Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 B 758/15
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für das erstinstanzliche Verfahren. Die außergerichtlichen Kosten für das zweitinstanzliche Verfahren tragen die Beigeladenen selbst.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Die zulässige Beschwerde ist begründet.
3Die nach den §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse sowie dem privaten Interesse der Beigeladenen an einer sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
4Bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes regelmäßig gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nicht erkennbar, dass die den Beigeladenen unter dem 12. März 2015 von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung zur Aufstockung des Zweifamilienhauses und Errichtung einer Dachterrasse auf dem Grundstück I.- 7 in I1. den Antragsteller in subjektiven öffentlichen Rechten verletzt, sodass entgegen der gesetzlichen Wertung des § 212a BauGB die aufschiebende Wirkung der gegen die Baugenehmigung gerichteten Klage anzuordnen wäre.
5Das Verwaltungsgericht hat eine Rechtsverletzung des Antragstellers durch die Baugenehmigung darin gesehen, dass das Vorhaben gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße, weil der maßgebliche Bebauungsplan offene Bauweise festsetze, das Vorhaben aber nicht mehr Teil eines Doppelhauses sei. Es verlasse den Rahmen zulässiger wechselseitiger Grenzbebauung, da es zwei statt einem Vollgeschoss aufweise und seine Firsthöhe die Firsthöhe des um 2,66 m schmaleren Gebäudes des Antragstellers um 1,965 m überrage. Dadurch werde ein Vorhaben mit einem weiteren Geschoss ermöglicht. Zudem solle der rückwärtig vorhandene Wintergarten mit einer Dachterrasse versehen werden und daneben eine 1,80 m breite Wendeltreppe errichtet werden. Der darauf beruhende Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus werde durch die fortdauernden Elemente einheitlicher Gestaltung, wie Dachform, Firstrichtung und Dachneigung, nicht beseitigt.
6Der Senat vermag in Anwendung der bereits von dem Verwaltungsgericht genannten höchstrichterlichen Grundsätze zu der Frage, ob ein Vorhaben als Teil eines Doppelhauses die offene Bauweise einhält,
7vgl. BVerwG, Urteile vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 –, vom 5. Dezember 2013 – 4 C 5.12 –, und vom 24. Februar 2000 – 4 C 12.98 –, jeweils juris,
8bei der im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nicht zu erkennen, dass das Vorhaben der Beigeladenen nicht mehr Teil der hier nach § 30 BauGB in Verbindung mit § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO gebotenen Hausform Doppelhaus ist. Diese Form der zulässigen Grenzbebauung wird durch das Vorhaben nicht aufgegeben. Die Gebäude des Antragstellers und der Beigeladenen werden nach der Realisierung des Vorhabens bei der gebotenen Gesamtwürdigung der quantitativen und qualitativen Elemente eine bauliche Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers bilden, der weiterhin die Voraussetzungen eines Doppelhauses erfüllt.
9Ein Gebäude, soll es Teil eines Doppelhauses sein, muss ein Mindestmaß an Übereinstimmung mit dem zugehörigen Nachbarhaus aufweisen, indem es zumindest einzelne der ihm Proportionen und Gestalt gebenden baulichen Elemente aufgreift. Regelmäßig geben Höhe, Breite und Tiefe, sowie die Zahl der Geschosse und die Dachform einem Haus seine maßgebliche Gestalt. Diese Kriterien können daher im Einzelfall Anhaltspunkte für die Beurteilung des wechselseitigen Abgestimmtseins geben.
10Vgl. OVG NRW, Urteile vom 16. August 2011 – 10 A 1224/09 –, juris, Rn. 36, und vom 28. Februar 2012 – 7 A 2444/09 –, juris, Rn. 39.
11Ein mathematisch-prozentualer Ansatz, wie ihn etwa der 7. Senat des Oberverwaltungsgerichts in Erwägung gezogenen hatte, kommt danach nicht in Betracht.
12Die von dem Verwaltungsgericht betonte Höhe des Vorhabens und die Zahl seiner Geschosse sind zwar für das Maß der Übereinstimmung zweier Doppelhaushälften von besonderer Bedeutung. Für eine feste oder indizielle Grenze von 50% fehlt indes jeder Anhalt.
13Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – 4 C 12.14 –, a.a.O., Rn. 17.
