Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 A 409/14
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zum Neubau einer zweigeschossigen Produktions- und Lagerhalle mit integrierter Backwarenverkaufsstelle sowie Café.
3Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks O. Straße 22 in X. (Gemarkung C. , Flur 25, Flurstück 250). Die Beigeladene ist u. a. Eigentümerin der in der gleichen Flur gegenüber dem klägerischen Grundstück ‑ getrennt durch die O. Straße - liegenden Flurstücke 280, 281 und 285. Auf diesen ca. 33.574 m² großen Flurstücken befinden sich die Betriebsanlagen der Beigeladenen, u. a. eine parallel zur O. Straße errichtete ca. 190 m lange und zwischen 70 und 120 m tiefe Produktionshalle. Für die Grundstücke existiert kein Bebauungsplan.
4Die Beigeladene riss zur Vorbereitung ihrer Erweiterungspläne auf dem streitgegenständlichen Gelände zwischen der vorhandenen Betriebshalle und der O. Straße nach Erteilung entsprechender Genehmigungen mehrere Wohnhäuser ab. Im Mai 2010 beantragte die Beigeladene den Erlass einer Baugenehmigung zum Neubau einer zweigeschossigen Produktionshalle mit integrierter Brot- und Backwarenverkaufsstelle mit Café. Nach der Betriebsbeschreibung soll die zweigeschossige Halle als Erweiterung der bestehenden Produktionshallen zum Schneiden und Verpacken von Backwaren, dem automatisierten Waschen und Lagern von Transportkörben und einem integrierten Backshop mit Café dienen. Die Betriebszeit soll an Werktagen sowie Sonn- und Feiertagen von 0:00 Uhr bis 24:00 Uhr sein. Park- und Fahrverkehr für die Brot- und Backwarenverkaufsstelle soll in der Zeit von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr stattfinden.
5Mit Bescheid vom 21.4.2011 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Darin nahm sie auf die Schallimmissionsprognose des TÜV Rheinland vom 6.5.2010 und die ergänzende Stellungnahme vom 20.12.2010 Bezug.
6Daraufhin hat die Klägerin am 21.06.2011 Klage erhoben. Sie hat zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Die angefochtene Baugenehmigung verletze ihren Anspruch auf die Erhaltung der Gebietsart. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks entspreche einem Dorfgebiet. Durch die Beseitigung des Altbestandes sei dessen prägende Wirkung nicht entfallen. Eine gewerblich-industrielle Nutzung füge sich nicht in diesen Umgebungsrahmen ein. Das Baugrundstück werde auch nicht durch den vorhandenen Betrieb maßgeblich geprägt. Er trete nicht so in Erscheinung, dass er die Eigenart der näheren Umgebung ihres Grundstückes mit bestimme. Zudem liege ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor. Der Betrieb der Beigeladenen erdrücke die kleinteilige Bebauung in dem maßgeblichen Umgebungsrahmen. Der Abstand zwischen ihrem Gebäude und dem Bauvorhaben betrage ca. 15 m. Aufgrund der Größe des Vorhabens mit einer Länge von 80 m und einer Höhe von 12 m bliebe ihr aus ihren Wohnräumen nur der Blick auf die Fassade der zu errichtenden Halle. Das Vorhaben füge sich auch nach seinem Maß, seiner Bauweise und seiner Grundstücksfläche nicht in den vorhandenen Umgebungsrahmen ein.
7Die Klägerin hat beantragt,
8die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 21.4.2011 aufzuheben.
9Die Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie hat im Wesentlichen ausgeführt: Die angefochtene Baugenehmigung sei rechtmäßig. Der Betriebskomplex der Beigeladenen sei nicht als so genannter Fremdkörper außer Betracht zu lassen. Der Betrieb besitze allein flächenmäßig ein erhebliches städtebauliches Gewicht und präge die Umgebung des Vorhabengrundstückes in dominierender Weise. Die vorgetragene prägende Nachwirkung des Altbestandes werde nicht bestritten. Ihr komme jedoch keine eigenständige Bedeutung zu. Die tatsächlich vorhandene Bebauung in der maßgeblichen näheren Umgebung entspreche weder der eines Dorfgebietes, noch der eines sonstigen in der Baunutzungsverordnung typisierten Baugebietes. Somit könne die Klägerin auch keinen Gebietserhaltungsanspruch geltend machen. Das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme werde eingehalten. Durch das Vorhaben werde die Vorbelastung an Immissionen weder nach Art, noch nach Intensität im Sinne einer unzumutbaren Störung überschritten. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des zu erwartenden Quell- und Zielverkehrs. Das Vorhaben halte sich auch hinsichtlich des Maßes innerhalb des Umgebungsrahmens. Zudem seien die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung nicht nachbarschützend. Von dem Vorhaben gehe auch keine erdrückende Wirkung aus.
