Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 13 A 1794/15.A
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 2. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
1Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht gegeben.
41. Die Frage, ob Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften der Art. 4 und 5 Dublin III-VO zur Rechtswidrigkeit einer Überstellungsentscheidung der Beklagten führen, ist nicht entscheidungserheblich. Die benannten Vorschriften der Dublin III-VO sind hier nicht anwendbar.
5Nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist die Verordnung auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten, also ab dem 1. Januar 2014, gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt ‑ ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung - für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wird, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO nach den Kriterien der Dublin II-VO.
6Vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteile vom 17. Juni 2014 - 10 C 7.13 -, BVerwGE 150, 29 = juris, Rn. 27, und vom 17. September 2015 ‑ 1 C 26.14 -, juris, Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 16. September 2015 - 13 A 800/15.A -, juris, Rn. 38; Bergmann, ZAR 2015, 81 (83); Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 27a Rn. 3.
7Hiervon ausgehend kann sich der Kläger nicht auf die benannten Verfahrensgarantien der Dublin III-VO berufen. Er hat seinen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland am 26. November 2013 und damit vor dem 1. Januar 2014 gestellt. Zwar datiert das Wiederaufnahmeersuchen vom 23. Januar 2014. Dies führt aber nicht dazu, dass die Verfahrensgarantien nach Art. 4 und 5 Dublin III-VO hier anwendbar sind. Die Ausnahme von der Stichtagsregelung in Art. 49 Abs. 2 Dublin III-VO gilt nur für das (Wieder‑)Aufnahmegesuch. Die diesbezüglichen Regelungen befinden sich im Wesentlichen in Kapitel VI der Dublin III-VO (vgl. Art. 21: Aufnahmegesuch, Art. 23: Wiederaufnahmegesuch). So ist etwa für das Verfahren, das bezüglich des Gesuchs zu beachten ist, und die insoweit geltenden Fristen die Dublin III-VO maßgeblich.
8Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7.13 -, a. a. O., Rn. 27.
9Die in Kapitel II der Dublin III-VO geregelten individuellen Verfahrensgarantien sind aber keine Bestimmungen, die das Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme betreffen. Das Recht auf Information nach Art. 4 Dublin III-VO knüpft nicht hieran, sondern an die Stellung des Antrags auf internationalen Schutz an. Art. 4 Abs. 1 Dublin III-VO bestimmt: Sobald ein Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat gestellt wird, unterrichten seine zuständigen Behörden den Antragsteller über die Anwendung der Verordnung und insbesondere über im Folgenden im Einzelnen benannte Aspekte. Es widerspräche nicht nur der Stichtagsregelung in Art. 49 Abs. 2 Satz 1 1. HS Dublin III-VO, sondern auch Wortlaut, Sinn und Zweck des Art. 4 Abs. 1 Dublin III-VO, seine Anwendung auch noch im Nachhinein – ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung – zu fordern. Für das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO gilt Entsprechendes. Es bezieht sich auf den vorstehenden Artikel; so soll es nach seinem Absatz 1 Satz 2 das richtige Verständnis der dem Antragsteller bereitgestellten Informationen ermöglichen. Insbesondere soll es das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats erleichtern (Absatz 1 Satz 1). Bei Stellung des (Wieder‑)Aufnahmegesuchs hat der ersuchende Mitgliedstaat aber bereits die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats festgestellt. Dementsprechend bestimmt Art. 5 Abs. 3 Dublin III-VO, dass das persönliche Gespräch zeitnah geführt wird. Zwar kann es nach dieser Vorschrift auch noch zu einem späteren Zeitpunkt vor Entscheidung über die Überstellung erfolgen. Dies rechtfertigt angesichts der vorstehenden Erwägungen aber kein anderes Verständnis des Art. 49 Dublin III-VO bei vor dem 1. Januar 2014 gestellten Asylanträgen. Abgesehen davon hat am 26. November 2013 ein persönliches Gespräch des Bundesamts mit dem Kläger stattgefunden, in dem auch Aspekte erörtert worden sind, die für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von Bedeutung sind. Dabei hat er im Übrigen angegeben, dass keine Geschwister oder sonstigen Verwandten außerhalb des Heimatlandes lebten und es auch keinen Familienangehörigen gebe, dem in einem anderen Staat der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei und der dort seinen legalen Wohnsitz habe.
102. Auch die weiter aufgeworfene Frage, ob Art. 16 Abs. 1 Dublin III-Verordnung insoweit mit höherrangigem Recht vereinbar ist, als er den Schutz der Familie auf die Familienangehörigen beschränkt, die bereits im Herkunftsland eine familiäre Bindung hatten, ist nicht entscheidungserheblich. Diese Vorschrift, soweit hier relevant, bestimmt: Ist das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil des Antragstellers, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
11Es kann offen bleiben, ob Art. 16 Dublin III-VO hier anwendbar ist oder nach Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auch in Bezug auf die Familienzusammenführung die Dublin II-VO fortgilt. Im Zulassungsantrag wird jedenfalls die Entscheidungserheblichkeit der gestellten Frage nicht gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG hinreichend dargelegt. Es fehlt an Darlegungen, dass die übrigen Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO vorliegen. Der erwachsene, 1995 geborene Kläger verweist auf den Unterstützungsbedarf seines erwachsenen Bruders, der seit 1993 in Deutschland lebt und spätestens seit 1996 an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidet (vgl. Bericht der B. -Klinik O. -P. vom 7. November 2011). Es ist aber weder dargetan noch erkennbar, dass der Bruder auf die Unterstützung des Klägers angewiesen ist. Der Bruder befindet sich seit etwa 15 Jahren in psychiatrischer – teilweise jahrelanger forensisch-stationärer – Behandlung und steht zudem unter gesetzlicher Betreuung. Letztere erstreckt sich auf die Bereiche Gesundheitssorge, Wohnungsangelegenheiten und die Vertretung gegenüber Behörden, Sozialleistungsträgern und Pflegeeinrichtungen. Es ist nicht ersichtlich, dass und warum nunmehr ein Unterstützungsbedarf ausgerechnet durch den Kläger bestehen, gar das nach dem 16. Erwägungsgrund der Dublin III-VO in Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO zugrunde gelegte Abhängigkeitsverhältnis (vgl. dazu auch Art. 11 Abs. 6 Durchführungsverordnung (EG) Nr. 1560/2003 i. d. F. der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2004 der Kommission) existieren soll. Dass der Kläger, wie er in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung angegeben hat, seinen Bruder 2013 und 2015 jeweils einmal besucht habe und täglich mit ihm telefoniere, reicht insoweit nicht aus. Ferner befindet sich bei den Gerichts- und Verwaltungsakten auch nicht die nach Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO erforderliche schriftliche Erklärung des Bruders, mit der er seinen Wunsch nach Unterstützung durch den Kläger kundgetan hat. Hierzu verhält sich die Antragsbegründung ebenfalls nicht.
12Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
13Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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Referenzen
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- VwGO § 154 1x
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
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- § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 800/15 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x