Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 20 B 1791/18
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert beträgt im Beschwerdeverfahren 25.000,00 Euro.
1
G r ü n d e
2Die Beschwerde mit dem sinngemäßen Begehren,
3den angefochtenen Beschluss teilweise zu ändern und den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auch hinsichtlich der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6. September 2018 abzulehnen,
4hat keinen Erfolg.
5Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt die erstrebte Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht.
6Der Antragsgegner hat der Antragstellerin durch die Ordnungsverfügung vom 6. September 2018 das gewerbliche Sammeln von Altkleidern, Alttextilien und Altschuhen untersagt, soweit die jährliche Sammelmenge in I. 3,8 t, in W1. 11,4 t und in Y. 7,6 t übersteigt. Das Verwaltungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin hiergegen erhobenen Klage wiederhergestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Ordnungsverfügung sei offensichtlich rechtswidrig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 i. V. m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG seien nicht erfüllt. Die gewerbliche Sammlung der Antragstellerin sei mit einem am 25. Mai 2012 angezeigten maximalen Umfang von 350 t/Jahr eine Bestandssammlung, weil die Sammlung durch die Gemeinde I. sowie die Städte W1. und Y. als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger erst später aufgenommen worden sei. Auf eine solche Bestandssammlung sei § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und 2 KrWG nicht anwendbar. Sollte die Anzeige unvollständig gewesen sein, habe der Antragsgegner durch Ordnungsverfügung auf deren Vervollständigung hinwirken können.
7Dem setzt der Antragsgegner mit seiner Beschwerde nichts im Ergebnis Durchgreifendes entgegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Beschwerdevorbringen die Auffassung des Verwaltungsgerichts erschüttert, die Ordnungsverfügung sei offensichtlich rechtswidrig und dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin sei aus diesem Grund bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Interessenabwägung der Vorrang vor dem öffentlichen Vollzugsinteresse einzuräumen. Jedenfalls ist die Ordnungsverfügung nicht offensichtlich rechtmäßig, so dass die Interessenabwägung nicht wegen einer sich eindeutig abzeichnenden Erfolglosigkeit der Klage zugunsten der vom Antragsgegner vertretenen öffentlichen Interessen ausfällt. Im Gegenteil spricht in Würdigung auch des Beschwerdevorbringens ganz Überwiegendes dafür, dass die Ordnungsverfügung im Klageverfahren aufzuheben sein wird. Bei einer von den Erfolgsaussichten der Klage losgelösten Interessenabwägung kommt dem Aufschubinteresse der Antragstellerin der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung zu.
8Der Antragsgegner nimmt zur Untermauerung seiner Auffassung, die Sammlung der Antragstellerin stehe lediglich im nicht untersagten Umfang im Einklang mit § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG, Bezug auf die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur "Irrelevanzschwelle".
9Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Februar 2018 - 7 C 9.16 -, UPR 2018, 351, vom 11. Juli 2017 - 7 C 35.15 -, NVwZ 2018, 1073, und vom 30. Juni 2016 - 7 C 4.15 -, NVwZ 2016, 1559.
10Diese geben aber keinen Aufschluss darüber, ob die Sammlung der Antragstellerin bezogen auf diese Vorschrift mit ihren in der Vergangenheit tatsächlich erzielten oder mit den - nach Meinung des Antragsgegners unvollständig - angezeigten größeren Sammelmengen zu berücksichtigen ist. Die "Irrelevanzschwelle" ist ein Hilfsmittel zur Beurteilung der Frage, ob überwiegende öffentliche Interessen einer gewerblichen Sammlung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und 3 Nr. 1 KrWG entgegenstehen, weil durch den Marktzutritt eines gewerblichen Sammlers die Grundstrukturen der Entsorgung, die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger ins Werk gesetzt hat, umgestaltet werden müssen. Die schon rechtmäßig durchgeführten gewerblichen - und gemeinnützigen - Sammlungen sind in diesem Zusammenhang mit ihren tatsächlichen Sammelmengen bedeutsam, weil sie den status quo prägen und so die "Vorbelastung" darstellen, der die Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers unabhängig von der hinzutretenden Sammlung Rechnung tragen muss.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2016 - 7 C 4.15 -, a. a. O.; OVG NRW, Urteil vom 20. November 2018 - 20 A 953/17 -, NWVBl. 2019, 194.