12Die Beigeladene hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie hat im Wesentlichen vorgetragen: Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche keinem in der Baunutzungsverordnung typisierten Baugebiet. Der bestehende Betrieb stehe der Einstufung als Dorfgebiet entgegen. Der Betrieb stelle keinen Fremdkörper dar, sondern sei so tonangebend, dass er das Baugebiet dominiere und ein Gebietsgewährleistungsanspruch ausscheide. Es liege auch kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vor. Das geplante Gebäude bleibe in Bezug auf seine Breite und Höhe innerhalb des Rahmens der Bebauung in der näheren Umgebung und entfalte keine erdrückende Wirkung.
15Mit Urteil vom 2.1.2014 hat das Verwaltungsgericht nach vorheriger Ortsbesichtigung die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Eine Verletzung der einzuhaltenden Abstandflächen sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Klägerin stehe auch kein Gebietsgewährleistungsanspruch zu. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche keinem Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung. Zu der maßgeblichen näheren Umgebung gehöre die Bebauung an beiden Seiten der O. Straße und der M. Straße zwischen der von der O. Straße nach Nordwesten abzweigenden C1. Straße und der zwischen dieser und der M. Straße in Nord-Süd Richtung verlaufenden G.------straße . In diesem Bereich befänden sich neben zahlreichen Wohnhäusern und der Versorgung des Gebietes dienenden Geschäften noch ein existierender landwirtschaftlicher Betrieb (O. Straße 6) und wohl auch ein Betrieb des Garten- und Landschaftsbaus (Ecke M. Straße/G.------straße ). Der vorhandene Betrieb der Beigeladenen müsse in die Betrachtung einbezogen werden. Es handele sich um keinen Fremdkörper. Der Betrieb der Beigeladenen beherrsche den Charakter des gesamten den Rahmen bildenden Gebietes und bestimme somit die Eigenart der Umgebung mit. Bereits aufgrund seiner flächenmäßigen Ausdehnung nehme er einen großen Teil der oben beschriebenen näheren Umgebung ein. Die Höhe des Gebäudekomplexes variiere, indem sie teilweise die Höhen der Nachbargebäude unterschreite, teilweise auch deutlich überrage, etwa mit einem aus sieben Geschossen bestehenden turmartigen Gebäude mit der Aufschrift „L. “. Im Hinblick auf die Höhe und Massivität der Baukörper könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesamtgebäudekomplex des Betriebs der Beigeladenen nicht die Kraft hätte, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen. Diese stelle danach eine Gemengelage dar. Deshalb scheitere der geltend gemachte Gebietsgewährleistungsanspruch bereits an der Voraussetzung des Vorliegens eines Baugebiets im Sinne der Baunutzungsverordnung. Der Klägerin stehe ein nachbarliches Abwehrrecht auch nicht im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung zu, welches ausschließlich über das Gebot der Rücksichtnahme nachbarschützende Wirkung entfalte. Das Vorhaben erweise sich gegenüber dem klägerischen Grundstück nicht als rücksichtslos. Von dem Vorhaben gehe keine erdrückende Wirkung aus.
16Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen vor: Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts befinde sich das klägerische Grundstück nicht in einer Gemengelage. Es sei zu berücksichtigen, dass sich auf dem Baugrundstück zuvor Wohngebäude befunden hätten, die von ihrer Gebäude- und Nutzungsstruktur der Bebauung auf der anderen Seite der O. Straße entsprochen hätten. Diese frühere Bebauung sei relevant, da sie beseitigt worden sei, um Platz für eine neue Bebauung zu schaffen. Aufgrund dessen wirke die abgebrochene Bausubstanz zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der angefochtenen Baugenehmigung fort. Damit sei die Beigeladene in das zuvor dort vorhandene faktische Dorf- oder Mischgebiet eingedrungen. Mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung sei die Gebietsgrenze zu Gunsten des Betriebsgrundstücks in Richtung der weiteren vorhandenen Wohngebäude verschoben worden. Dies führe zu einem Gebietserhaltungsanspruch. Es liege kein die Umgebung beherrschender Fremdkörper vor, sondern es seien zwei unterschiedliche Gebiete aufeinander getroffen. Die Baugenehmigung verletze zudem die aus § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG folgende ihr gegenüber bestehende Schutzpflicht. Das Schallgutachten vom 6.5.2010 habe weder die Vorbelastung noch die Gesamtbelastung ermittelt. Die in dem schalltechnischen Gutachten vom 10.11.2015 prognostizierte Einhaltung der Immissionsrichtwerte bzw. deren Unterschreitung um 2 dB(A) sei nicht plausibel. Die Geräuschanalyse vom 11.8.1997 habe am Nachbarobjekt O. Straße 20 einen Pegel von 48 dB(A) ergeben. Seitdem habe es verschiedene weitere Baumaßnahmen zur Intensivierung der betrieblichen Aktivitäten gegeben. Durch diese müsse der 1997 prognostizierte Pegel weiter erhöht worden sein. Zudem sei das vorgelegte Gutachten nicht Bestandteil der streitgegenständlichen Baugenehmigung geworden. Die angefochtene Baugenehmigung sei deshalb unbestimmt, insbesondere auch, weil sie die verschiedenen Ansätze des Schallgutachters nicht verbindlich gegenüber der Beigeladenen festsetze.
17Die Klägerin beantragt,
18das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 19.12.2013 abzuändern und die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 21.4.2011 für den Neubau einer zweigeschossigen Produktions- und Lagerhalle mit integrierter Backwarenverkaufsstelle sowie Café aufzuheben.
19Die Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Sie beruft sich auf die Gründe des angegriffenen Urteils.
22Die Beigeladene beantragt,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Sie trägt im Wesentlichen vor: Die Klägerin werde durch die angefochtene Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt. Ein Gebietserhaltungsanspruch stehe ihr schon deshalb nicht zu, weil die maßgebliche nähere Umgebung in diesem unbeplanten Innenbereich keinem der in der Baunutzungsverordnung typisierten Baugebiete entspreche. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Eigenart der näheren Umgebung vor allem durch den massiven Gebäudekomplex der Brotfabrik geprägt werde. Selbst wenn die abgerissenen Wohngebäude noch eine nachprägende Wirkung hätten, ergebe sich auch dann nicht die Einstufung des Gebietes als faktisches Dorfgebiet. Das Vorhaben nehme die gebotene Rücksicht auf die Interessen der Klägerin. Entgegen dem klägerischen Vorbringen sei das von ihr, der Beigeladenen, vorgelegte Schallgutachten des TÜV Rheinland vom 10.11.2015 plausibel. Auch der um das genehmigte Vorhaben erweiterte Gesamtbetrieb führe zu keinen unzumutbaren Lärmimmissionen. Aufgrund der Gemengelage sei ein Zwischenwert anzusetzen, der die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete nicht überschreiten solle. Auch nach der geplanten Erweiterung würde dieser maßgebliche Immissionsrichtwert nicht überschritten.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorliegenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
26E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
27Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen; sie ist unbegründet. Die Baugenehmigung vom 21.4.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren subjektiven Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
28Soweit die Klägerin geltend macht, das Bauvorhaben der Beigeladenen füge sich wegen seines Maßes nicht in die nähere Umgebung ein, fehlt es jedenfalls an der Verletzung subjektiver Rechte der Klägerin. Dem Maß der baulichen Nutzung als solchem - darunter fallen gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO u. a. die Grundfläche der baulichen Anlage und gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO auch die Zahl der Vollgeschosse - kommt im nicht überplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB keine nachbarschützende Wirkung zu.
29Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.10.1995 ‑ 4 B 215.95 -, BauR 1996, 82; OVG NRW, Beschlüsse vom 11.3.2003 - 7 B 240/03 -, juris und vom 26.4.2012 - 7 A 633/11 -.
30Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine Verletzung des sog. Gebietsgewährleistungsanspruchs berufen.
