Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 1121/13
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
3Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt. Das ist hier nicht der Fall.
41. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
5Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art bezeichnen, die er mit seinem Antrag angreifen will, und mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen. Es genügt hingegen nicht, wenn er pauschal die Unrichtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts behauptet oder wenn er lediglich sein Vorbringen erster Instanz wiederholt, ohne im Einzelnen auf die Gründe des angefochtenen Urteils einzugehen. Diesen Anforderungen entspricht das Zulassungsvorbringen nicht.
6Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die erhobene Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. Der (vorläufige) Entzug der Prüfungsberechtigung sei ein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG NRW. Durch diese Maßnahme werde dem Kläger weitgehend die Möglichkeit genommen, die in § 35 HG NRW festgelegten Dienstaufgaben eines Hochschullehrers zu erfüllen. Die Maßnahme sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Es mangele an einer gesetzlichen Grundlage, auf die der Prüfungsausschuss sie stützen könne.
7Diese vom Verwaltungsgericht näher begründeten Erwägungen werden durch das Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt.
8Streitgegenständlich ist allein der (vorläufige) Entzug der Prüfungsberechtigung. Die stellvertretende Vorsitzende des Prüfungsausschusses hat dem Kläger mit Schreiben vom 12. April 2012 mitgeteilt, der Prüfungsausschuss habe beschlossen, ihm „die Prüfungsberechtigung mit sofortiger Wirkung vorläufig zu entziehen". Soweit die Beklagte geltend macht, das „möglicherweise missverständliche“ Schreiben habe „selbstverständlich“ nicht den Entzug der Prüfungsberechtigung zum Inhalt, sondern sei vielmehr nur als Mitteilung an den Kläger zu verstehen, dass „er aufgrund der erhobenen schwerwiegenden Vorwürfe vom Prüfungsausschuss bis auf weiteres nicht mehr zum Prüfer bestellt“ werde, verkennt sie, dass für die Beurteilung des Inhalts des Schreiben sein objektiver Erklärungswert maßgeblich ist. Es kommt grundsätzlich auf den Empfängerhorizont an, d.h. darauf, wie der Adressat die behördliche Erklärung unter Berücksichtigung aller ihm bekannten oder erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben analog §§ 133, 157 BGB verstehen musste. Hiervon ausgehend war das genannte Schreiben nicht lediglich als Mitteilung zu verstehen, der Kläger werde bis auf Weiteres nicht mehr zum Prüfer bestellt. Es beinhaltet nach seinem - unmissverständlichen - Wortlaut vielmehr den vom Prüfungsausschuss beschlossenen vorläufigen Entzug der Prüfungsberechtigung. Aus § 10 der "Prüfungsordnung für den Master-Studiengang Lehramt an Grund-, Haupt-, Realschulen und vergleichbaren Jahrgangstufen der Gesamtschule (GHRGe) im Rahmen des Modellversuchs 'Gestufte Studiengänge in der Lehrerbildung' an der Universität Dortmund" vom 10. Oktober 2006, geändert durch die 1. Ordnung zur Änderung dieser Prüfungsordnung vom 19. Mai 2008 (im Folgenden: PO), der u.a. die Bestellung der Prüfer durch den Prüfungsausschuss regelt, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Insbesondere hatte der Kläger keine Veranlassung zu der Annahme, der Prüfungsausschuss habe ihm entgegen dem Wortlaut des genannten Schreibens lediglich angekündigt, ihn künftig nicht mehr zum Prüfer zu bestellen.
9Hiervon ist im Übrigen auch der Prüfungsausschuss nicht ausgegangen. Dies belegt nicht zuletzt das an den Kläger gerichtete Schreiben des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses Lehrerbildung der Fakultät Erziehungswissenschaft und Soziologie vom 6. September 2012, das die Beklagte mit Schriftsatz vom 2. August 2013 vorgelegt hat. Durch dieses werden ausdrücklich der vorläufige Entzug der Prüfungsberechtigung bestätigt und dessen Wirkungen verdeutlicht.
10Der Kläger hat sich konsequenterweise zunächst im Verwaltungs- und schließlich auch im Klageverfahren gegen den (vorläufigen) Entzug der Prüfungsberechtigung gewandt. Erst die im Laufe des Klageverfahrens erfolgte Überprüfung der Rechtslage hat die Beklagte dann offensichtlich veranlasst - wie nunmehr erneut im Zulassungsverfahren - geltend zu machen, das Schreiben vom 12. April 2012 sei lediglich als Mitteilung an den Kläger zu verstehen, dass „er (...) bis auf weiteres nicht mehr zum Prüfer bestellt“ werde. Wie die Beklagte die Maßnahme des Prüfungsausschusses im Nachhinein interpretiert wissen will, ist indes unmaßgeblich.
11Das Zulassungsvorbringen bietet auch keine schlüssigen Argumente, die ernstliche Zweifel an der Annahme des Verwaltungsgerichts wecken könnten, der Entzug der Prüfungsberechtigung sei ein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG NRW.
