Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 4825/18.A
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
1Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. In Verfahren, auf die - wie hier - das Asylgesetz (AsylG) Anwendung findet, ist die Berufung nur zuzulassen, wenn einer der in § 78 Abs. 3 AsylG aufgeführten Zulassungsgründe geltend gemacht und den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wird.
2Daran fehlt es hier. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten Abweichung von der übergeordneten Rechtsprechung (Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) zuzulassen.
3Eine die Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG eröffnende Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn der Zulassungsantrag einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der übergeordneten Rechtsprechung aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz widersprochen hat. Eine Divergenz liegt aber nicht schon dann vor, wenn in der angefochtenen Entscheidung ein in der übergeordneten Rechtsprechung aufgestellter Rechts- oder Tatsachensatz lediglich übersehen, übergangen oder sonst wie nicht richtig angewandt worden sein sollte.
4Vgl. zu § 132 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2017 - 8 B 4.16 -, juris Rn. 3, m.w.N.; zu § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG: OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 9 A 1434/18.A -, juris Rn. 23 ff.; zu § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 158 f., m.w.N.
5Ausgehend von diesen Maßstäben zeigt die Antragsbegründung nicht auf, dass das angefochtene Urteil von einem Grundsatz abweicht, den der Senat in dem Beschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A - aufgestellt hat.
6Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger, der nach eigenen Angaben in Al Qosh (Al Kosh) geboren ist und dort auch zuletzt gewohnt hat, die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der dem yezidischen Glauben und der kurdischen Volksgruppe angehörende Kläger sei im Jahr 2014 aus seinem in der Nähe von Mosul gelegenen Heimatort vor einem Angriff der Terrormiliz IS und damit vor einer unmittelbar bevorstehenden, an seine Religionszugehörigkeit anknüpfenden Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG geflohen. Eine inländische Fluchtalternative i.S.d. § 3e AsylG habe ihm nicht zur Verfügung gestanden; nach der gemäß § 3e Abs. 2 AsylG zu berücksichtigenden Einschätzung des UNHCR seien die öffentlichen Versorgungseinrichtungen in den kurdischen Gebieten mit der Aufnahme von Binnenvertriebenen überfordert, so dass die Annahme einer internen Fluchtalternative nur unter besonderen Voraussetzungen, nämlich bei Bestehen enger familiärer Kontakte und familiärer Unterstützung, möglich sei. Die Vermutungswirkung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU sei durch die tatsächliche Entwicklung nicht widerlegt. Zwar sei das Kalifat des Islamischen Staats 2017 im Irak weitestgehend besiegt worden. Dies bedeute jedoch nicht das Ende der Bedrohung durch die Terrororganisation; vielmehr gebe es nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Februar 2018, dessen Einschätzung mit Medienberichten übereinstimme, landesweit, namentlich in den Provinzen Ninawa (Ninive) und Salah al Din, terroristische Anschläge und offene bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen IS-Verbündeten und Sicherheitskräften. In diesem Zusammenhang hat sich das Verwaltungsgericht mit dem Senatsbeschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A - auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, dass dieser Beschluss im Verfahren eines Klägers ergangen sei, der aus Dohuk, mithin aus der kurdischen Autonomieregion stamme, und dass es nach den Ausführungen in dem genannten Beschluss (vgl. etwa juris Rn. 31) allein auf die Sicherheitslage in der Herkunftsregion des jeweiligen Klägers ankomme. Sollte der Senatsbeschluss auch Personen betreffen, die außerhalb dieser Region, insbesondere im Sindjar, durch den IS verfolgt worden seien, würde das Verwaltungsgericht der Entscheidung des OVG NRW nicht folgen.
7Die geltend gemachte Divergenz ergibt sich aus der Antragsbegründung nicht. Die Beklagte meint, der Senat habe in dem Beschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A - ohne Differenzierung nach der Herkunftsregion den Grundsatz aufgestellt, dass Yeziden im Irak, also auch Yeziden aus der Sindjarregion, vor erneuter Verfolgung durch den IS sicher seien. Hiervon sei das Verwaltungsgericht in entscheidungserheblicher Weise abgewichen.
8Das trifft jedoch nicht zu. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Senatsbeschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A - in dem Verfahren eines aus Dohuk in der Kurdischen Autonomieregion stammenden Yeziden ergangen. Da es – wie das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend betont hat – bei der Gefahrenprognose auf die Sicherheitslage in der Herkunftsregion, dort also Dohuk in der Autonomen Region Kurdistan (Region Kurdistan-Irak), ankommt, verhält sich der Beschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A - auch ausschließlich zu der dortigen Sicherheitslage (so ausdrücklich juris Rn. 17, 24 und 32). Ausführungen zu der Sicherheitslage in einem über die (de iure) kurdischen Autonomiegebiete hinaus reichenden, wie auch immer geographisch abzugrenzenden Norden des Irak, insbesondere etwa zu den yezidischen Siedlungsgebieten in Al Kosh und der Sindjarregion, waren in jenem Nichtzulassungsbeschluss nicht veranlasst und sind darin auch weder ausdrücklich noch sinngemäß enthalten. Soweit der bei juris zu findende Orientierungssatz Anlass zu Missverständnissen gibt, ist darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um einen vom Senat autorisierten Leitsatz handelt. Zu der Sicherheitslage in Ninawa einschließlich der Provinzhauptstadt Mosul (Mossul) verhält sich der Beschluss vom 26. Juli 2018 nicht. Ebenso wenig enthält der Beschluss Ausführungen zu der Frage, ob Personen, die außerhalb der Kurdischen Autonomieregion verfolgt worden sind, auf eine Fluchtalternative innerhalb der Autonomieregion verwiesen werden können (vgl. juris Rn. 32).
9Soweit in dem genannten Beschluss vom 26. Juli 2018 der Begriff „Nord-Irak“ verwendet worden ist, sei hiermit – soweit erforderlich – klargestellt, dass damit der kurdisch verwaltete Nord-Irak, d.h. die Autonome Region Kurdistan-Irak mit den (de iure) zugehörigen Provinzen Dohuk, Erbil, Sulaymania und Halabdscha gemeint ist.
10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 83b AsylG.
11Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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