunfähigkeit des Klägers aus psychischen Gründen wäre im Übrigen nicht von dauerhafter Natur. Solange nicht alle zumutbaren Maßnahmen, die nach ärztlichem Urteil zur Wiederherstellung der Berufsfähigkeit nicht von vornherein ungeeignet erscheinen, ohne Erfolg ergriffen worden sind, lässt sich eine dauerhaft bestehende Berufsunfähigkeit nicht feststellen,
48vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 1997 – 25 A 5283/94 –.
49So liegt es hier. Der Kläger hat es unterlassen, den in den fachpsychiatrischen Gutachten ausgesprochenen Therapieempfehlungen nachzukommen. Die Gutachterinnen N. und G. hatten ausgeführt, dass zur Verbesserung der psychischen Beschwerden eine stationäre psychosomatische Rehabilitation mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt „entscheidend“ beitragen könne. Die Gutachter PD Dr. T. und H. hatten „dringenden“ Behandlungsbedarf gesehen und unter anderem eine Psychotherapie sowie – in Hinblick auf die gering ausgeprägte Introspektionsfähigkeit des Klägers in Bezug auf die eigene psychische Problematik – eine verhaltenstherapeutische Behandlung empfohlen; diese Therapieansätze seien geeignet, eine „deutliche“ Besserung des Zustandsbildes einschließlich einer Besserung der Leistungsfähigkeit herbeizuführen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger diese Empfehlungen aufgegriffen hätte; seinem Prozessbevollmächtigten war hiervon nichts bekannt.
50bb) Auch die orthopädischen Beeinträchtigungen des Klägers begründen keine Berufsunfähigkeit:
51Das fachorthopädische Gutachten des Leitenden Oberarztes der Orthopädischen Klinik des Universitätsklinikums E1. PD Dr. X. vom 22. September 2003 gelangt zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund einer erheblichen verschleißbedingten Veränderung der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule nurmehr leichte körperliche Tätigkeiten unter Vermeidung von Zwangshaltungen im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen ausüben könne. Zu einer Betätigung als HNO-Arzt sei er wegen der im Rahmen von Untersuchungen einzunehmenden Zwangshaltungen nicht in der Lage. Vollschichtig möglich seien ihm allerdings aufsichtsführende Tätigkeiten. Die Feststellungen des Gutachtens sind plausibel und nachvollziehbar. Sie beruhen auf einer Auswertung der vorliegenden Fremdbefunde sowie auf eigenen Untersuchungen des Gutachters. Einwände gegen die inhaltliche Richtigkeit des von ihm selbst unaufgefordert vorgelegten Gutachtens hat der Kläger nicht erhoben. Seine Aktualität auch in Bezug auf den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum steht nicht in Frage.
52Nach dem Gutachten ist davon auszugehen, dass die Fähigkeit des Klägers zur Fortführung seiner Tätigkeit als praktizierender HNO-Arzt aus orthopädischen Gründen dauerhaft entfallen ist. Dies entspricht den Feststellungen in dem fachorthopädischen Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. G1. vom 6. September 2002, demzufolge der Kläger dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, „den Anforderungen als niedergelassener Facharzt“ zu genügen und daher „seiner derzeitigen beruflichen Tätigkeit“ auch nicht mehr stundenweise nachkommen kann. Dem Gutachten von PD Dr. X. ist allerdings auch zu entnehmen, dass die orthopädischen Leiden den Kläger nicht hindern, leichte körperliche Tätigkeiten unter Vermeidung von Zwangshaltungen im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen auszuüben. Einer Betätigung als angestellter oder freiberuflicher Aktengutachter etwa bei Versicherungs- oder Versorgungsträgern, die sowohl an einem Schreibtisch als auch an einem Stehpult ausgeübt und durch Gehpausen unterbrochen werden kann, stand damit nichts im Wege.
53Gegenteiliges lässt sich nicht dem weiteren fachorthopädischen Attest von Dr. G1. vom 18. April 2006 entnehmen. Die dort enthaltene Feststellung, dem Kläger sei seit Ende 2003 jedwede ärztliche Tätigkeit zur Einkommenserzielung einschließlich „Schreibtisch- und Gutachtertätigkeiten“ nicht mehr möglich, ist schon nicht hinreichend sustanziiert, da sie sich nicht mit der Frage auseinandersetzt, ob eine Tätigkeit in zeitlich reduziertem Umfang und mit variabler Körperhaltung (Sitzen, Stehen, Gehen) in Betracht kommt. Abgesehen davon deutet die gegenwartsbezogene Bezugnahme auf eine „inzwischen“ eingetretene Schmerzchronifizierung darauf hin, dass der ärztlichen Einschätzung auch der weitere Krankheitsverlauf nach Bezugsbeginn der vorgezogenen Altersrente zugrunde liegt, der aus den eingangs genannten Gründen außer Betracht zu bleiben hat.
