Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 2265/08
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Beklagten abgelehnt.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren und – unter entsprechender Änderung der durch das Verwaltungsgericht erfolgten Festsetzung – auch für das erstinstanzliche Verfahren jeweils auf 1.141,69 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen auf der Grundlage der – fristgerechten – Darlegungen der Beklagten nicht vor. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. An solchen Zweifeln fehlt es hier.
4Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte dem Antrag des Klägers folgend unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide verpflichtet, diesem für vor Mai 2006 geleistete 97 Stunden Mehrarbeit Dienstbefreiung anstelle der Ende Mai 2007 gezahlten Mehrarbeitsvergütung zu gewähren. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt: Der Anspruch auf Gewährung von Dienstbefreiung folge aus § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG. Danach habe der Beamte, der durch Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werde, einen Anspruch auf Gewährung von Dienstbefreiung, dem innerhalb eines Jahres entsprochen werden solle. Die zu diesem Grundsatz eine Ausnahme formulierende Regelung des § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG, nach der an der Stelle der Dienstbefreiung eine Vergütung der Mehrarbeitsstunden erfolgen könne, wenn eine Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich sei, greife hier nicht ein. Denn es fehle hier am Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe i.S.d. § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG. Solche lägen nur dann vor, wenn die an sich gebotene Dienstbefreiung den Dienstbetrieb nicht unerheblich beeinträchtigen würde, was der Fall wäre, wenn nicht nachholbare Angelegenheiten unerledigt bleiben würden. Der hier in den Blick zu nehmende Zustellstützpunkt L. sei seit Jahren personell unterbesetzt, so dass die dortigen Beschäftigten regelmäßig Mehrarbeit leisten müssten. Diene aber die Anordnung vom Mehrarbeit nicht der Bewältigung kurzzeitiger, unvermeidbarer Belastungsspitzen, sondern der Bewältigung einer latenten, vermeidbaren Personalknappheit, so könne der Dienstherr dem Begehren des Beamten nach Gewährung von Freizeitausgleich diese Personalknappheit solange nicht entgegenhalten, wie sie nicht zwingend sei, also durch organisatorische Maßnahmen beseitigt werden könne. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass es ihr trotz aller Bemühungen nicht möglich gewesen wäre, durch Versetzungen oder die Einstellung neuer Postzusteller die Personalsituation im Zustellstützpunkt L. zu verbessern. Sie hätte – im Gegenteil – der personellen Unterbesetzung abhelfen können, da die Deutsche Post AG im Jahr 2007 im Geschäftsbereich Brief ca. zwei Milliarden Euro Gewinn erzielt habe und ein Neueinstellungen hindernder Arbeitskräftemangel nicht erkennbar sei.
5Hiergegen macht die Beklagte mit ihrem Zulassungsvorbringen geltend, dass zwingende dienstliche Gründe i.S.v. § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG (a.F.; vgl. nunmehr die entsprechende Regelung in § 88 Satz 4 BBG) schon wegen der Personalknappheit im Zustellstützpunkt L. vorgelegen hätten. Für die Beantwortung der Frage, ob die an sich gebotene Dienstbefreiung des Klägers den Dienstbetrieb nicht unerheblich beeinträchtigt hätte, sei es nämlich unerheblich, auf welche Ursache der Anfall der Mehrarbeit oder die einer Dienstbefreiung entgegenstehenden Gründe zurückzuführen seien und ob sie (die Beklagte) dieser Ursache – der (längerfristigen) Unterbesetzung des Stützpunktes – hätte abhelfen können. Denn § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG diene dem Zweck, die ordnungsgemäße Erfüllung der im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben jederzeit zu ermöglichen. Dabei habe sich die Behörde an dem im Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung von Dienstbefreiung oder Mehrarbeitsvergütung feststellbaren Gegebenheiten zu orientieren. Die Vorschrift verfolge hingegen nicht den Zweck, eine etwaige Säumnis des Dienstherrn im Bereich der Personalwirtschaft durch den Verlust der Vergütungsbefugnis zu sanktionieren oder ihm eine angespannte Arbeitsmarktlage insoweit anzulasten.
6Dieses im Kern auf Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichts Düsseldorf
7– BayVGH, Urteil vom 14. März 1990 – Nr. 3 B 89.02675 – (n.v.); VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 1992 – 10 K 1157/91 – (n.v.) –
8gestützte Zulassungsvorbringen greift nicht durch. Zwingende dienstliche Gründe i.S.d. § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG a.F. bzw. nunmehr § 88 Satz 4 BBG sind nur dann gegeben, wenn die an sich gebotene Freistellung des Beamten zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung oder Gefährdung des Dienstbetriebs führen würde.
9Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 1985 – 2 B 45.85 –, Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 26 = juris, Rn. 4; v. Roetteken/Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht, Teilausgabe IV, Stand: Februar 2010, HBG § 85 Rn. 170 (zu der Parallelvorschrift des § 85 Abs. 2 Satz 3 HBG).
10Nicht unerheblich beeinträchtigt würde der Dienstbetrieb vor allem dann, wenn und soweit er durch die Dienstbefreiung in einer (wichtige) Belange der Allgemeinheit gefährdenden oder gar schädigenden Weise gestört würde.
11Vgl. BayVGH, Urteil vom 14. März 1990 – Nr. 3 B 89.02675 – a.a.O.; Kathke, in: Schwegmann/ Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: Januar 2010, § 48 BBesG A II/1, Rn. 26; Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, Stand: März 2010, BBG 2009 § 88, Vorläufiger Hinweis 0.2, und BBG (alt) § 72 Rn. 27, dort bejaht – nur – bei Fachkräftemangel oder für Fälle, wie sie bei Dauereinsätzen der Polizei aus Anlass von Unruhen oder von Verkehrs- und Versorgungspersonal bei Katastrophen oder Epidemien o.ä. gegeben sind; vgl. ferner das Urteil des BVerwG vom 10. Dezember 1970 – 2 C 45.68 –, BVerwGE 37, 21 = juris, Rn. 34, in dessen Gefolge § 72 Abs. 2 BBG a.F. im Jahre 1971 geschaffen worden ist (vgl. insoweit BT-Drs. VI/1885 und Summer, Mehrarbeitsentschädigung an Beamte, RiA 1973, 142) und in welchem als denkbare Ausnahmesituationen insbesondere Groß- und Dauereinsätze von Krankenhauspersonal bei Epidemien oder ein Arbeitskräftemangel aus anderen nicht zu beseitigenden Gründen genannt werden.
12Die Frage, ob wegen der Gewährung von Dienstbefreiung im Einzelfall eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes zu besorgen wäre, beantwortet sich dabei grundsätzlich nach den tatsächlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung von Dienstbefreiung oder Mehrarbeitsvergütung. Denn der Gesetzgeber hat dem Dienstherrn die Ausnahmemöglichkeit nach § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG a.F. überhaupt nur deshalb eröffnet, um zwingenden dienstlichen Gründen Rechnung zu tragen, also sicherzustellen, dass die Erfüllung aktuell anstehender unaufschiebbarer dienstlicher Aufgaben nicht unter der nach der Grundentscheidung des § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG a.F. an sich gebotenen Gewährung von Dienstbefreiung leidet.
13Vgl. BayVGH, Urteil vom 14. März 1990 – Nr. 3 B 89.02675 – a.a.O.; Kathke, a.a.O.
14Insoweit mag auch zutreffend sein, dass es für die Beantwortung der Frage, ob eine an sich gebotene Dienstbefreiung den Dienstbetrieb nicht unerheblich beeinträchtigen würde, ohne Bedeutung ist, auf welche Ursache der (ohnehin in der Vergangenheit liegende) Anfall der Mehrarbeit zurückzuführen ist.
15Vgl. BayVGH, Urteil vom 14. März 1990 – Nr. 3 B 89.02675 –, a.a.O.; VG Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 1992 – 10 K 1157/91 –, a.a.O.
16Die Orientierung an dem im Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung von Dienstbefreiung feststellbaren Gegebenheiten schließt allerdings die ggf. erfolgversprechende Bemühung um Abhilfe hinsichtlich des Personalengpasses und damit dessen aktuelle Beseitigung mit ein. Dass dem Dienstherrn in der Vergangenheit liegende Versäumnisse hinsichtlich der Vorhaltung ausreichenden, den Anspruch auf Dienstbefreiung berücksichtigenden Personalbestandes nicht vorgehalten werden kann, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn bei der Beantwortung der Frage nach dem Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe kann es generell nur um die je aktuelle Situation gehen. Deren Betrachtung schließt es aber offensichtlich nicht aus, dem Dienstherrn ggf. die Fortsetzung seiner in der Vergangenheit liegenden, den gesetzlichen Anspruch auf Dienstbefreiung missachtenden Versäumnisse in der Personalpolitik zu verweigern und von ihm ggf. erstmalige Befolgung des Gesetzes zur Vermeidung unnötiger, hausgemachter Personalengpässe einzufordern.
17Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2006 – 2 C 23.05 –, NVwZ-RR 2008, 45 = ZBR 2006, 349 = juris, Rn. 22.
