Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 1612/19
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 5.11.2019 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet.
2Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 3309/19 (VG Arnsberg) gegen das in der Ordnungsverfügung vom 3.7.2019 verfügte Betretungsverbot für die Gaststätten „C. “ und „L. O. “, L1. Straße 00 in 00000 M. wiederherzustellen,
4im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO und es bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Auflage, nach der die Gaststättenräume des Antragstellers zu 2. nicht vom Antragsteller zu 1. betreten werden dürften. Das auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG gestützte Betretungsverbot für den Antragsteller zu 1. erweise sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig. Die Antragsgegnerin habe zu Recht angenommen, dass die Anwesenheit des Antragstellers zu 1. eine konkrete Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Gäste der Gaststätten „C. “ und „L. O. “ begründe. Es bestünden konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller zu 1., der wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt worden sei, weil er in der von ihm vormals im Nachbargebäude geführten Gaststätte „P. N. “ mit Kokain gehandelt habe, gaststättenrechtlich unzuverlässig sei und ohne das verfügte Verbot in den vom Antragsteller zu 2. geführten Gaststätten Kokain verkaufen könnte. Das Betretungsverbot sei erforderlich, um den Handel mit Betäubungsmitteln in den Gaststätten des Antragstellers zu 2. durch den Antragsteller zu 1. zu verhindern, und belaste die Antragsteller nicht unangemessen. Es bestehe auch ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Auflage. Im Interesse der Allgemeinheit sei es nicht hinzunehmen, dass der Antragsteller zu 1. unter Ausnutzung des Suspensiveffekts der Anfechtungsklage bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Gaststätten des Antragstellers zu 2. weiter betreten dürfe und daher die Möglichkeit bestehe, dass der Antragsteller zu 1. in dieser Zeit in den Gaststätten mit Betäubungsmitteln handele und so die Gesundheit der Gäste gefährde.
5Diese Einschätzung wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht erschüttert.
61. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Zwar bedarf es regelmäßig der Darlegung besonderer Gründe, die über die Gesichtspunkte hinausgehen, die den Verwaltungsakt selbst rechtfertigen. Geringere Begründungsanforderungen gelten ausnahmsweise in Fällen besonderer Dringlichkeit, etwa bei Verfügungen, die sich durch Zeitablauf erledigen oder dann, wenn ‒ wie häufig im Gefahrenabwehrrecht ‒ aus Sicht der Behörde nur die Anordnung der sofortigen Vollziehung erheblichen Gefahren oder der Begehung von Straftaten vorbeugen kann. In solchen Fällen reicht es aus, wenn diese besonderen Gründe, die sich aus der Begründung des zu vollziehenden Verwaltungsakts ergeben können, benannt werden und deutlich gemacht wird, dass sie ein solches Gewicht haben, das ein besonderes öffentliches Interesse gerade an der sofortigen Vollziehung zu belegen fähig ist. Bei gleichartigen, häufig wiederkehrenden Gefahrenlagen können dem Begründungserfordernis auch gleichartige Begründungen genügen und ist eine gewisse Formelhaftigkeit unvermeidlich. Hierdurch kann die Behörde angesichts der besonderen Sachlage noch genügend dokumentieren, dass ihr der Ausnahmecharakter des Sofortvollzugs bewusst war.
7Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.9.2015 – 4 B 333/15 –, GewArch 2016, 437 = juris, Rn. 3 f., m. w. N.
8Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin entsprochen. Sie hat ausgeführt, mit Blick auf die langfristige Gefährdung der Gäste in den Gaststätten des Antragstellers zu 2. sei es nicht vertretbar, dem Antragsteller zu 1. für die Dauer des Klageverfahrens die Möglichkeit zu belassen, illegale Geschäfte in den Gaststätten abzuwickeln. Die den Gästen durch das Verhalten des Antragstellers zu 1. drohenden gravierenden und irreversiblen Schäden hat die Antragsgegnerin einzelfallbezogen mit den nur als geringfügig beeinträchtigt angesehenen privaten Interessen der Antragsteller zu 1. und zu 2. abgewogen.
92. Das Beschwerdevorbringen stellt die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass die Anwesenheit des Antragstellers zu 1. in den Gaststätten während der Betriebszeiten eine konkrete Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Gäste im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG begründe und sich der Antragsteller zu 1. aufgrund seines unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als unzuverlässig im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG erwiesen habe, nicht in Frage.
