Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 486/14
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Klägerin abgelehnt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 1.876,65 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die teilweise sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 3, 4 und 5 VwGO sind bereits nicht entsprechend den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) dargelegt bzw. liegen auf der Grundlage der maßgeblichen – fristgerecht vorgelegten – Darlegungen nicht vor.
31. Die Berufung kann nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Das Vorbringen der Klägerin zu diesem Zulassungsgrund genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Denn sie hat keine Frage ausformuliert und substantiiert angeführt, warum sie diese für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich hält und aus welchen Gründen sie ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zumisst.
4Soweit die Klägerin sinngemäß die Frage aufwirft,
5ob die Beihilfestelle grundsätzlich die Gewährung von Beihilfe zu einer Überschreitung des Schwellenwertes mit der pauschalen Begründung ablehnen kann, die Begründungen des behandelnden Arztes seien nicht ausreichend, und ob dies die Gerichte ohne weitere medizinische Ermittlungen bestätigen dürfen,
6hat diese keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Diese Frage war weder für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung, noch wird sie für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein. Weder die Beihilfestelle noch das Verwaltungsgericht haben die Schwellenwertüberschreitung mit einer solchen pauschalen Begründung abgelehnt. Im Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2013 ist vielmehr auf den Seiten 3 bis 5 ausführlich begründet, welche einzelnen Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des 3,5-fachen Gebührensatzes bei den streitgegenständlichen vier Gebührenziffern der GOZ sprechen. Das Verwaltungsgericht hat sich damit auf den Seiten 7 und 8 seines Urteils befasst.
7Sollte die Klägerin der Frage grundsätzliche Bedeutung beimessen, ob die von der Beklagten genannten Argumente gegen die Zulässigkeit der Schwellenwertüberschreitungen überzeugend sind, wäre diese Frage nicht grundsätzlich bedeutsam. Denn sie beträfe den Einzelfall der Klägerin.
82. Der in der Zulassungsbegründungsschrift benannte Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben. Das Vorbringen der Klägerin genügt insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Sie hat keine Entscheidung und keinen Rechtssatz benannt, von der bzw. von dem das Verwaltungsgericht abgewichen sein soll.
9Vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Divergenz die Senatsbeschlüsse vom 21. April 2010– 1 A 1326/08 –, juris, Rn. 34, und vom 25. Januar 2012 – 1 A 640/10 –, juris, Rn. 2.
103. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.
11a) Die Klägerin rügt zunächst, das Verwaltungsgericht habe ihren Beweisantrag, den Zahnarzt zu den tatsächlichen Schwierigkeiten seiner zahnärztlichen Behandlung zu hören, zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen von Schwellenwertüberschreitungen bei den streitgegenständlichen GOZ-Ziffern lägen nicht vor. Das Verwaltungsgericht habe sich damit eine medizinische Beurteilung angemaßt, ohne ausreichende medizinische Kenntnisse diesbezüglich zu haben.
12Aus diesem Vorbringen ergibt sich kein Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO.
13Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist die materiell-rechtliche Auffassung der Vorinstanz zugrundezulegen.
14Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1991 – 2 C 7.90 –, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 230 = juris, Rn. 8, sowie Beschluss vom 11. März 1998 – 11 B 13.98 –, juris, Rn. 2; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 197.
15Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, die Frage, ob eine Überschreitung des Schwellenwerts gerechtfertigt sei, beurteile sich anhand der hierfür in der Arztrechnung und der Stellungnahme der C. gegebenen Begründung, deren Wertung Aufgabe des Gerichts sei. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen von Schwellenwertüberschreitungen bei den streitgegenständlichen GOZ-Ziffern lägen nach Auffassung des Gerichts nicht vor.
16Damit hat das Verwaltungsgericht der Sache nach die Auffassung vertreten, für die Prüfung, ob eine Schwellenwertüberschreitung rechtmäßig sei, komme es in beihilferechtlichen Streitigkeiten nur auf solche Begründungen an, die schon während des Verwaltungsverfahrens vorgelegt worden seien. Diese dürften im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt oder ergänzt werden, so dass insoweit nicht weiter aufzuklären sei.
