Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 A 1035/10
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Der dem Beigeladenen erteilte Bauvorbescheid vom 6. Juni 2008 wird aufgehoben.
Die Beklagte und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie jeweils selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte und der Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 von Hundert des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin und der Beigeladene sind Eigentümer der in einer Wohnsiedlung gelegenen benachbarten Grundstücke L. 81 und 83 in F. (Gemarkung I. , Flur 29, Flurstücke 138 und 137), die ursprünglich mit zwei 1935 an der gemeinsamen Grundstücksgrenze mit ihren Giebelseiten aneinandergebauten, bis auf wenige Zentimeter spiegelbildlichen Doppelhaushälften bebaut waren. Ein Bebauungsplan existiert für diesen Bereich nicht. In Umsetzung von zwei, den Voreigentümern 1946 und 1947 erteilten Baugenehmigungen wurde das Doppelhaus, nachdem es kriegsbedingt teilweise zerstört worden war, in der Mitte des letzten Jahrhunderts wieder aufgebaut, wobei in beiden Haushälften mit jeweils einer Breite von circa 7,0 m und einer Tiefe von 10,50 m jeweils zwei abgeschlossene Wohneinheiten entstanden. Unterschiedlich gestalten sich bis heute die an den äußeren Giebelseiten errichteten Eingangsbereiche. Während das Wohnhaus der Klägerin über einen seitlichen Treppenhausanbau von circa 2,59 m x 4,28 m verfügt, der sich bis zum Dachgeschoss erstreckt, liegt der Eingang in das Haus des Beigeladenen in einer Flucht mit der Giebelwand. Mit Bauschein vom 21. November 1949 wurde der Klägerin zudem die Erweiterung der Terrasse und des Balkons sowie die Errichtung einer Kellertreppe gestattet.
3Am 7. Januar 2008 beantragte der Beigeladene, die Erteilung eines Vorbescheids für den Abriss des Hauses L. 83 und den Neubau einer Doppelhaushälfte mit drei Wohneinheiten und einer Tiefgarage. Gegenstand der Bauvoranfrage ist die Errichtung eines zweigeschossigen Gebäudes mit ausgebautem Dachgeschoss, das wiederum giebelständig an das Wohnhaus der Klägerin angebaut werden soll und eine Straßenfront von 12,0 m Länge sowie eine Tiefe von circa 13,5 m aufweist. Ausweislich der eingereichten Bauvorlagen verfügt das die Firsthöhe des Hauses L. 81 aufnehmende Satteldach sowohl straßenseitig als auch gartenseitig über 4,50 m beziehungsweise 5,0 m breite und 2,0 m hohe Dachgauben, gartenseitig mit Ausgang zu einem Balkon. Weitere 2,5 m tiefe Balkone erstrecken sich im Erdgeschoss und im Obergeschoss von der Mitte der südwestlichen Giebelseite über die südliche Gebäudeecke bis auf die Rückfront des Hauses und enden dort 3,0 m vor der gemeinsamen Grenze. Die rückwärtige Südostfassade springt im Verhältnis zum Haus L. 81 um 1,0 m vor in Richtung Garten. Vor die straßenseitige Hausfront sind drei Glaserker von 1,0 m Tiefe gesetzt. Sie sind jeweils circa 2,80 m breit und circa 5,60 m hoch. Dort befindet sich grenzständig zum Wohnhaus L. 81 auch der Eingang zu dem Wohngebäude.
4Der Vorbescheid wurde dem Beigeladenen am 6. Juni 2008 antragsgemäß erteilt.
5Die Klägerin hat, nachdem ihr der Beklagte den Vorbescheid am 10. Juni 2008 bekanntgegeben hatte, am 1. Juli 2008 Klage erhoben und geltend gemacht, das geplante Vorhaben füge sich hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung nicht in die Umgebungsbebauung ein und sei ihr gegenüber grob rücksichtslos. Es bilde mit ihrem Wohnhaus auch kein Doppelhaus mehr. Dem Erfordernis einer baulichen Einheit sei nur Genüge getan, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut würden. Zwar berührten sich ihr Wohnhaus und das Vorhaben noch an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, die Gebäude erschienen aber in Bezug auf ihre Kubatur jedes für sich als selbstständige Baukörper, da ihr Wohnhaus allenfalls noch ein Annex des neu zu errichtenden Gebäudes L. 83 sei.
