Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 122/20
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat den gegen die Zurruhesetzungsverfügung des Antragsgegners vom 22. November 2019 gerichteten Eilantrag im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Allerdings unterliegt Zweifeln, ob die Argumentation des Verwaltungsgerichts tragfähig ist, unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der Verfügung führe schon eine allgemeine Interessenabwägung zu einem Überwiegen des Vollzugsinteresses des Antragsgegners. Ob hierfür das geltend gemachte Interesse ausreicht, die Stelle in naher Zukunft neu besetzen zu wollen,
4- ablehnend hierzu in einer ähnlichen Konstellation OVG NRW, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 1 B 1131/17 -, juris Rn. 8, 40, 46 -
5kann indes offen bleiben. Denn der angegriffene Bescheid erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig, weshalb kein Anlass besteht, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern und die aufschiebende Wirkung der gegen die Zurruhesetzung gerichteten Klage 1 K 3569/19 wiederherzustellen.
6Die Voraussetzungen für eine Zurruhesetzung der Antragstellerin lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verfügung am 22. November 2019 vor. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, §§ 33, 34 LBG NRW sind Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Die dauernde Dienstunfähigkeit ist anzunehmen, wenn mit einer Besserung des Zustandes des Beamten in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
7BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1966 - VI C 56.63 -, ZBR 1967, 148, 150; OVG NRW, Urteil vom 14. März 2013 - 6 A 1883/09 -, juris Rn. 66 ff.
8Entgegen dem Beschwerdevortrag der Antragstellerin ist nicht die Feststellung erforderlich, die Beamtin werde für alle Zukunft dienstunfähig sein. Denn einer eventuell günstigen Entwicklung wird durch die Reaktivierungsmöglichkeit des § 29 BeamtStG Rechnung getragen. Dementsprechend bestimmt § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG, dass als dienstunfähig auch angesehen werden kann, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Diese Frist beträgt nach § 33 Abs. 1 Satz 3 LBG NRW sechs Monate.
9Hier hat der Antragsgegner rechtsfehlerfrei auf der Grundlage des amtsärztlichen Gutachtens vom 26. Juni 2019 angenommen, dass die Antragstellerin den vollen Aufgabenbereich ihres abstrakt–funktionellen Amtes einer Justizvollzugsobersekretärin dauerhaft nicht mehr bewältigen kann und demzufolge dienstunfähig ist. Sie sei für die Dauer von 24 Monaten nicht mehr im Wechseldienst und im Nachtdienst einsetzbar; Wochenendarbeit sollte auf Ausnahmen beschränkt sowie für die Antragstellerin im Voraus planbar sein. Mit der Wiederherstellung der uneingeschränkten Dienstfähigkeit sei innerhalb der nächsten sechs Monate nicht zu rechnen.
10Die der Zurruhesetzung zugrunde liegenden gutachterlichen Feststellungen genügen (noch) den an sie zu stellenden Anforderungen.
11Ein im Zurruhesetzungsverfahren verwendetes amtsärztliches Gutachten muss nicht nur das Untersuchungsergebnis mitteilen, sondern auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist. Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d.h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde enthalten als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, sein abstrakt-funktionelles Amt weiter auszuüben. Der Inhalt des Gutachtens richtet sich nach seinem Zweck. Eine amtsärztliche Stellungnahme im Zurruhesetzungsverfahren soll dem Dienstherrn die Entscheidung darüber ermöglichen, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist und ob er im Falle der Dienstunfähigkeit anderweitig verwendet werden kann. Es muss dem Beamten ermöglichen, sich mit den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Arztes und mit der darauf beruhenden Entscheidung des Dienstherrn auseinanderzusetzen. Deshalb darf sich das Gutachten nicht auf die bloße Mitteilung einer Diagnose und eines Entscheidungsvorschlags beschränken, sondern muss die für die Meinungsbildung des Amtsarztes wesentlichen Entscheidungsgrundlagen erkennen lassen. Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, enthält sich einer verallgemeinerungsfähigen Aussage. Entscheidend kommt es deshalb auf Umstände des jeweiligen Einzelfalles an. Verweise auf an anderer Stelle erhobene Befunde bzw. formulierte Bewertungen sind zulässig, wenn deutlich wird, in welchem Umfang sich der Amtsarzt ihnen anschließt.
12St. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteile vom 16. November 2017 - 2 A 5.16 -, Buchholz 232.0 § 44 BBG 2009 Nr. 12 = juris 23 ff., und vom 19. März 2015 ‑ 2 C 37.13 -, NVwZ-RR 2015, 625 = juris Rn. 12; Beschluss vom 13. März 2014 - 2 B 49.12 -, Buchholz 232.0 § 48 BBG 2009 Nr. 1 = juris Rn. 8 f. m. w. N.
