Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1559/19
Tenor
Der Antrag wird auf Kosten der Klägerin abgelehnt.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 1.428,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der (sinngemäß) auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO gestützte Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO innerhalb der Begründungsfrist dargelegt ist und vorliegt. „Darlegen“ i. S. v. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO bedeutet, unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil fallbezogen zu erläutern, weshalb die Voraussetzungen des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes im Streitfall vorliegen sollen. Die Zulassungsbegründung soll es dem Oberverwaltungsgericht ermöglichen, die Zulassungsfrage allein auf ihrer Grundlage zu beurteilen, also ohne weitere aufwändige Ermittlungen.
4Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 18. November 2010 – 1 A 185/09 –, juris, Rn. 16 f.; ferner etwa Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 186, 194, m. w. N.
5Hiervon ausgehend rechtfertigt das – fristgerecht vorgelegte – Zulassungsvorbringen die begehrte Zulassung der Berufung aus keinem der beiden (sinngemäß) geltend gemachten Zulassungsgründe. Soweit es den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung genügt, greift es in der Sache nicht durch.
61. Die Berufung kann zunächst nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
7Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner die Klage abweisenden Entscheidung ausgeführt: Der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für das zur Selbstbehandlung vorgesehene EXOGEN-Ultraschallgerät bestehe nicht. Bei dieser Selbstbehandlung mittels niedrig dosierten, gepulsten Ultraschalls handele es sich nämlich um eine wissenschaftlich (noch) nicht anerkannte Heilbehandlung i. S. v. § 4i Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Anlage 6 Nr. 92 BVO NRW. Dieser Einschätzung stehe zunächst nicht die Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Arztes im Gesundheitsamt D. , C. , vom 6. Februar 2017 entgegen. Dieser habe vielmehr die Studienlage zu der Frage der Wirksamkeit der Ultraschalltherapie bei der Heilung von Knochenbrüchen und Pseudoarthrose als sehr inkonsistent beschrieben. Hieraus lasse sich eine allgemeine wissenschaftliche Anerkennung der fraglichen Behandlungsmethode gerade auch unter Berücksichtigung des in der Stellungnahme ausgewerteten Kurzassessments des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 14. November 2011 nicht herleiten. Die Anregung des Arztes C. , im gegebenen Einzelfall die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen gleichwohl anzuerkennen, beruhe auf wirtschaftlichen Erwägungen und sei daher (beihilfe-)rechtlich nicht maßgeblich. Auch die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Mai 2018 vorgelegten Veröffentlichungen führten nicht weiter. Die vorgelegten Aufsätze beträfen Fallstudien, die nicht den einschlägigen wissenschaftlichen Standards genügten und deshalb keinen hinreichend hohen Evidenzgrad aufwiesen. Das mache namentlich die aktuellste Arbeit (Everding, Roßlenbroich und Raschke: Ultraschall und Stoßwelle in der Pseudoarthrosentherapie, Trauma und Berufskrankheit 2017, S. 260 ff.) deutlich. Sie halte nämlich für die vorliegenden Studien eine hohe Varianz der Konsolidierungsraten fest und konstatiere im Ergebnis, dass zukünftig weitere hochwertige Studien notwendig seien, um die biophysikalischen Behandlungsverfahren in der Pseudoarthrosentherapie auf ein höheres Evidenzniveau zu heben und eine Etablierung dieser Verfahren als Alternative zum Goldstandard der operativen Versorgung zu erreichen. Auch die von der Klägerin hervorgehobene „Empfehlung des medizinischen Beirates der BG Kliniken – Klinikverbundes (Stand: 13.10.2015)“ gebe für die Annahme einer wissenschaftlich allgemeinen Anerkennung nichts her. Sie beschränke sich nämlich – ohne konkrete Substantiierung – auf die bloße Empfehlung, diese additiven Methoden jeweils im Einzelfall dann einzusetzen, wenn ein andersartiges und insbesondere operatives Vorgehen nicht zwingend erforderlich sei.
8Das hiergegen gerichtete Zulassungsvorbringen greift nicht durch.