17Ebenso OVG NRW, Beschluss vom 20. Oktober 2004 – 6 A 215/02 –, juris, Rn. 29 f., m. w. N.; a. A. mit bedenkenswerten Argumenten Nds. OVG, Beschluss vom 12. August 2009 – 5 LA 368/08 –, juris, Rn. 7 ff., und VG Hannover, Urteil vom 22. Januar 2008 – 13 A 1148/07 –, juris, Rn. 46.
18Ausgehend von dieser, von der Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellten Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts bedurfte es keiner weiteren Aufklärung durch Vernehmung des Zahnarztes.
19Entgegen der Ansicht der Klägerin war die Frage der medizinischen Notwendigkeit der Behandlungen nicht streitgegenständlich. Das Verwaltungsgericht hat die Frage der Schwellenwertüberschreitung vielmehr nur im Rahmen der Angemessenheit der Aufwendungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO NRW erörtert.
20b) Die Klägerin macht weiter geltend, das Gericht habe über ihren Antrag nicht entschieden, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 21. November 2013 angeregt, ein Sachverständigengutachten zur Klärung der streitgegenständlichen Fragen einzuholen. In der mündlichen Verhandlung hat sie ausweislich des Protokolls ausgeführt, dass ein Sachverständigengutachten über die Ausführungen zur Begründung der Schwellenwerterhöhungen erforderlich gewesen wäre.
21Daraus folgen keine Verfahrensfehler. Das Verwaltungsgericht war nicht verpflichtet, über den Beweisantritt der Klägerin vorab durch Beschluss zu entscheiden. Denn die Pflicht zur Vorabentscheidung gemäß § 86 Abs. 2 VwGO gilt im Grundsatz nur für in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisanträge.
22Vgl. dazu etwa BVerwG, Beschluss vom 6. September 2011 – 9 B 48/11 –, NVwZ 2012, 376 = juris, Rn. 10, m. w. N.
23Über die entsprechende Beweisanregung hat das Verwaltungsgericht am Ende seines Urteils entschieden.
24c) Soweit die Klägerin rügt, das Gericht hätte den Sachverhalt weiter aufklären und den Zahnarzt sowie einen Sachverständigen zur Begründung der Schwellenwertüberschreitung hören müssen, hat sie damit keinen Verfahrensfehler nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO dargelegt.
25Zur hinreichenden Darlegung (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) eines Aufklärungsmangels muss der Rechtsmittelführer substantiiert angeben, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel bzw. Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme bzw. die weitere Aufklärung voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer ihm – dem Rechtsmittelführer – günstigeren Entscheidung hätte führen können. Ferner muss er substantiiert darlegen, dass er auf die Erhebung der Beweise vor dem Verwaltungsgericht hingewirkt hat oder dass sich die unterbliebene Beweisaufnahme aufgrund bestimmter, zu benennender Anhaltspunkte dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen.
26Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juni 2014 – 2 B 105.12 – juris, Rn. 26, zu § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; ferner die Senatsbeschlüsse vom 23. Januar 2013 – 1 A 2588/10 –, juris, Rn. 3, und vom 24. Juli 2014 – 1 A 1645/13 –, sowie Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 a Rn. 220, Bamberger, in: Wysk, VwGO, 2011, § 86 Rn. 21, Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 2011, § 124 a Rn. 60 i. V. m. § 139 Rn. 22, jeweils m. w. N. zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
27Erfüllt das Zulassungsvorbringen die vorstehend dargestellten Darlegungsanforderungen, so kommt es für den Erfolg einer Aufklärungsrüge weiter darauf an, ob es auch inhaltlich durchgreift. Dementsprechend setzt ein im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigender Aufklärungsmangel sachlich u. a. voraus, dass die Vorinstanz in Bezug auf eine Tatsache, welche bei Zugrundelegung ihrer Rechtsauffassung entscheidungserheblich gewesen wäre, einem förmlich in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht nachgegangen ist oder sich die Beweiserhebung geradezu aufgedrängt hat.
