Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1524/08
Tenor
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurück¬ge¬wiesen, dass der Tenor des angefochtenen Ur¬teils im Hauptausspruch wie folgt neu gefasst wird:
Der Beklagte wird unter Abänderung der Leis-tungsmitteilungen vom 9. Mai 2006, 7. Juni 2006, 7. Juli 2006, 9. August 2006 und 1. September 2006 und unter Aufhebung des Widerspruchsbe¬scheides vom 5. Oktober 2006 verpflichtet, der Klägerin weitere Beihilfen unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennen¬den Senats zu gewähren.
Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz tra¬gen der Beklagte zu ¾ und die Klägerin zu ¼.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig voll-streckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages ab¬wenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungs¬gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten um Beihilfeleistungen ("Zuschüsse") zu den der vormaligen Klägerin im Zeitraum von Februar bis August 2006 entstandenen pflegebedingten Aufwendungen in Höhe der den Pauschalbetrag der Pflegestufe II übersteigenden Kosten.
3Die am 3. Februar 1922 geborene und am 30. August 2008 verstorbene vormalige Klägerin war die Witwe des im Oktober 1987 verstorbenen Bahnbeamten F. C. . Sie befand sich seit dem 4. November 2005 in stationärer Pflege im Caritashaus St. I. in S. , einer nach § 72 SGB XI zugelassenen Pflegeeinrichtung. Seit Februar 2006 war sie der Pflegestufe II zugeordnet.
4Die ab Februar 2006 in Rechnung gestellten monatlichen Pflegeleistungen der Stufe II erkannte die Krankenversorgung der Bundesbahn bis zu einer Höhe von 1.279,- Euro als angemessene Aufwendungen an und erstattet hiervon zum einen 70 v.H. nach den "Richtlinien für die Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen bei dauernder Pflege (BEV-RiPfl)" und zum anderen 30 v.H. im Rahmen der privaten Pflegeversicherung. Die vormalige Klägerin hatte danach im streitigen Zeitraum von den angefallenen monatlichen Pflegekosten in Höhe von durchschnittlich 1.805,88 Euro nach Erstattung des genannten Betrages von 1.279,- Euro durch die Beihilfe und die private Pflegeversicherung monatlich durchschnittlich 526,88 Euro der entstandenen Pflegekosten selbst zu tragen (vgl. nachfolgende Tabelle).
5Monatliche Pflegekosten und – erstattungen der vormaligen Klägerin im streitigen Zeitraum von Februar bis August 2006 in Euro:
6
2006 | Pflegekosten | Erstattungen Beihilfe | Erstattungen Pflegeversicherung | Verbleibende Pflegekosten |
Februar | 1.667.96 | 895,30 | 383,70 | 388,96 |
März | 1.846,67 | 895,30 | 383,70 | 567,67 |
April | 1.787,10 | 895,30 | 383,70 | 508,10 |
Mai | 1.849,77 | 895,30 | 383,70 | 570,77 |
Juni | 1.790.10 | 895,30 | 383,70 | 511,10 |
Juli | 1.849,77 | 895,30 | 383,70 | 570,77 |
August | 1.849,77 | 895,30 | 383,70 | 570,77 |
Gesamt | 12.641,14 | 6.267,10 | 2.685,90 | 3.688,14 |
Durchschnittliche monatliche Kosten | 1.805,88 | 526,88 |
7
Zu weiteren Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich der Investitionskosten, welche sich im streitigen Zeitraum auf monatlich durchschnittlich 1.121,08 Euro beliefen, erhielt die vormalige Klägerin nach Abzug des gewährten Pflegewohngeldes in Höhe von monatlich 287,43 Euro (Februar bis April 2006) bzw. 285,34 Euro (Mai bis August 2006) und in Abhängigkeit von ihrem Bruttoeinkommen (monatlich 1.545,48 Euro – 1.096,57 Euro Hinderbliebenenversorgung, 209,18 Euro und 239,73 Euro Rentenzahlbeträge – abzüglich des Beitragszuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 27,99 Euro = 1.517,58 Euro) von der Beihilfestelle einen monatlichen Zuschuss in unterschiedlicher Höhe (vgl. nachfolgende Tabelle).
8Monatliche Unterhalts-, Verpflegungs- und Investitionskosten und – erstattungen der vormaligen Klägerin im streitigen Zeitraum von Februar bis August 2006 in Euro:
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2006 | Unterkunft, Verpflegung, Investitionskosten (UVI) | Pflegewohngeld | Erstattungen Beihilfe | Verbleibende Kosten (UVI) |
Februar | 1.032,08 | 287,43 | --- | 744,65 |
März | 1.142,66 | 287,43 | 80,42 | 774,81 |
April | 1.105,80 | 287,43 | 43,56 | 774,81 |
Mai | 1.151,03 | 285,34 | 88,79 | 776,90 |
Juni | 1.113,90 | 285,34 | 51,66 | 776,90 |
Juli | 1.151,03 | 285,34 | 88,79 | 776,90 |
August | 1.151,03 | 285,34 | 88,79 | 776,90 |
Gesamt | 7.847,53 | 2.003,65 | 442,01 | 5.401,87 |
Durchschnittliche monatliche Beträge | 1.121,08 | 286,24 | 63,14 | 771,70 |
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Gegen die "Erstattungsmitteilungen zu Pflegeleistungen" für die hier streitigen sieben Monate Februar bis August 2006 vom
119. Mai 2006 (Pflegeleistungen Februar bis April 2006),
127. Juni 2006 (Pflegeleistungen Mai 2006),
137. Juli 2006 (Pflegeleistungen Juni 2006),
149. August 2006 (Pflegeleistungen Juli 2006) und
151. September 2006 (Pflegeleistungen August 2006)
16legte die vormalige Klägerin Widersprüche ein.
17Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2006 wies die Beklagte diese als nicht begründet zurück.
18Hiergegen hat die vormalige Klägerin am 1. November 2006 Klage erhoben.
19Sie hat ihre im Verwaltungsverfahren vertretene Auffassung wiederholt, dass die Deckelung der monatlichen Erstattungsbeträge für Pflegeleistungen rechtswidrig sei, da sie dazu führe, dass sie – die vormalige Klägerin – (wie vermeintlich angenommen) auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sei.
20Die vormalige Klägerin hat beantragt,
21den Beklagten unter Änderung der Leistungsmitteilungen vom 9. Mai 2006, 7. Juni 2006, 7. Juli 2006, 9. August 2006 und 1. September 2006 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 zu verpflichten, ihr, der vormaligen Klägerin, weitere 3.688,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
22hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
23Der Beklagte hat beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Er hat die Begrenzung der Beihilfefähigkeit von pflegebedingten Aufwendungen auf einen "gedeckelten Betrag" für rechtmäßig erachtet und auf das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. September 2003 – 5 LC 134/03 – verwiesen.
26Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht der Klage insoweit stattgegeben, dass der Beklagte unter Änderung der streitgegenständlichen Bescheide verpflichtet wird, die geltend gemachten klägerischen Anträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die vormalige Klägerin habe einen Anspruch auf Neubescheidung ihrer Anträge auf Gewährung eines Zuschusses zu ihren pflegebedingten Aufwendungen für die Monate Februar bis August 2006, soweit in den streitgegenständlichen Bescheiden ein weiterer Zuschuss zu den pflegebedingten Aufwendungen abgelehnt worden sei. Auch wenn festzuhalten sei, dass die vormalige Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf Gewährung eines höheren als des gewährten Zuschusses zu ihren Pflegeaufwendungen nicht auf Nr. 6.10 BEV-RiPfl stützen könne, habe die Klage zum Teil Erfolg, denn die Begrenzung des Zuschusses werde dem verfassungsrechtlich geschützten Kern der Fürsorgepflicht nicht gerecht. Eine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht ergebe sich daraus, dass die vormalige Klägerin durch die krankheits bzw. pflegebedingten Aufwendungen zumindest seit ihrer Einstufung in die Pflegestufe II in ihrer Lebensführung so einschränkt werde, dass diese nicht mehr alimentationsgerecht sei.
27Gegen das am 5. Mai 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 3. Juni 2008 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und - mit Schriftsatz vom 17. Juni 2008, zugestellt am 21. Juni 2008 - zur Begründung ausgeführt: Das Verwaltungsgericht gehe rechtsfehlerhaft von der Annahme aus, dass der Wesenskern der Fürsorgepflicht verletzt sei, denn das hier realisierte Pflegerisiko sei durch eine Pflegezusatzversicherung versicherbar und insofern der Sphäre des jeweiligen Beamten zuzuordnen. Die vormalige Klägerin sei mithin auf die Leistungen nach dem SGB XII zu verweisen gewesen.
