Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 B 312/15
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Die Beschwerde hat nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.
3Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
4Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, den Antrag der Antragstellerin auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Bewilligung eines Bildungskredits und Übernahme einer Bundesgarantie abzulehnen, nicht in Frage.
5Auch im Lichte der Beschwerde ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin habe nicht glaubhaft macht, dass sie ohne die beantragte vorläufige Bewilligung des begehrten Bildungskredits ihre Ausbildung nicht finanzieren könne und deshalb die Weiterführung der Ausbildung gefährdet sei,
6vgl. zu dieser Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes: OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Dezember 2014 - 12 B 1309/14 -, und vom 29. August 2013 - 12 B 792/13 -, juris, jeweils m. w. N.,
7nicht zu beanstanden. Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Kontext zutreffend darauf abgestellt hat, dass der Prozessbevollmächtigte - und zugleich Lebensgefährte - der Antragstellerin in seiner Antragsschrift vom 24. Januar 2015 angegeben habe, er würde „notfalls aus sittlichen Gründen die erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen“, ist diese Aussage keineswegs „missverstanden“ worden, wie die Beschwerde meint. Eine Einschränkung dahingehend, dass der Lebensgefährte die weitere Finanzierung nur sicherstellen wolle, wenn die Antragstellerin bei summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Gewährung eines Bildungskredits habe, war den nachfolgenden Ausführungen in der Antragsschrift, auf die sich die Antragstellerin beruft, nicht ansatzweise zu entnehmen. Wenn der Prozessbevollmächtigte nunmehr einhergehend mit seiner Beschwerdebegründung an Eides statt versichert, seine Finanzierungsbereitschaft beschränke sich auf den Fall, dass das Eilverfahren der Antragstellerin mangels Anordnungsanspruchs erfolglos bleibe, unterliegt diese Behauptung der freien gerichtlichen Überzeugungsbildung und Beweiswürdigung.
8Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 21. Mai 2013 - 12 A 1690/12 -, juris, und vom 25. Februar 2011 - 12 A 633/10 -, juris, jeweils m. w. N.
9In Anbetracht der zitierten Aussage in der Antragsschrift, die keine solche Einschränkung erkennen ließ, spricht - bei unverändert fortbestehender Lebensgemeinschaft - viel dafür, dass die anderslautende Versicherung nicht mehr als ein an der Prozesssituation orientiertes verfahrenstaktisches Manöver ist, um der entscheidungstragenden Argumentation des Verwaltungsgerichts die Grundlage zu entziehen. Dass der Prozessbevollmächtigte seiner Lebensgefährtin die finanzielle Unterstützung entzöge, wenn die Frage des voraussichtlichen Bestehens einer Förderberechtigung im gerichtlichen Eilverfahren verneint würde oder auch nur ungeklärt bliebe, während er anderenfalls weiterhin zahlungsbereit wäre, erscheint vor dem Hintergrund einer offenkundig intakten und schon seit geraumer Zeit bestehenden Beziehung lebensfremd. Insofern deutet Etliches darauf hin, dass die angebliche „Konditionierung“ des Finanzierungswillens vorgeschoben ist.
10Indessen dürfte die Antragstellerin auch einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben. Denn es spricht keine überwiegende, geschweige denn hochgradige Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin die Gewährung des begehrten Bildungskredits für die Fortführung ihres am 17. September 2014 aufgenommenen Masterstudiums an der W. V. in C. verlangen kann. Ein solcher Anspruch könnte sich grundsätzlich allein aus einer dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) entsprechenden Selbstbindung des Bundesverwaltungsamtes aufgrund ständiger Verwaltungspraxis ergeben. Dabei haben die der Gewährung des Bildungskredits zugrunde liegenden Förderbestimmungen,
11veröffentlicht im Internet unter https://www.bva.bund.de/DE/Organisation/Abteilungen/Abteilung_BT/Bildungskredit/010_Vergabe_von_Bildungskrediten/001_Foerderbestimmungen/foerderbestimmungen_Inhalt.html,
12lediglich den Charakter von ermessensleitenden Verwaltungsvorschriften. Sie unterliegen keiner abstrakten und eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen. Entscheidend ist für ihr Verständnis, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift und die darin enthaltenen (Rechts-)Begriffe im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis handhaben und in welchem Umfang sich die Verwaltung selbst gebunden hat. Daher sind Förderrichtlinien gemäß der vom Urheber gebilligten oder doch geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen. Gerichtlich überprüft wird dabei lediglich, ob die Verwaltungspraxis mit gesetzlichen Vorschriften vereinbar und ermessensfehlerfrei ist.
13Vgl. dazu nur OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2012 - 1 A 1733/10 -, juris, m. w. N. auch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
14Ausgehend von diesen Grundsätzen dürfte die Antragstellerin die Gewährung des begehrten Bildungskredits nicht beanspruchen können, weil sie nach der verwaltungspraktischen Handhabung der Förderbestimmungen durch das Bundesverwaltungsamt nicht antragsberechtigt ist und höherrangiges Recht zu keinem anderen Ergebnis zwingt.
