Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1246/10
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Beklagten abgelehnt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg; er ist zulässig, aber unbegründet.
3Das Verwaltungsgericht hat der Klage, die darauf gerichtet war, die Beklagte zu verpflichten, den vom Kläger am 20. Juni 2007 nach dem Dienst bemerkten Zeckenbiss als Dienstunfall anzuerkennen, stattgegeben. Die hiergegen angeführten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO sind schon nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen auf Grundlage der maßgeblichen Darlegungen nicht vor.
4Zunächst bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Eine hinreichende Darlegung erfordert es, unter eingehender Auseinandersetzung mit dem erstinstanzlichen Urteil dessen Fehlerhaftigkeit zu erklären und zu erläutern. Das Oberverwaltungsgericht soll allein aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags die Zulassungsfrage beurteilen können, ohne weitere aufwändige Ermittlungen anstellen zu müssen.
5Ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. statt vieler: Beschluss vom 27. Juni 2011 – 1 A 1177/09 –, juris Rn. 9, m.w.N.
6Im Hinblick auf den Einwand, dass bei einem Zeckenbiss, der (noch) nicht zu einer Folgeerkrankung durch die bissbedingte Übertragung eines Krankheitserregers geführt hat, das Vorliegen eines Körperschadens zu verneinen sei, genügt der Vortrag der Beklagten nicht den geschilderten Darlegungsanforderungen. Denn ihr Einwand beschränkt sich darauf festzustellen, dass diese Frage noch nicht höchstrichterlich geklärt sei und dass sie – die Beklagte – die Argumentation des Verwaltungsgerichts für schwach halte, weil sie sich an eine Entscheidung des OVG Saarlouis anlehne, die noch nicht rechtskräftig sei.
7Diese Einwände der Beklagten genügen deswegen schon nicht den Darlegungsanforderungen, weil sie sich inhaltlich in keiner Weise mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Das Verwaltungsgericht hat auf S. 5 des Urteilsabdrucks ausführlich beschrieben, warum es vom Vorliegen eines Körperschadens ausgeht. Unter anderem hat es hierzu darauf abgestellt, dass der physische Zustand des Opfers eines Zeckenbisses zumindest während der Zeit, in der die Zecke sich im Körper festbeiße und unter gleichzeitiger Absonderung eines Sekrets in den Körper des Opfers diesem Blut absauge, im Sinne eines Körperschadens ungünstig verändert sei. Angesichts dessen beschränke sich der Zeckenbiss nicht auf eine geringfügige Hautverletzung. Vielmehr verschaffe sich die Zecke durch ihren Biss unmittelbaren Zugang zu der Blutbahn ihres Opfers, zapfe diese an und verunreinige die Bissstelle und damit letztlich das Blut ihres Opfers.
8Gegenüber einer solch detaillierten Begründung genügt es nicht anzusprechen, dass das Verwaltungsgericht "schwache" Bezugsquellen benenne. Es wäre vielmehr eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten erforderlich gewesen.
9Soweit die Beklagte weiterhin rügt, es sei nicht hinreichend sicher geklärt, dass sich der Kläger den unstreitig nach dem Dienst am 20. Juni 2007 entdeckten Zeckenbiss auch während des Dienstes am 20. Juni 2007 zugezogen habe, kann sie mit diesem Einwand ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufzeigen. Dem Grundsatz nach trifft es zwar zu, dass der Beamte im Rahmen des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG entsprechend den allgemeinen Beweisgrundsätzen, die auch im Dienstunfallrecht gelten, für das Vorliegen eines Dienstunfalls den vollen Beweis zu erbringen hat ("mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit"). Lassen sich die Anspruchsvoraussetzungen (hier: das zeitlich und örtlich bestimmbare Ereignis) nicht klären, trägt der Beamte die materielle Beweislast, d. h. die Unaufklärbarkeit geht zu seinen Lasten,
10Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1997 – 2 B 127.96 –, juris Rn. 5; Beschluss des Senats vom 13. Oktober 2010 – 1 A 3299/08 –, juris Rn. 10 = NRWE, m. w. N.
11Vorliegend ist aber davon auszugehen, dass "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" sich der Kläger den Zeckenbiss während des Dienstes am 20. Juni 2007 zugezogen hat. Für einen alternativen Unfallort bzw. Kausalverlauf ist nichts ersichtlich; dem gegenüber wies der Dienstort an diesem Tage ein hohes Risiko eines Zeckenbefalls auf. Denn während des Dienstes musste der Kläger Durchlässe und Stützbauwerke im Netzbezirk G. prüfen. Hierzu hatte er Gelände zu betreten, das mit Gestrüpp und hohem Gras bewachsen war. Bei solchem Gelände handelt es sich nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, denen auch die Beklagte nicht entgegen getreten ist, um ein solches, das regelmäßig von Zecken bevölkert wird. Vergleichbares lässt sich von bebautem Gelände oder gemähten Rasenflächen nicht sagen. Anders als etwa in dem vom OVG Rheinland-Pfalz zu entscheidenden Fall,
12vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2010 – 2 A 10933/10 –, DÖD 2011, 116 = juris Rn. 5,
13ist hier nichts dafür ersichtlich und auch nicht von der Beklagten vorgetragen, dass der Kläger sich – dienstlich oder privat – in zeitlichem Zusammenhang zur Entdeckung des Zeckenbisses auch bei anderer Gelegenheit in typischem "Zeckengelände" aufgehalten hat. Im Gegenteil: Die Beklagte betont sogar, dass vergleichbare Aufenthalte für die dienstlichen Aufgaben des Klägers eher untypisch seien.