6Die Klägerin hat beantragt,
7den Vorbescheid des Beklagten vom 6. Juni 2008 für das Gebäude L. 83 in F. (Gemarkung I. , Flur 29, Flurstück 137) aufzuheben.
8Die Beklagte und der Beigeladene haben beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Der Beigeladene hat sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 24. Februar 2000 (4 C 12/98) berufen, wonach der Begriff des Doppelhauses keine Spiegelbildlichkeit der beiden Haushälften erfordere. Dass das geplante Vorhaben größer als das Wohnhaus der Klägerin sei, sei deshalb unschädlich. Die wesentlichen Elemente der Kubatur, wie First- und Traufhöhe, die Giebelwand und weitestgehend auch die Bautiefe seien bei beiden Wohngebäuden identisch. Lediglich die Dachneigung unterscheide sich bei dem geplanten Vorhaben mit 45o von der Neigung des Nachbardaches, die 30o betrage. Diese Abweichung sei aber nicht so gravierend, dass von zwei selbstständigen Baukörpern die Rede sein könne.
11Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage am 25. März 2010 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen, auf die der Senat wegen der Einzelheiten Bezug nimmt, ausgeführt, dass der Vorbescheid nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts verstoße. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt, da die geringfügige Verschattung des Grundstücks der Klägerin die Grenze zur bloßen Lästigkeit nicht überschreite. Der Doppelhauscharakter sei unter Anwendung der von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Gerichts entwickelten Grundsätze weiterhin gewahrt. Die Gebäude seien in quantitativer Hinsicht auf der gesamten Giebelseite aneinandergebaut und bildeten auch in qualitativer Hinsicht eine wechselseitig verträgliche und abgestimmte bauliche Einheit. Beide Haushälften erschienen auch nach der Neuerrichtung des Vorhabens nicht als zwei selbstständige Baukörper, die sich nur an der Grundstücksgrenze berührten, sondern insbesondere wegen ihrer nur geringfügig unterschiedlichen Gebäudetiefe als ein die gemeinsame Grundstücksgrenze überbrückender, einheitlicher Baukörper. Dass die Frontlänge des Vorhabens die des Nachbarhauses um circa 5,0 m übersteige, sei dabei ohne Bedeutung.
12Gegen das Urteil richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 13. September 2011 zugelassene Berufung der Klägerin. Zu deren Begründung trägt sie vor, dass das Vorhaben gegen die nachbarschützende Bestimmung des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO verstoße, weil es abweichend von dem eingeschossigen Wohnhaus L. 81 mit einer Straßenfrontlänge von 7,0 m zweigeschossig mit 3 Wohneinheiten und einer Straßenfront von 12,0 m ausgeführt werden solle. Darüber hinaus seien 10,0 m lange rückwärtige Balkone im Erd- und Obergeschoss vorgesehen, die 2,90 m vor die Front träten. Nach der Schnittzeichnung überrage die Rückseite des Neubaus den Anbau des Nachbargebäudes um circa 1,5 m. Mit der Verringerung der Dachneigung gehe eine Beeinträchtigung der mittäglichen und nachmittäglichen Sonneneinstrahlung einher. Zudem sei der First des Vorhabens 0,35 m höher als derjenige des Hauses Nr. 81. Die Balkone, soweit sie in südwestlicher Richtung angebracht werden sollten, seien mit den Abstandflächenvorschriften nicht vereinbar.
13Die Klägerin beantragt,
14das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und nach dem Klageantrag erster Instanz zu erkennen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Das Vorhaben bilde mit dem Wohnhaus der Klägerin weiterhin ein Doppelhaus. Es sei anerkannt, dass es nicht zum Wesen eines Doppelhauses gehöre, dass jeder der Nachbarn seine Hälfte in gleichem Maße nutze, sie gleich groß oder gar symmetrisch sein müssten. Auch könne eine Haushälfte funktional selbstständige Eigentumseinheiten aufweisen, während die andere Haushälfte als Einfamilienhaus genutzt werde.