10Die Antragsteller wenden insoweit ein, dass die Feststellungen in dem Urteil des Amtsgerichts M. vom 2.8.2019 nicht zugrundegelegt werden könnten, weil der Antragsteller zu 1. in der Hauptverhandlung lediglich ein „formales“ Geständnis abgelegt habe und seine Täterschaft nicht durch weitere Beweismittel belegt worden sei. Der Antragsteller zu 1. habe lediglich bei einer Durchsuchung Drogen bei sich geführt. Die Tatsache, dass er Betäubungsmittel veräußert haben solle, stamme allein aus den anonymen Hinweisen einer in den Ermittlungsakten benannten Vertrauensperson. Zudem hätten in den Räumen der Gaststätten des Antragstellers zu 2. keine Betäubungsmittel vorgefunden werden können, konkrete Anhaltspunkte für ein Handeltreiben in diesen Räumlichkeiten gebe es nicht.
11Bei der Folgerung einer gaststättenrechtlichen Unzuverlässigkeit aus strafbaren Handlungen können Behörden und Gerichte in der Regel von den in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen ausgehen.
12Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.2.1997 – 1 B 34.97 –, GewArch 1997, 242 = juris, Rn. 10; OVG NRW, Beschlüsse vom 29.1.2010 – 4 E 1182/09 –, ZIP 2010, 746 = juris, Rn. 22, und vom 25.7.2016 – 4 B 519/16 –, juris, Rn. 10, m. w. N.
13Die im Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht deshalb unzureichend, weil der Antragsteller zu 1. lediglich ein „formales“ Geständnis abgelegt hätte, das vom Strafgericht ungeprüft übernommen worden wäre.
14Eine strafrichterliche Überzeugungsbildung hat der Bundesgerichtshof nur dann als unzureichend bezeichnet, wenn diese sich auf ein solches Geständnis des Angeklagten stützt, das keine Einräumung des Sachverhalts enthält, sondern als bloßes prozessuales Anerkenntnis oder als nur „formale“ Unterwerfung anzusehen ist. Nur bei einer derartigen Stellungnahme ist die Freiheit der tatrichterlichen Würdigung dahingehend eingeschränkt, dass sie ein Tatindiz sein, aber mangels tatsächlichen Aussagegehalts für sich allein nicht die Beweisgrundlage für den Sachverhalt liefern kann, der die Verurteilung trägt.
15Vgl. BGH, Urteil vom 10.6.1998 ‒ 2 StR 156/98 ‒, NJW 1999, 370 = juris, Rn. 12; Bay. VGH, Beschluss vom 20.7.2016 ‒ 22 ZB 16.284 ‒, juris, Rn. 16.
16Die Antragsteller haben nicht ansatzweise dargelegt, dass im vorliegenden Fall die strafrichterliche Würdigung aus einem der genannten Gründe unzureichend gewesen sein könnte. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung vom 2.8.2019 hat der Antragsteller zu 1. die Tatvorwürfe selbst und nicht nur durch seinen Verteidiger vollumfänglich im Sinne der Anklage eingeräumt. Das Strafgericht hat nach dem Geständnis noch den ermittelnden Kriminalbeamten als Zeugen vernommen, der auch anhand der allseits in Augenschein genommenen Lichtbilder bestätigt hat, dass in der Jacke des Antragstellers zu 1. sogenannte „Bubbles“ (verkaufsbereit portionierte Folienbeutel mit Betäubungsmitteln) gefunden wurden. Dass die Beutel Kokain enthielten und die Jacke dem Antragsteller zu 1. gehörte, wurde sodann durch die in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen zu den auf der Jacke gefundenen DNA-Spuren und dem Inhalt der Folienbeutel bestätigt. Zudem hat der Antragsteller zu 1. sich mit der Einziehung des sichergestellten Bargeldes sowie der Betäubungsmittel samt Verpackungsmaterial einverstanden erklärt. Mithin hat das Strafgericht seine Feststellung, dass der Antragsteller zu 1. mit Betäubungsmitteln gehandelt hat, anhand des durch weitere Beweiserhebung erhärteten und für glaubhaft erachteten Geständnisses des Antragstellers zu 1. getroffen.
17Ist danach von den im Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen auszugehen, kommt es nicht darauf an, dass der Antragsteller zu 1. seine Tat nunmehr mit teils widersprüchlicher Begründung leugnet.