31Der Gebietsgewährleistungsanspruch berechtigt den Grundstückseigentümer als Nachbarn, sich gegen ein hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Baugebiet nicht zulässiges Vorhaben selbst dann zur Wehr zu setzen, wenn es an einer unzumutbaren Beeinträchtigung fehlt. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen.
32Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007 - 4 B 55.07 -, BRS 71 Nr. 68, m. w. N.
33Dabei findet der Gebietsgewährleistungsanspruch nicht nur im förmlich festgesetzten Baugebiet Anwendung, sondern auch in einem Gebiet, dessen Charakter maßgeblich durch die tatsächliche Bebauung geprägt ist.
34Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110; OVG NRW, Urteil vom 28.2.2012 - 7 A 2444/09 -, BRS 79 Nr. 171 = BauR 2012, 1100.
35Ein derartiger Gebietsgewährleistungsanspruch steht der Klägerin nicht zu. Die nähere Umgebung des Grundstücks der Klägerin entspricht nach seiner Eigenart keinem der in der Baunutzungsverordnung typisierten Baugebiete. Bei dem hier zu beurteilenden Baugebiet handelt es sich vielmehr nach dem Inhalt der Akten, insbesondere dem vorliegenden Karten- und Bildmaterial um eine Gemengelage. In einer Gemengelage ist ein Gebietserhaltungsanspruch von vornherein nicht gegeben.
36Der Senat hat keine Bedenken gegen die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Bestimmung der maßgeblichen näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB.
37Die für die Beurteilung des Gebietscharakters nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 f. BauNVO maßgebliche nähere Umgebung wird - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - dadurch ermittelt, dass in zwei Richtungen, nämlich in Richtung vom Vorhaben auf die Umgebungsbebauung sowie in Richtung von der Umgebung auf das Vorhaben geprüft wird, wie weit die jeweiligen Auswirkungen reichen. Zu berücksichtigen ist die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Bei der für die Prüfung erforderlichen Bestandsaufnahme ist grundsätzlich alles tatsächlich Vorhandene mit in den Blick zu nehmen. Es darf dabei nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in unmittelbarer Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, es muss auch die Bebauung der weiteren Umgebung insoweit berücksichtigt werden, als sie noch prägend auf das Vorhabengrundstück einwirkt. Wie weit die wechselseitige Prägung - und damit die nähere Umgebung - reicht, ist eine Frage des Einzelfalls.
38Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 21.8.2015 - 7 A 704/13 -, BauR 2016, 81.
39Nach diesen Maßstäben umfasst die für die Art der Nutzung maßgebliche nähere Umgebung die Bebauung an beiden Seiten der O. Straße und der M. Straße zwischen der von der O. Straße nach Nordwesten abzweigenden C1. Straße und der zwischen dieser und der M. Straße in Nord-Südrichtung verlaufenden G.------straße .
40Gegen die derart vorzunehmende räumliche Eingrenzung der näheren Umgebung hat sich die Klägerin mit ihrem Berufungsvorbringen auch nicht mit substantiierten Einwänden gewandt. Aufgrund des Inhalts der Akten, insbesondere des hinreichend aussagekräftigen vorliegenden Bild- und Kartenmaterials bedurfte es hierzu auch nicht der Durchführung eines weiteren Ortstermins.
41Dieser maßgebliche Bereich der näheren Umgebung wird von dem in die Betrachtung einzubeziehenden Betrieb der Beigeladenen derart beherrschend geprägt, dass die Eigenart der näheren Umgebung als Gemengelage zu bewerten ist.