12Die Beklagte argumentiert im Kern wie folgt: Die streitgegenständliche Maßnahme wäre dann als Verwaltungsakt einzustufen, wenn sie in das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG eingriffe, durch das die Tätigkeit eines Hochschullehrers besonders geschützt werde. Nicht alle den Hochschullehrern nach § 35 HG NRW zugewiesenen Dienstaufgaben unterfielen indes dem Schutzbereich dieses Grundrechts. Die von ihm geschützte Freiheit der Lehre umfasse insbesondere die Durchführung von Lehrveranstaltungen, nicht hingegen die Durchführung von Prüfungen.
13Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Erwägungen des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen. Die Beklagte übersieht, dass das Verwaltungsgericht gerade davon ausgegangen ist, die Durchführung von Lehrveranstaltungen sei betroffen. Grundlage seiner Argumentation ist die nach den Umständen des vorliegenden Einzelfalls zu beurteilenden Frage, welche Bedeutung der Möglichkeit zur Durchführung von Prüfungen für die Durchführung der Lehrveranstaltungen zukommt bzw. welche Auswirkungen auf die Durchführung von Lehrveranstaltungen zu erwarten sind, wenn der Dozent nicht prüfungsberechtigt ist. Es hat ausgeführt, wissenschaftliche Lehre und Abnahme von Prüfungen seien in den gegenwärtigen Bachelor- und Masterstudiengängen eng miteinander verknüpft, da ein Großteil der Bachelor- und Masterprüfungen studienbegleitend durch Modulprüfungen absolviert werde. Das Abhalten von Lehrveranstaltungen ohne Durchführung der zugehörigen Prüfung erscheine daher kaum möglich. Es sei davon auszugehen sei, dass die Bereitschaft von Studenten zur Teilnahme an Veranstaltungen von Dozenten, die nicht auch die Prüfung ausgestalten und abnehmen könnten, deutlich zurückgehe.
14Mit dem Zulassungsvorbringen wird auch die Annahme des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Zweifel gezogen, der Entzug der Prüfungsberechtigung sei mangels einer gesetzlichen Grundlage, auf die er sich stützen lasse, rechtswidrig. Die Beklagte benennt lediglich Rechtsgrundlagen, die ihrer Ansicht nach den Prüfungsausschuss berechtigen, eine Bestellung zum Prüfer aufzuheben bzw. von einer künftigen Bestellung zum Prüfer abzusehen, und macht geltend, dass die Voraussetzungen der jeweiligen Rechtsgrundlage im Fall des Klägers gegeben seien. Dieses Vorbringen geht jedoch ins Leere, weil allein der Entzug der Prüfungsberechtigung, wie dargestellt, streitgegenständlich ist.
15Die Beklagte irrt, wenn sie meint, aus ihrem Zulassungsvorbringen ergebe sich eine Rechtsgrundlage, aufgrund derer der Prüfungsausschuss zum Entzug der Prüfungsberechtigung berechtigt gewesen wäre. § 10 Abs. 1 Satz 1 PO regelt lediglich die Bestellung der Prüfer und setzt im Übrigen deren Prüfungsberechtigung voraus (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 3 PO). Da dem Kläger die Prüfungsberechtigung nicht durch Verwaltungsakt eingeräumt worden ist, er vielmehr, wie die Beklagte einräumt, kraft Gesetzes prüfungsberechtigt ist, scheidet auch die Möglichkeit des Widerrufs eines Verwaltungsaktes nach § 49 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 3 VwVfG NRW aus. Zu Recht hat schließlich das Verwaltungsgericht festgestellt, dass auch § 9 Abs. 3 Satz 1 PO den Prüfungsausschuss nicht zum Entzug der Prüfungsberechtigung ermächtigt.
162. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe des Beklagten gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Das ist hier nicht der Fall. Die Beklagte legt, wie ausgeführt, keine durchgreifenden Gründe für die Unrichtigkeit des Urteils dar.
173. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
18Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird. Auch diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
19Hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfrage,
20„ob der Entzug der Prüfungsberechtigung ein Verwaltungsakt ist oder nicht"
21hat die Beklagte - ungeachtet der Frage, welche Bedeutung sie der Formulierung "Entzug der Prüfungsberechtigung" in diesem Zusammenhang zumisst - jedenfalls eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung nicht dargelegt. Sie hat nicht ansatzweise erläutert, wie es erforderlich gewesen wäre, weshalb die Klärung dieser Frage von allgemeiner, fallübergreifender Bedeutung ist.
22Dies gilt auch in Bezug auf die nach Ansicht der Beklagten hieran anknüpfende Rechtsfrage,
23"ob Hochschullehrer sich im Rahmen ihrer Prüfungstätigkeit auf das Grundrecht von Art. 5 Abs. 3 GG berufen (gemeint dürfte sein: berufen können)".
24Allein der Hinweis, diese Frage sei, soweit ersichtlich, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts offen geblieben, reicht zur Darlegung ihrer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung nicht aus. Ob die Frage in einem Berufungsverfahren überhaupt klärungsbedürftig und entscheidungserheblich wäre, sei dahingestellt.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
26Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
27Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
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- VwGO § 124 5x
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- VwVfG § 35 Begriff des Verwaltungsaktes 2x
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- VwVfG § 49 Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes 1x