Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 2243/10
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 4.290,43 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO sind nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen auf der Grundlage der Darlegungen des Klägers nicht vor.
31. An der Richtigkeit des Urteils erster Instanz bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Zweifel solcher Art sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
4Das Zulassungsvorbringen weckt keine Zweifel in diesem Sinne an der Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Aufwendungen für die in Rede stehende Behandlung seien nicht notwendig, weil die Behandlung nicht notwendig gewesen sei; der Kläger habe nicht dargelegt, dass die Fehlsichtigkeit seines Sohnes entgegen der amtsärztlichen Feststellung nicht durch eine Brille hätte korrigiert werden können.
5Der Kläger macht insoweit geltend, die von ihm vorgelegte augenärztliche Bescheinigung des Dr. X. vom 8. Juni 2010 belege (implizit) hinreichend, dass und weshalb bei dem Sohn des Klägers eine Brillen- (und Kontaktlinsen-) unverträglichkeit vorgelegen habe, während die die Möglichkeit einer vollständigen und zumutbaren Korrektur der Fehlsichtigkeit durch eine Brille zugrundelegende amtsärztliche Stellungnahme angesichts ihrer Kürze nicht nachvollziehbar sei. Dieses Vorbringen greift nicht durch. Zunächst ist die amtsärztliche Stellungnahme sehr wohl nachvollziehbar. Der Amtsarzt, Dr. L. , hat eine fachärztliche Stellungnahme des Augenarztes Dr. X1. vom 7. Februar 2008 eingeholt und sich deren Ergebnis zu eigen gemacht. Dr. X1. wiederum hat – wie zuvor der Privatarzt – einen "myoper Astigmatismus" (Kurzsichtigkeit kombiniert mit einer Hornhautverkrümmung) beiderseits diagnostiziert und weiter festgestellt, dass keine krankhaften Veränderungen der vorderen und hinteren Augenabschnitte bestünden. Ferner hat er festgestellt, dass mit der vorhandenen Brille beiderseitig eine Sehschärfe von 1.0 erreicht werde. Auf dieser Grundlage hat er die überzeugende Schlussfolgerung gezogen, dass die vorhandene Brille die gegebene Fehlsichtigkeit vollständig ausgleiche und der (seinerzeit noch geplante) Eingriff deshalb medizinisch nicht notwendig sei. Die Feststellung (jedenfalls) des Amtsarztes ist zudem bereits in Ansehung der von dem Kläger vorgelegten privatärztlichen Bescheinigung des Dr. B. vom 27. November 2007 erfolgt. In dieser Bescheinigung war – allerdings ohne nähere Begründung – ausgeführt worden, dass der Ausgleich der bestehenden Fehlsichtigkeit mit einer Brille "wegen des hohen Astigmatismus sehr unbefriedigend" sei. Angesichts der amtsärztlichen Stellungnahme, welche durch Angabe eines präzisen Messwerts die Sehschärfe des Sohnes des Klägers mit 1,0 (=makellos) beschrieben hat, oblag es dem Kläger, deren Inhalt durch Vorlage einer zumindest vergleichbar aussagekräftigen privatärztlichen Bescheinigung in Frage zu stellen. Dies ist ihm, anders als mit dem Zulassungsvorbringen geltend gemacht, indes nicht gelungen. Aus der insoweit allein vorliegenden Bescheinigung des Dr. X. vom 8. Juni 2010 ergeben sich keine Zweifel hinsichtlich der Annahme, dass der Sohn des Klägers mit einer Brille (auch weiterhin) ausreichend versorgt gewesen wäre. Dr. X. hat insoweit ausgeführt:
6"Bedingt durch das Ausmaß der Brechungswerte sowie die damit verbundenen Unregelmäßigkeiten konnte sowohl mit einer Brillen- als auch mit einer Kontaktlinsenkorrektur keine altersentsprechend zufrieden stellende zentrale Sehschärfe erreicht werden. (...) Die Brillenkorrektur alleine hätte die Sicherstellung einer altersentsprechenden – wenigstens hundertprozentigen – Sehschärfe nicht ermöglicht.
