Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 14 E 132/19
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
1Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. Januar 2019 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
2Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
3Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Soweit der Kläger sich gegen den Haftungsbescheid der Beklagten vom 2. März 2016 wendet, bietet und bot seine Klage zu keinem Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg. Soweit er sich gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 14. September 2017 wendet, bot seine Klage bis zum 3. Mai 2018 hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Kläger konnte jedoch die Kosten der Prozessführung aus seinem Einkommen selbst aufbringen.
4Die Klage des Klägers gegen den Haftungsbescheid der Beklagten vom 2. März 2016 war und ist unzulässig. Der Kläger war seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 23. März 2017 - 85 IK 18/17 - bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 21. Januar 2019 nicht prozessführungsbefugt. Nach § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Im Prozess hat der Insolvenzverwalter kraft gesetzlicher Prozessstandschaft die uneingeschränkte Prozessführungsbefugnis unter Ausschluss des Schuldners. Der Schuldner ist nicht prozessführungsbefugt.
5Vgl. BFH, Beschluss vom 25. Juli 2012 - I R 74/11 -, juris, Rdnr. 9.
6Die Anfechtungsklage des Klägers vom 17. Oktober 2017 betraf die Insolvenzmasse, weil sie einen aus der Insolvenzmasse zu befriedigenden Vermögensanspruch der Beklagten betraf. Nach § 38 InsO dient die Insolvenzmasse zur Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (Insolvenzgläubiger). Mit dem Haftungsbescheid vom 2. März 2016 hatte die Beklagte einen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch geltend gemacht, nämlich einen Anspruch gegen den Kläger auf Haftung für die Gewerbesteuern der E. F. GmbH für die Jahre 2011 und 2012, Nachzahlungszinsen für das Jahr 2011, Säumniszuschläge für die Zeit bis März 2016 sowie Vollstreckungskosten in Höhe von insgesamt 1.518,55 €.
7Die Klage ist ferner deshalb unzulässig geworden, weil sich der Haftungsbescheid der Beklagten vom 2. März 2016 durch die unwidersprochene Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle im Prüfungstermin vom 3. Mai 2018 erledigt hat. Nach § 124 Abs. 2 AO bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Durch die Feststellung der Haftungsforderung der Beklagten zur Insolvenztabelle im Prüfungstermin vom 3. Mai 2018 hat sich der Haftungsbescheid der Beklagten vom 2. März 2016 auf andere Weise im Sinne des § 124 Abs. 2 AO erledigt. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO können die Insolvenzgläubiger, deren Forderungen festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden sind, aus der Eintragung in die Tabelle wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. Die widerspruchslose Feststellung hat somit die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils. Ein früherer Vollstreckungstitel wird „aufgezehrt“. Der vollstreckbare Tabellenauszug ersetzt den früheren Vollstreckungstitel. Dies gilt auch für frühere Steuertitel. Daher erledigt sich in Rechtsstreitigkeiten, die gegen die Insolvenzmasse gerichtete Steuerforderungen betreffen, die Hauptsache, wenn die Steuerforderung in die Insolvenztabelle eingetragen wird und weder der Insolvenzverwalter noch ein Insolvenzgläubiger noch der Schuldner der Feststellung zur Insolvenztabelle widersprechen.
8Vgl. BFH, Beschluss vom 10. November 2010 - IV B 18/19 -, juris, Rdnr. 4; Hintzen, in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2013, § 201, Rdnr. 23 und 37; Wegener, in: Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 15. Aufl. 2019, § 201, Rdnr. 22 und 26.
9Im vorliegenden Fall ist die von der Beklagten im Haftungsbescheid vom 2. März 2016 geltend gemachte Haftungsforderung am 3. Mai 2018 zur Insolvenztabelle festgestellt worden. Der Insolvenzverwalter, die Insolvenzgläubiger und der Kläger haben dem ausweislich des Tabellenauszugs nicht widersprochen.
10Hingegen bot die Klage bis zum 3. Mai 2018 hinreichende Aussicht auf Erfolg, soweit sich der Kläger (auch) gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 14. September 2017 gewandt hat. Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 14. September 2017 war unwirksam. Die Vorschriften der §§ 68 ff. VwGO über das Widerspruchsverfahren enthalten keine Regelungen zu seinem Verhältnis zum Insolvenzverfahren. Daher sind nach § 173 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Nach § 240 Satz 1 ZPO wird im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Nach § 249 Abs. 2 ZPO sind die während der Unterbrechung von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung. Daher ist auch eine nach Insolvenzeröffnung gegenüber dem Schuldner erlassene Einspruchsentscheidung oder ein Widerspruchsbescheid, der - wie hier - die Insolvenzmasse betrifft, unwirksam. Die Unwirksamkeit kann auch vom Schuldner im Wege der Anfechtungsklage geltend gemacht werden.
11Vgl. BFH, Urteil vom 25. Juli 2012 - I R 74/11 -, juris, Rdnr. 10 und 13.
12Seit dem 3. Mai 2018 hatte der Kläger allerdings kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für die Beseitigung des Rechtsscheins eines wirksamen Widerspruchsbescheids im Wege der Anfechtungsklage, weil sich der zugrunde liegende Haftungsbescheid der Beklagten vom 2. März 2016 durch die unwidersprochene Feststellung der Haftungsforderung zur Insolvenztabelle im Prüfungstermin vom 3. Mai 2018 erledigt hatte.
13...
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
15Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Referenzen
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- InsO § 201 Rechte der Insolvenzgläubiger nach Verfahrensaufhebung 1x
- VwGO § 154 1x
- §§ 68 ff. VwGO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 2x
- ZPO § 249 Wirkung von Unterbrechung und Aussetzung 1x
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- ZPO § 127 Entscheidungen 1x
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- IV B 18/19 1x (nicht zugeordnet)
- I R 74/11 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 173 1x
- § 124 Abs. 2 AO 1x (nicht zugeordnet)
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