Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 522/12
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf bis 30.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der Antrag,
3den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller über den 30. April 2012 hinaus im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO bis zur endgültigen Klärung weiterhin als Polizeibeamten zu beschäftigen,
4bleibt ohne Erfolg.
5Über ihn entscheidet gemäß § 123 Abs. 2 VwGO das angerufene Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen. Zwar ordnet § 123 Abs. 2 VwGO die Zuständigkeit des Berufungsgerichts als Gericht der Hauptsache nur für den Fall an, dass die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, und vorliegend ist bislang nur ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. § 123 Abs. 2 VwGO ist jedoch dahin zu verstehen, dass die Zuständigkeit des Berufungsgerichts bereits für diesen Fall begründet wird.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. September 2006 - 18 B 2085/06 -, juris.
7Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
8Die Sache hat sich nicht dadurch erledigt, dass das Datum, zu dem der Antragsteller nach der gesetzlichen Regelung des § 115 Abs. 1 LBG NRW in den Ruhestand getreten wäre (30. April 2012), verstrichen ist. Der Senat hat dem Antragsgegner im Wege einer Zwischenregelung zur Ermöglichung einer effektiven Rechtsschutzgewährung aufgegeben, den Ruhestandseintritt des Antragstellers bis zur Entscheidung über den Antrag hinauszuschieben. Ob die Auffassung zutrifft, dass nach dem Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze auch auf eine entsprechende gerichtliche Entscheidung hin der Ruhestand nicht mehr hinausgeschoben werden kann,
9so Hamb. OVG, Beschluss vom 26. August 2011 - 1 Bs 104/11 -, IÖD 2011, 246, mit weiteren Nachweisen,
10kann offen bleiben.
11Der Antragsteller hat die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW kann der Eintritt in den Ruhestand auf Antrag des Beamten um bis zu drei Jahre, jedoch nicht über das vollendete siebzigste Lebensjahr hinaus, hinausgeschoben werden, sofern dienstliche Gründe nicht entgegenstehen und der Beamte den Antrag gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW spätestens sechs Monate vor Eintritt in den Ruhestand gestellt hat. Gemäß § 32 Abs. 3 LBG NRW gilt dies bei einer gesetzlich bestimmten besonderen Altersgrenze - wie hier bei Polizeivollzugsbeamten gemäß § 115 LBG NRW - entsprechend.
12Durch § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW wird dem Beamten ein subjektives Recht (jedenfalls) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Hinausschieben des Eintritts des Ruhestands eingeräumt.
13Vgl. Poguntke, DÖV 2011, 561 (562); zweifelnd OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23. August 2010 - 3 MB 18/10 -, juris.
14Das verdeutlichen der Wortlaut der Bestimmung sowie systematische Überlegungen. § 32 Abs. 1 LBG NRW sieht - im Unterschied zu § 32 Abs. 2 LBG NRW, der die dienstlichen Interessen in der Vordergrund rückt - ein Initiativrecht des Beamten vor. Zudem wird der Anspruch lediglich durch entgegenstehende dienstliche Interessen ausgeschlossen und setzt nicht deren Gegebensein voraus, wie dies bei den Vorschriften der Fall ist, nach denen ein Hinausschieben des Ruhestands nur möglich ist, wenn es im dienstlichen Interesse liegt.
15So § 53 Abs. 1 BBG, § 39 LBG BW, Art. 63 Abs. 2 BayBG, § 35 Abs. 3 LBG MV, § 55 Abs. 1 LBG RP; noch weitergehend § 45 Abs. 3 LBG Brandenburg ("besonderes dienstliches Interesse") und § 50 Sächs.BG ("wenn ein dringendes dienstliches Bedürfnis dies erfordert").
16In dieser Weise ist die Norm in Nordrhein-Westfalen gerade nicht gefasst worden.