42Zunächst muss bei der Bestimmung der Eigenart des Gebiets - gleichsam auf der ersten Stufe der Betrachtung - alles an Bebauung in den Blick genommen werden, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Jedoch bestimmt nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung ihren Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung - zweitens - auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die vorhandene Bebauung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind zum einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff "Fremdkörper" nichts zu tun, sondern ist Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Schon diese Beschränkung ist zwar nicht ganz frei von wertenden Elementen; sie knüpft aber noch stärker an die Feststellung des tatsächlich Gegebenen an. Zum anderen können auch solche Anlagen aus der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszusondern sein, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfallen. Das wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht. In Betracht kommen insbesondere solche baulichen Anlagen, die nach ihrer - auch äußerlich erkennbaren - Zweckbestimmung in der näheren Umgebung einzigartig sind. Sie erlangen die Stellung eines "Unikats" um so eher, je einheitlicher die nähere Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz ihrer deutlich in Erscheinung tretenden Größe und ihres nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen sie nicht deren Eigenart, weil sie wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägt vom übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert dastehen. Grundlage für ein solches Ausklammern ist zwar auch das tatsächlich Festgestellte; als Ergebnis beruht es aber auf einer überwiegend wertenden Betrachtung. Derartige Anlagen dürfen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung aber nur dann als "Fremdkörper" ausgeklammert werden, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter ihrer Umgebung letztlich nicht beeinflussen können. Ob dies der Fall ist, muss - auf einer dritten Stufe - unter Würdigung des tatsächlich Vorhandenen ermittelt werden. Ausschlaggebend kann erneut die Größe der andersartigen Anlage sein. Einzelne bauliche Anlagen von stark abweichendem Charakter können nach Ausdehnung, Zahl und anderen Quantitätsmerkmalen ein solches Gewicht enthalten, dass sie trotz ihrer herausstechenden Andersartigkeit in einer abweichend und verhältnismäßig einheitlich strukturierten Umgebung ihrerseits tonangebend wirken. Dafür kommen neben der Größe des Gebäudes auch die Ausstrahlungswirkungen (Immissionen) einer einzelnen baulichen Anlage auf die nähere Umgebung in Betracht. Auf diesem Wege kann sogar ein einzelner Gewerbebetrieb in einem im Übrigen einheitlich strukturierten Wohngebiet die Eigenschaft eines außer Betracht zu lassenden Fremdkörpers verlieren und seinerseits die Eigenart der Umgebung mitbestimmen. Wann dies im Einzelfall anzunehmen ist, lässt sich allerdings nicht allgemein formulieren. Grundsätzlich sprechen große Qualitätsunterschiede zwischen einer einzelnen Anlage und ihrer im Wesentlichen homogenen Umgebung dafür, dass die Anlage als ein für die Eigenart der Umgebung unbeachtlicher Fremdkörper zu werten ist. Diese Regel wird nur dann durchbrochen werden können, wenn die Anlage ihre Umgebung beherrscht oder aus anderen Gründen - wie etwa im Verhältnis einer Zeche zu der sie umgebenden Zechensiedlung - trotz der Andersartigkeit mit ihr eine Einheit bildet.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.2.1990 - 4 C 23.86 -, BRS 50 Nr. 75 = BauR 1990, 328, m. w. N.
44Das Verwaltungsgericht hat unter Anwendung dieser Grundsätze zutreffend - auf der 3. Stufe - festgestellt, dass der Betrieb der Beigeladenen aufgrund seiner flächenmäßigen Ausdehnung, der Massivität der Gebäude und der teilweise die Nachbarbebauung überschreitenden Höhe des Gebäudekomplexes die nähere Umgebung im obigen Sinne beherrscht, und deshalb nicht als Fremdkörper aus der Betrachtung auszusondern ist. Aufgrund der - auf den Luftbildern gut erkennbaren - flächenmäßigen Ausdehnung der Betriebsgebäude unter Inanspruchnahme des Großteils des als nähere Umgebung zu betrachtenden Gebiets, der mit dem Betrieb verbundenen Immissionen und die direkten Sichtbeziehungen zwischen der umgebenden Wohnbebauung und dem Betrieb beeinflusst dieser massiv den Gebietscharakter. Dem Betrieb der Beigeladenen kommt eine dominierende, die übrige Bebauung „in seinen Schatten stellende“ Wirkung zu. Insbesondere das turmartige Gebäude mit der Werbeaufschrift L. überragt die Umgebungsbebauung deutlich und ist - wie den vorliegenden Lichtbildern zu entnehmen ist - auch bereits von der Ferne deutlich erkennbar.
45Eine andere Einschätzung ergibt sich nicht unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin, es träfen zwei Gebietsarten aufeinander. Bei der Bestimmung der Art der zulässigen Nutzung im unbeplanten Innenbereich ist - wie oben bereits ausgeführt - die tatsächliche Nutzung in der näheren und weiteren Umgebung in den Blick zu nehmen, soweit sie das Vorhabengrundstück prägt. Eine Zäsur zwischen der ursprünglichen Wohnbebauung auf dem Vorhabengrundstück und dem Betriebskomplex der Beigeladenen, die die von der Klägerin vertretene Gebietsabgrenzung nahelegen könnte, bestand nicht. Insoweit kann der Senat auch offen lassen, inwieweit die abgerissene Wohnbebauung eine Nachprägung entfaltet.
