Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 8 B 753/11
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers ¬gegen den Be-schluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 1. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerde-verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Bei-geladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 7.500,- € festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht in Frage.
3Die im Verfahren nach den §§ 80 Abs. 5, 80a VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand zu Lasten des Antragstellers aus.
4Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das Vorhaben Rechte des Antragstellers verletzt.
51. Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Vorhaben des Beigeladenen wegen unzulässiger Lärmimmissionen gegen die drittschützende Betreiberpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verstößt, liegen nicht vor.
6a) Die Beschwerde stellt nicht in Frage, dass für das in einem allgemeinen Wohngebiet gelegene Wohnhaus des Antragstellers nach Nr. 6.1 Buchst. d) der TA Lärm ein Immissionsrichtwert von tags 55 dB(A) und nachts 40 dB(A) zu beachten ist. Der hier allein maßgebliche Tagwert wird ausweislich der vom Beigeladenen im Genehmigungsverfahren vorgelegten Geräuschprognose aller Voraussicht nach eingehalten. Für zwei dem Haus des Antragstellers nahe gelegene und gleich weit von der Moto-Cross-Anlage entfernte Wohnhäuser liegt der für den "Regelbetrieb Training" prognostizierte Tag-Wert mit 49 dB(A) deutlich unter dem Immissionsrichtwert von 55 dB(A). Auf den niedrigeren Nachtwert, der nach Nr. 6.4 der TA Lärm für den Beurteilungszeitraum von 22.00 bis 6.00 Uhr gilt, kommt es nicht an, weil die Anlage nachts nicht betrieben wird. Mit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die zu erwartende Überschreitung des Beurteilungspegels von 55 dB(A) bei Motocross- und Quad-Veranstaltungen an Sonn- und Feiertagen nicht zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung führt, weil es sich bei diesen Veranstaltungen, die höchstens dreimal pro Jahr zweitägig stattfinden dürfen, um seltene Ereignisse i.S.d. Nr. 7.2 der TA Lärm handelt, setzt sich die Beschwerdebegründung nicht auseinander.
7b) Die gegen die Geräuschprognose geltend gemachten Bedenken greifen nicht durch.
8Die Rüge, die Prognose habe die Geräuschvorbelastung durch den nahegelegenen Flugplatz B. zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, ist unbegründet.
9aa) Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es auf den vom Flugplatz herrührenden Geräuschpegel bei der Ermittlung der Gesamtbelastung im Sinne der TA Lärm nicht ankommt.
10Vorbelastung im Sinne der TA Lärm ist nach deren Nr. 2.4 die Belastung eines Ortes mit Geräuschimmissionen von allen Anlagen, für die die TA Lärm gilt, ohne den Immissionsbeitrag der zu beurteilenden Anlage. Flugplätze gehören indessen nicht zu den Anlagen, für die die TA Lärm gilt. Deren Anwendungsbereich erfasst - ungeachtet hier nicht einschlägiger Ausnahmen - Anlagen, die als genehmigungsbedürftige oder nicht genehmigungsbedürftige Anlagen den Anforderungen des Zweiten Teils des Bundes-Immissionsschutzgesetzes unterliegen (Nr. 1 der TA Lärm). Das trifft auf den Flugplatz nicht zu, weil das Bundes-Immissionsschutzgesetz auf Flugplätze keine Anwendung findet (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG). Die genannte Regelung erfasst nach ihrem Sinn und Zweck gerade den hier vom Antragsteller angeführten Fluglärm.
11Vgl. Jarass, BImSchG, 8. Aufl. 2010, § 2 Rn. 21, m.w.N.
12Die Bildung eines Lärmsummenpegels unter Einbeziehung des durch den Flugplatz verursachten Fluglärms war danach hier nicht geboten.
13Der Hinweis des Antragstellers auf den rezeptorbezogenen Ansatz des Bundes-Immissionsschutzgesetzes stellt dieses Ergebnis nicht in Frage. Zwar kommt es für die Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen nach der Definition des § 3 Abs. 2 BImSchG nicht darauf an, woher, insbesondere aus wie vielen Quellen, die zu beurteilende Beeinträchtigung stammt; auch ist bei der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung von Anlagen die vorhandene Geräuschvorbelastung grundsätzlich zu berücksichtigen. Daraus folgt jedoch nicht, dass dem nur durch die Bildung eines alle Geräusche erfassenden Summenpegels Rechnung getragen werden kann. Die Frage, wie der Lärmbeitrag anderer, insbesondere - wie hier - andersartiger Anlagen zu berücksichtigen ist, ist vorrangig nach dem für die jeweilige Anlagenart einschlägigen Regelwerk zu beantworten.
14Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2001 - 7 C 16.00 -, NVwZ 2001, 1167 = juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2010 - 2 D 64/08.NE -, juris Rn. 120 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. April 2011 - 11 S 78.10 -, juris Rn. 5.
15Ob die - nach dem Vortrag des Antragstellers hohe - Belastung durch Fluglärm zumutbar ist, beurteilt sich deshalb nach den für die Beurteilung von Fluglärm geltenden Maßstäben und ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
16bb) Die vorliegenden Sachverhaltsumstände geben auch keinen Anlass, die Geräuschbelastung durch den Flugplatz im Wege einer Sonderfallprüfung in die Bewertung der Gesamtbelastung einzubeziehen. Eine Sonderfallprüfung nach Nr. 3.2.2 der TA Lärm kommt in Betracht, wenn die prognostische Berechnung nach der TA Lärm die tatsächliche Gesamtbelastung aufgrund besonderer Umstände nicht hinreichend zu bewerten vermag. Die in Nr. 3.2.2 Buchst. a) bis d) der TA Lärm genannten Fälle sind nicht abschließend. Eine Sonderfallprüfung kommt beispielsweise auch dann in Betracht, wenn eine Vorbelastung vorhanden ist, die von nicht nach der TA Lärm zu beurteilenden Anlagen verursacht wird.
17Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: September 2010, Bd. IV, Nr. 3 TA Lärm, Rn. 45 f.
18Für eine schlichte Addition der Geräuschpegel, die sich im Fall eines Zusammentreffens von nach der TA Lärm zu beurteilenden Anlagengeräuschen mit Verkehrsgeräuschen ergibt, ist aber regelmäßig kein Raum, weil für Verkehrsgeräusche eigenständige Regelungen gelten, aus denen sich abweichende Berechnungsmethoden und Zumutbarkeitsgrenzen ergeben. Anhaltspunkte dafür, dass die auf das Hausgrundstück des Antragstellers einwirkende Gesamtbelastung durch die Motocross-Anlage und den Flugplatz Werte erreicht, die aus Gründen des Grundrechtsschutzes kritisch erscheinen,
19vgl. zu dieser Grenze OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2010 - 2 D 64/08.NE -, juris Rn. 126, m.w.N.; Bay.VGH, Urteil vom 11. März 2004 - 22 B 02.1653 -, ZUR 2004, 304,
20zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf. Derartiges ergibt sich insbesondere nicht aus der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Stellungnahme des Rheinisch-Westfälischen Technischen Überwachungsvereins vom 4. Mai 1972.
21cc) Letztlich kommt es auf die vorstehenden Überlegungen jedoch nicht streitentscheidend an. Denn die Ermittlung und Berücksichtigung einer etwaigen Vorbelastung war im hier vorliegenden Fall jedenfalls nach Nr. 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm nicht erforderlich. Nach dieser Regelung darf die Genehmigung für die zu beurteilende Anlage auch bei einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte auf Grund der Vorbelastung aus Gründen des Lärmschutzes nicht versagt werden, wenn der von der Anlage verursachte Immissionsbeitrag im Hinblick auf den Gesetzeszweck als nicht relevant anzusehen ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn die von der zu beurteilenden Anlage ausgehende Zusatzbelastung die Immissionswerte nach Nummer 6 am maßgeblichen Immissionsort um mindestens 6 dB(A) unterschreitet. Ausgehend von dem in dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegten und mit der Beschwerdebegründung nicht in Frage gestellten Prognosewert von 49 dB(A) und dem Immissionsrichtwert von 55 dB(A) ist diese Voraussetzung hier erfüllt.
22Anhaltspunkte dafür, dass von der im Regelfall geltenden Irrelevanzregelung gemäß Nr. 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm hier ausnahmsweise abzuweichen ist, sind nicht ersichtlich. Von der Regelung kann zur Vermeidung einer "Salamitaktik" insbesondere dann abzuweichen sein, wenn sich der Immissionsort im Einwirkungsbereich mehrerer Betreiber gewerblicher Anlagen befindet, die jeweils die Irrelevanzregelung für sich in Anspruch nehmen.
23Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 28. Mai 2008 - 8 B 238/08 -, und vom 27. August 2009 - 8 B 797/09 -, n.v.
24Das ist hier aber nicht der Fall.
25b) Die Beschwerdebegründung legt einen Fehler der Geräuschprognose auch nicht mit dem Einwand dar, dass der betriebsbedingte An- und Abfahrtsverkehr nicht hinreichend berücksichtigt sei. Die Immissionsprognose hat den von den Parkvorgängen ausgehenden Lärm ebenso in den Blick genommen wie den Lärm des an- und abfahrenden Verkehrs, der allerdings nur nach Maßgabe von Nr. 7.4 der TA Lärm zu berücksichtigen ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Prognosegutachtens geht die Beschwerdebegründung nicht ein. Unter welchem Gesichtspunkt ein Fehler der Prognose vorliegen könnte, zeigt der Antragsteller nicht auf.
262. Ausgehend davon, dass ein Verstoß gegen die drittschützenden Betreiberpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht vorliegt, bleibt auch die Rüge, das Vorhaben verstoße wegen der störenden Geräusche gegen das in § 35 Abs. 3 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme, ohne Erfolg.
27Bei der Bestimmung der Grenze der in einem bestimmten Gebiet zumutbaren Beeinträchtigungen ist - vorbehaltlich spezieller Vorgaben in den einschlägigen technischen Regelwerken - grundsätzlich die zwischen Immissionsschutzrecht und Bebauungsrecht bestehende Wechselwirkung zu berücksichtigen. Einerseits konkretisiert das Bundes-Immissionsschutzgesetz die gebotene Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft allgemein und folglich auch mit Wirkung für das Bebauungsrecht. Andererseits bemisst sich die Schutzwürdigkeit eines Gebiets nach dem, was dort planungsrechtlich zulässig ist.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 7 C 7.92 -, NVwZ 1993, 987, und Beschluss vom 2. Februar 2000 - 4 B 87.99 -, NVwZ 2000, 679.
29Danach begründet das Gebot der Rücksichtnahme keinen weitergehenden Anspruch des Antragstellers auf Schutz vor Geräuschbeeinträchtigungen durch die Moto-Cross-Anlage als das Immissionsschutzrecht.
30Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind billigerweise nicht erstattungsfähig. Er hat sich, da er keinen Antrag gestellt hat, keinem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 VwGO) und das Verfahren auch sonst nicht wesentlich gefördert.
31Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Sie orientiert sich an Nrn. 1.5, 19.2 und 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525 = NVwZ 2004, 1327).
32Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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