9Die Klägerin verweist zunächst auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere aus den mit Schriftsatz vom 2. Mai 2018 vorgelegten Unterlagen (Anlage 1 bis 6) ergebe sich die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung der fraglichen Heilbehandlung. Dieses Vorbringen, das sich in der Benennung der erwähnten Schriftstücke erschöpft, genügt ersichtlich nicht den o. g. Anforderungen an eine hinreichende Darlegung. Es setzt sich nämlich in keiner Weise mit der wiedergegebenen, insbesondere auf die vorgelegte aktuellste Übersichtsarbeit abhebenden Begründung des Verwaltungsgerichts auseinander, die jeweils zugrunde liegenden Fallstudien genügten nicht den einschlägigen wissenschaftlichen Standards und wiesen deshalb keinen hinreichend hohen Evidenzgrad auf. Namentlich fehlt jegliche Erläuterung dazu, aus welchen (sich aus dem jeweiligen Text ergebenden) Gründen die in Rede stehenden Unterlagen entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts doch den Schluss auf eine bereits vorliegende allgemeine wissenschaftliche Ankerkennung der Behandlung von Pseudoarthrosen und Störungen der Knochenbruchheilung mittels niedrig dosierten, gepulsten Ultraschalls zulassen sollen.
10Ferner legt die Klägerin eine Kopie eines Bescheides des Landesamtes für Finanzen, Dienststelle B. , Bezügestelle Beihilfe, vor, das einem anderen Beihilfeberechtigten unter dem 9. November 2015 Beihilfe zu den Aufwendungen für die Miete eines EXOGEN-Ultraschallgerätes gewährt hat. Auch dieser Vortrag entspricht nicht den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung. Er legt nämlich schon nicht dar, dass und aus welchen Gründen der zugrunde liegenden Fall dem Fall der Klägerin vergleichbar sein soll. Der Annahme einer solchen Vergleichbarkeit steht im Übrigen entgegen, dass der beigefügte Bescheid den zugrunde liegenden Sachverhalt nicht erkennen lässt und dass die Gewährung auf anderen als den hier anzuwendenden Vorschriften beruht. Wären die Fälle vergleichbar, würde dies im Übrigen nichts an dem Umstand ändern, dass die Frage der allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung objektiv und nicht in Orientierung an einer u. U. fehlerhaften gewährenden Entscheidung eines anderen Rechtsträgers beantwortet werden muss.
11Auch der behauptete Umstand, dass die private Zusatzversicherung der Klägerin und die Zusatzversicherung des bayerischen Beihilfeberechtigten die fraglichen Kosten jeweils anerkannt haben, kann nicht zu der begehrten Zulassung der Berufung führen. Die Klägerin legt nämlich schon nicht dar, weshalb dieser Umstand Bedeutung für die inmitten stehende beihilferechtliche Frage der allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung haben können soll. Das gilt umso mehr, als solche Leistungen gerade nicht auf der Anwendung von Beihilferecht beruhen, sondern auf der Grundlage privatversicherungsrechtlicher Vorschriften und dabei u. U. auch orientiert an wirtschaftlichen Erwägungen oder solchen der Kundenzufriedenheit erfolgen.
12Mangels hinreichender Darlegung nicht zielführend ist auch der neuerliche bloße Verweis auf die Anregung des Arztes im Gesundheitsamt C. , die Beihilfe hier aus Gründen der Wirtschaftlichkeit zu gewähren. Das entsprechende Vorbringen setzt sich nämlich nicht mit der – zutreffenden – Begründung des Verwaltungsgerichts auseinander, wirtschaftliche Erwägungen seien für die Bewertung, ob eine allgemeine wissenschaftliche Anerkennung im Sinne der beihilferechtlichen Vorschriften vorliege, nicht maßgeblich.
13Außerdem rügt die Klägerin noch, der Verweis des Verwaltungsgerichts auf das Urteil des Senats vom 19. Oktober 2017 – 1 A 1712/14 – gehe fehl, weil dieses Urteil nicht die in ihrem Falle streitige Behandlung betreffe. Dieses Vorbringen greift ersichtlich nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat diese Entscheidung des Senats nämlich nicht zum Beleg seiner Bewertung zitiert, die in Rede stehende Heilbehandlung sei nicht allgemein wissenschaftlich anerkannt, sondern ihr allein die Grundsätze entnommen, die allgemein bei der Prüfung (vorgelegter Studien o. ä.) zu beachten sind, ob eine Behandlungsmethode wissenschaftlich allgemein anerkannt ist.