13Diesen Erfordernissen ist hier noch genügt. Zwar ergibt sich aus der Mitteilung des Ergebnisses der Begutachtung des Amtsarztes Dr. G. nichts Genaueres über die am 2. April 2019 durchgeführte Untersuchung. Dem Amtsarzt lagen ausweislich des Gutachtens jedoch eine Vielzahl aktueller medizinischer Befunde und Bescheinigungen der behandelnden Ärzte der Antragstellerin vor, die ihre anamnestisch beschriebenen Beschwerden und das vom Amtsarzt diagnostizierte Krankheitsbild einer Anpassungsstörung bei beruflicher Konfliktsituation und Polyurie unklarer Genese bestätigen. Mit dem maßgeblichen neurologischen Befundbericht des Dr. I. hat sich der Amtsarzt auseinandergesetzt und die beeinträchtigte Antriebslage und aufgehobene affektive Schwingungsfähigkeit, die zunehmende Lustlosigkeit sowie Ein- und Durchschlafstörungen nicht nur nachvollzogen, sondern im Rahmen seiner psychopathologischen Exploration als bestätigt angesehen. Auch der Diagnose einer reaktiven Depression, für welche der behandelnde Neurologe Opipramol verordnet habe, hat sich der Amtsarzt auf der Grundlage eigener medizinischer Wertung angeschlossen. Hiermit stehe aus amtsärztlicher Sicht die Polyurie in Zusammenhang, weil eine körperliche Ursache auch fachärztlich-urologisch nach sämtlichen Unterlagen nicht gefunden worden sei. Damit waren die für die Meinungsbildung des Amtsarztes wesentlichen Entscheidungsgrundlagen hinreichend erkennbar und nachvollziehbar. Weitergehender Informationen bedurften weder der Antragsgegner noch die Antragstellerin, um die für ihre jeweilige Rechtsposition relevanten Gesichtspunkte zu klären. Angemerkt sei, dass die Antragstellerin auch zu keiner Zeit im Verfahren substantiierte Einwände gegen die medizinischen Feststellungen des Amtsarztes erhoben oder die Diagnosen bestritten hat.
14Die Annahme der Dienstunfähigkeit der Antragstellerin konnte der Antragsgegner auch rechtsfehlerfrei darauf stützen, dass mit einer die uneingeschränkte Verwendung wiederherstellenden Verbesserung ihres Gesundheitszustandes in den nächsten sechs Monaten nicht zu rechnen war. Eine anderslautende Prognose lässt sich den von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten nervenärztlichen Bescheinigungen vom 5. Februar und 2. März 2020 nicht entnehmen. Die darin enthalten Aussagen, dass ab August 2020 mit „uneingeschränkter Diensttauglichkeit“ bzw. abgeschlossener „Rekonvaleszenz“ zu rechnen ist, bleiben ohne Begründung. Sie vermögen die Einschätzung des Antragsgegners schon mangels aussagekräftiger tatsächlicher Grundlagen für die ärztliche Schlussfolgerung nicht in Zweifel zu ziehen. Darüber hinaus ist es nicht Sache eines Arztes, sondern des Dienstherrn festzustellen, ob der Beamte die Aufgaben des von ihm wahrgenommenen Amtes im abstrakt-funktionellen Sinn auf absehbare Zeit erfüllen kann. Bei der Dienstunfähigkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, für deren Beurteilung der Dienstherr sich der medizinischen Sachkunde des Amtsarztes bedient. Die Notwendigkeit einen Arzt hinzuzuziehen, bedeutet aber nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit obliegt.
15Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 C 22.13 -, BVerwGE 150, 1 = juris Rn. 17 f.
16Dies gilt in gleichem Maße und erst recht für Aussagen niedergelassener Ärzte zur Dienstfähigkeit im Rechtssinne.
17Die Antragstellerin kann nach den Feststellungen des Antragsgegners im Rahmen ihrer fortbestehenden Restleistungsfähigkeit auch derzeit nicht anderweitig verwendet werden. Der Antragsgegner ist seiner aus § 26 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BeamtStG resultierenden Suchflicht nach einer anderen Verwendungsmöglichkeit in seinem gesamten Geschäftsbereich nachgekommen. Dies ergibt sich aus der entsprechenden Dokumentation über den Schriftverkehr mit 53 Stellen (Justizvollzugsanstalten, Behörden, Gerichte und Staatsanwaltschaften) und der Anmeldung im Rahmen des Projekts „Vorfahrt für Weiterbeschäftigung“ in den Verwaltungsakten (Beiakte Heft 3, Bl. 276 ff.).
18Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
19Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 6 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2 und 3, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- 1 B 1131/17 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 26 Dienstunfähigkeit 3x
- VwGO § 154 1x
- § 48 BBG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 K 3569/19 1x (nicht zugeordnet)
- LBG § 34 1x
- 6 A 1883/09 1x (nicht zugeordnet)
- LBG § 33 2x
- § 44 BBG 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 29 Wiederherstellung der Dienstfähigkeit 1x