Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 C 91/12
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 26. November 2012 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 26. November 2012 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
3Die Voraussetzungen des hier entsprechend anzuwendenden § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen vor. Das Verwaltungsgericht hat noch nicht in der Sache selbst entschieden und die Beteiligten haben die Zurückverweisung beantragt.
4Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Zuweisung eines außerkapazitären Studienplatzes mit der Begründung abgelehnt, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 123 VwGO) sei unzulässig, weil der Antragsteller sich nicht um einen innerkapazitären Studienplatz bemüht habe. An der diesen Standpunkt teilenden Rechtsprechung,
5vgl. Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2010 - 13 C 268/10 -, juris,
6hält der Senat nicht mehr fest. In Änderung seiner Rechtsprechung geht er nunmehr davon aus, dass einem auf Zuweisung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Kapazität gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich weder der Anordnungsgrund noch das Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn der Antragsteller sich zuvor nicht um einen innerkapazitären Studienplatz beworben hat.
7Der nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderliche Anordnungsgrund ist zu bejahen, wenn eine vorläufige gerichtliche Entscheidung notwendig ist, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Ist dies der Fall, ist diesem nicht zuzumuten, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
8Ob diese Voraussetzungen vorliegen, beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
9Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 123 Rn. 80, anders wohl OVG NRW, Beschluss vom 23. September 2011 - 13 C 58/11 -, juris, Rn. 7.
10Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vergabe von Studienplätzen,
11vgl. Beschlüsse vom 21. Juli 2005 - 1 BvR 584/05 -, juris, Rn. 20, und vom 9. April 1975 - 1 BvR 344/74 u.a. - , juris, Rn. 44 ff.,
12folgt nichts anderes. Soweit danach für die Beurteilung des Vorliegens eines Anspruchs auf Zulassung zum Studium die Sach- und Rechtslage des Bewerbungssemesters zu Grunde zu legen ist, dient dies der Sicherung der Rechtsstellung des Bewerbers für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens. Für die Frage der Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller, welche sich stets nur nach den im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden aktuellen Umständen beurteilen lässt, besagt dies aber nichts.
13Ausgehend hiervon besteht für die Gewährung von Eilrechtsschutz für die vorläufige Zulassung zum Studium grundsätzlich ein Anordnungsgrund, wenn - wie hier - mit dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens regelmäßig erst nach längerer Prozessdauer zu rechnen ist und die unwiederbringlich verlorene Studienzeit durch eine rechtsfehlerhaft verweigerte Zulassung schon für sich genommen einen nicht hinnehmbaren Nachteil darstellt.
14Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 21. Juli 2005 - 1 BvR 584/05 -, a.a.O., Rn. 13, und vom 31. März 2004 - 1 BvR 356/04 -, juris, Rn. 17; Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 4. Aufl. 2003, S. 452.
15An dieser Beurteilung ändert das Fehlen eines innerkapazitären Zulassungsantrags nichts, weil es auch in einem solchen Fall zur Vermeidung der oben benannten Nachteile einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung bedarf. Einer gerichtlichen Entscheidung bedürfte es nur dann nicht, wenn davon auszugehen wäre, dass der Antragsteller innerkapazitär zum Zuge kommen würde. Dies wird aber - im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - schon deshalb in der Regel nicht anzunehmen sein, weil die Frist für die Einreichung des innerkapazitären Zulassungsantrags vielfach bereits verstrichen ist und regelmäßig auch bei guter Qualifikation des Antragstellers nicht sicher mit der Zuweisung eines innerkapazitären Studienplatzes gerechnet werden kann.
16Dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann auch nicht entgegen gehalten werden, die Dringlichkeit und die vom Antragsteller befürchteten Nachteile beruhten bei fehlender innerkapazitärer Antragstellung auf eigenem vorwerfbaren Verhalten, mit der Folge, dass es ausnahmsweise gerechtfertigt wäre, diesen auf das Abwarten des Hauptsacheverfahrens zu verweisen.
17Vgl. hierzu Puttler, in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 123 Rn. 84.
18Dem Antragsteller musste sich die Notwendigkeit zur Stellung eines innerkapazitären Zulassungsantrags nicht aufdrängen. Die einschlägigen Regelungen enthalten kein solches verwaltungsverfahrensrechtliches oder materiell-rechtliches Erfordernis für die Zuweisung eines außerkapazitären Studienplatzes. §§ 23 Abs. 5, 29 Abs. 1 VergabeVO NRW sehen für die Geltendmachung eines außerkapazitären Zulassungsanspruchs lediglich vor, dass Zulassungsanträge außerhalb der festgesetzten Zulassungszahlen mit den erforderlichen Unterlagen für das Sommersemester bis zum 1. April und für das Wintersemester bis zum 1. Oktober bei der Hochschule einzureichen sind. Eine Verknüpfung des innerkapazitären und des außerkapazitären Vergabeverfahrens lassen die Regelungen nicht erkennen.