28Der Beklagte beantragt,
29das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
30Die vormalige Klägerin hat am 8. Juli 2008 Anschlussberufung eingelegt und beantragt,
31die Berufung des Beklagten zurückzuweisen
32und
33auf die Anschlussberufung das Urteil zu ändern und den Beklagten über den bereits zugesprochenen Anspruch hinaus zu verpflichten, der Klägerin eine Beihilfe in Höhe von 3.688,14 Euro zu gewähren und ihn zu verurteilen, aus diesem Betrag Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung (1. November 2006) zu zahlen.
34Zur Begründung macht sie geltend, dass die hier angewandten Hinweise zu den "Richtlinien für die Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen bei dauernder Pflege (BEV-RiPfl)" formell rechtswidrig seien. Denn es sei bereits nicht erkennbar, wer auf welcher Grundlage diese Hinweise erlassen habe. Die Deckelung der Pflegesätze unter Verweis auf die Regelungen zur gesetzlichen Pflegeversicherung sei systemwidrig und realitätsfern. Sie, die vormalige Klägerin, habe zudem nicht auf Leistungen nach dem SGB XII verwiesen werden dürfen. Sie sei auch nicht verpflichtet und wohl kaum dazu in der Lage gewesen, Rücklagen zu bilden oder eine private Pflegezusatzversicherung abzuschließen. Letztlich sei der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung gerechtfertigt, da hier allein eine bezifferbare Zahlung der anteiligen Pflegeheimkosten in Betracht komme.
35Der Beklagte beantragt,
36die Anschlussberufung zurückzuweisen.
37Unter dem 9. Mai 2009 hat die Prozessbevollmächtigte der vormaligen Klägerin mitgeteilt, dass diese am 30. August 2008 verstorben sei und ihre Tochter als Alleinerbin das Verfahren fortführe.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (2 Hefte) Bezug genommen.
39Entscheidungsgründe
40Die Berufung des Beklagten wie auch die Anschlussberufung der (nunmehrigen) Klägerin haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht (nur) teilweise stattgegeben. Denn die Klage ist – auch unter Berücksichtigung der Klageänderung in zweiter Instanz – zulässig und allein in dem vom Verwaltungsgericht tenorierten Umfang eines Anspruchs auf Neubescheidung begründet. Die hierfür maßgeblichen Gründe ergeben sich aus den nachfolgenden Erwägungen des Senats; dies führte zwangsläufig zu der im Entscheidungssatz enthaltenen "Maßgabe".
41I.
42Die Klage ist zulässig.
43Zwar liegt in der Fortführung des Rechtsstreits durch die Klägerin eine Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO, weil die ursprünglich geltend gemachten Beihilfeansprüche mit dem Tod der vormaligen Klägerin am 30. August 2008 untergegangen und nicht etwa auf die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Alleinerbin und damit Gesamtrechtsnachfolgerin (§ 1922 Abs. 1 BGB) der Verstorbenen übergegangen sind (vgl. Nr. 1.2 Satz 2, 2.HS der Richtlinien für die Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen bei dauernder Pflege (BEV-RiPfl)). Denn die hier streitigen Beihilfeleistungen wurden nicht vor dem Erbfall bewilligt. Die Klägerin macht insofern einen ihr kraft ausdrücklicher beihilferechtlicher Regelung (vgl. Nr. 4.1 BEV-RiPfl) zustehenden eigenständigen Beihilfeanspruch geltend.
44Vgl. Urteil des Senats vom 19. November 1981 – 1 A 1450/80 – (rechtskräftig), DÖD 1982, 181 m.w.N.
45Eine Klageänderung liegt damit aus zwei Gründen vor: Zum einen mit Blick auf den Wechsel in der Person des Klägers, zum anderen wegen der Auswechselung des Streitgegenstandes. Nach § 91 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 VwGO ist diese Klageänderung aber zulässig. Dies folgt zum einen daraus, dass sich der Beklagte auf die geänderte Klage widerspruchslos eingelassen hat. Unabhängig davon ist die Klageänderung zum anderen deswegen zulässig, weil sie sachdienlich ist. Denn sie ist geeignet, den zwischen den Beteiligten bestehenden Streit auszuräumen und einem neuen Prozess vorzubeugen, ohne dass eine wesentliche Änderung des Streitstoffes vorläge.
46Der Zulässigkeit der geänderten Klage steht nicht entgegen, dass die (nunmehrige) Klägerin die mit der Klage verfolgten Beihilfeansprüche nicht vor Klageerhebung bei dem Beklagten geltend gemacht hat. Denn vor Erhebung einer Klage aus einem Beamtenverhältnis, in welchem – wie hier – bereits ein Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) für den inhaltlich übereinstimmenden Antrag der vormaligen Klägerin durchlaufen wurde, würde eine erneute Antragstellung die ihr zugedachte Schutzfunktion nicht mehr erfüllen können und sich mithin in bloßem Formalismus erwachsen, der zudem den Grundsätzen der Verwaltungspraktikabilität und der zügigen Durchführung von Verfahren widerspräche.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2001 – 2 C 48/00 –, juris, Rn. 16 sowie Urteil des Senats vom 19. November 1981 – 1 A 1450/80 – (rechtskräftig), a.a.O.
48Denn das Antragserfordernis beruht nach der dazu ergangenen Rechtsprechung vornehmlich auf der Erwägung, dass eine vorherige Antragstellung der Behörde die Möglichkeit gibt, die Angelegenheit innerhalb des üblichen Verwaltungsverfahrens prüfen zu können, ohne dem mit einem gerichtlichen Verwaltungsstreitverfahren typischerweise verbundenen Zeitdruck und Kostenrisiko ausgesetzt zu sein. Dies rechtfertigt die Verweisung des Bürgers auf die Durchführung eines erneuten Antragsverfahrens ausnahmsweise aber eben dann nicht, wenn der neue Antrag lediglich geringfügige Änderungen mit sich bringt und der Behörde eine sofortige Entscheidung möglich ist.
49Im vorliegenden Fall ist es so, dass die von der Klägerin geltend gemachten Beihilfeansprüche zwar rechtlich eigenständig, aber materiell identisch mit den von ihrer verstorbenen Mutter und vormaligen Klägerin geltend gemachten Ansprüchen sind. Der Beklagte hat sich daher der Sache nach auch außerhalb des Verwaltungsstreitverfahrens bereits ausgiebig mit der Angelegenheit befasst, sodass eine nochmalige Antragstellung, hier also eine solche durch die nunmehrige Klägerin, die diesem Verfahrenserfordernis zugedachte Schutzfunktion nicht mehr erfüllen könnte. Ist demnach vorliegend ein Antrag der Klägerin vor Klageerhebung auf Grund der benannten Besonderheiten des Falles nicht erforderlich gewesen, muss jedenfalls aus Gründen der bereits erfolgten Vorbefassung der zuständigen Behörde mit der Sache auch unerheblich sein, dass ein Vorverfahren bezüglich des nunmehr geltend gemachten Anspruchs ebenfalls nicht stattgefunden hat. Denn insofern besteht gleichermaßen kein Bedürfnis, dass in der Person der vormaligen Klägerin bereits durchgeführte Widerspruchsverfahren hier allein deswegen zu wiederholen, weil ein Beteiligtenwechsel auf der Klägerseite stattgefunden hat.
50Vgl. auch hierzu im Allgemeinen Urteil des Senats vom 19. November 1981 – 1 A 1450/80 – (rechtskräftig), DÖD 1982, 181 m.w.N.
51II.
52Die zulässige Verpflichtungsklage ist teilweise begründet.
53Die Klägerin hat – soweit eine über die gewährten Beihilfen hinausgehende Erstattung abgelehnt worden ist – einen Anspruch auf Neubescheidung der Beihilfeanträge, welche die Erstattung der für die stationäre Pflege der vormaligen Klägerin im Zeitraum von Februar bis August 2006 entstandenen finanziellen Aufwendungen (Pflegekosten) betrafen. Denn die als "Erstattungsmitteilungen zu Pflegeleistungen" bezeichneten Bescheide des Beklagten vom 9. Mai 2006, 7. Juni 2006, 7. Juli 2006, 9. August 2006 und 1. September 2006 sowie der Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 2006 sind, soweit dort weitergehende als die bewilligten Zuschüsse abgelehnt worden sind, rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Ein Anspruch auf die in erster Linie begehrte Gewährung weiterer Beihilfe in Höhe von insgesamt 3.688,14 Euro besteht dagegen mangels Spruchreife nicht. Hiervon ausgehend ist für den ergänzend geltend gemachten Anspruch auf Prozesszinsen ebenfalls kein Raum.