14Auch der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht gegeben. Wird der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung geltend gemacht, so muss regelmäßig eine konkrete, höchst- oder obergerichtlich noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage bezeichnet werden, die sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat.
15Der einzig von der Beklagten aufgeworfenen Frage,
16ob es für die Frage der Dienstbezogenheit eines Unfallereignisses darauf ankomme, ob dieses Ereignis bei Verrichtungen des Beamten/der Beamtin eingetreten ist, die dieser/diese typischerweise verrichtet oder ob die Feststellung genüge, das der Beamte/die Beamtin zur Zeit des schädigenden Ereignisses konkret dienstliche Tätigkeiten versehen hat,
17kommt diese grundsätzliche Bedeutung nicht zu.
18Denn sie war für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht von Bedeutung. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung nicht ausschließlich darauf gestützt, dass der Kläger zur Zeit des schädigenden Ereignisses konkret dienstliche Tätigkeiten versehen hat. Es hat vielmehr höhere Anforderungen an die Dienstbezogenheit des Unfallereignisses gestellt. So hat es deutlich gemacht, dass für die Dienstbezogenheit des Unfallereignisses gerade nicht jedweder ursächliche Zusammenhang mit der Ausübung des Dienstes genüge. Vielmehr bedürfe es einer besonders engen ursächlichen Verknüpfung mit dem Dienst, da der Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG nach ihrem Sinn und Zweck das Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse im Dienst durch den Dienstherrn zugrundeliege (S. 6 des Urteilsabdrucks). Sodann hat es diese Grundsätze dahingehend konkretisiert, dass sich der Kläger im dienstlichen Auftrag einer Gefahr – nämlich der des Zeckenbisses – ausgesetzt habe. Dies geht weit über einen nur zeitlichen Zusammenhang zum Dienst hinaus. Ein anderes Verständnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ist ausgeschlossen.
19Im Übrigen ist die aufgeworfene Frage auch ohne Weiteres anhand der bereits vom Verwaltungsgericht zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu beantworten, ohne dass es hierfür weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Danach verlangt das Tatbestandsmerkmal "in Ausübung des Dienstes" gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Unfallereignisses mit dem Dienst. Leisten Beamte Dienst außerhalb des eigentlichen Dienstortes, so genießen sie hierbei Dienstunfallschutz, wenn die konkrete Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, im engen natürlichen Zusammenhang mit ihren dienstlichen Aufgaben oder dienstlich notwendigen Verrichtungen besteht. Der Unfall muss seine wesentliche Ursache in den Erfordernissen des Dienstes haben und dadurch nach seiner Eigenart geprägt sein.
20BVerwG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 B 135/07 –, ZBR 2008, 256 = juris Rn. 6 ff.
21Sind dem Beamten für eine gewisse Zeit Aufgaben zugewiesen, die er nicht an seinem üblichen Dienstort, sondern an einem anderen Ort wahrnehmen muss, so wird dieser Ort für die Dauer der Aufgabenerledigung vorübergehend Dienstort.
22BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2010 – 2 C 81/08 –, ZBR 2011, 35 = juris Rn. 19.
23Dementsprechend war das Gelände, auf dem der Kläger am 20. Juni 2007 in Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten die baulichen Prüfungen vorzunehmen hatte, Dienstort im dienstunfallrechtlichen Sinne. Aus der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich nichts Gegenteiliges. Diese zeigt vielmehr eindeutig auf, dass es – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht darauf ankommt, dass die konkrete Diensthandlung zu den typischen Tätigkeiten auf dem Dienstposten gehört. Denn in den beiden genannten Fällen ging es einerseits um eine Lehrerin, die während eines Schullandheimaufenthalts in der Dusche stürzte und andererseits um eine Lehrerin, die für drei Tage im Rahmen eines Schulprojekts auf dem "K. I." eine Gruppe von Schülern zu betreuen hatte und dort von einer Zecke gebissen wurde. In beiden Fällen handelte es sich offensichtlich nicht um die typische, den Lehrerberuf prägende Unterrichtstätigkeit.
24Sollten die Ausführungen der Beklagten zum Vorliegen eines Körperschadens, namentlich das Argument, dass hierzu eine höchstrichterliche Klärung fehle, so verstanden werden, dass auch insoweit eine grundsätzliche Bedeutung angenommen werde, obwohl die Beklagte diesen Aspekt dem Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet hat (vgl. oben), ist dieser Zulassungsgrund auch insoweit nicht gegeben. Denn es fehlt schon an ausreichenden Darlegungen, dass die Entscheidung Bedeutung für weitere Verfahren haben wird. Insoweit behauptet die Beklagte lediglich, dass weitere Verfahren anhängig seien. Wo diese Anhängigkeit bestehen soll, ist schon nicht klar. Es erscheint dem Senat auch nicht ohne Weiteres naheliegend, dass die Anerkennung eines Zeckenbisses, der zu keiner Folgeerkrankung führt, und der deswegen allenfalls einen geringfügigen Körperschaden verursacht, in mehreren Fällen zu Anträgen auf Anerkennung als Dienstunfall führen wird. Dies gilt in gesteigertem Maße für die Möglichkeit, in solchen Fällen um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
26Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 und 3 GKG.
27Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO und – hinsichtlich der Streitwertfestsetzung – gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig, § 124 a Abs. Satz 4 VwGO.
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