Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 14 B 1696/18
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 26.931,81 € festgesetzt.
Gründe:
1Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. November 2018 ist unbegründet. Die von ihm dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Haftungsbescheid der Antragsgegnerin vom 23. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2017 und der Fassung des Änderungsbescheids vom 25. Mai 2018 (im Übrigen) zu Unrecht abgelehnt hat.
2Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Antrags des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im Übrigen, nämlich soweit die Antragsgegnerin den Antragsteller mit dem angefochtenen Haftungsbescheid vom 23. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2017 und der Fassung des Änderungsbescheids vom 25. Mai 2018 noch für Gewerbesteuerschulden der E. GmbH in Höhe von 91.884,27 €, Nachforderungszinsen in Höhe von 12.169,- € und Säumniszuschläge in Höhe von 3.674,- € in Anspruch nimmt, im Wesentlichen damit begründet, der Antragsteller habe jedenfalls dadurch eine grob fahrlässige Pflichtverletzung begangen, dass er die durch bestandskräftigen Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 für das Veranlagungsjahr 2010 festgesetzten Gewerbesteuern nebst Zinsen in Höhe von insgesamt 131.286,39 € bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 nicht bezahlt habe. Diesen unanfechtbaren Bescheid müsse der Antragsteller als seinerzeitiger Geschäftsführer der GmbH nach § 166 AO gegen sich gelten lassen. Aus welchen Gründen er den für die GmbH zunächst gegen den Bescheid eingelegten Einspruch zurückgenommen habe, sei insoweit unerheblich. Die Behauptung des Antragstellers, die E. GmbH habe im Zeitpunkt der Fälligkeit der durch den Bescheid vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuer am 7. Dezember 2015 nicht über ausreichende finanzielle Mittel für die Tilgung der Schulden verfügt, habe der Antragsteller nicht durch Geschäftsunterlagen für eben diesen Zeitpunkt belegt, sondern allein auf eine Bilanz aus dem Jahr 2012 und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 4. August 2016 verwiesen. Vor diesem Hintergrund gehe das Gericht im Rahmen der summarischen Prüfung davon aus, dass zum Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Mittel für die Tilgung der Schulden zur Verfügung gestanden hätten. Anderenfalls hätte der Antragsteller einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen müssen. Hierzu wäre er bei Zahlungsunfähigkeit der GmbH gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO spätestens drei Wochen nach deren Eintritt verpflichtet gewesen. Nicht zuletzt aufgrund der Strafbewehrung dieser Pflicht durch § 15a Abs. 4 InsO sei mangels anderslautenden schlüssigen Vortrags regelmäßig von ihrer Einhaltung und damit auch davon auszugehen, dass ausreichende Mittel zur Begleichung der Schulden vorhanden seien, solange kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt sei. Den Insolvenzantrag habe der Antragsteller für die GmbH erst am 15. März 2016 gestellt.
3Hiergegen wendet der Antragsteller ohne Erfolg ein, es sei nicht ersichtlich, welche grobe Pflichtverletzung ein Geschäftsführer und Kaufmann einer GmbH begangen haben solle, der sich anwaltlicher und steuerberaterlicher Hilfe versichere. Er sei während des gesamten Verfahrens, insbesondere bereits während der ursprünglichen steuerlichen Veranlagung im Jahre 2010 steuerberaterlich und anwaltlich vertreten gewesen.
4Dieses Vorbringen greift nicht durch. Der Antragsteller verkennt, dass das Verwaltungsgericht ihm nicht Pflichtverstöße im Veranlagungsverfahren vorgeworfen hat, sondern die gegenüber der E. GmbH mit Bescheid vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen für das Veranlagungsjahr 2010 in Höhe von insgesamt 131.286,39 € bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 nicht aus den vorhandenen Mitteln der E. GmbH bezahlt zu haben. Die Pflicht, festgesetzte Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen bei Fälligkeit zu bezahlen, ist eine ganz einfache Pflicht, zu deren Einsicht und Befolgung es keiner Beratung durch einen Steuerberater oder einen Rechtsanwalt bedarf. Der Antragsteller trägt auch nicht vor, dass sein Steuerberater und sein Rechtsanwalt ihn dahingehend beraten hätten, dass er die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 nicht bezahlen müsse. Eine derart offenkundige Falschberatung wäre im Übrigen auch unbeachtlich gewesen.