12Die Grundsätze beziehen sich in ihrer Gesamtheit auf die Abschätzung und Bewertung der Vereinbarkeit der neu hinzukommenden Sammlung mit öffentlichen Interessen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG). Die in diesem Zusammenhang stehende Erwägung des Bundesverwaltungsgerichts, eine bereits durchgeführte Sammlung könne keinen negativen Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers haben, weil sie nicht neu hinzutrete und sich dessen System hierauf bereits eingestellt habe,
13vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2018
14- 7 C 9.16 -, a. a. O.,
15stützt nicht den Rückschluss, bei einer schon durchgeführten gewerblichen Sammlung sei zwischen den tatsächlich erzielten und den angezeigten größeren Sammelmengen dergestalt zu unterscheiden, dass die Sammlung als neu hinzutretende Sammlung zu betrachten und nach Maßgabe der Rechtsprechung zur "Irrelevanzschwelle" zu beurteilen sei, soweit ihre Sammelmengen innerhalb des für sie angezeigten größtmöglichen Umfangs einen einmal tatsächlich erreichten Stand übersteigen. Die in Rede stehende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts betrifft auch nicht die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der bereits durchgeführten gewerblichen Sammlungen. Die schon rechtmäßig durchgeführten gewerblichen Sammlungen gehören zu den Verhältnissen, die die Grundlage für die Anwendung der Kriterien nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und 3 Nr. 1 KrWG auf zusätzliche Sammlungen bilden, nicht aber zum Anwendungsgegenstand dieser Kriterien.
16Das Erfordernis des § 18 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 KrWG, wonach der Anzeige einer gewerblichen Sammlung unter anderem Angaben über das Ausmaß, insbesondere über den größtmöglichen Umfang der Sammlung beizufügen sind, beinhaltet, dass die solchermaßen angezeigte Sammlung vorbehaltlich entgegenstehender behördlicher Regelungen bis zu diesem Umfang durchgeführt werden darf. Das bestimmt die Marktchancen einer hinzutretenden Sammlung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers.
17Vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 19. Juni 2018 - 10 S 1449/17 -, NVwZ-RR 2018, 800; Bay. VGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - 20 B 17.283 -, AbfallR 2018, 93.
18Das Vorbringen des Antragsgegners, die Antragstellerin habe ihre Sammlung entgegen § 18 Abs. 2 KrWG nicht ordnungsgemäß angezeigt, weil sie die unter dem 25. Mai 2012 zusätzlich zur Anzahl der in den einzelnen Städten und Gemeinden des Antragsgegners betriebenen Sammelcontainer und der dadurch erfassten jährlichen Sammelmenge angegebene "beabsichtigte" Sammelmenge von ca. 350 t/Jahr nicht auf die kreisangehörigen Städte und Gemeinden aufgeschlüsselt habe, stützt die Rechtmäßigkeit der Untersagungsanordnung ebenfalls nicht. Der dem zugrunde liegende Gedanke, die Antragstellerin sei mangels genügender Konkretisierung der "beabsichtigten" Sammelmenge nur in dem Umfang ihrer Sammlung schutzwürdig, den sie in der Anzeige als gegenwärtigen Stand ("betreibt"…"erfasst") bezeichnet hat, weil die Städte und Gemeinden sich als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger nicht ausreichend auf den Umfang der Sammlung von ca. 350 t/Jahr hätten einstellen können, ist nicht tragfähig. Er entspricht der Sache nach der Auffassung, eine nicht ordnungsgemäß angezeigte Sammlung sei wegen der Fehlerhaftigkeit der Anzeige auf der Grundlage von § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG zwingend zu untersagen. Eine solche Auffassung ist nicht angebracht. Sie steht im Widerspruch dazu, dass eine Sammlungsuntersagung wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht in der Regel erst dann in Betracht kommt, wenn eine förmliche und zwangsmittelbewehrte Anordnung zur Erfüllung der Pflicht erfolglos geblieben ist.
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2019
20- 7 C 14.17 -, juris.
21Eine solche Anordnung kann auf der Grundlage von § 62 KrWG ergehen, was die Ausübung von Ermessen erfordert.
22Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2019 - 7 C 14.17 -, a. a. O.; OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 20 B 476/13 -, juris.
23Der Vorrang von Maßnahmen zur Durchsetzung der Anzeigepflicht vor einer Untersagung der Sammlung entfällt nicht deshalb, weil der Antragsgegner von einer solchen Regelungsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Erst recht ergibt sich zugunsten des Antragsgegners nichts daraus, dass die Ordnungsverfügung nicht in zeitlicher Nähe zu der Anzeige ergangen ist mit der Folge, dass inzwischen kommunale Sammlungen aufgenommen worden sind. Aussagekräftige Anhaltspunkte dafür, dass bei einer lediglich teilweise unvollständigen Anzeige, von der der Antragsgegner bezogen auf die "beabsichtigte" Sammlung ausgeht, etwas anderes gelten könnte, liegen nicht vor.
24Versteht man die Erwägungen in der Ordnungsverfügung zu einer der Antragstellerin durch die Untersagung der zusätzlichen Sammelmenge zu verwehrenden "Erweiterung" der derzeitigen Sammlung dahin, dass der Antragsgegner das Fehlen der Aufgliederung der "beabsichtigten" Sammelmenge auf die kreisangehörigen Kommunen insoweit dem Fehlen jeder Anzeige gleichstellt, entbehrt dies der Grundlage. Eine inhaltlich unzureichende Anzeige ist nicht völlig unbeachtlich. Sie ist nicht gegenstandslos, sondern gegebenenfalls ergänzungsbedürftig. Davon sind auch die von ihr betroffenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger nicht ausgenommen, die - wie hier - im Zeitpunkt der Anzeige die Aufnahme einer eigenen Sammlung vorbereiten. Die Aufgliederung der gesamten Sammelmenge auf die jeweiligen Kommunen kann das Ausmaß und den größtmöglichen Umfang der Sammlung (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 KrWG) in räumlicher Hinsicht betreffen.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 2019 - 7 C 14.17 -, a. a. O.
