Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 9/18.A
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 25.10.2017 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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Gründe
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
3Der geltend gemachte Zulassungsgrund einer Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
4Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist indes grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diesen Anforderungen genügt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.8.2017 ‒ 4 A 1904/17.A ‒, juris, Rn. 2 ff., m. w. N.
6Die Ablehnung eines Beweisantrags führt nur dann zu einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach dem Rechtsstandpunkt des entscheidenden Gerichts erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet.
7Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.9.2017 ‒ 1 B 118.17 ‒, juris, Rn. 5, m. w. N.
8Gemessen daran ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Anträge des Klägers, Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, abgelehnt hat, zum Beweis der Tatsachen:
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1. Die Gruppe K. ud-E. ist von den Vereinten Nationen als terroristische Organisation gelistet und in Pakistan nach wie vor gegen Indien politisch wie auch militärisch aktiv. Sie zählt ‒ auch aus Sicht der pakistanischen Regierung ‒ dort zu den „guten“ dschihadistischen Gruppierungen, die zusammen mit der pakistanischen Regierung ‒ jedenfalls inoffiziell ‒ jedenfalls gemeinsame Interessen gegen Indien verfolgt.
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2. Die Gruppe K. ud-E. verfügt in Pakistan über ein engmaschiges Netzwerk, das sich über Gesamt-Pakistan spannt. Die Gruppe hat daher Zugriff auf sämtliche Regionen des Landes.
Zur Relevanz des Beweisantrages hatte der Kläger ausgeführt, dass für ihn aufgrund des Netzwerkes der Gruppe K. ud-E. in Gesamt-Pakistan und der herausgehobenen Stellung seines Vaters in Pakistan keine inländische Fluchtalternative bestehe.
14Die Ablehnung findet eine Stütze im Prozessrecht. Das Verwaltungsgericht hat die Beweisanträge ausweislich des Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung wegen fehlender Rechtserheblichkeit und wegen ausreichender Erkenntnisse abgelehnt. In den Urteilsgründen hat es hierzu im Einzelnen ausgeführt (Urteilsabdruck, Seite 5), dass die Organisation K. ud-E. nach den vorliegenden Erkenntnissen ‒ wobei es sich auf den in der übersandten Erkenntnisliste aufgeführten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom Mai 2016 bezog ‒ nicht über ein Netzwerk verfüge, das es ihnen ermögliche, den Kläger in ganz Pakistan aufzuspüren. Zwar sei Pakistan mit einer erheblichen terroristischen Bedrohung durch die Taliban und andere islamistisch-extremistische Gruppen konfrontiert. Eine derartige terroristische Gruppe stelle auch die K1. ud-E. dar. Die Vereinten Nationen hätten die K1. ud-E. zur terroristischen Organisation erklärt, wie sich schon aus dem Online-Lexikon wikipedia ergebe. Allerdings führe das Auswärtige Amt in seinem Lagebericht weiter aus, dass die pakistanische Taliban in einigen Regionen an der Grenze zu Afghanistan über Jahre eigene Herrschaftsstrukturen etabliert habe. Seit Juni 2014 sei eine große angelegte Operation der Sicherheitskräfte in Nord-X. und benachbarten Regionen der sogenannten Stammesgebiete, G. B. U. Areas – G1. ‒ im Gange, die das Ziel habe, Militanz und Terrorismus zu zerschlagen und die vollständige Kontrolle des Staates über die Stammesgebiete, die ca. 3 % der Fläche Pakistan ausmachten und in denen mehr als vier Millionen Menschen lebten, wieder herzustellen. Weiterhin verübten die Taliban und andere militante Gruppen auch in den übrigen Teilen des Landes, insbesondere in C. , in L.  0; -Q.  ; und in der Wirtschaftsmetropole L1. regelmäßig Anschläge. Damit sei bereits weder von einer generellen landesweiten Gefährdung der pakistanischen Bevölkerung durch terroristische Anschläge der Taliban, die mit zu der größten Gruppe der terroristischen Vereinigungen in Pakistan zu zählen sei, auszugehen, noch von einer landesweiten Gefährdung anderer militanten bzw. terroristischen Gruppen, zu denen auch die K1. ud-E. gehörten. Danach lägen dem Gericht ausreichende Erkenntnisse vor, die den Schluss rechtfertigten, dass die K. ud-E. nicht die Möglichkeit habe, den Kläger in ganz Q1. aufzuspüren.
class="absatzRechts">15Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 412 Abs. 1 ZPO. Das gerichtliche Ermessen kann sich u. a. dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt.
16Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27.3.2013 ‒ 10 B 34.12 ‒, NVwZ-RR 2013, 620 = juris, Rn. 4, und vom 8.3.2006 ‒ 1 B 84.05 ‒, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 11 = juris, Rn. 7.
17Inwiefern die im Einzelnen begründete, auf zwei nach dem Prozessrecht grundsätzlich zulässige Gesichtspunkte gestützte Ablehnung des beantragten Sachverständigenbeweises durch das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft gewesen sein soll, ergibt sich aus der Zulassungsbegründung nicht.