19Der Verordnungsgeber hat durch die Schaffung besonderer Vorschriften für das außerkapazitäre Vergabeverfahren in §§ 23 Abs. 5, 29 Abs. 1 VergabeVO NRW zudem die Eigenständigkeit des außerkapazitären Vergabeverfahrens zum Ausdruck gebracht. Diese wird in besonderer Weise dadurch belegt, dass außerkapazitäre Zulassungsanträge, die sich auf Studienplätze beziehen, welche innerkapazitär im bundesweit zentralen Vergabeverfahren von der Stiftung für Hochschulzulassung verteilt werden, bei der Hochschule einzureichen sind.
20Es besteht auch kein Rangverhältnis zwischen innerkapazitärem und außerkapazitärem Zulassungsanspruch, das es rechtfertigen könnte, die prozessualen Rechte des Antragstellers im Falle des Fehlens eines innerkapazitären Zulassungsantrags zu beschneiden. Zwar dürfte die im Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008 (vgl. GV. NRW. 2008, 710) und in §§ 2, 3 HZG NRW zum Ausdruck gekommene Vorstellung des Gesetzgebers dahin gehen, dass die Studienplatzvergabe in der Regel und vorrangig im Rahmen der festgesetzten Kapazität erfolgen soll und dass Zulassungsanträgen außerhalb der Kapazität demgegenüber eine nachrangige Bedeutung zukommt. Dies ändert aber nichts daran, dass der Verordnungsgeber zur Erlangung desselben Ziels - die Zuweisung eines Studienplatzes - zwei von einander unabhängige Verfahrenswege zur Verfügung stellt. Der vom Antragsteller beschrittene außerkapazitäre Weg zur Studienzulassung, der auf dem grundrechtlich begründeten Anspruch auf Hochschulzugang beruht, steht selbstständig neben dem gesetzlich normierten Vergabeverfahren.
21Vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 8. August 2006 - 7 CE 06.10020 u.a. -, juris, Rn. 7.
22Im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erscheint es überdies fragwürdig, den Anordnungsgrund im Verfahren nach § 123 VwGO mit dem Erfordernis eines innerkapazitären Zulassungsantrags zu verknüpfen. Bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den einstweiligen Rechtsschutz sind die Gerichte gehalten, der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen.
23Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. August 2006 - 1 BvR 2089/05 -, juris, Rn. 13.
24Dies steht einer Rechtsanwendung entgegen, welche ohne hinreichend gewichtigen sachlichen Grund die Rechtsschutzgewährung für den einen außerkapazitären Studienplatz begehrenden Antragsteller durch das Erfordernis eines innerkapazitären Zulassungsantrags erschwert.
25Vgl. zu Art. 19 Abs. 4 GG BVerfG, Beschlüsse vom 13. Februar 2008 - 2 BvR 2226/07 -, juris, Rn. 12, und vom 21. Juli 2005 - 1 BvR 584/05 -, a.a.O., Rn. 17 (zum Anordnungsgrund, wenn der Antrag auf vorläufige Zuteilung eines außerkapazitären Studienplatzes nach Ablauf der Vorlesungszeit gestellt wird).
26Ein solcher hinreichend gewichtiger Grund ist nicht erkennbar. Für das Gericht besteht kein prozessuales Hindernis, über den geltend gemachten außerkapazitären Zulassungsanspruch zu entscheiden. Weder gehen die Erkenntnisse aus dem innerkapazitären Zulassungsverfahren in das außerkapazitäre Verteilungsverfahren der Hochschulen ein noch sind diese nach der gegenwärtigen gerichtlichen Praxis, wonach gefundene außerkapazitäre Studienplätze nach dem Losverfahren verteilt werden, für das gerichtliche Verfahren von Relevanz. Dem entsprechend sind auch gemessen an Art. 12 Abs. 1 GG keine Allgemeinwohlinteressen erkennbar, die den mit der Beschneidung des Rechtsschutzes verbundenen Eingriff in das Teilhaberecht hochschulreifer Bewerber rechtfertigen könnten.
27Vgl. im Ergebnis ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 8. August 2006 - 7 CE 06.10020 u.a. -, a.a.O.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof 20.Februar 2003 - 8 MM 3953/02.W2 -, juris, Rn. 4.
28Aus den obigen Erwägungen folgt zugleich, dass es ebenso wenig am Rechtsschutzinteresse für die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung fehlt.
29Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
30Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
31Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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Referenzen
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