5Dass die E. GmbH gegen die Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamts B. betreffend die Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge für die E. GmbH für die Veranlagungsjahre 2009 und 2010 am 10. November 2015 Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantrag hatte, war für die Zahlungspflicht der E. GmbH am 7. Dezember 2015 unbeachtlich. Einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuerbescheids der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 hätte die E. GmbH erst gehabt, wenn das Finanzamt B. die Vollziehung des Gewerbesteuermessbescheids betreffend die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags für das Jahr 2010 ausgesetzt hätte (vgl. § 361 Abs. 3 Satz 1 AO). Dies ist jedoch offensichtlich nicht erfolgt. Jedenfalls trägt der Antragsteller diesbezüglich nichts vor.
6Das weitere Vorbringen des Antragstellers, es gehe um die Auflösung einer steuerlichen Rücklage, die auf Anraten des Steuerberaters L. C. für eventuelle steuerliche Fragen im Zusammenhang mit einer Lizenzvergabe der Deutschen GmbH an eine türkische Gesellschaft gebildet worden war, zu den Gründen der Höhe der Nachforderung und zum weiteren Ablauf des Betriebsprüfungsverfahrens ist unerheblich. Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller nicht vorgeworfen, gegen seine Vermögensvorsorgepflicht verstoßen zu haben, etwa durch eine (vorzeitige) Auflösung einer steuerlichen Rücklage oder dadurch, dass er für vorhersehbare Gewerbesteuernachforderungen keine Rücklagen gebildet habe, sondern die mit Bescheid vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachzahlungszinsen nicht bei Fälligkeit am 7. Dezember 2015 aus den vorhandenen Mitteln der E. GmbH gezahlt zu haben. Daher ist auch der weitere Vortrag des Antragstellers unerheblich, es habe in den Jahren 2009 und 2010 keine Pflicht des Antragstellers bestanden, über die bereits gezahlten Gewerbesteuerbeträge und bereits gebildete Rückstellungen hinaus weitere Rücklagen zu bilden, obwohl eine Betriebsprüfung noch nicht einmal angekündigt gewesen und dem Antragsteller auf anwaltlichen und steuerberaterlichen Ratschlag hin keine weitere Zahlungspflicht mitgeteilt worden sei.
7Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der E. GmbH hätten zum Fälligkeitszeitpunkt (7. Dezember 2015) ausreichende Mittel für die Tilgung der Schulden (die Bezahlung der festgesetzten 131.286,39 € Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen für das Veranlagungsjahr 2010) zur Verfügung gestanden, wird durch das weitere Beschwerdevorbringen des Antragstellers nicht erschüttert. Insoweit behauptet der Antragsteller lediglich, der E. GmbH hätten die finanziellen Mittel gefehlt, um ein Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren gegen das Finanzamt B. durchführen zu können, die E. GmbH habe insoweit über keine ausreichende Liquidität verfügt, legt hierzu aber nichts Substantiiertes dar.
8Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht angenommen, die Stellung des Insolvenzantrags durch die E. GmbH am 15. März 2016 - nach der Darstellung des Antragstellers bereits am 9. März 2016 - spreche dafür, dass die E. GmbH am 7. Dezember 2015 noch über ausreichende Mittel zur Begleichung der mit dem Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 festgesetzten Gewerbesteuern und Nachforderungszinsen verfügt habe.
9Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2013 - 14 B 535/13 -, KStZ 2014, 56 (Leitsatz 5 und S. 59) = KKZ 2014, 114 (Leitsatz 4 und S. 117) = juris, Leitsatz 5 und Rdnr. 35.
