Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 445/18
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 25.550,08 € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nicht vor.
4Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
5Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16. Januar 2017 ‑ 2 BvR 2615/14 -, juris Rn. 19, und vom 9. Juni 2016 ‑ 1 BvR 2453/12 -, juris Rn. 16, jeweils mit weiteren Nachweisen.
6Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
7den Vorausleistungsbescheid der Beklagten vom 7. Juni 2016 aufzuheben,
8zu Recht abgewiesen.
91. Das Grundstück des Klägers Gemarkung I. , Flur 9, Flurstück 105 (C. 25 und 27) wird von der Erschließungsanlage I1. im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen.
10Ein Grundstück ist im Sinne dieser Vorschriften erschlossen, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise, das heißt in einer auf die bauliche, gewerbliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichteten Funktion, die Zugänglichkeit vermittelt. Die durch die Anlage und die damit bewirkte Erreichbarkeit vermittelte bauliche oder gewerbliche Ausnutzbarkeit ist der Erschließungsvorteil, der die anteilige Auferlegung des hierfür notwendigen Aufwands rechtfertigt.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 2014 - 9 C 4.13 -, juris Rn. 11.
12Fehlt es in dem vorrangig maßgeblichen Bebauungsplan an relevanten Festsetzungen, so ist ein in einem Wohngebiet gelegenes Grundstück durch eine Anbaustraße regelmäßig erschlossen, wenn diese die Möglichkeit eröffnet, mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen an die Grenze des Grundstücks heranzufahren und es von dort aus zu betreten. Erschlossen sind danach die unmittelbar an die Anbaustraße angrenzenden, selbständig bebaubaren oder gewerblich nutzbaren Grundstücke, die von der Anlage in der für die vorgenannte Nutzung erforderlichen Weise - gegebenenfalls nach Ausräumung bestehender, aber mit zumutbarem Aufwand zu beseitigender Hindernisse - erreicht werden können.
13Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 2014 - 9 C 4.13 -, juris Rn. 12, und vom 28. März 2007 - 9 C 4.06 -, juris Rn. 11.
14Aus bauordnungsrechtlicher Sicht ist für das Erschlossensein gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW (früher: § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW) erforderlich, dass das Grundstück in angemessener Breite an der befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt. Dabei ist anzunehmen, dass das Gesetz eine Breite von weniger als 1 m nicht mehr als angemessen ansieht, weil unter solchen Verhältnissen der Zugang insbesondere für Feuerwehrleute mit Feuerlösch- und Rettungsgeräten nicht bzw. nicht ohne Schwierigkeiten möglich ist.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Mai 2000 - 3 A 3132/99 -, juris Rn. 1.
16Im Fall einer Zweiterschließung ist die Ersterschließung hinwegzudenken. Es kommt insofern allein darauf an, dass die Zweitanlage dem Grundstück durch die - von der tatsächlichen Nutzung unabhängige - Möglichkeit der Inanspruchnahme eine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne vermittelt.
17Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29. September 2015 ‑ 9 B 42.15 -, juris Rn. 12, und vom 14. Dezember 2010 - 9 B 58.10 -, juris Rn. 3, Urteil vom 28. März 2007 - 9 C 4.06 -, juris Rn. 11.
18Für die Beurteilung der Ausdehnung einer Erschließungsanlage, das heißt der Frage, wo eine selbständige Erschließungsanlage beginnt und endet, ist weder die Parzellierung noch eine einheitliche oder unterschiedliche Straßenbezeichnung maßgebend. Vielmehr kommt es auf das Erscheinungsbild, also auf die tatsächlichen Verhältnisse an, wie sie zum Beispiel durch die Straßenführung, Straßenbereite, Straßenlänge und Straßenausstattung geprägt werden und sich im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise darstellen. Deutlich abgrenzbare Teile einer Straße können daher selbständige Erschließungsanlagen bilden.
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2016 - 9 C 25.15 -, juris Rn.24.