7Diese Aussagen überzeugen schon deshalb nicht, weil sie eine substantielle Begründung vermissen lassen. Darüber hinaus steht die Behauptung, (auch) mit einer Brille könne keine altersentsprechend zufriedenstellende zentrale Sehschärfe erreicht werden, in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu dem amtsärztlichen Untersuchungsergebnis, nach welchem der Sohn des Klägers mit der vorhandenen Brille beiderseits eine Sehschärfe von 1,0 erreicht hatte. Das weitere Zulassungsvorbringen, bei dem Sohn des Klägers habe – zum einen – eine Doppelbildproblematik bestanden und sei – zum anderen – von der Unzumutbarkeit des Tragens einer in seinem Fall notwendig schweren Brille auszugehen, greift schon deshalb nicht durch, weil es in der vorgelegten privatärztlichen Bescheinigung keinen Anhalt findet. Namentlich ist nur behauptet, aber nicht näher dargelegt, dass die behauptete Doppelbildproblematik mit dem in der Bescheinigung verwendeten Begriff der zentralen Sehschärfe (Visus, d.h. die Fähigkeit des Auges, zwei nahe beieinander liegende Punkte getrennt voneinander wahrzunehmen) angesprochen worden sei.
8Ferner macht der Kläger geltend, dass die Operation entgegen der Feststellung des Verwaltungsgerichts auch unter dem Gesichtspunkt der von Art. 12 GG geschützten Entscheidung seines Sohnes, sich für den Polizeidienst zu bewerben, notwendig gewesen sei. Denn dieser habe erst nach seiner Operation die Anforderung erfüllen können, ab dem zwanzigsten Lebensjahr eine Sehschärfe von mindestens 30 Prozent ohne Sehhilfe auf jedem Auge aufzuweisen. Dieses Vorbringen weckt ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der angefochtenen Entscheidung. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher der beschließende Senat folgt, ist für die Frage der (medizinischen) Notwendigkeit im Beihilferecht nur der allgemeine Lebensbereich maßgebend, d.h. die gewöhnlichen, im Regelfall vorkommenden Lebensbedürfnisse und Aktivitäten. Hilfsmittel, die ausschließlich durch eine (hier sogar erst angestrebte) berufliche Tätigkeit erforderlich werden, dienen nicht dem unmittelbaren Ausgleich des Körperleidens. Sie fallen nicht in den Regelungsbereich der Beihilfeverordnung, weil sie den von ihr festgelegten Rahmen überschreiten.
9Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 1983 – 2 C 66.81 –, ZBR 1984, 274 = juris, Rn. 15, und vom 30. Juni 1983 – 2 C 36.81 und 2 C 37.81 –, DVBl. 1984, 429 = juris, Rn. 28, 30, sowie den Senatsbeschluss vom 3. Februar 2012 – 1 A 1249/10 –, juris, Rn. 6 f., = NRWE, Rn. 7 f. (Hörgerät für Vorlesungen).
10Dieser Rechtsprechung entspricht es, dass eine medizinisch nicht notwendige Operation, wie sie hier mit Blick auf den möglichen Ausgleich der Fehlsichtigkeit durch eine Brille nach dem Vorstehenden gegeben ist, nicht deshalb doch als medizinisch notwendig deklariert werden kann, weil nur so bestimmte Anforderungen eines (angestrebten) Berufes erfüllt werden können.
112. Die Berufung kann auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen werden.
12Der Senat versteht das Vorbringen des Klägers, das Verwaltungsgericht sei seinem – des Klägers – Beweisantritt in der Klageschrift, zur medizinischen Notwendigkeit der streitigen Behandlung ein Sachverständigengutachten einzuholen, nicht nachgekommen, sinngemäß als die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Diese Rüge greift indes nicht durch.
13Sofern der Kläger geltend machen will, das Verwaltungsgericht sei gehalten gewesen, über diesen Beweisantritt vorab durch Beschluss zu entscheiden, kann dem nicht gefolgt werden. Die Pflicht zur Vorabentscheidung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gilt im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisanträge, nicht dagegen für (nur) in vorbereitenden Schriftsätzen angekündigte Beweisanträge. Verzichtet ein Beteiligter – wie hier der Kläger mit Schriftsatz vom 9. August 2010 – nach schriftsätzlicher Ankündigung eines Beweisantrages auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO), so hat er sich der Möglichkeit zur Geltendmachung des Anspruchs auf Vorabentscheidung aus § 86 Abs. 2 VwGO begeben.
14Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 6. September 2011 – 9 B 48/11 –, NVwZ 2012, 376 = juris, Rn. 10, m.w.N., Urteil vom 30. Mai 1989 – 1 C 57.87 –, BVerwGE 82, 11 = NVwZ 1989, 1078 = juris, Rn. 12, und Beschluss vom 29. März 1979 – 7 B 27.78 –, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 106 = juris, Rn. 11; Breunig, in: Posser/Wolff, VwGO, 2008, § 86 Rn. 91; Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 5. Aufl. 2011, § 86 Rn. 31; Bamberger, in: Wysk, VwGO, 2011, § 86 Rn. 29.
15Allerdings muss das Gericht in diesen Fällen über den angekündigten Beweisantrag, wenn es ihm nicht folgt, in den Gründen seiner abschließenden Entscheidung der Sache nach befinden.
16Vgl. Breunig, a.a.O.
17Das gilt vorliegend jedoch ausnahmsweise nicht, weil das Verwaltungsgericht dem Kläger bereits vor Abgabe der Verzichtserklärung hinreichend deutlich gemacht hatte, dass und aus welchen Gründen eine (weitere) Beweiserhebung nicht mehr veranlasst sei. Bereits im Erörterungstermin vom 23. April 2010 hat das Verwaltungsgericht ausweislich des gefertigten Protokolls darauf hingewiesen, es dürfe im Sinne der amtsärztlichen Stellungnahme davon auszugehen sein, dass eine Fehlsichtigkeit, wie sie bei dem Sohn des Klägers vorliege, durch eine Brille ausreichend und zumutbar korrigiert werden könne, sofern keine Brillenunverträglichkeit vorliege, für deren Vorliegen wiederum bislang keine hinreichenden Anhaltspunkte bestünden. Ferner hat es den Kläger mit Verfügungen vom 11. Mai 2010 und (wiederholend) vom 2. Juni 2010 unter Fristsetzung aufgefordert, diejenigen gesundheitlichen Gründe zu bezeichnen, welche für eine Brillen- und Kontaktlinsenunverträglichkeit bei dem Sohn des Klägers sprächen, und hierzu eine entsprechende augenärztliche Bescheinigung vorzulegen. In Bezug auf den dann erfolgten, von der bereits erwähnten augenärztlichen Bescheinigung des Dr. X. begleiteten Vortrag des Klägers hat das Gericht sodann darauf hingewiesen, dass die vorgelegte Bescheinigung hinsichtlich der amtsärztlich festgestellten Sehschärfe mit Brille keine abweichenden Untersuchungsergebnisse dokumentiere. Auf die daraufhin erfolgte Erwiderung des Klägers, welche u.a. dessen Angebot enthielt, Dr. X. von seiner Schweigepflicht zu entbinden, "falls dieser noch offene Fragen des Gerichts beantworten" solle, hat das Gericht mit seiner Verfügung vom 26. Juli 2010 unter Hinweis darauf, dass die Sache bereits erörtert worden sei, um Mitteilung gebeten, ob auch der Kläger auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichte.
18Unabhängig von dem Vorstehenden hat das Verwaltungsgericht über den angekündigten Beweisantrag in den Gründen der angefochtenen Entscheidung der Sache nach entschieden. Es hat ausgeführt, der Kläger habe bereits nicht dargelegt, dass durch eine Brille keine ausreichende und zumutbare Korrektur des Sehfehlers möglich gewesen sei; er sei nämlich dem Ergebnis der amtsärztlichen Begutachtung insgesamt nicht in substantiierter Form entgegengetreten. Hiermit hat es ohne Weiteres zum Ausdruck gebracht, dass es einer (weiteren) Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedürfe, weil der Kläger das Ergebnis der bereits vorliegenden sachverständigen Stellungnahme nicht substantiiert in Zweifel gezogen habe.
19Soweit der Kläger ferner geltend macht, das Verwaltungsgericht hätte den Sachverhalt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen weiter aufklären müssen, und damit die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs.1 VwGO) rügt, ist nicht erkennbar, dass sich dem Verwaltungsgericht nach dem seinerzeitigen Verfahrensstand eine weitere Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen müssen. Zur Begründung verweist der Senat insoweit auf seine Ausführungen unter Punkt 1. dieses Beschlusses. Diesen ist zu entnehmen, dass die privatärztliche Bescheinigung vom 8. Juni 2010 nicht geeignet gewesen ist, die amtsärztliche Feststellung in Zweifel zu ziehen, eine Brille könne die Fehlsichtigkeit des Sohnes des Klägers vollständig und zumutbar ausgleichen.
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 und 3 GKG.
21Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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