15Gemäß § 2 Abs. 2 der Förderbestimmungen ist nur antragsberechtigt, wer seinen ständigen Wohnsitz im Inland hat und die Voraussetzungen nach § 8 BAföG in der jeweils gültigen Fassung erfüllt (Satz 1) oder wer seinen ständigen Wohnsitz im Ausland hat, aber die besonderen Voraussetzungen des § 6 BAföG in der jeweils gültigen Fassung erfüllt (Satz 2). Die Antragsgegnerin geht von einem Fehlen der Antragsberechtigung nach beiden Alternativen aus; die Antragstellerin habe nach dem Umzug nach C. keinen ständigen Wohnsitz in Deutschland mehr und erfülle auch weder die Voraussetzungen nach § 8 BAföG noch die des § 6 BAföG. Dass das Bundesverwaltungsamt in vergleichbaren Fällen wie dem der Antragstellerin in ständiger Praxis gleichwohl im Sinne einer Förderberechtigung entscheidet, ist auszuschließen; anderes wird auch von der Antragstellerin nicht geltend gemacht.
16Höherrangiges Recht dürfte es nicht gebieten, die Verwaltungspraxis im Einzelfall zugunsten der Antragstellerin zu korrigieren. Namentlich dürfte aus dem in Art. 21 AEUV garantierten Freizügigkeitsrecht der Unionsbürger und den europarechtlichen bzw. nationalstaatlichen Ausformungen und Umsetzungen dieses Rechts keine zwingende Verpflichtung der Antragsgegnerin abzuleiten sein, der Antragstellerin die begehrte Förderung zu gewähren.
17Soweit der Europäische Gerichtshof jüngst nochmals klargestellt hat, dass ein Mitgliedstaat, der ein System zur Förderung der Hochschulausbildung für eine Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat oder im Ausland vorsieht, dafür Sorge tragen muss, dass die Modalitäten der Bewilligung dieser Förderung das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht in ungerechtfertigter Weise beschränken,
18vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-359/13 -, juris Rn. 24, m. w. N.,
19kann sich eine hinreichende Rechtfertigung derartiger Beschränkungen - wie weiter ausgeführt wurde - aus objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses ergeben, wenn ein angemessenes Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Ziel gewahrt ist (vgl. juris Rn. 34); sowohl die Integration der Studierenden als auch der Wille, das Bestehen einer gewissen Verbindung zwischen der Gesellschaft des leistenden Mitgliedstaats und dem Empfänger einer Ausbildungsförderungsleistung zu überprüfen, vermögen objektive Erwägungen des Allgemeininteresses darzustellen, die es rechtfertigen können, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger möglicherweise durch die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung berührt wird (vgl. juris Rn. 36, m. w. N.).
20Daran gemessen spricht viel dafür, dass der Antragstellerin der beanspruchte Bildungskredit versagt werden kann, ohne dass dies eine ungerechtfertigte Beschränkung ihres Freizügigkeitsrechts darstellt. Der Antragstellerin dürfte in diesem Zusammenhang entgegenzuhalten sein, dass sie für den fast drei Jahre umfassenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland keine Erwerbstätigkeit vorweisen kann, die eine hinreichende Integration in den deutschen Arbeitsmarkt erkennen lässt. Ihrem Vortrag zufolge war sie nach der Einreise aus Q. kurzzeitig gewerblich (1. Oktober bis 31. Oktober 2011) bzw. freiberuflich (10. November 2011 bis 28. Februar 2012) tätig, wobei sie im letztgenannten Zeitraum nur steuerpflichtige Einkünfte in Höhe von 194 Euro erzielte. Eine nach längerer Unterbrechung aufgenommene Beschäftigung als Aushilfe mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden währte lediglich knapp vier Monate (10. September bis 31. Dezember 2013). Hiernach war die Antragstellerin noch für sechs Monate (4. Februar bis 3. August 2014) als Praktikantin in Vollzeit beschäftigt. Angesichts dieser eher lückenhaften und geringfügigen Erwerbstätigkeiten im Inland erscheint es nicht ungerechtfertigt, der Antragstellerin die begehrte Förderung für die in Rede stehende Auslandsausbildung vorzuenthalten.
21Für diese Wertung spricht auch der hinter § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU stehende Rechtsgedanke. Nach dieser die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft betreffenden Regelung bleibt das Recht auf Einreise und Aufenthalt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige bei „unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit“ unberührt. Bei zutreffendem Verständnis der Vorschrift, die ihrerseits auf Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 158 v. 30. April 2004, S. 77) zurückgeht, erfordert die Tätigkeit von „mehr als einem Jahr“ eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer. Hierfür spricht - neben dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 Buchst. b RL 2004/38/EG („nach mehr als einjähriger Beschäftigung“) - vor allem der Zweck der Vorschrift, einem bereits hinreichend in den Arbeitsmarkt integrierten Arbeitnehmer das Freizügigkeitsrecht bei Eintritt unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu erhalten. Eine Reihe kurzfristiger Beschäftigungen während eines längeren Zeitraums, die kumuliert eine einjährige Beschäftigungsdauer ergeben, wird dieser Zielsetzung nicht gerecht.
22Vgl. dazu Hailbronner, Ausländerrecht, Stand März 2015, D 1, § 2 FreizügG/EU, Rn. 85, auch unter Hinweis auf die Sonderregelung des Abs. 3 Satz 2; vgl. zum Erfordernis einer durchgängigen Beschäftigung auch Ziff. 2.3.1.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26. Oktober 2009, GMBl 2009, S. 1270).
23Eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer von mehr als einem Jahr hat die Antragstellerin nicht erreicht.
24Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.
25Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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