541.
55Bei sachgerechter Auslegung des Klagebegehrens handelt es sich unter Beachtung des vom Bund als Dienstherrn seinerzeit wie heute praktizierten "Mischsystems" von Beihilfeleistungen einerseits und allgemeinen Alimentationsleistungen zur Eigenvorsorge andererseits vorliegend allein um eine beihilferechtliche Streitigkeit.
56Insoweit ist zunächst die Wechselbezüglichkeit zwischen allgemeinen Alimentationsleistungen zur Eigenvorsorge und Fürsorgeleistungen in den Blick zu nehmen. Die Dienstherren in Bund und Ländern erfüllen nach der geltenden Rechtslage die Verpflichtung zur amtsangemessenen Alimentation (Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz - GG -) durch ein "Mischsystem", das in erster Linie den Beamten (und Richtern) aufgibt, selbst Vorsorge für Krankheits-, Pflege-, Geburts- oder Todesfälle zu treffen, wobei es ihnen grundsätzlich überlassen bleibt, wie sie die im Beihilferecht vorausgesetzte - Eigenvorsorge bewerkstelligen. Der Besoldungsgesetzgeber stellt dem Beamten insoweit im Rahmen der allgemeinen Alimentationsleistungen lediglich einen Durchschnittssatz zur Verfügung, mit dem er den von der Beihilfe nicht abgedeckten Teil der im Krankheitsfalle zu erwartenden Aufwendungen begleichen kann (und soll). Die Beihilfe ergänzt somit nach der ihr derzeit und zugleich in dem hier maßgeblichen Zeitraum des Entstehens der streitgegenständlichen Aufwendungen zugrunde liegenden Konzeption - welche Besoldungs- wie Fürsorgegeber bis zu einem Systemwechsel zu beachten haben - die Alimentation. Das bedeutet, dass beide Leistungen wechselseitig aufeinander bezogen sind. Die Beihilfe ist eine Hilfeleistung, die zu der zumutbaren Eigenvorsorge des Beamten in angemessenem Umfang hinzutritt, um ihm seine wirtschaftliche Lage in einer der Fürsorgepflicht entsprechenden Weise durch Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln zu erleichtern (einfach-rechtlicher Grundsatz der Nachrangigkeit der Beihilfe). Innerhalb des dargestellten Mischsystems genügt der Dienstherr den Anforderungen der Fürsorgepflicht, wenn er sicherstellt, dass der Beamte in den genannten Fällen nicht mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die er auch über eine zumutbare Eigenvorsorge nicht abdecken kann.
57Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 – 2 BvR 1715/03 u.a. –, juris, Rn. 23 ff.; BVerwG, Urteile vom 30. April 2009 – 2 C 127/07 –, juris, Rn. 9 ff., vom 20. März 2008 – 2 C 101/07 –, juris, Rn. 11 und vom 3. Juli 2003 – 2 C 36/02 –, BVerwGE 118, 277, 279 ff.
58Ein Zurverfügungstellen ergänzender finanzieller Mittel in Höhe potentiell anfallender (überschießender) Pflegekosten für alle Besoldungs- und Versorgungsempfänger unabhängig davon, ob sie aktuell pflegebedürftig sind oder nicht, wäre vorliegend zur angemessenen Bewältigung der Situation der vormaligen Klägerin, also bei bedürfnisorientierter Betrachtung, offensichtlich nicht geboten und als generelle Regelung auch nicht sachgerecht (gewesen). Ebenso wenig geeignet, einem bereits realisierten Pflegerisiko zu begegnen, erscheint jedenfalls hier die Gewährung zusätzlicher allgemeiner Alimentationsleistungen durch den Besoldungs- bzw. Versorgungsgesetzgeber in Form eines (höheren) Durchschnittssatzes zur Absicherung gegen weitere pflegebedingte Aufwendungen, etwa durch Abschluss einer Pflegezusatzversicherung. Denn eine derartige Hilfe könnte ohnehin nur bei entsprechend versicherbaren Personen greifen. Die vormalige Klägerin war aber nicht pflegezusatzversichert (vgl. hierzu die Ausführungen weiter unten). Die Gewährung eines (höheren) Durchschnittssatzes zum Betreiben von Vorsorge gegen das Pflegefallrisiko hätte schon deswegen die bei ihr eingetretene finanzielle Deckungslücke nicht im Ansatz kompensieren können. Nicht oder nicht mehr versicherbaren Beihilfeberechtigten wie der vormaligen Klägerin kann (konnte) der Dienstherr - soweit diese das Fehlen einer zusätzlichen Versicherung nicht zu vertreten haben (hatten) somit allein im Rahmen des Beihilferechts bedürfnisorientiert die gebotenen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.
59Etwaige Alimentationsansprüche der vormaligen Klägerin könnten darüber hinaus von deren Tochter als der jetzigen Klägerin auch nicht erfolgreich geltend gemacht werden, weil solche potentiellen Ansprüche mangels Vererblichkeit nicht in die Erbmasse fielen und folglich auch nicht im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 Abs. 1 BGB auf die Klägerin übergehen konnten.
60Vgl. in Abgrenzung dazu Senatsurteile vom 5. März 2009 – 1 A 107/07 –, juris, Rn. 42 ff., sowie vom 17. Dezember 2008 – 1 A 282/07 –, juris, Rn. 34 ff. zu bereits entstandenen rückständigen Besoldungs- bzw. Versorgungsansprüchen; vgl. auch OVG des Saarlandes, Urteil vom 24. Oktober 1994 – 1 R 9/92 –, juris, Rn. 24 f., dort in Abgrenzung zur grundsätzlich fehlenden Vererblichkeit von Beihilfeansprüchen.
612.
62Als Anspruchsgrundlage für das somit als allein auf Gewährung weiterer Beihilfeleistungen gerichtet zu verstehende Begehren sind infolge des grundsätzlich abschließenden Charakters der Beihilfevorschriften jedenfalls vorrangig die entsprechenden beihilferechtlichen Richtlinien des Beklagten in der seinerzeit geltenden Fassung in den Blick zu nehmen.
63Die Klägerin kann danach allerdings nicht den Beihilfeanspruch ihrer Mutter, der vormaligen Klägerin, erfolgreich geltend machen. Denn Beihilfeansprüche sind grundsätzlich, so auch hier (vgl. Nr. 1.2 Satz 2, 2.HS BEV-RiPfl), nicht vererblich.
64Vgl. auch OVG des Saarlandes, Urteil vom 24. Oktober 1994 – 1 R 9/92 –, juris, Rn. 24 f., zur grundsätzlich fehlenden Vererblichkeit von Beihilfeansprüchen.
65Die Klägerin hat stattdessen einen eigenen originären Beihilfeanspruch (vgl. Nr. 4.1 BEV-RiPfl). Ihr Neubescheidungsanspruch resultiert vorliegend allerdings mangels ausdrücklicher (vorrangiger) Anspruchsgrundlage in den beihilferechtlichen Richtlinien des Beklagten letztlich unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Denn ein Anspruch aus den im (maßgeblichen) Zeitpunkt des Entstehens der in Rede stehenden Aufwendungen gültig gewesenen Fassung der Richtlinien für die Gewährung von Zuschüssen zu den Aufwendungen bei dauernder Pflege (BEV-RiPfl) kommt weder in der Form eines Verpflichtungs- noch eines Neubescheidungsanspruch in Betracht. Das hat das Verwaltungsgericht in den Gründen des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst hierauf Bezug genommen werden kann.