10Der Antragsteller wendet hiergegen ohne Erfolg ein, dass sich die Höhe der behaupteten Gewerbesteuerrückstände der E. GmbH erst aus der Betriebsprüfung und der sich daraus ergebenden tatsächlichen Verständigung ergeben hätten. Dies ist irrelevant für die Beantwortung der Frage, ob und wann der Antragsteller einen Insolvenzantrag für die E. GmbH hätte stellen müssen. Die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin beruhten auf dem Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 und waren demnach am 7. Dezember 2015 fällig. Der Antragsteller hätte demnach spätestens am 28. Dezember 2015 einen Insolvenzantrag für die E. GmbH stellen müssen, wenn die E. GmbH über keine liquiden Mittel verfügt hätte, um die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu erfüllen. Dies hat er jedoch nicht getan, sondern den Insolvenzantrag nach seiner Darstellung erst am 9. März 2015 gestellt.
11Unerheblich ist es insofern, dass der Rechtsanwalt und der Steuerberater des Antragstellers im Einspruchsverfahren den Sach- und Rechtsstand mit dem Finanzamt erörtert haben. Ferner kam es nicht darauf an, dass die Antragsgegnerin die Gewerbesteuern erst im April 2016 angemahnt hat. Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Eröffnungsantrag zu stellen, wenn eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet wird. Überschuldung liegt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Wäre durch die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 eine Überschuldung der E. GmbH eingetreten, hätte der Antragsteller demnach bereits am 23. November 2015 einen Insolvenzantrag für die E. GmbH stellen müssen, weil er nicht beabsichtigte, die E. GmbH fortzuführen. Nach dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers hatte die E. GmbH das operative Geschäft bereits nach dem Geschäftsjahr 2012 eingestellt. Wenn die E. GmbH am 7. Dezember 2015 nicht über ausreichende liquide Mittel verfügt hätte, um die fälligen Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu begleichen, hätte der Antragsteller spätestens am 28. Dezember 2015 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der E. GmbH beantragen müssen.
12Das Vorbringen des Antragstellers, es habe keine Schadensintensivierung stattgefunden, da die E. GmbH seit dem Jahr 2012 nicht mehr operativ tätig gewesen sei, ist unschlüssig. Selbst wenn die E. GmbH seit dem Jahr 2012 nicht mehr operativ tätig gewesen sein sollte, bildet dies kein tragfähiges Indiz dafür, dass sie am 7. Dezember 2015 über keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr verfügte, um die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu erfüllen.
13Das weitere Vorbringen des Antragstellers zur Zustellung des Haftungsbescheids in der Türkei und zur unterblieben Anhörung greift ebenfalls nicht durch. Für die Frage der Rechtzeitigkeit des Insolvenzantrags ist es unerheblich. Hierfür kommt es nicht auf den Haftungsbescheid, sondern auf den Gewerbesteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 2. November 2015 an. Für die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom 23. November 2016 kommt es nicht darauf an, ob er dem Antragsteller bereits wirksam in der Türkei zugestellt worden ist. Jedenfalls ist er seinen Prozessbevollmächtigten wirksam am 7. März 2017 zugestellt worden. Dass die Antragsgegnerin den Antragsteller vor Erlass des Haftungsbescheids nicht angehört hat, ist unbeachtlich, weil die Antragsgegnerin die Anhörung durch die Gewährung rechtlichen Gehörs im Widerspruchsverfahren nachgeholt hat (§ 126 Abs. 1 Nr. 3 AO).
14Vgl. hierzu BFH, Beschluss vom 27. Januar 2000 ‑ VII B 90/99 -, juris, Leitsatz 1 und Rdnr. 7.
15Schließlich kommt es nicht darauf an, warum der Antragsteller keine aktuelleren Bilanzen und Belege über das Geschäftsjahr 2012 hinaus vorgelegt hat, sondern dass er solche nicht vorgelegt und somit nicht glaubhaft gemacht hat, dass die E. GmbH am 7. Dezember 2015 über keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr verfügte, um die Gewerbesteuer- und Nachforderungszinsforderungen der Antragsgegnerin aus dem Gewerbesteuerbescheid vom 2. November 2015 zu begleichen.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
17Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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