46Dem Beweisantrag der Klägerin,
47Beweis durch Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten darüber zu erheben, dass die vorhandene Bebauung beidseitig der O. Straße nebst vorhandenen Baulücken einem faktischen Dorfgebiet entspricht,
48brauchte der Senat schon deshalb nicht nachzukommen, weil es an der substantiierten Angabe von Tatsachen fehlt, die eine Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit erbringen könnte und die aus den vorliegenden Akten bisher nicht ersichtlich sind. Abgesehen davon bezieht sich der Beweisantrag auf eine rechtliche Wertung, nämlich auf die Feststellung, dass das Grundstück der Klägerin in einem Dorfgebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung liegt.
49Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass das Vorhaben gegen das Rücksichtnahmegebot verstößt.
50Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich im Nachbarschaftsverhältnis gewährleisten. Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich an der Frage auszurichten, was dem Rücksichtnahme-begünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksicht-nahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger Rücksicht braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, zu nehmen. Berechtigte Belange muss er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen. Sind von einem Vorhaben - wie hier - Immissionen zu erwarten, ist das Kriterium der Zumutbarkeit in der Regel anhand der Grundsätze und Begriffe des Bundesimmissionsschutzgesetzes auszufüllen, weil es die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht allgemein bestimmt. Immissionen, die das nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß nicht überschreiten, begründen auch unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots keine Abwehr- oder Schutzansprüche. Ob Belästigungen im Sinne des Immissionsschutzrechts erheblich sind, richtet sich nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen.
51Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.8.1996 - 7 A 1727/93 -, juris.
52Der Betrieb des geplanten Vorhabens ist auch bei Berücksichtigung des Gesamtbetriebs für die Klägerin nicht mit unzumutbaren Immissionen verbunden.
53Als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung für einen Nachbarn ist die TA Lärm heranzuziehen. Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z. B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z. B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet. Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest. Aus der Spiegelbildlichkeit der sich aus dem Rücksichtnahmegebot ergebenden gegenseitigen Verpflichtungen der konfligierenden Nutzungen ergibt sich, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Abstriche am Umfang der Anwendbarkeit und Bindungswirkung der TA Lärm sind nicht vorzunehmen.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 18.2.2013 - 2 A 2135/11 -, BRS 81 Nr. 186 = BauR 2013, 1644.
55Ausgehend von diesen Grundsätzen führt der Betrieb des geplanten Vorhabens auch bei Berücksichtigung des Gesamtbetriebs der Beigeladenen nicht zu unzumutbaren Lärmimmissionen am Grundstück der Klägerin. Dieses liegt in einer Gemengelage im Sinne der Nr. 6.7 TA Lärm. Nach Nr. 6.7 Satz 1 TA Lärm können, wenn gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen (Gemengelage), die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Nach Satz 2 der Nr. 6.7 TA Lärm sollen die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete dabei nicht überschritten werden. Satz 3 der Nr. 6.7 TA Lärm sieht vor, dass für die Höhe des Zwischenwertes nach Absatz 1 die konkrete Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes maßgeblich ist. Wesentliche Kriterien sind die Prägung des Einwirkungsgebiets durch den Umfang der Wohnbebauung einerseits und durch Gewerbe- und Industriebetriebe andererseits, die Ortsüblichkeit eines Geräusches und die Frage, welche der unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde, Nr. 6.7 Satz 5 TA Lärm. Die Einstufung der Schutzbedürftigkeit des Wohngrundstücks der Klägerin als Kern-, Dorf- und Mischgebiet ist wegen der Lage gegenüber der Produktionsstätte der Beigeladenen danach nicht zu beanstanden. Der Gutachter des TÜV Rheinland ist in seinem Gutachten vom 10.11.2015 im Ergebnis zu Recht von dem maßgeblichen Immissionsrichtwert von tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) ausgegangen. Diese Richtwerte werden nach dieser Prognose tags um 15 dB(A) und nachts um 2 dB(A) unterschritten. Ebenso wird nach dem Gutachten das Spitzenpegelkriterium der TA Lärm eingehalten und sind keine tieffrequenten Geräusche zu erwarten.