66a)
67Die Klägerin kann danach einen Anspruch auf weitergehende Beihilfeleistungen nicht unmittelbar auf die im Zeitpunkt des Entstehens der fraglichen Aufwendungen geltende Fassung der anzuwendenden Beihilfevorschriften stützen. Die Klägerin hat auf Grundlage der Nr. 6.10 BEV-RiPfl keinen Anspruch, die von Februar bis August 2006 für die stationäre Pflege der vormaligen Klägerin entstandenen Pflegekosten vollständig erstattet zu bekommen. Der insofern erhobene Einwand der Klägerin, die Pflegekosten seien nach Nr. 6.10 BEV-RiPfl der Berechnung des Zuschusses in voller, tatsächlich entstandener Höhe und nicht nur in Höhe des pauschalen Deckelungsbetrages für Pflegebedürftige der Pflegestufe II in Höhe von 1.279 Euro nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XI zugrunde zu legen, trägt im Ergebnis nicht. Dem klägerischen Begehren steht im Kern entgegen, dass die in Nr. 6.10 BEV-RiPfl getroffene Regelung für pflegebedingte Aufwendungen, die bei stationärer Pflege in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung (§ 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XI) für den dauernd pflegebedürftigen Beihilfeberechtigten oder berücksichtigungsfähigen Angehörigen entstehen, die Zuschussfähigkeit auf die nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit entstehenden pflegebedingten Aufwendungen (§ 84 Abs. 2 Satz 2 SGB XI in der seinerzeit geltenden Fassung) begrenzt hat. Diese Beschränkung wird durch Nr. 1 b) der Hinweise zu Nr. 6.10 BEV-RiPfl dahingehend präzisiert, dass pflegebedingte Aufwendungen für Pflegebedürftige der Pflegestufe II nur bis zu einem Pauschalbetrag von monatlich 1.279,00 Euro beihilfefähig sind.
68Die Begrenzung des berücksichtigungsfähigen Aufwandes ergibt sich somit entweder bereits unmittelbar aus dem Verweis in Nr. 6.10 BEV-RiPfl auf die nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit entstehenden pflegebedingten Aufwendungen (§ 84 Abs. 2 Satz 2 SGB XI) und dem damit (mittelbar) einhergehenden Verweis auf § 43 Abs. 2 SGB XI, welcher die Aufwendungen bei vollstationärer Pflege nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit konkretisiert,
69so im Ergebnis Niedersächsisches OVG, Urteil vom 23. September 2003 – 5 LC 134/03 –, juris, Rn. 29 ff. zu § 9 Abs. 7 BhV (in der Fassung der Bekanntgabe von 1997); a.A. VG Regensburg, Urteil vom 28. April 2008 – RO 8 K 07.00678 –, juris, Rn. 38,
70oder aber zumindest aus der Zusammenschau von Nr. 6.10 BEV-RiPfl mit den hierzu erlassenen Hinweisen, welche die in Rede stehenden Pauschbeträge des § 43 Abs. 2 SGB XI betragsmäßig widergeben.
71So auch Urteil des Senats vom 26. November 2007 – 1 A 35/06 –, juris, Rn. 27 ff. zu § 9 Abs. 7 BhV (in der Fassung von 1996).
72Auch wenn man die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Inneren zu § 9 Abs. 7 der Beihilfevorschriften des Bundes (zusammengefasst in der Anlage zum BMI Rundschreiben vom 12. Dezember 2001, GMBl. 2002, 147, 178),
73vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2004 – 2 C 50/02 –, juris, und vom 21. November 1994 – 2 C 5/93 –, juris, Rn. 14 m.w.N.,
74hier heranziehen würde, wonach Hinweise den Inhalt von als allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassenen Beihilfevorschriften weder einschränken noch ändern oder authentisch interpretieren können und ihnen eine solche Wirkung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Verwaltungspraxis beigelegt werden kann, führt das vorliegend zu keinem anderen Ergebnis. Denn nach Nr. 1.1 BEV-RIPfl leistet der Beklagte in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht gemäß § 79 Bundesbeamtengesetz - BBG - a.F. (§ 78 BBG n.F.) Zuschüsse zu den Aufwendungen für eine wegen dauernder Pflegebedürftigkeit notwendigen stationären Pflege "in entsprechender Anwendung der Bestimmungen der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV)". Daraus ist zu schließen, dass auch die nachfolgend in den Richtlinien näher konkretisierten Leistungen jedenfalls im Zweifel von demselben Verständnis ausgehen wie die inhaltlich entsprechenden Beihilfevorschriften des Bundes. Die hier streitig diskutierte Begrenzung der pflegebedingten Aufwendungen war indes im Zeitpunkt/Zeitraum der Entstehung der geltend gemachten Aufwendungen (Februar bis August 2006) bereits direkt in § 9 Abs. 7 BhV und nicht etwa (ergänzend) nur in Hinweisen geregelt. Dem klägerischen Begehren steht insofern – auch in der Zusammenschau mit Nr. 6.10 BEV-RIPfl - entgegen, dass der für Aufwendungen, die bei der stationären Pflege in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung für den dauernd pflegebedürftigen Beihilfeberechtigten oder berücksichtigungsfähigen Angehörigen entstehen, in den Beihilfevorschriften des Bundes thematisch einschlägige § 9 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 BhV die Beihilfefähigkeit solcher Aufwendungen entgegen der früheren Rechtslage begrenzt hat, und zwar "bis zu einem Pauschalbetrag von monatlich 1.279,00 Euro für Pflegebedürftige der Pflegestufe II".
75Der Anwendbarkeit der von der Beklagten berücksichtigten Aufwands- und darüber zugleich Leistungsbegrenzung nach Nr. 6.10 BEV-RiPfl steht ferner nicht entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht bereits im Juni 2004 entschieden hat, dass die Beihilfevorschriften des Bundes als Allgemeine Verwaltungsvorschrift den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts nicht genügen, da es sich um wesentliche Entscheidungen über den Umfang der Beihilfeleistungen handelt, die dem Gesetzgeber vorbehalten sind.
76Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004 – 2 C 50/02 –, juris.
77Zwar liegt es nahe, dass die Form der hier streitigen Regelung einer nicht revisiblen Richtlinie erst recht jenen Einwänden ausgesetzt ist, die das Bundesverwaltungsgericht gegenüber den Beihilfevorschriften des Bundes erhoben hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber in der vorgenannten Entscheidung zugleich hervorgehoben, dass für einen Übergangszeitraum noch von der Weitergeltung der Vorschriften auszugehen ist. Eine solche Übergangszeit musste mithin auch dem Beklagten gewährt werden, um den vom Bundesverwaltungsgericht benannten Anforderungen entsprechend zu genügen. Diese zu unterstellende Karenzzeit war in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitraum des Entstehens der Aufwendungen (Februar bis August 2006) noch nicht abgelaufen. Ob für den Bereich der Deutsche Bundesbahn, welcher seit jeher vom Geltungsbereich der Beihilfevorschriften des Bundes ausgenommen war und für welchen der Dienstherr Bund seinen beihilferechtlichen Verpflichtungen durch die Unterhaltung der Sondereinrichtung "Krankenvorsorge der Bundesbahnbeamten KVB" nachkam, unter Umständen ein großzügiger bemessener Übergangszeitraum angenommen werden kann als für den Bereich der – inzwischen durch die Bundesbeihilfeverordnung vom 13. Februar 2009 (BGBl. I S. 326 – BBhV) abgelösten - Beihilfevorschriften des Bundes, braucht aus Anlass des vorliegenden Falles nicht entschieden zu werden.
78Die Kompetenz der Gerichte, einzelne Regelungen der Beihilfevorschriften aus anderen, hiervon unabhängigen Gründen im Rahmen einer Inzidentprüfung zu verwerfen, bleibt von alledem unberührt. Denn die Übergangsrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts war nicht dahin zu verstehen, dass sie die Anwendbarkeit der Beihilfevorschriften bis zum Ende der Karenzzeit auch gegen jeden sonstigen Fehler immunisieren sollte.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004 – 2 C 50/02 –, juris; Senatsurteile vom 15. Oktober 2007 – 1 A 2896/06 – und vom 12. November 2007 – 1 A 995/06 –.
80Daher mag Nr. 6.10 BEV-RiPfl - auch soweit seine Anwendung zu den oben näher beschriebenen Begrenzungen in Bezug auf die Beihilfefähigkeit der pflegebedingten Aufwendungen bei der (voll)stationären Pflege führt - generell mit höherrangigem Recht vereinbar sein, weil er in der Mehrzahl der vom Dienstherrn typisierend zugrunde gelegten Fälle, wie namentlich denjenigen der Versicherbarkeit des verbliebenen finanziellen Risikos zu angemessenen Bedingungen, nicht gegen höherrangiges Recht verstößt.
81b)
82Unabhängig davon wird aber zumindest in dem vorliegenden Einzelfall (bzw. der durch ihn repräsentierten überschaubaren Fallgruppe) eine "starre" Anwendung der für die pflegebedingten Aufwendungen bei der stationären Pflege vorgesehenen Begrenzungen in den Beihilfevorschriften des Beklagten dem verfassungsrechtlich geschützten Kern der Fürsorgepflicht nicht gerecht. Der Fall wird insofern durch Besonderheiten gekennzeichnet, welche im Ergebnis darauf führen, dass die Klägerin unmittelbar auf Grund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn einen Anspruch auf Neubescheidung der Beihilfeanträge unter Beachtung der nachfolgend niedergelegten Rechtsauffassung des Senats hat.