17Die Gesetzesmaterialien bestätigen dieses Verständnis. Ihnen ist zu entnehmen, dass mit der Vorschrift den Beamten ermöglicht werden sollte, "ein Stück weit" selbst ihre Lebensplanung zu bestimmen.
18Vgl. LT-Plenarprot. 14/112, S. 13113; 14/120, S. 13953, 13955, 13957; auch LT-Drs. 14/8176, S. 126.
19Im Streitfall sind jedoch dem Anspruch entgegenstehende dienstliche Gründe gegeben.
20Bei den entgegenstehenden dienstlichen Gründen im Sinne des § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Vorliegen grundsätzlich der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Die dienstlichen Gründe richten sich aber nach dem gesetzlichen Auftrag der Behörde und den dort vorhandenen personalwirtschaftlichen und organisatorischen Möglichkeiten und bezeichnen das Interesse des Dienstherrn an einer sachgemäßen und reibungslosen Aufgabenerfüllung. Auch wenn der Dienstherr über das Vorliegen der dienstlichen Gründe ohne Beurteilungsspielraum befindet, ist der Begriff der dienstlichen Gründe maßgebend durch seine verwaltungspolitischen und -organisatorischen Entscheidungen vorgeprägt, die ihrerseits wiederum nur eingeschränkt gerichtlich nachprüfbar sind. Es ist in erster Linie Sache des Dienstherrn, in Ausübung seiner Personal- und Organisationsgewalt zur Umsetzung gesetzlicher und politischer Ziele die Aufgaben der Verwaltung festzulegen, ihre Prioritäten zu bestimmen, sie auf die einzelnen Organisationseinheiten zu verteilen und ihre Erfüllung durch bestmöglichen Einsatz von Personal sowie der zur Verfügung stehenden Sachmittel sicherzustellen. Bei den personalwirtschaftlichen Entscheidungen kommt dem Dienstherrn eine entsprechende Einschätzungsprärogative und Gestaltungsfreiheit zu, mit der Folge, dass die gerichtliche Kontrolle dieser Entscheidungen auf die Prüfung beschränkt ist, ob die gesetzlichen Grenzen des Organisationsermessens überschritten sind oder von diesem in unsachlicher Weise Gebrauch gemacht worden ist.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Juni 2011 - 6 A 698/10, DÖD 2011, 216, mit weiteren Nachweisen, zu § 63 Abs. 1 LBG NRW; Nds. OVG, Beschluss vom 16. März 2011 - 5 ME 43/11 -, DÖD 2011, 162, zu § 36 Satz 1 Nr. NBG.
22Besondere Anforderungen an das Gewicht der entgegenstehenden dienstlichen Gründe stellt § 32 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW nicht. Für die vom Antragsteller vertretene Auffassung, ein Antrag auf Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand dürfe nur ausnahmsweise abgelehnt werden, wenn evidente dienstliche Gründe entgegenstünden, besteht kein Anhalt im Gesetz. Als entgegenstehende dienstliche Gründe im Sinne der Vorschrift kommen allerdings nicht solche Gegebenheiten in Betracht, die mit dem Hinausschieben des Ruhestands stets oder regelmäßig verbunden sind.
23Vgl. Brockhaus in Schütz/Maiwald, BeamtR, Loseblatt, § 32 Rn. 14; Poguntke, DÖV 2011, 561 (564); ebenso BVerwG, Urteil vom 13. August 2008 - 2 C 41.07 -, NWVBl 2009, 96, zur Reaktivierung gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW.
24Andernfalls liefe die Vorschrift weitgehend leer; das gesetzgeberische Ziel der Flexibilisierung des Ruhestandseintritts auch nach der Vorstellung der Beamten würde unterlaufen. Ohne Darlegung von konkreten Problemen im Hinblick auf die sachgemäße und reibungslose Aufgabenerfüllung genügt für die Annahme entgegenstehender dienstlicher Gründe daher nicht
25- der Umstand, dass durch das Hinausschieben des Eintritts des Ruhestands des Antragstellers eine sonst zur Verfügung stehende Beförderungsmöglichkeit blockiert wird,
- die Verzögerung der beruflichen Weiterentwicklung eines potentiell Nachrückenden,
- die mit der Zurruhesetzung bewirkte Verbesserung der Altersstruktur der Behörde oder
- die Verringerung einer "Nachersatzquote".