18Der Beigeladene beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Er weist darauf hin, dass beide Haushälften über eine Länge von circa 12,0 m aneinander gebaut werden sollen, weshalb das quantitative Element des Doppelhausbegriffs erfüllt sei. Keine Bedenken ergäben sich auch in qualitativer Hinsicht, da die Kubatur, die Höhe und Breite der Gebäude, deren traufen- oder giebelständige Anordnung sowie deren First-, Sockel- und Traufhöhen nach der Rechtsprechung ohne Bedeutung seien. Irrelevant für die Betrachtung sei damit das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubare Grundstücksfläche und die Baugestaltung, so dass die von der Klägerin angeführte Straßenfrontlänge, die Zahl der Wohnungen, die Balkone, die Traufständigkeit und die Firsthöhe nicht gegen den Doppelhauscharakter sprächen. Vielmehr halte sich das Vorhaben im Rahmen einer in offener Bauweise wechselseitigen Grenzbebauung. Qualifizierte Störungen im Sinne einer Unzumutbarkeit, die auf einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme schließen lassen könnten, habe die Klägerin nicht vorgetragen. Bauordnungsrechtliche Aspekte seien nicht Teil der Prüfung, da ein planungsrechtlicher Vorbescheid im Streit stehe.
21Die Berichterstatterin des Senats hat am 19. Dezember 2011 eine Ortsbesichtigung durchgeführt. Hinsichtlich der hierbei getroffenen Feststellungen wird auf das Protokoll vom gleichen Tage verwiesen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.
25Die Klage ist zulässig und begründet.
26Der angefochtene Vorbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Vorhaben des Beigeladenen verstößt gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts. Es ist mit § 34 Abs. 1 BauGB unvereinbar.
27Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist.
28Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil das Vorhaben des Beigeladenen zum Nachteil der Klägerin in Bezug auf die Bauweise gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des "Einfügens" verankerte Gebot der Rücksichtnahme verstößt.
29Die maßgebliche nähere Umgebung des Vorhabens, die nach dem vorliegenden Kartenmaterial und nach den bei der Ortsbesichtigung gewonnenen Eindrücken, die die Berichterstatterin dem Senat vermittelt hat, durch die Bebauung entlang der Straßen L. , S. und N.------ bestimmt wird, ist durch offene Bauweise geprägt. In der offenen Bauweise können nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet werden. Auch die Grundstücke der Klägerin und des Beigeladenen sind mit einem Doppelhaus bebaut.
30§ 22 Abs. 2 BauNVO stellt eine die offene Bauweise modifizierende Norm dar. Danach darf ein Doppelhaus ausnahmsweise auf zwei Grundstücken ohne seitlichen Grenzabstand errichtet werden, sofern die Haushälften in "wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise" aneinandergebaut werden.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 , BRS 63 Nr. 185.
32Das vom BVerwG entwickelte qualitative Element der wechselseitigen Verträglichkeit und Abgestimmtheit ist vor allem als Ausprägung der im Nachbarschaftsverhältnis zu wahrenden gegenseitigen Rücksichtnahme zu verstehen und anhand der für die Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme entwickelten Kriterien zu beurteilen. Denn der gegenseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein: Ihre Baufreiheit wird zugleich erweitert und beschränkt. Diese enge Wechselbeziehung, die jeden Grundstückseigentümer zugleich begünstigt und belastet, begründet ein nachbarschaftliches Austauschverhältnis, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf.
33Dies gilt auch für eine Doppelhausbebauung im unbeplanten Innenbereich, weil die wechselseitigen Rechte und Pflichten der Doppelhausnachbarn unabhängig davon bestehen, ob ihr Doppelhaus in einem mittels Bebauungsplan überplanten Bereich oder in einem unbeplanten Innenbereich liegt. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der häufig schmalen Grundstücke in beiden Fällen erhöht, während demgegenüber Freiflächen, die auch dem friedlichen Nebeneinanderdienen, an der gemeinsamen Grundstücksgrenze verloren gehen.