142. Die Berufung kann auch nicht wegen eines sinngemäß geltend gemachten Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen werden. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Damit sind Verstöße gegen Vorschriften gemeint, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln. Ein Verfahrensmangel ist nur dann ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird.
15Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017– 5 B 10.17 –, juris, Rn. 19, m. w. N., und OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2019– 1 A 2216/18 –, juris, Rn. 21.
16Die Klägerin macht als Verfahrensfehler eine mangelhafte Sachaufklärung geltend. Das Verwaltungsgericht hätte im Hinblick auf den (o. g.) Aufsatz von Everding, Roßlenbroich und Raschke (Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinik Münster) eine ergänzende Anfrage an die Universitätsklinik Münster richten können, ob die fragliche Therapie zwischenzeitlich wissenschaftlich allgemein anerkannt sei. Immerhin hätten die Autoren „die Etablierung des in Rede stehenden Verfahrens als Alternative zum Goldstandard der operativen Versorgung empfohlen“.
17Zugunsten der Klägerin soll unterstellt werden, dass sie mit diesem Vortrag nicht nur eine mögliches Verhalten des Verwaltungsgerichts („wäre naheliegend gewesen“; „hätte vornehmen können“) aufzeigt, sondern ein Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) rügt, also geltend macht, das Verwaltungsgericht wäre zu der weiteren Sachaufklärung verpflichtet gewesen. Ein solcher Verstoß liegt aber ungeachtet der Frage hinreichender Darlegung jedenfalls der Sache nach nicht vor. Ein solcher im Rahmen von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigender Aufklärungsmangel kann, da die anwaltlich vertretene Klägerin ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, hier nur dann angenommen werden, wenn sich die Beweiserhebung geradezu aufdrängt.
18Vgl. statt aller Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 191, m. w. N.
19Das ist hier gemessen am Zulassungsvorbringen jedenfalls der Sache nach nicht der Fall. Es trifft schon nicht zu, dass diese Autoren empfohlen haben, die Behandlung der in Rede stehenden Beschwerden mittels niedrig dosierten, gepulsten Ultraschalls als Alternative zum Goldstandard der operativen Versorgung zu etablieren. Sie heben vielmehr hervor, dass zukünftig weitere hochwertige Studien erforderlich seien, um die biophysikalischen Behandlungsverfahren in der Pseudoarthrosentherapie „auf ein höheres Evidenzniveau zu heben und eine Etablierung dieser Verfahren als Alternative zum Goldstandard der operativen Versorgung zu erreichen“. Diese Formulierungen besagen deutlich, dass bislang noch kein solches Evidenzniveau erreicht ist, das einen alternativen Rückgriff auf diese Verfahren erlaubt. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Stellungnahme des Gesundheitsamtes sowie darauf, dass auch die sonst von der Klägerin vorgelegten Arbeiten nach der Bewertung des Verwaltungsgerichts Fallstudien betreffen, die den wissenschaftlichen Anforderungen an eine hinreichende Evidenz nicht genügen, durfte dieses ohne weiteres von einer weiteren Sachaufklärung absehen.
20Nur ergänzend verweist der Senat im vorliegenden Zusammenhang auf das nur ein Jahr vor der hier erfolgten Anschaffung des Gerätes erstellte Gutachten des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen vom 1. September 2015 (Autoren: Rieks und Lelgemann) zu „LIPUS zur Behandlung von Pseudoarthrosen“ (LIPUS = Low Intensity Pulsed Ultra Sound). Dieses Gutachten unternimmt eine systematische Bewertung der Evidenzlage auf der Basis einer Literaturrecherche (vgl. S. 3 des Gutachtens) und gelangt zusammenfassend u. a. zu der Feststellung, dass die derzeitige Datenlage schlecht sei und mangels laufender, den einschlägigen Kriterien genügender Studien auch nicht davon auszugehen sei, „dass in absehbarer Zeit belastbare Evidenz zur Verfügung steht“ (S. 18 des Gutachtens).
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
22Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GKG.
23Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar. Das angefochtene Urteil ist nunmehr rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.
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