Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 4590/18.A
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen die durch das angefochtene Urteil unter Aufhebung der Ziffern 2 bis 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Mai 2017 ausgesprochene Verpflichtung, der Klägerin den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen, wird zugelassen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe:
1Die Berufung ist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG wegen Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.
2Die Beklagte hat den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt, dass das Verwaltungsgericht bei der Feststellung der für die Annahme des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erforderlichen Gefahrendichte von den Grundsätzen abgewichen ist, die das Bundesverwaltungsgericht in den Urteilen vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - (BVerwGE 136, 360, und juris) sowie vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 – (InfAuslR 2014, 233, und juris) aufgestellt hat, indem es entscheidungstragend die Auffassung vertreten hat, dass es im Rahmen der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung keiner Feststellung der Gefahrendichte bedürfe, weil zum Einen derzeit nicht auf verlässliche Zahlen zurückgegriffen werden könne, und zum Anderen die Ermittlung der konkreten Gefahrendichte aufgrund der besonderen Anschlagssituation in der Stadt Bagdad nicht geeignet sei, die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen individuellen Gefahr darzustellen.
3Beide Begründungselemente stehen in Widerspruch zu den in den o.g. Urteilen vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Anforderungen an die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte. Danach bedarf es keines exakten Zahlenmaterials, sondern lediglich einer annäherungsweisen quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits. Diesbezüglicher Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt bedarf es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts „in jedem Fall“.
4Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die - vom Verwaltungsgericht hier nicht geprüfte - Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Ausländers würden dafür nicht ausreichen.
5Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris Rn. 33 (zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.) und vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24 (zu § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG).
6Die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen setzt eine quantitative Ermittlung des Gefährdungsniveaus voraus; sie macht die Feststellungen bezüglich der Gefahrendichte nicht entbehrlich.
7Die Beklagte hat auch dargelegt, dass das Urteil auf der Abweichung beruht, weil bei Auswertung des Zahlenmaterials - zu ergänzen wäre: auch unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer - Erhebliches dafür spricht, dass die erforderliche Gefahrenschwelle nicht erreicht ist.
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Referenzen
- § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG 1x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG 1x (nicht zugeordnet)