34Vgl. OVG NRW, Urteile vom 16. August 2011 10 A 1224/09 und vom 28. Februar 2012 – 7 A 2444/09 .
35Danach kann sich die Klägerin als Eigentümerin einer der beiden vorhandenen Doppelhaushälften gegen einen Vorbescheid für ein Vorhaben auf dem Nachbargrundstück, das dem Doppelhauscharakter widerspricht, zur Wehr setzen, weil der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, der den Begriff des Doppelhauses in der offenen Bauweise prägt, zwischen ihr und dem Beigeladenen ein nachbarliches Austauschverhältnis begründet hat, das ihr im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme subjektive Rechte verleiht. Die Klägerin gehört erkennbar zum Kreis der Betroffenen, auf den die Bebauung an der gemeinsamen Grundstücksgrenze Rücksicht zu nehmen hat.
36Das Vorhaben des Beigeladenen bildet zusammen mit der Haushälfte der Klägerin kein Doppelhaus mehr.
37Ein Doppelhaus setzt voraus, dass zwei Gebäude derart zusammengebaut werden, dass sie einen Gesamtbaukörper bilden. Hierzu genügt es nicht, dass das Wohnhaus der Klägerin und das Vorhaben des Beigeladenen grenzständig über eine Seitenlänge von circa 13,0 m aneinandergebaut sind. Der Begriff des Doppelhauses verlangt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ferner, dass die beiden "Haushälften" in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Insoweit enthält das Erfordernis der baulichen Einheit neben dem quantitativen auch ein qualitatives Element. Aufeinander abgestimmt sind die Hälften eines Doppelhauses, wenn sie sich in ihrer Grenzbebauung noch als "gleichgewichtig" und "im richtigen Verhältnis zueinander" und daher als harmonisches Ganzes darstellen, ohne disproportional, als zufällig an der Grundstücksgrenze zusammengefügte Einzelhäuser ohne hinreichende räumliche Verbindung zu erscheinen. Denn kennzeichnend für die offene Bauweise ist der seitliche Grenzabstand der Gebäude; die Hälften des Doppelhauses müssen folglich gemeinsam als ein Gebäude in Erscheinung treten. Dementsprechend muss ein Haus, soll es Teil eines Doppelhauses sein, ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit dem zugehörigen Nachbarhaus aufweisen, indem es zumindest einzelne der ihm Proportionen und Gestalt gebenden baulichen Elemente aufgreift. Anderenfalls wäre der die Hausform kennzeichnende Begriff der baulichen Einheit sinnentleert. Allgemeingültige Kriterien lassen sich jedoch insoweit mit Blick auf die von § 22 Abs. 2 BauNVO verfolgten städtebaulichen Ziele der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- oder Stadtbildes, die keine einheitliche Gestaltung erfordern, nicht aufstellen. Regelmäßig geben Höhe, Breite und Tiefe, sowie die Zahl der Geschosse und die Dachform einem Haus seine maßgebliche Gestalt. Diese Kriterien können daher im Einzelfall Anhaltspunkte für die Beurteilung des wechselseitigen Abgestimmtseins geben. Auch Übereinstimmungen oder Abweichungen in der Kubatur der Häuser infolge hervortretender Bauteile, wie Dachterrassen, Gauben oder Anbauten können mitentscheidend für die Beantwortung der Frage sein, ob noch von einer baulichen Einheit und damit von einem Doppelhaus die Rede sein kann. Insoweit erfährt ein geplantes Haus durch die bereits vorhandene Grenzbebauung eine das Baugeschehen beeinflussende Vorprägung. Umgekehrt trägt der Erstbauende das Risiko, dass die spätere Nachbarbebauung den planerisch eröffneten Freiraum stärker ausschöpft als er selbst. Er kann nicht erwarten, dass die später errichtete Doppelhaushälfte die überbaubare Grundstücksfläche nur in demselben Umfang ausnutzt wie er es getan hat.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 , a. a. O.
39Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen überschreitet das Vorhaben des Beigeladenen den Rahmen der vorgeschriebenen wechselseitigen Grenzbebauung. Das Vorhaben vermittelt den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus. Zwar ist eine vollständige Deckungsgleichheit der Haushälften nicht zu fordern. Auch ändert sich an der Einheitlichkeit des Gesamtbaukörpers "Doppelhaus" nichts, wenn - wie hier auf dem Grundstück der Klägerin geschehen - die Außenwand der einen Haushälfte durch einen kleineren Anbau aufgelockert wird. Das Vorhaben geht jedoch darüber hinaus. Es tritt nicht nur über seine gesamte Breite von 12,0 m um circa 1,0 m gegenüber der rückwärtigen Außenwand der benachbarten Haushälfte vor, sondern führt aufgrund seiner Grundfläche, der straßenseitigen Glasvorbauten sowie der in allen Geschossen vorhandenen Balkone im Zusammenspiel mit dem Firstversatz und der geringeren Dachneigung, die bei gleicher Firsthöhe wesentlich größere Außenwände auf den Giebelseiten bewirkt, dazu, dass ein Bauvolumen geschaffen wird, das nicht mehr den Eindruck einer Doppelhaushälfte, sondern den eines eigenständigen grenzständigen Gebäudes vermittelt, bei dem die Haushälfte auf dem Nachbargrundstück nur als ein Anhängsel in Form eines untergeordneten Anbaus erscheint. Die Disproportionalität zwischen dem Vorhaben des Beigeladenen und der Haushälfte der Klägerin zeigt sich exemplarisch an der skizzierten Nordostansicht des Vorhabens, die die Klägerin vorgelegt hat. Daran ist deutlich erkennbar, dass das Vorhaben aufgrund der differierenden Nachneigung und des Firstversatzes zu einer in Fläche und Höhe deutlich massiveren Grenzbebauung führt als sie auf dem Grundstück der Klägerin vorhanden ist. Die grenzständige Giebelwand des Vorhabens überragt die Dachfläche der benachbarten Haushälfte im rückwärtigen Bereich sowohl in der seitlichen Ausdehnung als auch in der Höhe erheblich. Der Eindruck eines hinsichtlich des Bauvolumens gegebenen Missverhältnisses zwischen dem Vorhaben und der Haushälfte der Klägerin wird durch die das Dach des Vorhabens noch ausladender gestaltenden Dachgauben sowie die Glaserker und Balkone verstärkt. Das Vorhaben ordnet sich insgesamt in seinen Dimensionen nicht mehr dem Gesamtbaukörper unter, sondern dominiert die Grundstückssituation in einem solchen Maße, dass von einem wechselseitigen Abgestimmtsein der Teilbaukörper nicht mehr ausgegangen werden kann.
40Ob darüber hinaus die bisherige Wohnsituation auf dem Grundstück der Klägerin durch das Vorhaben des Beigeladenen unzuträglich verändert würde, kann offen bleiben. Insbesondere braucht nicht entschieden werden, ob die mit dem Vorhaben einhergehende Beeinträchtigung der Belichtungs- und Besonnungsverhältnisse bereits ein Maß erreicht, das der Klägerin nicht mehr zumutbar ist. Davon dürfte jedenfalls für die Terrasse der Klägerin nicht auszugehen sein.
41Mit Blick auf eine etwaige einvernehmliche Neuplanung merkt der Senat an, dass das Abwehrrecht der Klägerin sich in bauplanungsrechtlicher Hinsicht auf das in § 34 Abs. 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme sowie die Bestimmung des § 22 Abs. 2 BauNVO beschränkt. Weitergehende subjektive Rechte stehen ihr insbesondere unter baugestalterischen Gesichtspunkten nicht zu, weshalb insbesondere ihre im Ortstermin geäußerter Wünsche nach einer bestimmten Lage des Eingangsbereichs oder eines Verzichts auf die Errichtung von Balkonen keine gesetzliche Grundlage findet.
42Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 154 Abs. 3 und 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 ff. ZPO.
43Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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