18Zum einen gestattet nämlich § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG a.F. die Ersetzung einer nach § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG a.F. an sich geschuldeten Dienstbefreiung nur ausnahmsweise und nur unter engen Voraussetzungen, nämlich dann, wenn die Gewährung von Dienstbefreiung aus (nach den aktuellen Gegebenheiten zu beurteilenden) zwingenden dienstlichen Gründen "nicht möglich" ist, also aktuell nicht durch organisatorische Maßnahmen ermöglicht werden kann. Schon in der Gesetzesbegründung ist an einschlägiger Stelle hervorgehoben worden,
19vgl. die Erläuterungen zu Art. 1 § 1 Nr. 9 (§ 36a [neu] BBesG) des Ersten Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetzes (1. BesVNG) in dem der BT-Drs. VI/1885 beigegebenen Schriftlichen Bericht des Innenausschusses (dort Seite 7), auf welche in Bezug auf die später als § 72 Abs. 2 BBG a.F. Gesetz gewordene Regelung des Art. V § 1 Abs. 1 Nr. 1 1. BesVNG auf Seite 11 dieses Berichts zur Erläuterung verwiesen wird,
20dass eine finanzielle Abgeltung von Mehrarbeit voraussetzt, dass ein Freizeitausgleich "in Ausnahmefällen bei Anlegung eines strengen Maßstabes – aus 'zwingenden' dienstlichen Gründen – nicht möglich ist"; das schließt es ohne weiteres aus, mögliche organisatorische Maßnahmen – zur Behebung des personellen Engpasses – außerhalb der Betrachtung zu lassen. Zum anderen kann es auch aus einem weiteren Grund nicht richtig sein, dem jeweiligen Dienstherrn die Berufung auf das Vorliegen zwingender dienstlicher Gründe i.S.v. § 72 Abs. 2 Satz 3 BBG a.F. immer schon dann zu gestatten, wenn er auf eine (auch) gegenwärtig gegebene Personalknappheit verweisen kann. Denn auf diese Weise würde in diesen, gerade in heutiger Zeit nicht seltenen Fällen nicht nur die gesetzliche Regel faktisch zur Ausnahme (und umgekehrt die Ausnahme zur Regel) gemacht, sondern auch ein solches in der Vergangenheit liegendes Verhalten des Dienstherrn ohne nachvollziehbaren Grund auch für die Gegenwart und Zukunft hingenommen, obwohl es in rechtwidriger Weise nicht der aus § 72 Abs. 2 Satz 2 BBG a.F. abzuleitenden Anforderung genügt hat, Vorsorge dafür zu treffen, dass den Beamten im Falle ihrer Inanspruchnahme durch ausgleichspflichtige Mehrarbeit die nach dieser Vorschrift gerade auch aus fürsorgerischen Gründen grundsätzlich geschuldete Dienstbefreiung gewährt werden kann.
21Aus dem Vorstehenden folgt hier, dass sich die Annahme des Verwaltungsgerichts, die von dem Kläger verlangte Dienstbefreiung sei nicht aus zwingenden dienstlichen Gründen unmöglich, auch in Ansehung des Zulassungsvorbringens nicht als ernstlich zweifelhaft erweist. Denn die Beklagte ist der Feststellung des Verwaltungsgerichts, sie hätte die aktuelle Personalknappheit im maßgeblichen Zeitpunkt durch organisatorische Maßnahmen, nämlich entweder durch Versetzungen oder durch die der Aktiengesellschaft finanziell und auch ansonsten mögliche Einstellung von (nicht beamteten Aushilfs-) Zustellern umgehend beenden können, der Sache nach – ausgehend von der von ihr vertretenen Rechtsauffassung konsequenterweise – in keiner Weise entgegengetreten.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
23Die auf der Grundlage des § 63 Abs. 3 GKG von Amts wegen erfolgte Änderung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwerts und die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruhen auf §§ 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 und 3 GKG. Für die Bestimmung der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache orientiert sich der Senat an der Höhe der Mehrarbeitsvergütung, welche im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über deren Gewährung nach der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte – MVergV – zur Abgeltung anstelle der Dienstbefreiung zu zahlen war (97 auszugleichende Stunden multipliziert mit dem nach § 4 Abs. 1 MVergV u.a. für Beamte in der Besoldungsgruppe A 5 seinerzeit bestehenden Vergütungsbetrag pro Stunde von seinerzeit 11,77 Euro ergeben 1.141,69 Euro).
24Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und – hinsichtlich der Streitwertfestsetzung – gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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