83Zwar enthalten Beihilfevorschriften des Dienstherrn eines Beamten im Grundsatz eine abschließende Konkretisierung dessen, was der Dienstherr für diesen Rechtsbereich auf Grund seiner Fürsorgepflicht an – den diesbezüglichen Anteil in der Besoldung ergänzenden – Leistungen u.a. in Krankheits- und Pflegefällen für geboten und angemessen ansieht. Auch verlangt die Fürsorgepflicht keine "lückenlose" Erstattung sämtlicher krankheits- und pflegebedingter Aufwendungen des Beamten und seiner berücksichtigungsfähigen Angehörigen; das gilt selbst dann, wenn die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten nicht in vollem Umfang versicherbar sind.
84Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 – 2 C 127/07 –, juris, Rn. 8
85Schließlich können die im Beihilfebereich regelmäßig gebotenen Typisierungen quasi zwangsläufig zu Härten, Unebenheiten und Friktionen in einzelnen von der jeweiligen Regelung betroffenen Fällen führen; diese sind aus Gründen der Gleichbehandlung grundsätzlich hinzunehmen. Unbeschadet dessen kann es jedoch in besonderen Fällen ausnahmsweise geboten sein, einen "Beihilfeanspruch" unmittelbar auf der Grundlage der Fürsorgepflicht zu gewähren, wenn nämlich diese ansonsten in ihrem Wesenskern verletzt würde.
86Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, z.B. Urteile vom 10. Juni 1999 – 2 C 29/98 –, juris, Rn. 21, 22, und vom 31. Januar 2002 – 2 C 1/01 –, juris, Rn. 17; ferner etwa Senatsurteil vom 24. Mai 2006 – 1 A 3706/04 –, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 23. September 2003 – 5 LC 134/03 –, a.a.O.
87Ein solcher Fall ist hier gegeben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass schon aus Gründen grundsätzlich gebotener Gleichbehandlung aller einem bestimmten Dienstherrn zugehörigen Beihilfeberechtigten die Abweichung von im Rahmen der Beihilfevorschriften typisierend vorgenommenen Leistungsausschlüssen oder begrenzungen zugunsten einzelner Beihilfeberechtigter unter unmittelbarer Anknüpfung an den Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht höchstens in solchen (eher seltenen) Fällen in Betracht kommen kann, in denen sich – atypischerweise – die Verweigerung weiterer Beihilfeleistungen schlechterdings als grob fürsorgepflichtwidrig darstellen würde.
88Bezogen auf das derzeit wie auch heute praktizierte Mischsystem von Alimentations- und Beihilfeleistungen, von welchem die Beurteilung eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich in seinem Kern durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Fürsorgeprinzip auszugehen hat,
89vgl. BVerwG, Urteile vom 30. April 2009 – 2 C 127/07 –, juris, Rn. 8 – und vom 26. August 2004 – 2 C 62/08 –, juris, Rn. 14,
90kann sich eine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht insbesondere dann ergeben, wenn Leistungsbegrenzungen im Beihilfebereich dazu führen, dass der betroffene Beamte durch krankheits- bzw. pflegebedingte Aufwendungen in seiner Lebensführung nicht mehr zumutbar eingeschränkt wird. Das ist dann der Fall, wenn er mit krankheitsbedingten oder der Krankheitsvorsorge dienenden Aufwendungen belastet bleibt, die er auch bei zumutbarer Eigenvorsorge und mit Blick auf die sonstigen Kosten für eine angemessene Lebensführung nicht mehr mit den vom Dienstherrn im Rahmen der Alimentation zur Verfügung gestellten Mitteln bestreiten kann.
91Danach ergibt sich hier eine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht. Denn die in den aufgezeigten Beihilfevorschriften (Richtlinien) des Beklagten enthaltenen Regelungen deckelten die Beihilfefähigkeit pflegebedingter Aufwendungen für die stationäre Pflege ohne Rücksicht auf ihre tatsächliche Höhe durch Pauschbeträge. Dies führte dazu, dass eine außergewöhnlich hohe, von der Betroffenen letztlich nicht mehr aus ihrer Alimentation bestreitbare Belastung mit (Rest-)Kosten verblieb und die vormalige Klägerin diese Belastung (von monatlich rund 526, Euro) auch nicht zumutbar abwenden konnte.
92Die in ihrem Kern verfassungsgeschützte (Art. 33 Abs. 5 GG) und zudem einfachgesetzlich für die Bundesbeamten in § 79 BBG a.F. (§ 78 BBG n.F.) normierte Fürsorgepflicht fordert aber, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familien auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können.
93Vgl. ständige Rechtsprechung des BVerfG, z.B. Beschlüsse vom 7. November 2002 – 2 BvR 1053/98 –, BVerfGE 106, 225, 232 und 240, sowie vom 13. November 1990 – 2 BvF 3/88 –, BVerfGE 83, 89, 99 ff.; ferner BVerwG, z.B. Urteile vom 30. April 2009 – 2 C 127/07 –, juris, Rn. 11 m.w.N., vom 25. Juni 1987 – 2 C 57.85 –, BVerwGE 77, 331, vom 12. Juni 1985 – 6 C 24.84 –, BVerwGE 71, 342, 352, und schon vom 7. Oktober 1965 – VIII C 63.63 –, BVerwGE 22, 160, 164.
94Der Kernbereich der Fürsorge wurde vorliegend verletzt, weil die vormalige Klägerin die mit der Pflegebedürftigkeit eingetretene finanzielle Belastungssituation trotz der anteilig gewährten Erstattungsbeträge aus ihrer laufenden Alimentation nicht mehr finanziell bewältigen konnte. Dass sich das auf den vorliegenden Einzelfall bezogene Ergebnis der Anwendung der Beihilfevorschriften mithin als grob fürsorgepflichtwidrig darstellt, ergibt sich hiervon ausgehend aus Folgendem:
95Abgesehen davon, dass der Fürsorgegeber selbstverständlich sein gestalterisches Ermessen in diesem Einzelfall vornehmlich an dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Gefährdungen einer finanziell ausreichenden Lebensführung auch und gerade in Notlagen auszurichten hat (was ggf. auch für Leistungen oberhalb einer ermittelten Mindesthöhe Raum bietet), enthalten die Beihilfevorschriften des Beklagten bezogen auf den Sachbereich der Erstattung von Aufwendungen, welche durch den (voll)stationären Aufenthalt des Beihilfeberechtigten bzw. berücksichtigungsfähigen Angehörigen in einem Pflegeheim entstehen, selbst keine unmittelbare Regelung dazu, wo auch unter Einbeziehung der reinen Pflegeaufwendungen die Grenze zumutbarer Eigenbelastungen anzusetzen ist. Für das, was die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in diesem Zusammenhang in ihrem Kern gebietet, kann allerdings – zumindest im Ausgangspunkt – an Nr. 6.10 Satz 2, 3 und Satz 4 Nr. 3 BEV-RiPfl angeknüpft werden, welche sich zwar in unmittelbarer Anwendung allein auf Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung einschließlich der Investitionskosten beziehen, deren differenziert ausgestalteten - und insofern in Bezug auf die pflegebedingten Aufwendungen nicht ausdrücklich getroffenen - Regelungen aber auch darüber hinaus ein Anhalt dahingehend entnommen werden kann, welchen (Gesamt)Eigenanteil der Fürsorgegeber dem Beihilfeberechtigten bezogen auf die stationäre Pflege im Ergebnis, d.h. auch unter Berücksichtigung der nicht erstatteten und insofern auch nicht mit bedachten Pflegekosten zumuten will.
96In diesem Sinne schon Senatsurteil vom 26. November 2007 – 1 A 35/06 –, juris, Rn. 88 ff.; a.A. wohl Niedersächsisches OVG, Urteil vom 23. September 2003 – 5 LC 134/03 –, juris, Rn. 31, jeweils zu § 9 Abs. 7 Satz 6 BhV (in der Fassung der Bekanntgabe von 1997).