26Das führt aber nicht dazu, dass es sich bei der Sammlung der Antragstellerin unter dem Blickwinkel der "bestehenden" und der "beabsichtigten" Sammlung in den kreisangehörigen Kommunen um jeweils zwei Sammlungen handeln würde.
27Im Übrigen geht das Erfordernis, eine Sammlung vor ihrer Aufnahme anzuzeigen (§ 18 Abs. 1 KrWG), typischerweise damit einher, dass die beabsichtigte Sammeltätigkeit auf der Grundlage einer Prognose zu beschreiben ist und die Anzeige damit Aufschluss über diese Absicht, nicht aber über das tatsächliche Ausmaß geben muss. Durch die Angaben nach § 18 Abs. 2 KrWG wird die betreffende Sammlung inhaltlich als Bezugspunkt der nachfolgenden behördlichen und gegebenenfalls gerichtlichen Überprüfung konkretisiert und festgelegt.
28Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Februar 2018 - 20 A 818/15 -, NWVBl. 2018, 329.
29Hiervon dann, wenn die Sammlung - wie hier - lange Zeit nach ihrer Anzeige und tatsächlichen Aufnahme untersagt wird und im Zeitpunkt der Entscheidung tatsächliche Sammelergebnisse bekannt sind, in der Weise abzuweichen, dass früher nicht erreichte, aber angezeigte Sammelmengen als nicht angezeigt oder sonst unbeachtlich und rechtswidrig eingestuft werden, ist schon im Ansatz fragwürdig.
30Danach kann auf sich beruhen, ob die Anzeige der Antragstellerin, was den zukünftig "beabsichtigten" Umfang der Sammlung betrifft, tatsächlich unzureichend ist. Für Letzteres spricht allerdings die Notwendigkeit der Beurteilung der potentiellen Auswirkungen der Sammlung auf die kreisangehörigen Kommunen des Antragsgegners als öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger.
31Geht man nach dem Vorstehenden zugunsten des Antragsgegners davon aus, dass die Ordnungsverfügung nicht offensichtlich rechtswidrig ist, sondern die Erfolgsaussichten der Klage letztlich als offen einzuschätzen sind, fällt die dann erforderliche, von den Erfolgsaussichten der Klage losgelöste Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt in einem solchen Fall bei der Untersagung einer gewerblichen Sammlung in der Regel dem im Ausgangspunkt durch Art. 12, 14 GG geschützten Interesse des Sammlers an einer vorläufigen Durchführung der Sammlung der Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Unterbindung der Sammeltätigkeit zu.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2013 - 20 B 476/13 -, a. a. O.
33Gründe, von dieser Regel vorliegend abzuweichen, sind weder dargetan worden noch sonst ersichtlich. Der vom Antragsgegner befürchtete Zusammenbruch der Funktionsfähigkeit der Sammlungen der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zeichnet sich für die von der Ordnungsverfügung betroffenen kreisangehörigen Kommunen nicht entfernt ab. Der unter Umständen bei den Kommunen eintretende Ausfall von Sammlungserlösen, sofern die Ordnungsverfügung nicht sofort umgesetzt wird, wird sich nach Lage der Dinge in engen Grenzen halten. Der Antragsgegner nimmt in der Ordnungsverfügung an, die Untersagungsanordnung betreffe in den Kommunen eine zusätzliche Sammelmenge der Antragstellerin von insgesamt ca. 50 t/Jahr. Das belässt den Kommunen durchaus noch nicht unerhebliche Marktanteile. Auch wenn man weitergehend einbezieht, dass es der Antragstellerin nach der Anzeige der "beabsichtigten" Sammelmenge freistehen könnte, ihre Sammeltätigkeit räumlich stärker als bislang und in der Ordnungsverfügung angenommen auf einzelne Kommunen zu konzentrieren, deutet nichts Greifbares auf eine gänzlich andere Größenordnung des wahrscheinlichen Ausfalls von Erlösen hin.
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
35Lechtermann Oestreich Kaufhold
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- KrWG § 17 Überlassungspflichten 6x
- § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 1x
- 20 A 953/17 1x (nicht zugeordnet)
- 20 B 476/13 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 1x
- 20 A 818/15 1x (nicht zugeordnet)
- 10 S 1449/17 1x (nicht zugeordnet)
- KrWG § 62 Anordnungen im Einzelfall 1x
- KrWG § 18 Anzeigeverfahren für Sammlungen 6x