18Diese strafgerichtlichen Feststellungen rechtfertigen auch die Annahme, dass das Betretungsverbot erforderlich ist, um ein erneutes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu verhindern. Mit ihnen liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1. in den durch den Antragsteller zu 2. konzessionierten Gaststätten wieder Handel mit Betäubungsmitteln betreiben könnte. Das Gebäude, in dem sich die streitgegenständlichen Gaststätten befinden, grenzt unmittelbar an das Gebäude an, in dem der Antragsteller zu 1. wohnt und früher die Gaststätte „P. N1. “ betrieben hat. Der Antragsteller zu 1. ist nicht nur mit den Räumlichkeiten der Gaststätten vertraut, sondern auch regelmäßig bei seiner im gleichen Gebäude wohnhaften Bekannten zu Gast, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. Bei der Durchsuchung der Gaststätte „L. O. “ am 19.1.2019 bezeichnete die Thekenkraft den Antragsteller zu 1. sogar als Chef. An der Eingangstür der mit dieser Gaststätte durch eine Verbindungstür, die bei dieser Durchsuchung geöffnet war, verbundenen Gaststätte „C1. D. “ fand sich bei einer Überprüfung am 19.3.2019 darüber hinaus ein schriftlicher Hinweis auf den Antragsteller zu 1. als „Inhaber“, obwohl beide Gaststätten auf den Antragsteller zu 2. konzessioniert waren. Es spricht zudem nach den vorliegenden Erkenntnissen alles dafür, dass sich der Antragsteller zu 1. weiter eigenständig Zugang zu den Räumen der Gaststätten verschaffen kann. Das Gebäude steht im Eigentum seiner früheren Ehefrau und wird nach eigenen Angaben von deren und seiner gemeinsamen Tochter verwaltet, für die er in der Vergangenheit auch zeitweise die Schlüssel zu den Gaststätten verwahrt hat, um zum Beispiel Handwerker hineinzulassen oder andere Hausverwaltungstätigkeiten in Vertretung für seine Tochter wahrzunehmen, wenn diese sich nicht in M. befand. Die Behauptung des Antragstellers zu 1., er nehme diese Stellvertreterstellung seit Januar 2019 nicht mehr wahr, ist angesichts der gegenteiligen Angaben in seinem an die Antragsgegnerin gerichteten Schreiben vom 26.4.2019, des Umstands, dass er noch am 19.3.2019 im Besitz der Schlüssel zu den Gaststätten war, und der fortbestehenden familiären Verbundenheit zu der nicht in M. wohnenden Tochter nicht glaubhaft.
19Angesichts dessen ist nicht zu erwarten, dass der Antragsteller zu 2. ohne das streitgegenständliche Betretensverbot in der Lage wäre, den Antragsteller zu 1. wirksam zu überwachen und eine Fortsetzung des Drogenhandels zu unterbinden. Den Kaufinteressenten ist die im Nachbargebäude befindliche Gaststätte als Anlaufpunkt bekannt, an dem sie den Antragsteller zu 1. treffen können. Es drängt sich auf, dass der Antragsteller zu 1. bei einem auf diese Gaststätte beschränkten Betretungsverbot auf die benachbarten Gaststätten ausweichen würde, zumal er an der Eingangstür des „C. “ sogar als Inhaber angegeben und von der Bedienung der Gaststätte „L. O. “ in der Vergangenheit als Chef angesehen worden ist. Trotz des Drogenfundes bei der polizeilichen Durchsuchung am 19.1.2018 haben sich bei einer erneuten Durchsuchung am 26.4.2018 verschiedene von der Antragsgegnerin in der Verfügung vom 3.7.2019 im Einzelnen aufgeführte massive Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Antragsteller zu 1. den Handel mit Betäubungsmitteln nicht umgehend eingestellt hat, weshalb nicht von einer bloß einmaligen Verfehlung des Antragstellers zu 1. ausgegangen werden kann. Der Hinweis der polizeilichen Vertrauensperson vom 1.2.2018, dass der Antragsteller zu 1. beabsichtigt habe, trotz der Polizeiaktion mit dem Drogenverkauf weiterzumachen, hat auch deshalb Gewicht, weil sich die Angaben der Vertrauensperson in der Vergangenheit ausweislich der Feststellungen im Strafverfahren als zutreffend erwiesen hatten.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO.
21Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
22Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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Referenzen
- § 52 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 2 StR 156/98 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 519/16 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 333/15 1x (nicht zugeordnet)
- 8 K 3309/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 80 2x
- ZPO § 100 Kosten bei Streitgenossen 1x
- VwGO § 159 1x
- 4 E 1182/09 1x (nicht zugeordnet)