20Erforderlich ist eine Würdigung aller dafür relevanten Umstände. Die natürliche Betrachtungsweise ist nicht aus einer Vogelperspektive anzustellen. Vielmehr ist grundsätzlich der Blickwinkel eines Betrachters am Boden einzunehmen. Wegen der damit unter Umständen verbundenen Einengung des Horizonts kann gegebenenfalls ergänzend auch der sich aus Plänen oder Luftbildaufnahmen ergebende Straßenverlauf mit in die Betrachtung einzubeziehen sein.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 2017 - 9 C 20.15 -, juris Rn. 12.
22Dabei kann - ausnahmsweise abweichend von der grundsätzlich gebotenen natürlichen Betrachtungsweise - auch die Verlängerung einer schon vorhandenen Erschließungsanlage eine selbständige Erschließungsanlage sein.
23Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. März 2017 - 9 C 20.15 -, juris Rn. 14, und vom 5. Oktober 1984 - 8 C 41.83 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 24. November 1998 - 3 A 706/91 -, juris Rn. 7 ff.
24Dies zugrunde gelegt, hat das Verwaltungsgericht, das die Örtlichkeit im Rahmen eines Ortstermins am 19. September 2017 in Augenschein genommen hat, auf S. 8 f. des angefochtenen Urteils zutreffend dargelegt, dass das klägerische Grundstück von der Erschließungsanlage I1. erschlossen wird. Das Grundstück des Klägers grenzt südöstlich auf einer Länge von ca. 6 m unmittelbar an diese Erschließungsanlage an.
25Der Auffassung des Klägers, dieser Teil der Straße gehöre zur vorhandenen Erschließungsanlage Zum T. und sei nur mit einem neuen Straßenbelag versehen worden, ist nicht zu folgen. Das Verwaltungsgericht hat unter Hinweis auf den entsprechenden Ausbau- und Abrechnungsplan mit Recht darauf abgestellt, dass die im Jahr 1983 fertiggestellte Erschließungsanlage Zum T. an der südöstlichen Ecke des klägerischen Grundstücks endete und dieses daher nicht erschloss. Dass sich an diese Erschließungsanlage eine befestigte Fläche anschloss, über die der Kläger schon früher an sein Grundstück heranfahren konnte, besagt - auch wegen des seinerzeitigen Ausbauzustands - nichts darüber, dass diese Fläche Bestandteil der vorhandenen Erschließungsanlage Zum T. war. Für diese rechtliche Bewertung ist auch unerheblich, über welchen Straßenverlauf Pkw das Grundstück des Klägers üblicherweise anfahren.
262. Der Kläger zieht die Höhe der festgesetzten Vorausleistung nicht ernstlich in Zweifel.
27Bei ungewöhnlich großen Grundstücken kann es nach Sinn und Zweck der bundesrechtlichen Erschließungsbeitragsvorschriften geboten sein, die Eckermäßigung nicht auf das gesamte Grundstück zu erstrecken, sondern nur auf einen Grundstücksteil, der etwa der durchschnittlichen Größe der übrigen von der Anlage erschlossenen Grundstücke entspricht.
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1976 - IV C 56.74 -, juris Rn. 18.
29Dementsprechend sieht § 6 Abs. 9 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt I2. (T1. ) in der Fassung der 3. Nachtragssatzung vom 16. November 1998 vor, dass für Grundstücke, die von mehr als einer Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB erschlossen werden, die Grundstücksfläche bei Abrechnung jeder Erschließungsanlage nur mit zwei Dritteln anzusetzen ist, dass dies nach Buchstabe f) aber nicht für Grundstücksflächen gilt, soweit sie die durchschnittliche Grundstücksfläche der übrigen im Abrechnungsgebiet liegenden Grundstücke übersteigen.
30Diese Regelung hat die Beklagte zur Anwendung gebracht, wie aus der Anlage C zum Vorausleistungsbescheid vom 7. Juni 2016 sowie aus dem Schreiben der Beklagten vom 29. Juni 2016 hervorgeht. Dass dies fehlerhaft geschehen ist, legt der Kläger nicht dar und ist mit Blick auf die Größe seines Grundstücks von 1.465 m² auch sonst nicht ersichtlich.
313. Soweit der Kläger pauschal auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt, genügt dies den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
34Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
35Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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