97Nach den dortigen Regelungen (Nr. 6.10 Satz 4 Nr. 3 BEV-RiPfl) beläuft sich der Eigenanteil bei allein stehenden Anspruchsberechtigten in vollstationärer Pflege, wie der vormaligen Klägerin, auf 70 % des Einkommens. Als Einkommen sind insoweit die Bruttoversorgungsbezüge (Hinweise Nr. 8.1, 1. Satz, 2. HS zu Nr. 6.10 BEV-RiPfl) bzw. der Rentenzahlbetrag ohne Beitragszuschuss vor Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (Hinweise Nr. 8. 2 zu Nr. 6.10 BEV-RiPfl) zugrunde zu legen.
98Der in Nr. 6.10 Satz 4 Nr. 3 BEV-RiPfl getroffenen Wertung und Grenzziehung lässt sich als Kern entnehmen, dass allein stehenden stationär pflegebedürftigen Beihilfeberechtigten grundsätzlich ein Eigenbehalt/Selbstbehalt in Höhe von 30 v.H. ihres monatlichen bereinigten Bruttoeinkommens verbleiben soll und (in der Regel) auch muss, um die weiteren Lebenshaltungskosten bestreiten zu können. Insofern dürfte der Richtliniengeber ursprünglich davon ausgegangen sein, dass die neben Unterkunfts-, Verpflegungs- und Investitionskosten anfallenden Pflegekosten dem Betroffenen prinzipiell zu 100 v.H. oder allenfalls mit geringfügigen Abschlägen erstattet werden, was vorliegend aber offenkundig nicht der Fall war. Das bedeutet aber, dass die Kostendifferenzierung in Pflegekosten auf der einen Seite und Unterkunfts-, Verpflegungs- und Investitionskosten auf der anderen grundsätzlich nicht dazu führen darf, dass dem Beihilfeberechtigten – auf die Belastung durch die neben den Pflegekosten anfallende zweite Kostengruppe bis hin zur sog. Eigenbehaltsgrenze noch "aufgesattelt" – eine weitere erhebliche Belastung durch die Deckungslücke bei den (nur teilweise erstatteten) Pflegekosten verbleibt. Die im Wesentlichen bereits daraus zu folgernde Verletzung des Kernbereichs der Fürsorgepflicht wird hier zudem noch durch einen weiteren Gerichtspunkt verstärkt, der sich auf die Notwendigkeit bezieht, die Versicherungsprämie für den Krankheits und Pflegefall aus den monatlichen Bezügen zu bestreiten. Jene Prämien (115,40 Euro Krankenversicherungs- und 24,22 Euro Pflegeversicherungsbeitrag) beliefen sich hier nach Abzug des Beitragszuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von monatlich 27,99 Euro auf 111,63 Euro monatlich. Bliebe dieser Umstand im gegebenen Zusammenhang als Härtefaktor unberücksichtigt, würde übersehen, dass der vom Dienstherrn in der Besoldung/Versorgung vorgesehene Durchschnittssatz für die Bestreitung der Versicherungsprämien auf 100 % der jeweiligen Bezüge berechnet ist, der vormaligen Klägerin hierfür aber deutlich weniger als 30 % ihrer Bezüge als Selbstbehalt verblieben, sie also die vollen, regelmäßig nur aus 100 % der Bezüge aufzubringenden Versicherungsprämien aus weniger als 30 % ihrer Bezüge zu bestreiten hatte. Unter Berücksichtigung dieses Aspektes ist nach der Rechtsauffassung des erkennenden Senats im vorliegenden Einzelfall eine individuelle Erhöhung der Beihilfeleistungen zur Deckung auch der über die bisher ungedeckten Pflegekosten hinausgehenden Kosten eröffnet. Denn der Richtliniengeber hat im Rahmen der in Nr. 6.10 Satz 4 Nr. 3 BEV-RiPfl getroffenen Grenzziehung offensichtlich die entstehende weitere Sonderbelastung in Gestalt eines in Höhe von 70 v.H. des Durchschnittssatzes für Kranken- und Pflegeversicherungsprämien zu bemessenden Betrages nicht mit bedacht. Dass Kranken und Pflegeversicherungsprämien als solche nicht beihilfefähig sind, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, weil die Fürsorgepflicht den Dienstherrn über bestehende Einschränkungen bei der Beihilfeleistung hinausgehend ermächtigt und gegebenenfalls verpflichtet, weitergehende als die ausdrücklich vorgesehenen Leistungen zu bewilligen, damit den weiter oben erwähnten Anforderungen an die Fürsorgepflicht Rechnung getragen werden kann.
99Nach Maßgabe dessen hätten der vormaligen Klägerin 455,27 Euro (= 30 % von 1.517,58 Euro) verbleiben müssen, wenn ihr Eigenanteil von 70 % ihres Bruttoeinkommens im Rahmen des Kostenblocks Unterkunft/Verpflegung und Investitionskosten ausgeschöpft worden wäre. Da dieser Kostenblock sich aber für die im Streit stehenden Monate durchschnittlich lediglich auf 771,70 Euro belief, verblieben der vormaligen Klägerin 290,61 Euro (= 1.062,31 Euro als 70 % von 1.517,58 Euro – 771,70 Euro) zur Deckung der durch Beihilfeleistungen und Pflegeversicherungsleistung nicht gedeckten Pflegekosten von durchschnittlich 526,88 Euro monatlich. Neben den verbleibenden 236,27 Euro ungedeckter Pflegekosten (= 526,88 Euro – 290,61 Euro) hatte die vormalige Klägerin monatlich noch einen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 115,40 Euro (abzüglich der Beitragszuschusses zur Krankenversicherung in Höhe von 27,99 Euro = 87,41 Euro) und einen Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von 24,42 Euro, mithin – unter Einbeziehung des Abzugs - insgesamt 111,63 Euro monatlich zu tragen, von denen 70 % = 78,14 Euro wie oben dargelegt dem Eigenanteilsbereich zuzurechnen sind. In der Summe verblieben ihr 219,00 Euro (= 455,27 Euro – 236,27 Euro) bzw. – nach Einbeziehung auch der ungedeckten Versicherungsbeitragsanteile - 140,86 Euro (455,27 Euro – 236,27 Euro – 78,14 Euro).
100Zum (fast genau) gleichen Ergebnis führt die von der Klägerin vorgetragene Gesamtberechnung. Danach beliefen sich die Belastungen durch pflegebedingte Aufwendungen in den streitgegenständlichen Monaten Februar bis August 2006 auf insgesamt 12.641,14 Euro zuzüglich der Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in Höhe von 7.847,53 Euro abzüglich des gewährten Pflegewohngeldes in Höhe von 2.003,65 Euro (= 5.843,88 Euro). Es verblieb für die vormalige Klägerin nach Abzug der Beihilfeleistungen für Pflegeaufwendungen in Höhe von 6.267,10 Euro, der Leistungen der privaten Pflegeversicherung in Höhe von 2.685,90 Euro und der weiteren Erstattungen der Beihilfe in Höhe von 442,01 Euro über den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Belastung von 3.688,14 Euro (Rest)Pflegekosten und 5.401,87 Euro Unterkunfts-, Verpflegungs- und Investitionskosten (vgl. nachfolgende Tabelle).
101Monatliche Pflegedifferenzkosten und der vormaligen Klägerin verbleibende UVI-Kosten im streitigen Zeitraum von Februar bis August 2006 in Euro:
102
2006 | Verbleibende Pflegekosten | Verbleibende Kosten UVI | Summe verbleibender Kosten |
Februar | 388,96 | 744,65 | 1.133,61 |
März | 567,67 | 774,81 | 1.342,48 |
April | 508,10 | 774,81 | 1.282,91 |
Mai | 570,77 | 776,90 | 1.347,67 |
Juni | 511,10 | 776,90 | 1.288,- |
Juli | 570,77 | 776,90 | 1.347,67 |
August | 570,77 | 776,90 | 1.347,67 |
Gesamt | 3.688,14 | 5.401,87 | 9.090,01 |
Monatlicher Durchschnitt | 526,88 | 771,70 | 1.298,57 |
103
Nach Abzug der von der vormaligen Klägerin somit insgesamt zu bestreitenden Pflegeheimkosten in Höhe von monatlich durchschnittlich 1.298,57 Euro von den zugrunde zu legenden monatlichen Bruttobezügen von 1.517,58 Euro verblieben der vormaligen Klägerin mithin monatlich 219,01 Euro brutto, also durchschnittlich lediglich 14,43 % ihrer Bruttobezüge, um die ihr verbleibenden Kranken- und Pflegeversicherungs- sowie sonstige Lebenshaltungskosten zu bestreiten.