14Der von dem Antragsteller in Bezug genommene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 31. Januar 2011 – 1 N 09.582 – ist nicht einschlägig. Er verhält sich dazu, dass es in quantitativer Hinsicht an der ein Doppelhaus kennzeichnenden wechselseitigen Abstimmung fehle, wenn bei zwei an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinandergebauten Gebäuden mehr als die Hälfte einer Grenzwand frei stehe. Ob dieser Auffassung uneingeschränkt zu folgen ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls würde dieses Kriterium hier wohl nicht der Annahme eines Doppelhauses entgegen stehen.
15Die genehmigte Differenz der Firsthöhen der beiden Doppelhaushälften von 1,965 m ist zwar nicht unerheblich. Sie erreicht aber nicht die Höhe eines Vollgeschosses und der Höhenunterschied fällt angesichts der Höhe des Gebäudes des Antragstellers von circa 8,25 m nicht entscheidend ins Gewicht. Der Senat teilt die Einschätzung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, dass die optische Wirkung dieser Höhendifferenz durch die einheitliche Firstrichtung sowie die gleiche Form und Neigung der beiden Dächer erheblich gemindert wird.
16Dass die Breite des Vorhabens (weiterhin) die Breite des Gebäudes des Antragstellers um 2,66 m übertrifft, führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Differenz beträgt kaum mehr als ein Viertel des 10,49 m breiten Wohnhauses des Antragstellers. Dies nimmt auch bei der im Rahmen der Gesamtwürdigung gebotenen gleichzeitigen Beachtung der unterschiedlichen Firsthöhen den aneinandergebauten Gebäuden nicht den Charakter der baulichen Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers.
17Dass der etwas mehr als 6 m breite „Wintergarten“ der Beigeladenen mit einer Dachterrasse versehen werden soll, die 2,5 m vor die südliche Außenwand des Wohngebäudes tritt und daneben eine 1,80 m breite Wendeltreppe errichtet werden soll, beseitigt nicht den Gesamteindruck der baulichen Einheit beider Gebäude. Dies beruht insbesondere darauf, dass der „Wintergarten“ weniger als die Hälfte der Breite des Vorhabens einnimmt, dass er mehr als 6,5 m von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt ist und dass seine Tiefe um 1 m hinter der Bautiefe des Wohnhauses des Antragstellers zurückbleibt.
18Vgl. demgegenüber OVG NRW, Urteil vom 16. August 2011 – 10 A 1224/09 –, a.a.O., Rn. 39.
19Wegen der weitgehend ähnlichen Gestaltung beider Gebäude, die durch die einheitliche Ausrichtung des Dachfirstes sowie die übereinstimmende Form und Neigung der beiden Dächer maßgeblich geprägt wird, ergibt die Gesamtbetrachtung zwei noch hinreichend aufeinander abgestimmte Teile des Gesamtbaukörpers Doppelhaus.
20Durch die Gebäudeaufstockung und die Errichtung der Dachterrasse mit einem Grenzabstand von mehr als 6,5 m kommt es weder zu einer unzumutbaren Verschlechterung der Belichtungs- und Besonnungssituation auf dem Grundstück des Antragstellers noch zu unverhältnismäßigen Möglichkeiten der Einsichtnahme, welche einen Verstoß gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme begründen könnten. Ein solcher Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme folgt auch nicht daraus, dass die weniger als 3 m breite Zufahrt zu dem Grundstück des Antragstellers, an die nördlich eine Lärmschutzwand grenzt, im Bereich des Vorhabengrundstücks an einem zweigeschossigen Gebäude entlang führt. Eine erdrückende Wirkung ist insoweit nicht gegeben. Daher kann offenbleiben, ob diese von der Rechtsprechung entwickelte Ausprägung eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot bei Verkehrsflächen, auf denen sich überdies die Verkehrsteilnehmer typischerweise nur kurzzeitig befinden, überhaupt vorliegen kann. Zwar soll das Vorhaben eine Firsthöhe von 10,10 m aufweisen, die an die Zufahrt angrenzende nördliche Gebäudeabschlusswand erreicht aber nur eine Höhe von 5,66 m. Eine solche Gebäudehöhe ist auch angrenzend an Verkehrswege nicht ungewöhnlich und bewirkt ersichtlich keine übermäßige Beengung.
21Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladenen haben nur in der ersten Instanz einen Sachantrag gestellt und sich damit nur für diese Instanz einem Kostenrisiko ausgesetzt (§ 154 Abs. 3 VwGO).
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
23Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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