18Hinsichtlich der ersten Beweisfrage ist das Verwaltungsgericht mit dem Kläger davon ausgegangen, dass es sich bei der K. ud-E. um eine terroristische Organisation handelt. Die weiteren Beweisannahmen, dass diese Organisation gegen Indien auch im Interesse der pakistanischen Regierung arbeite, hat es nach seiner materiellen Rechtsauffassung für nicht rechtserheblich gehalten. Hiergegen hat der Kläger keine substantiierten Einwendungen erhoben.
19Auch hinsichtlich der zweiten Beweisfrage, ob die K. ud-E. über ein engmaschiges Netzwerk in Pakistan verfüge, zeigt der Kläger einen Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts nicht auf. Nach dem zur mündlichen Verhandlung aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes war davon auszugehen, dass terroristische Organisationen weiterhin Anschläge vornehmlich in bestimmten Regionen Pakistans verüben, die Regierung jedoch seit Juni 2014 verstärkt versucht, den Terrorismus zu zerschlagen. Anhaltspunkte für ein anderweitiges Vorgehen der pakistanischen Regierung hat der Kläger weder in der Klagebegründung noch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht. Insbesondere vermag der Verweis auf den Bericht der International D. Group (J. ) vom 22.7.2015 keinen Anhalt für eine anderweitige Einschätzung zu geben, zumal dieser Bericht in seiner Zusammenfassung (gerade) die drakonische Gesetzgebung gegen den Terrorismus, die Ausführung von Hinrichtungen und willkürlichen Verhaftungen seitens der pakistanischen Behörden seit Juni 2014 hervorhebt, von der auch das Verwaltungsgericht ausgeht. Aus dem in dem Bericht enthaltenen Hinweis, es werde auch weiterhin zwischen "schlechten" und "guten" dschihadistischen Gruppierungen unterschieden, zu den "guten" zähle K. ud-E. , die ihre Aktivitäten sogar durch "Wohltätigkeits-Fronten" erweitert habe und nicht auf der Liste pakistanischer Terrorismusgruppen zu finden sei, wird das auf Erkenntnisse des Auswärtigen Amts gestützte Beweisergebnis des Verwaltungsgerichts, diese Organisation habe nicht die Möglichkeit, den Kläger in ganz Pakistan aufzuspüren, nicht ernsthaft erschüttert. Zu ihren Möglichkeiten, gesuchte Personen im ganzen Land aufzuspüren, sagt der Bericht nichts aus.
20Mit den nunmehr vorgelegten Artikeln über die politischen Ambitionen der K. ud-E. , die allesamt nach der mündlichen Verhandlung und nach Erlass des verwaltungsgerichtlichen Urteils veröffentlicht worden sind, vermag der Kläger keine Ermittlungsnotwendigkeit zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu begründen. Eine solche ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger vorgetragenen hervorgehobenen Stellung seines Vaters in der pakistanischen Armee. Da sich hieraus nach der nicht durch Zulassungsgründe erschütterten Würdigung des Verwaltungsgerichts noch nicht auf eine herausgehobene Stellung des Klägers schließen lässt, kann auf sich beruhen, ob die Angaben des Klägers zum militärischen Werdegang seines Vaters sowie die beiden vorgelegten Lichtbilder auf dessen herausgehobene Stellung schließen lassen oder zumindest entsprechende Ermittlungen ermöglicht hätten.p>
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Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 1.2.2010 – 10 B 21.09 u. a. –, juris, Rn. 13, m. w. N., und vom 2.11.1995 – 9 B 710.94 –, NVwZ-RR 1996, 359 = juris, Rn. 5.
23Sollte der Kläger mit den nunmehr vorgelegten Erkenntnissen sinngemäß die als grundsätzlich bedeutsame erachtete Frage,
24ob eine von der K. ud-E. gesuchte Person irgendwo in Q2. eine sichere Fluchtalternative finden kann,
25als Grundsatzrüge gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG aufgeworfen haben, so erschüttern die Artikel der Zeitung The E1. vom 7.12.2016 und 8.8.2017 sowie der Bericht der K2. Foundation vom 12.10.2017 nicht die auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand Mai 2016) gestützte Einschätzung, dass auch ein von einer terroristischen Organisation gesuchter pakistanischer Staatsangehöriger in einer pakistanischen Großstadt wegen der dort vorherrschenden Anonymität unbehelligt leben kann.
26Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25.6.2019 ‒ 4 A 8/18.A ‒, juris, Rn. 6 ff., und vom 23.2.2017 ‒ 4 A 685/14.A ‒, juris, Rn. 15.
27Aus den vom Kläger zitierten Erkenntnissen ergibt sich nicht, dass die Organisation landesweit so vernetzt ist bzw. so viel Einfluss ausübt, dass sie überall in Q2. staatliche Stellen kontrollieren oder aber auf dort vorhandene Informationen zugreifen könnte.
28Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
29Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
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Referenzen
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- § 80 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 8/18 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- § 60 Abs. 2 ff. AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 685/14 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 98 1x
- § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 1904/17 1x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 412 Neues Gutachten 1x