56Die schalltechnische Untersuchung vom 10.11.2015 enthält auch keine erheblichen Mängel und ist methodisch einwandfrei.
57In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass solche Untersuchungen die Auswirkungen eines Vorhabens naturgemäß nicht exakt vorherbestimmen und qualifizieren können. Derartige Gutachten stellen lediglich eine Prognose dar, die das Gericht nur darauf zu prüfen hat, ob diese mit den im maßgebenden Zeitpunkt verfügbaren Erkenntnismitteln unter Beachtung der für sie erheblichen Umstände sachgerecht erarbeitet worden ist. Das Gericht überprüft insoweit die Wahl einer geeigneten fachspezifischen Methode, die zutreffende Ermittlung des der Prognose zugrunde liegenden Sachverhalts und ob das Ergebnis einleuchtend begründet worden ist. Ferner ist zu fragen, ob die mit jeder Prognose verbundene Ungewissheit künftiger Entwicklungen in einem angemessenen Verhältnis zu den Eingriffen steht, die mit ihr gerechtfertigt werden sollen. Es ist hingegen nicht Aufgabe des Gerichts, das Ergebnis einer auf diese Weise sachgerecht erarbeiteten Prognose als solches darauf zu überprüfen, ob die prognostizierte Entwicklung mit Sicherheit bzw. größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit eintreten wird oder kann.
58Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2.10.2013 - 7 D 18/13.NE -, BRS 81 Nr. 11 = BauR 2014, 221.
59Die vorbeschriebenen Anforderungen erfüllt das Gutachten des TÜV Rheinland vom 10.11.2015. Es ist entgegen dem Vorbringen der Klägerin insbesondere auch nicht deshalb unplausibel, weil in einem früheren Gutachten des TÜV Rheinland vom 11.8.1997 für das Nachbargebäude des klägerischen Hauses (O. Straße 20) für die vom damaligen Betrieb ausgehenden Immissionen ‑ ohne Minderungsmaßnahmen - ein Gesamtbeurteilungspegel nachts von 48 dB(A) ermittelt worden ist. Der Betrieb der Beigeladenen ist seit diesem Zeitpunkt mehrfach verändert worden, so dass in Rechnung zu stellen ist, dass sich auch die Geräuschausbreitung verändert hat. Alleine die abschirmende Wirkung der nunmehr geplanten Betriebshalle dürfte zu einer deutlichen Veränderung der Lärmimmissionen auf dem Grundstück der Klägerin führen.
60Die angefochtene Baugenehmigung ist nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt.
61Das Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG NRW in seiner nachbarrechtlichen Ausprägung verlangt, dass sich der Baugenehmigung und den genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen lassen muss, dass nur solche Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Ist eine Baugenehmigung in dieser Hinsicht inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, führt dies zu einem Abwehrrecht des Nachbarn, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften auszuschließen und - zusätzlich - wenn die insoweit mangelhafte Baugenehmigung aufgrund dessen ein Vorhaben zulässt, von dem der Nachbar konkret unzumutbare Auswirkungen zu befürchten hat. Wie weit das nachbarrechtliche Bestimmtheitserfordernis im Einzelnen reicht, beurteilt sich nach dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht.
62Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.5.2013 - 2 A 3010/11 -, BRS 81 Nr. 178 = BauR 2013, 1827, m.w.N.
63Gemessen an diesem Maßstab ist die angefochtene Baugenehmigung in nachbarrechtlicher Hinsicht inhaltlich hinreichend bestimmt. Die in den genehmigten Bauvorlagen beschriebenen Betriebsabläufe lassen - wie im Gutachten des TÜV Rheinland vom 10.11.2015 ausgeführt - keine unzumutbaren Lärmimmissionen befürchten. Diesen Unterlagen - insbesondere dem Lageplan, den Grundrissen, der Betriebsbeschreibung und den Ansichten - lässt sich mit der erforderlichen Deutlichkeit der genaue Umfang des Vorhabens und seines Betriebs entnehmen. Es war auch nicht notwendig, das Gutachten des TÜV-Rheinland vom 10.11.2015 zum Gegenstand der Baugenehmigung zu machen. Entgegen dem klägerischen Vorbringen gibt der Gutachter nicht „verschiedene Ansätze“ zum Betrieb des geplanten Vorhabens vor. Vielmehr prognostiziert der Gutachter - ausgehend von den bestehenden Betriebsanlagen unter Berücksichtigung des geplanten Vorhabens - die zu erwartende Geräuschsituation am Gebäude der Klägerin. Schallminderungsmaßnahmen sind nach dem Gutachten nicht erforderlich und werden auch nicht bezeichnet.