28Vgl. Senatsbeschluss vom 1. August 2012– 1 A 864/11 –, NVwZ-RR 2012, 952 = juris, Rn. 13 f., Rn. 15 f., m. w. N.
29Gemessen an diesen Vorgaben ist der behauptete Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) schon nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt nicht vor. Die Klägerin hat nicht erläutert, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welches Ergebnis die Beweisaufnahme bzw. die weitere Aufklärung voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einer ihr günstigeren Entscheidung hätte führen können.
30Ausgehend von der Auffassung des Verwaltungsgerichts, Begründungen des Arztes zur Schwellenwertüberschreitungen dürften im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht nachgeholt oder ergänzt werden, musste sich dem Verwaltungsgericht eine Vernehmung des behandelnden Arztes nicht aufdrängen.
31Im Ergebnis dasselbe gilt für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Frage, ob Besonderheiten gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten, abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle, aufgetreten sind, die das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigen können, ist gerichtlich voll überprüfbar.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1996 – 2 C 10.95 –, DVBl. 1996, 1150 = juris, Rn. 23.
33Die Bewertung dieser Besonderheiten ist eine juristische Frage, die das Gericht entscheiden muss, nicht ein Sachverständiger. Das Verwaltungsgericht hat auf den Seiten 5 und 6 seines Urteils die allgemeinen Voraussetzungen für Schwellenwertüberschreitungen angeführt. Anschließend hat es die vorliegenden Begründungen daraufhin überprüft, ob diese den genannten Voraussetzungen genügen. Welchen konkreten Beitrag ein Sachverständiger zu dieser Prüfung hätte beitragen können, ist weder substantiiert vorgetragen, noch sonst fallbezogen ersichtlich. Eine Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens musste sich dem Verwaltungsgericht daher auch nicht insoweit aufdrängen.
34d) Ohne Erfolg trägt die Klägerin vor, das Verwaltungsgericht habe die tatsächlichen medizinischen Voraussetzungen, die zu der erhöhten Abrechnung durch den behandelnden Zahnarzt geführt hätten, wie z. B. ihre schwierigen Kieferverhältnisse, nicht berücksichtigt oder bewertet, ebenso wenig wie die ausführliche Begründung der C. GmbH.
35Die damit geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat sich auf den Seiten 7 und 8 seines Urteils mit den vom Zahnarzt genannten Begründungen für Besonderheiten bei der Behandlung der Klägerin und auch mit der Stellungnahme der C. GmbH auseinandergesetzt. Dass es die Begründungen anders rechtlich bewertet hat als die Klägerin, begründet keinen Gehörsverstoß.
36e) Der Vortrag der Klägerin, sie hätte keine Möglichkeit gehabt, in der Sache weiter umfassend vorzutragen, da das Verwaltungsgericht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung weder Hinweise gegeben noch ergänzende Fragen gestellt habe und da sie mit der gutachterlichen Bewertung fest gerechnet habe, begründet keinen Verfahrensfehler. Dies gilt hier schon deswegen, weil die erstinstanzliche Richterin der Klägerin unter dem 2. September 2013 – mehr als vier Monate vor der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2014 – mitgeteilt hat, nach einer ersten Sichtung des Streitstoffs erscheine die Einholung eines Sachverständigengutachtens zumindest gegenwärtig nicht erforderlich. Spätestens nach diesem Hinweis gab es keinen Anlass mehr, fest darauf zu vertrauen, das Gericht werde einen Sachverständigen beauftragen. Im Übrigen steht es einem Beteiligten im Gerichtsverfahren grundsätzlich jederzeit frei, in der Sache umfassend vorzutragen.
374. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen sinngemäß geltend gemachter ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Das Vorbringen der Klägerin genügt insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Denn sie setzt sich nicht mit der ausführlichen Argumentation im erstinstanzlichen Urteil auseinander, warum die Voraussetzungen für eine Schwellenwertüberschreitung nicht vorliegen. Dasselbe gilt für die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur analogen Anwendung von Ziffer 2410 GOZ.
38Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG.
39Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
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