104Angesichts dessen liegt es auf der Hand, dass der vormaligen Klägerin kein hinreichender, geschweige denn ein angemessener Betrag aus den laufenden monatlichen Versorgungsbezügen und Renten mehr verblieb, um damit ihre nicht durch die Leistungen des Pflegeheims gedeckten Bedürfnisse zu befriedigen und dabei zugleich wenigstens ein (alimentationsgeschütztes) Minimum an Lebenskomfort zu gewährleisten. Dies musste den beihilferechtlichen Fürsorgegeber veranlassen, jedenfalls in diesem Einzelfall ergänzend tätig zu werden, um hierdurch der ansonsten offensichtlich eintretenden Beeinträchtigung der Lebensführung der vormaligen Klägerin entgegen zu wirken. Dies gilt insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass der vormaligen Klägerin eine Rücklagenbildung seit November 2005 nicht mehr möglich und zumutbar war, weil sie seitdem stationär in einer Pflegeeinrichtung untergebracht wurde und ab diesem Zeitpunkt bereits in erheblichem Umfang Eigenanteile für die Heimunterbringung zu tragen gehabt haben dürfte.
105Der vormaligen Klägerin kann auch nicht durchgreifend entgegengehalten werden, sie habe das Anfallen von Belastungen durch Pflegekosten in entsprechender Höhe vermeiden können, wenn sie nach Möglichkeiten eines anderweitigen Ausgleichs der durch die Beihilfe und die Pflegeversicherung nicht abgedeckten Aufwendungen gesucht hätte. Insbesondere eine die Pflegekosten betreffende Zusatzversicherung "ins Blaue hinein", die zu einem früheren Zeitpunkt als bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit der vormaligen Klägerin noch nicht konkret beihilfekonform ausgestaltet werden konnte, mussten die Beihilfeempfänger seinerzeit nicht zumutbar abschließen. Sie konnten vielmehr grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Dienstherr seine Verfassungspflichten aus Alimentation und beihilferechtlicher Fürsorge den Pflegebereich betreffend auch in Zukunft weiterhin erfüllen würde, also Änderungen einschlägiger Normen unterlassen würde, die sie unabwendbar mit erheblichen Kosten belasten. Denn die öffentliche Diskussion über die Problematik der Pflegekosten und deren Bewältigung, die schon im Jahre 1974 eingesetzt hatte,
106vgl. in diesem Zusammenhang BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 – 1 BvR 2014/95 –, BVerfGE 103, 197, sowie Kammerbeschluss vom 25. September 2001 – 2 BvR 2442/94 –, DVBl. 2002, 114,
107bot den Beihilfeberechtigten auch in ihrem weiteren Fortschreiten bis ins Jahr 1996 noch keine gesicherte Grundlage, hinreichend beurteilen zu können, inwieweit es in konkreter Anpassung an sodann erfolgte Änderungen im Beihilferecht einer zusätzlichen Absicherung der stationären Pflegekosten bedurfte, um in Zukunft ggf. nicht mit finanziell nicht mehr tragbaren Restbeträgen aus diesen Kosten belastet zu sein. Dies gilt selbst dann, wenn bereits in einem frühen Stadium der Überlegungen zur gesetzlichen Pflegeversicherung erkennbar gewesen war, dass damit nur eine (nicht notwendig alle im Verhältnis zu dem Pflegebedürftigen entstehenden Kosten auffangende) Basissicherung eingeführt werden sollte. Spätestens mit den im Jahre 1996 erfolgten Änderungen im Beihilferecht, wonach es einer zusätzlichen Absicherung der stationären Pflegekosten bedurfte, um das Pflegekostenrisiko zu minimieren, hätte es hingegen auch für die vormalige Klägerin nahe gelegen, eine finanzielle private Zusatzvorsorge für potentielle künftige Pflegeleistungen zu treffen. Bereits bei Einführung der Pflegeversicherung im Jahre 1995 hatte die vormalige Klägerin aber das 65. Lebensjahr erreicht (- sie wurde am 3. Februar 1922 geboren und erreichte somit schon im Februar 1987 das 65. Lebensjahr -) und konnte aufgrund dessen, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, bei den meisten privaten Versicherungen (wie z.B. der Debeka) keine Zusatzvorsorge für den Pflegefall mehr abschließen. Dass ihr jenseits der genannten Altersgrenze der Abschluss einer Pflegezusatzversicherung bei einer anderen privaten Versicherungsgesellschaft als Neukundin - zumal unter finanziell zumutbaren Bedingungen - möglich gewesen wäre, ist ebenfalls auszuschließen, wird etwa auch von dem Beklagten nicht substanziiert aufgezeigt.
108Auch etwa vorhandenes eigenes Vermögen musste die vormalige Klägerin nicht für die verbleibenden Pflegekosten (abschmelzend) einsetzen. Denn die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet nach dem Vorstehenden Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass krankheits- und pflegebedingte wesentliche Belastungen unterbleiben, welche aus der (laufenden) Alimentation der Beamten bzw. deren Hinterbliebenen nicht zumutbar getragen werden können. Unter Beachtung der Kerngewährleistung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn darf der Beihilfeberechtigte durch Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nicht in eine zeitlich nicht absehbare Lage geraten, die ihn bei einer gewissen Dauerhaftigkeit finanziell überfordern würde, weil die monatlich anfallenden Krankheits-/Pflegekosten die monatlichen Alimentations- und Fürsorgeleistungen fortlaufend übersteigen und das etwaig vorhandene Vermögen kontinuierlich aufzehren. Diese Auffassung leitet der Senat aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht des Dienstherrn ab, wie sie auch vom Bundesverwaltungsgericht verstanden wird.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. August 2009 – 2 C 62.08 –, Rn. 14.
110Danach fordert die Fürsorgepflicht, dass der Dienstherr den amtsangemessenen Lebensunterhalt der Beamten und ihrer Familie auch in besonderen Belastungssituationen wie Krankheit oder Pflegebedürftigkeit sicherstellt. Er muss dafür Sorge tragen, dass Beamte in diesen Lebenslagen nicht mit erheblichen finanziellen Aufwendungen belastet bleiben, die sie nicht mehr in zumutbarer Weise aus ihrer Alimentation bestreiten können. Rechnerischer Bezugspunkt der Verpflichtungen des Dienstherrn ist damit allein die Alimentation des Beamten/Versorgungsempfängers und nicht etwa dessen vorhandenes/nicht vorhandenes Vermögen. In einer vergleichbaren, verfassungsrechtlich nicht haltbaren Lage befand sich indes die frühere Klägerin. Der Umstand, dass sie ihre oben charakterisierte Notlage mit anderen, in vergleichbarer Lage sich befindenden Beihilfeberechtigten geteilt haben mag, stellt die Berechtigung nicht in Frage, aus den genannten Gründen das Vorliegen eines Verstoßes gegen den Kernbereich der Fürsorgepflicht anzunehmen. Denn die für die vormalige Klägerin festgestellte rechtswidrige Lücke hinsichtlich ihr zustehender Fürsorgeleistungen büßt ihren anspruchsbegründenden Charakter nicht dadurch ein, dass andere Beihilfeberechtigte vergleichbare Ansprüche aus vergleichbaren Gründen haben könnten.
111Schließlich konnten die vormalige Klägerin bzw. deren Hinterbliebene im vorliegenden Zusammenhang auch nicht – wie der Beklagte ohne nähere Begründung meint – darauf verwiesen werden, dass sie Hilfeleistungen nach dem SGB XII (hier in der Gestalt von Hilfe zur Pflege, §§ 61 ff SGB XII) hätten in Anspruch nehmen können. Insoweit fehlt hier schon jeder konkrete Anhalt dafür, dass die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur Pflege mangels etwa vorhandenen Vermögens oberhalb der Schongrenze in der hier fraglichen Zeit überhaupt vorgelegen haben. Derartige Ansprüche auf allgemeine Sozialleistungen der staatlichen Gemeinschaft wurden in dem streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls nicht in Anspruch genommen; das der Pflegeeinrichtung gezahlte Pflegewohngeld zählt nicht zu den Leistungen nach dem SGB XII.