64Von dem geplanten Vorhaben geht auch mit Blick auf das Volumen des Gebäudes, seine Stellung auf dem Grundstück und die Höhe weder eine „erdrückende Wirkung“ gegenüber dem Grundstück der Klägerin noch sonst eine rechtlich relevante Rücksichtslosigkeit aus.
65Dabei lässt der Senat lässt offen, inwieweit für die Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme angesichts der - auch von der Klägerin nicht bezweifelten - Einhaltung der Abstandflächen überhaupt Raum ist.
66Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9.6.2011
67- 7 A 1494/09 -, Beschluss vom 9.2.2009
68- 10 B 1713/08 -, BRS 74 Nr. 181 m. w. N. und vom 6.6.2012 - 7 B 487/12 -.
69Eine erdrückende Wirkung wird angenommen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls ‑ und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandflächen - derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird.
70Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.7.2010 - 7 A 3199/08 -, BRS 76 Nr. 181 = BauR 2011, 248 und Beschluss vom 24.4.2012 - 7 B 242/12 – und vom 6.6.2012 - 7 B 487/12 -.
71Eine solche Wirkung kann angesichts der Umstände des Einzelfalls nicht angenommen werden. Die Entfernung zwischen dem geplanten Vorhaben und dem klägerischen Gebäude beträgt im Erdgeschossbereich ca. 15 m, so dass ausreichend „Luft“ zwischen den Gebäuden ist. Das Gebäude der Klägerin ist zwar 2,50 niedriger als die geplante Produktionshalle (klägerisches Gebäude OK First 191,53 m über NN; geplante Produktionshalle OK Dach 194,03 m über NN). Jedoch verspringt die Produktionshalle in einer Höhe von 10 m bei einer Gesamthöhe von 12 m um einen Meter nach Norden, so dass der Abstand zwischen dem klägerischen Gebäude und der obersten Etage der Produktionshalle ca. 16 m beträgt. Bei dieser Sachlage ist die Annahme einer erdrückenden Wirkung fernliegend. Dies gilt auch im Hinblick auf die Ost-West Ausdehnung der Produktionshalle. Soweit die Klägerin geltend macht, sie würde aus ihren straßenseitigen Zimmern nur noch auf die Fassade der geplanten Produktionshalle schauen, ist dies im innerstädtischen Bereich nichts Ungewöhnliches und von ihr hinzunehmen.
72Gegenüber der Klägerin resultiert eine Rücksichtslosigkeit im Rechtssinne auch nicht aus der teilweisen Verschattung ihres Grundstücks. In einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet müssen Nachbarn hinnehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht (insbesondere § 6 BauO NRW) vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden und es dadurch zu einer gewissen Verschattung des eigenen Grundstücks bzw. von Wohnräumen kommt. Entsprechendes gilt für Einsichtsmöglichkeiten, die in einem bebauten Gebiet üblich sind.
73Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 1.6.2007 ‑ 7 A 3852/06 -, BRS 71 Nr. 127, und vom 9.2.2009 - 10 B 1713/08 -, BRS 74 Nr. 181 und vom 6.6.2012 - 7 B 487/12 -.
74Hiervon ausgehend begründet der - möglicherweise - zu erwartende Schattenwurf kein Abwehrrecht gegen das streitige Bauvorhaben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die geplante Halle im Norden liegt und somit die Besonnung des klägerischen Grundstücks kaum beeinflusst. Die Südseite des klägerischen Gebäudes wird nicht beeinträchtigt und das relativ große ebenfalls nach Süden ausgerichtete Grundstück der Klägerin bietet genügend Möglichkeiten, weiterhin einen sonnigen Sitzplatz zu finden.
75Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen der Klägerin aufzuerlegen, da die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit in das Kostenrisiko begeben hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
76Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, 711 ZPO.
77Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.
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