54Dem in der Berufungsverhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag auf Vernehmung von Dr. G1. zu der Behauptung, dass er nunmehr beim Kläger einen Morbus Bechterew diagnostiziert habe, der bereits vor dem 1. Januar 2004 vorgelegen habe, war nicht zu entsprechen. Es erscheint schon zweifelhaft, ob die unter Beweis gestellte Behauptung überhaupt hinreichend substanziiert ist, da insoweit kein Attest vorgelegt, sondern lediglich auf ein im Juni 2009 geführtes Telefonat zwischen Dr. G1. und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Bezug genommen worden ist. Jedenfalls ist die Beweisbehauptung unerheblich, da es für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger im hier relevanten Zeitraum berufsunfähig war, nicht darauf ankommt, ob für das als solches feststehende orthopädische Beschwerdebild – auch – ein etwaiger, über fast sechs Jahren unerkannt gebliebener Morbus Bechterew verantwortlich ist.
55cc) Schließlich führen auch die internistischen und HNO-bezogenen Beeinträchtigungen des Klägers nicht auf eine Berufsunfähigkeit:
56Die von ihm vorgelegten Stellungnahmen des Facharztes für Inneres Dr. H1. -I. vom 4. Dezember 2002 und 6. November 2003 diagnostizieren eine Vielzahl unterschiedlicher Beschwerden, ohne eine Aussage darüber zu treffen, ob und ggf. inwieweit sie den Kläger an der Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit zum Zwecke der Einkommenserzielung hindern. Eine diesbezügliche Aussage enthält erstmals die – nach Ablauf des hier relevanten Beurteilungszeitraums ausgestellte – ärztliche Bescheinigung vom 11. August 2005, in der es heißt, dass dem Kläger „eine annähernd regelmäßige Berufstätigkeit als freiberuflicher HNO-Arzt nicht mehr möglich“ sei. Dass ihm aus gesundheitlichen Gründen auch eine Tätigkeit als Aktengutachter nicht zumutbar wäre, lässt sich hieraus nicht entnehmen. Derartiges wird erst in der weiteren Bescheinigung vom 10. April 2006 behauptet, und zwar bezogen auf die Zeit seit Ende 2003. Ein sachlicher Grund für diese Modifizierung der Einschätzung ist nicht erkennbar. Auch wird nicht mit der erforderlichen Substanziiertheit dargelegt, aus welchen konkreten Gründen dem Kläger jedwede ärztliche Tätigkeit zur Einkommenserzielung, auch auf Teilzeitbasis, unmöglich sein soll. Angesichts dessen gibt der Inhalt der Bescheinigung auch keinen Anlass zur Einholung eines internistischen oder / und HNO- bezogenen Gutachtens von Amts wegen.
57Im Übrigen sind die geklagten Beschwerden ausweislich der Stellungnahme des Dr. H1. -I. vom 6. November 2003 teilweise psychosomatischer Natur. Auch insoweit muss sich der Kläger vorhalten lassen, dass er ihm von fachärztlicher Seite aufgezeigte erfolgsversprechende Strategien zur Verbesserung seines psychischen Zustandes ungenutzt gelassen hat.
58dd) Eine Gesamtbetrachtung des multimorbiden Krankheitsbildes des Klägers ergibt ebenfalls nicht, dass er in dem für die Beurteilung maßgeblichen Zeitraum berufsunfähig gewesen wäre. Nach den vorliegenden Erkenntnissen standen die Beeinträchtigungen auf psychischem und orthopädischem Gebiet einer beruflichen Tätigkeit von täglich vier bis sechs Stunden im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen nicht entgegen; Anhaltspunkte für eine weitergehende Einschränkung aufgrund der internistischen und HNO-bezogenen Beschwerden bestehen nicht. Der Kläger hätte mithin zur Einkommenserzielung eine Teilzeittätigkeit als ärztlicher Aktengutachter ausüben können.
59Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 2 VwGO.
60Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
61Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 VwGO nicht vorliegen.
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