Das negative Tatbestandsmerkmal der dienstlichen Gründe hindert gegebenenfalls das Entstehen des Anspruchs in der Art einer Einwendung. Es hängt zudem von Festlegungen des Dienstherrn ab und hat seine Grundlagen regelmäßig in der Sphäre des Dienstherrn. Daher trifft diesen die Darlegungs- und (bei einem non liquet) Beweislast für das Vorliegen solcher Umstände.
27Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. November 2006 - 1 A 777/05 -, juris, zu § 48 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW a.F.
28Dies zugrunde gelegt hat der Antragsgegner - letztlich erst im Gerichtsverfahren - nachvollziehbar konkrete Gegebenheiten in der Behörde dargetan, aus denen sich entgegenstehende dienstliche Gründe ergeben. Er hat zur Begründung eines besonderen Bedürfnisses für die Verbesserung der Altersstruktur darauf hingewiesen, dass im Kriminalkommissariat F. zehn Beamte in der Sachbearbeitung tätig seien, von denen bereits sechs älter als 55 Jahre seien. Mit anderen Worten steht bei 60 % der dort beschäftigten Beamten in den kommenden sieben Jahren der gesetzlich vorgesehene Ruhestand an (§ 115 Abs. 1 LBG NRW). Dabei werde nur eine Stelle - nämlich die des Antragstellers - in diesem Jahr frei. Bei einem derart ungünstigen Altersschnitt ist das Bedürfnis für einen alsbald einzuleitenden Wissens- und Erfahrungstransfer an jüngere Beamte nachvollziehbar. Das Hinausschieben des Ruhestandseintritts im Fall des Antragstellers würde den Zeitraum des Ausscheidens mehrerer Beamter in kurzer Folge verdichten und eine Einarbeitung jüngerer Beamter insoweit erschweren. Hierzu hat der Antragsgegner ergänzend unwidersprochen vorgetragen, entsprechende Fortbildungsangebote seien nur solchen Beamten zugänglich, die bereits in den spezifischen Sachgebieten tätig seien. Des Weiteren hat der Antragsgegner darauf verwiesen, dass einer der im Kriminalkommissariat F. tätigen Beamten ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 innehabe, aber auf einer A 11-Stelle eingesetzt werde; der Beamte solle so schnell wie möglich amtsangemessen beschäftigt werden. Auch dieses Interesse stellt einen berücksichtigungsfähigen dienstlichen Grund dar.
29Angesichts dessen kann auf sich beruhen, ob der Antragsgegner weitere entgegenstehende dienstliche Gründe dargetan hat. Das unterliegt allerdings Zweifeln. Grundsätzlich sind auch der Abbau von Personalüberhängen im Kriminalitätsbereich gegenüber dem unterbesetzten Wach- und Wechseldienst, in dem lebensältere Beamte nicht mehr eingesetzt werden könnten bzw. sollten, sowie die Auflösung eines - sich vom Üblichen abhebenden - Beförderungsstaus, geeignet, entgegenstehende dienstliche Gründe zu begründen. Allerdings hat es der Antragsgegner hierzu weitgehend an konkreten nachvollziehbaren Angaben fehlen lassen.
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Da das Verfahren den Zeitpunkt der Versetzung des im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit stehenden Antragstellers in den Ruhestand betrifft, ist der Streitwert gemäß § 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1GKG nach dem 6,5fachen Monatsbetrag des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 12 BBesG im Zeitpunkt der Antragstellung betrifft. Von einer Reduzierung des Streitwerts hat der Senat abgesehen, weil mit diesem Beschluss die Hauptsache vorweggenommen wird.
31Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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