112Auch der Gesichtspunkt, der beihilferechtliche Fürsorgegeber dürfe zur näheren Bestimmung der Angemessenheit beihilfefähiger Aufwendungen standardisierend auf andere Regelwerke Bezug nehmen und insoweit ergebe sich kein wesentlicher Unterschied zwischen den hier in Bezug genommenen Bestimmungen über die gesetzliche Pflegeversicherung und etwa den Gebührenordnungen der Ärzte und Zahnärzte,
113vgl. in diesem Sinne etwa Niedersächsisches OVG, Urteil vom 23. September 2003 – 5 LC 134/03 –, juris, Rn. 30,
114greift nur bedingt und schließt es insbesondere nicht völlig aus, in besonderen Fallgestaltungen Ansprüche des Beamten gegen seinen Dienstherrn unmittelbar aus der Fürsorgepflicht zuzulassen. Hier bestehen nämlich - im Unterschied zu den als Beispiel genannten Gebührenordnungen - bereits durchgreifende Zweifel daran, dass die bei der stationären Pflege in Bezug genommenen und inzwischen über lange Zeit unverändert gebliebene Standards (Pauschbeträge) in dem Sinne "realitätsnah" genug festgelegt und fortlaufend unter Kontrolle gehalten worden sind, dass für die Betroffenen in der Praxis überhaupt die hinreichend gesicherte Chance besteht (bestanden hat), keine spürbar höheren Aufwendungen von der (Pflege-)Einrichtung in Rechnung gestellt zu bekommen, als dies den im Regelwerk standardisierten Beträgen entspricht. Diese Überlegung drängt sich schon deshalb auf, weil die Deckelungssätze seit 1. Juli 1996 nicht einmal um die Inflationsrate angehoben worden sind. Auch nach Änderung des § 43 Abs. 2 SGB XI durch den am 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Art. 1 Nr. 23 des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) vom 28. Mai 2008 (BGBl. I, 874 (881)) (Art. 17 Abs. 1 Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) beträgt der Pflegesatz für Pflegebedürftige der Pflegestufe II in vollstationärer Pflege nach wie vor 1.279,- Euro, § 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB XI.
115Nach allem ist das vorliegende Verfahren durch spezielle Besonderheiten geprägt, die es im Sinne der oben angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise geboten erscheinen lassen, das fürsorgerische Ermessen des Dienstherrn über dasjenige hinaus auszuüben, was – grundsätzlich abschließend - in den Beihilfevorschriften typisierend geregelt ist. Ergibt sich nämlich in besonderen Lebenslagen im Einzelfall ein völliges Missverhältnis zwischen der im Streit stehenden Beihilfebegrenzung und der dem Betroffenen unter Einbeziehung des ihn treffenden Restanteils an den krankheits- oder pflegebedingten Aufwendungen verbleibenden Alimentation, so kann er – wie bereits ausgeführt - nicht auf eine Erhöhung seiner Besoldungs- oder Versorgungsleistungen in den allgemeinen Besoldungsgesetzen verwiesen werden (die auch allen anderen Beamten ohne diese besondere Lebenssituation zugute käme und sich schon deswegen kaum durchsetzen ließe), sondern ist der Fürsorgegeber gefordert, die finanzielle Lücke, die sich hier zudem erst und maßgeblich durch das Zurückschrauben der Beihilfeleistungen aufgetan hat, in dem gegebenen Einzelfall selbst zu schließen. Das gilt auch - und gerade - dann, wenn wie hier für die sachbezogen einschlägigen (Pflege)Aufwendungen im Regelfall die in den Beihilfevorschriften vorgesehene Begrenzung greift, zumal ein etwaiges Auffangen verbleibender Härten über eine Erhöhung des beihilferechtlichen Bemessungssatzes vorliegend generell ausgeschlossen ist (Nr. 7.3 BEV-RiPfl).
116c)
117Die Klägerin hat aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn allerdings nicht zwingend Anspruch darauf, dass ihr betreffend die streitigen Aufwendungen in Höhe von 3.688,14 Euro für den Zeitraum von Februar bis August 2006, was in der Summe den ungedeckt gebliebenen Pflegekosten entspricht, eine Beihilfe bzw. ein Zuschuss in voller Höhe gewährt wird. Denn dies würde den im Beihilfebereich grundsätzlich gegebenen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Angemessenheit von Aufwendungen, soweit hierdurch die Alimentation nicht gefährdet wird, zu sehr einengen. Insbesondere würde hierbei die vorliegend gegebene Besonderheit unberücksichtigt gelassen, wonach die der vormaligen Klägerin verbliebenen Unterkunfts-, Verpflegungs- und Investitionskosten nicht 70 % ihres Bruttoeinkommens ausmachten, wie nach Nr. 6.10 Satz 2, 3 und Satz 4 Nr. 3 BEV-RiPfl für zumutbar erachtet, sondern lediglich ca. 51 % (vgl. nachfolgende Tabelle).
118Monatliche Pflegedifferenzkosten und der vormaligen Klägerin verbleibende UVI-Kosten im streitigen Zeitraum von Februar bis August 2006 in Euro nebst Anteilsberechnung in %:
119
2006 | Verbleibende Pflegekosten | Verbleibende Kosten UVI | Bruttoeinkommen |
Gesamt | 3.688,14 | 5.401,87 | 10.623,06 |
Monatlicher Durchschnitt | 526,88 | 771,70 | 1.517,58 |
Anteil vom Bruttoeinkommens | 34,72 % | 50,85 % | 100 % |
120
Das bedeutet, dass im Rahmen der Erstattung der geltend gemachten Pflegedifferenzkosten in Höhe von monatlich durchschnittlich 526,88 Euro die im Rahmen des Kostenblocks für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen nicht ausgeschöpften 19,15 % der monatlichen Bruttobezüge (= 290,62 Euro) als von der vormaligen Klägerin zu tragender Anteil an den ungedeckten Pflegekosten Berücksichtigung finden dürfen, die restlichen 236,26 Euro (= 526,88 Euro – 290,62 Euro) bzw. 236,27 Euro (nach Maßgabe der Berechnung oben auf Seite 24) sind von dem Beklagten im Rahmen und aufgrund seiner Fürsorgepflicht im Sinne einer Mindestverpflichtung zu tragen. Der Beklagte dürfte darüber hinaus die Deckungslücke bei den Pflegekosten – ebenfalls noch ermessensgerecht – allerdings auch unter zusätzlicher Berücksichtigung von 70 % der vorerwähnten Versicherungsprämie über 111,63 Euro, mithin in Höhe weiterer 78,14 Euro (= 70 % von 111,63 Euro) schließen.
121Der Anspruch der Klägerin bleibt der Höhe nach auch nicht hinter dem Anspruch der vormaligen Klägerin zurück. Denn nur so kann dem Gebot der nachwirkenden Fürsorge gegenüber dem verstorbenen Beihilfeempfänger, dessen Sozialachtung und Ansehen auch nachträglich nicht durch noch nicht beglichene Krankheits- oder Pflegeaufwendungen beeinträchtigt werden soll, hinreichend Rechnung getragen werden.
1223.
123Hinsichtlich des – zweitinstanzlich im Wege der Anschlussberufung - vorrangig geltend gemachten Verpflichtungsbegehrens fehlt es vorliegend an der erforderlichen Spruchreife (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), da die konkret zu erstattende Höhe der geltend gemachten Aufwendungen letztlich – wie erläutert – im Ermessen des Beklagten steht. In Ausübung seines Ermessens hat er die aufgezeigte Rechtsauffassung des Senats zu beachten.
124Auf die mit dem zweitinstanzlichen Antrag geltend gemachte Nebenforderung auf Zahlung von Zinsen ab Rechtshängigkeit besteht hier kein Anspruch, weil – unbeschadet der vorstehenden ermessensleitenden Hinweise zur Gewährung eines Mindestbetrages für noch zu erbringende weitere Beihilfeleistungen – die Beklagte nicht zu einer bezifferten Geldforderung oder zum Erlass eines auf eine solche Geldforderung gerichteten Verwaltungsaktes verurteilt worden ist. Bei Verpflichtungsklagen löst ein wie hier auf die (bloße) Neubescheidung gerichteter Urteilsausspruch eine Zinspflicht in entsprechender Anwendung des § 291 BGB nicht aus.
125Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1995 – 11 C 22/94 –, juris.
126Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
127Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der § 132 Abs. 2, § 191 Abs. 2 VwGO und § 127 BRRG nicht gegeben sind. Die Rechtssache wirft keine grundsätzlichen Fragen des revisiblen Rechts auf. Insbesondere die Frage bestehender Wechselwirkungen von Fürsorgeleistungen auf der einen und Sozialhilfeleistungen auf der anderen Seite bedurfte vorliegend mangels Fallrelevanz keiner Entscheidung, so dass diesbezüglich keine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu verzeichnen ist.
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