Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 A 1761/14
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.
1
G r ü n d e :
2Der Prozesskostenhilfeantrag der Kläger war abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht die von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorausgesetzte hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, wie nachfolgend ausgeführt wird.
3Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber nicht begründet, weil keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe gegeben ist.
4Das Zulassungsvorbringen begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Es vermag die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, die Inobhutnahme des Kindes N. C. in der Zeit vom 6. Juni bis zum 29. Juli 2013 sei rechtmäßig gewesen, nicht durchgreifend in Frage zu stellen.
5Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Im Falle einer Inob-hutnahme nach dieser Vorschrift hat das Jugendamt die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten unverzüglich von der Inobhutnahme zu unterrichten und mit ihnen das Gefährdungsrisiko abzuschätzen (vgl. § 42 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Widersprechen die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten der Inobhutnahme, so hat das Jugendamt unverzüglich das Kind oder den Jugendlichen den Personensorge- oder Erziehungsberechtigten zu übergeben, sofern nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht besteht oder die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten bereit und in der Lage sind, die Gefährdung abzuwenden; anderenfalls hat das Jugendamt eine Entscheidung des Familiengerichts über die erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen (vgl. § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII).
6Eine Gefahr im jugendhilferechtlichen Sinn liegt - wie im allgemeinen Gefahrenabwehrrecht - dann vor, wenn im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung im Rahmen der prognostischen ex-ante-Betrachtung bei ungehinderten Ablauf des zu erwartenden Geschehens der Eintritt des Schadens hinreichend wahrscheinlich ist. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit verlangt einerseits nicht Gewissheit, dass der Schaden eintreten wird. Andererseits genügt die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts grundsätzlich nicht zur Annahme einer Gefahr. Dabei ist allerdings zu beachten, dass hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit differenziert werden muss, wobei es vor allem auf das Schutzgut ankommt: Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, umso geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können. Wo es um den Schutz besonders hochwertiger Schutzgüter geht, kann deshalb auch schon eine entfernte Möglichkeit eines Schadens die begründete Befürchtung seines Eintritts auslösen. Von letzterem ist im Jugendhilferecht regelmäßig auszugehen.
7Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. November 2007
8- 12 A 635/06 -, juris; Kirchhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 1. Auflage 2014, Stand 16. Juli 2015, § 42 Rn. 62.
9Ausgehend von diesen Grundsätzen zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf, dass es an einer zur Inobhutnahme bzw. zur Aufrechterhaltung derselben berechtigenden Gefahrenlage während der Zeit vom 6. Juni bis zum 29. Juli 2013 gefehlt habe.
10Soweit die Kläger einwenden, das Verwaltungsgericht habe zu der Ungeeignetheit des Klägers keine weiteren Feststellungen getroffen, als dass der Beklagte nach mehreren Gesprächen mit dem Kläger nicht den Eindruck gehabt habe, dieser könne sich ausreichend um die Kinder kümmern und sie ausreichend schützen, wobei jedoch im Dunkeln bleibe, woher der Beklagte diese Überzeugung nehme, trifft Letzteres nicht zu. Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung vom 22. August 2013 ausgeführt, der Kläger habe in einem am 6. Juni 2013 geführten Gespräch „und auch in den Vorgesprächen im Hinblick auf die gesundheitliche Situation der Kindesmutter sehr ambivalent“ gewirkt. Er habe den Eindruck vermittelt, „dass er in einer symbiotischen Abhängigkeit zu seiner Frau steht und sich deshalb letztlich ihr gegenüber, auch seine … Sorge um die Kinder betreffend, nicht klar positioniert“. Zwar habe er darüber informiert, „dass er kurzfristig seine Arbeitszeiten auf die institutionellen Betreuungszeiten von N1. in Schule und OGS hatte abstimmen können“; dennoch habe er „an diesem Abend“ mitgeteilt, „keine grundsätzliche Garantie dafür geben zu können, dass N1. möglicherweise auch mit der Kindesmutter alleine zu Hause sein könnte“. Mit diesem Vorbringen, welches das Verwaltungsgericht zum Teil auch im Tatbestand seines Urteils referiert hat (vgl. S. 6 des Urteilsabdrucks), setzen sich die Kläger ihrerseits nicht auseinander. Dabei ist davon auszugehen, dass das seinerzeit verlautbarte Unvermögen des Klägers, verlässlich zu gewährleisten, dass seine Tochter N1. sich unter keinen Umständen allein mit der Mutter im Haus aufhält, in gleicher Weise auch für das weitere Kind N. gegolten hätte, sobald dieses aus der Kinderklinik entlassen worden wäre.
11Vor diesem Hintergrund vermögen die Kläger auch nicht mit der Behauptung durchzudringen, dass „selbst für den Fall, dass sich die Klägerin im Familienhaushalt aufgehalten hätte, überhaupt keine Gefahr bestanden (hätte), da der Kläger für eine durchgehende Beaufsichtigung hätte sorgen können“, so gegebenenfalls durch seine Eltern. Dieses nachträgliche Vorbringen kann die Tragfähigkeit der behördlichen Gefahrenprognose aus damaliger Sicht nicht erschüttern.
12Dem Umstand, dass die Klägerin seinerzeit in einer „laufenden psychologischen und ärztlichen Betreuung stand“, war schon deshalb keine entscheidende Bedeutung beizumessen, weil sich der Vorfall am 2. Juni 2013, bei dem die unter dem Einfluss des Medikaments U. stehende Klägerin orientierungslos auf Bahngleisen aufgefunden wurde, während einer in den stationären Klinikaufenthalt eingebetteten Wochenendbeurlaubung zugetragen hatte und die Klägerin U. -Tabletten versteckt auf die Station eingeschleust hatte; das deutete - jedenfalls zur damaligen Zeit - darauf hin, dass auch eine laufende ärztliche bzw. psychologische Behandlung weitere Krisensituationen nicht ausschließen konnte.
13Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils vermag der Zulassungsantrag schließlich auch nicht mit dem Argument zu erwecken, die behandelnden Ärzte der psychiatrischen Fachabteilung des Kreisklinikums T. hätten keine Notwendigkeit für eine geschlossene Unterbringung der Klägerin (mehr) gesehen. Abgesehen davon, dass es nicht Sache der Fachärzte war, das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII zu beurteilen, setzt die Zulässigkeit der Unterbringung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 PsychKG voraus, dass durch krankheitsbedingtes Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine erhebliche Selbstgefährdung oder eine erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer besteht, die nicht anders abgewendet werden kann. Falls die psychische Erkrankung eines Elternteils zu einer erheblichen Kindeswohlgefährdung führt, kann letztere aber auch dadurch abgewendet werden, dass das Kind durch das zuständige Jugendamt in Obhut genommen wird, wie hier geschehen.
14Die Berufung kann auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Die Kläger haben eine solche Bedeutung lediglich mit dem Zulassungsantrag geltend gemacht, jedoch nachfolgend nicht begründet. Das entspricht ersichtlich nicht den Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO.
15Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 VwGO.
16Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist damit rechtskräftig, vgl. § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 42 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 124 2x
- VwGO § 152 1x
- VwGO § 188 1x
- VwGO § 124a 1x
- § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII 2x (nicht zugeordnet)
- § 42 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 12 A 635/06 1x (nicht zugeordnet)
- § 11 Abs. 1 Satz 1 PsychKG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- VwGO § 166 1x