Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 1856/20.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
G r ü n d e
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Der von dem Kläger allein gerügte Verfahrensmangel der Versagung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt, indem es den von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, einen neuen Termin anzuberaumen, abgelehnt und in Abwesenheit des Klägers mündlich verhandelt hat.
4Das Gericht war nicht gehalten, dem Antrag auf Terminvertagung zu entsprechen.
5Nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der gemäß § 173 Satz 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, kann ein Termin „aus erheblichen Gründen" aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der „erheblichen Gründe" ist einerseits dem im Verwaltungsprozess geltenden Gebot der Beschleunigung des Verfahrens (vgl. etwa § 87b VwGO) und der Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen (Konzentrationsgebot, vgl. § 87 Abs. 1 Satz 1 VwGO), und andererseits dem verfassungsrechtlichen Erfordernis des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) Rechnung zu tragen. Letzteres verlangt, dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern und tatsächliche und rechtliche Argumente im Prozess vortragen zu können. Allerdings ist der Beteiligte gehalten, sich im Rahmen des Zumutbaren das rechtliche Gehör zu verschaffen, sodass letztlich nur eine ihm trotz zumutbarem eigenen Bemühen um die Erlangung rechtlichen Gehörs versagte Möglichkeit zur Äußerung eine Gehörsverletzung darstellt. Deshalb sind eine Vertagung rechtfertigende „erhebliche" Gründe im Sinne des § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern.
6Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2017– 2 B 69.16 –, juris, Rn. 7.
7Der Regelung des § 102 Abs. 2 VwGO ist zu entnehmen, dass beim Ausbleiben eines (ordnungsgemäß geladenen) Beteiligten auch ohne diesen mündlich verhandelt und entschieden werden kann, wenn in der Ladung – wie im vorliegenden Fall geschehen – auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Gleichwohl kann die Ablehnung eines Verlegungs- oder Vertagungsantrages den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen, wenn die begehrte Änderung des Termins aus erheblichen Gründen geboten ist. Dabei erfordert die prozessuale Mitwirkungspflicht jedes Beteiligten, dass ein entsprechender Antrag unverzüglich gestellt wird, also ohne schuldhaftes Zögern.
8Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. April 2017– 2 B 69.16 –, juris, Rn. 8 und vom 29. April 2004– 3 B 119.03 –, juris, Rn. 4.
9Ein erheblicher Grund i. S. v § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann u. a. darin liegen, dass ein Beteiligter oder sein Prozessbevollmächtigter erkrankt ist. Jedoch ist nicht jegliche Erkrankung ein ausreichender Grund für eine Verlegung oder Vertagung des Termins; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann.
10Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. November 2019– 4 A 524/19.A –, juris, Rn. 8, und vom 1. Februar 2018 – 4 A 10/18.A –, juris, Rn. 22, jeweils m. w. N.
11Auch im Asylprozess ist ein erheblicher Grund für eine Vertagung nicht bereits dann quasi automatisch anzunehmen, wenn ein anwaltlich vertretener Verfahrensbeteiligter wegen Krankheit oder aus anderen persönlichen Gründen verhindert ist, selbst an der Verhandlung teilzunehmen. Vielmehr ist jeweils nach den Umständen des Falles zu prüfen, ob der Verfahrensbeteiligte ohne Terminsaufhebung bzw. -verlegung in seinen Möglichkeiten beschränkt würde, sich in dem der Sache nach gebotenen Umfang zu äußern; das bloße Anwesenheitsinteresse einer anwaltlich ausreichend vertretenen Partei wird dagegen durch ihren Gehörsanspruch nicht geschützt.
12Vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2002– 1 B 313.01 –, juris, Rn. 5, m. w. N.
13Dem verhinderten Beteiligten obliegt es dabei, die erheblichen (Hinderungs-)gründe, auf die er sich beruft, schlüssig und substantiiert darzulegen, so dass das Gericht in die Lage versetzt wird, das Vorliegen eines erheblichen Grunds zu beurteilen und gegebenenfalls eine (weitere) Glaubhaftmachung gemäß 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 2 ZPO zu verlangen.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2009– 6 B 32.09 –, juris, Rn. 4, m. w. N.
15Grundsätzlich ist die Verhandlungsunfähigkeit durch Vorlage eines ärztlichen Attestes nachzuweisen, aus dem sich die Unmöglichkeit der Teilnahme an der Verhandlung ergibt. Wird eine Terminverlegung erst unmittelbar vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass das Gericht aus den Unterlagen Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann. Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Aufhebung oder Verlegung des Termins bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit.
16Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. November 2019 – 4 A 524/19.A –, juris, Rn. 10, vom 1. Februar 2018 – 4 A 10/18.A –, juris, Rn. 24, und vom 5. Juni 2012 – 17 E 196/12 –, juris, Rn. 17, jeweils m. w. N.
17Ausgehend von diesen Grundsätzen kann eine Gehörsverletzung nicht festgestellt werden.
18Das Verwaltungsgericht (UA S. 3 f.) hat den Antrag auf Vertagung des Termins mit der Begründung abgelehnt, erhebliche Gründe, die gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 ZPO allein eine Vertagung rechtfertigen könnten, seien nicht erkennbar. Insbesondere lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine persönliche Anhörung des Klägers notwendig sei. Dieser sei beim Bundesamt in der Sprache „Songhai“ angehört worden. Anschließend habe er die Erklärung unterzeichnet, dass er ausreichend Gelegenheit gehabt habe, zu seinen Asylgründen vorzutragen, und dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Da am Vorbringen des Klägers keine Zweifel bestünden, sei dessen persönliches Erscheinen zum Termin nicht angeordnet worden. Besondere Umstände, die es geboten hätten, die Verhandlung dennoch nur in Anwesenheit des Klägers durchzuführen, seien nicht vorgetragen worden. Die geltend gemachten Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Prozessbevollmächtigten genügten hierfür nicht, da die Verständigung mit diesem in den Verantwortungsbereich des Klägers falle. Ungeachtet dessen sei der Kläger ausweislich der Klagebegründung ohnehin in der Lage gewesen, gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten sein Verfolgungsgeschehen darzulegen, auch wenn dies in der Sprache „Bambara“ geschehen sei, die er nicht perfekt beherrsche. Hinzu komme schließlich noch, dass der Kläger zwingende Gründe für sein Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung nicht nachgewiesen habe. Denn er habe die – allein der Rechtsanwaltskanzlei gegenüber angezeigte – Erkrankung nicht durch Vorlage eines Attests glaubhaft gemacht.
19Das hiergegen gerichtete Zulassungsvorbringen des Klägers, ihm sei aufgrund seiner Krankheit verwehrt geblieben, zu seinem Verfolgungsschicksal persönlich vorzutragen, zeigt nicht auf, dass die Ablehnung des Antrags auf Vertagung nach Maßgabe der oben dargestellten Grundsätze einen Gehörsverstoß darstellt.
20Die bloße Angabe des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung, der Kläger habe sich am Vortag in seiner Kanzlei krank gemeldet, genügt für eine Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit ersichtlich nicht. (Ärztliche) Unterlagen, die das Gericht in die Lage hätten versetzen können, die Verhandlungsfähigkeit des Klägers zu prüfen, sind nicht vorgelegt worden, obwohl der Prozessbevollmächtigte den Kläger ausweislich des Sitzungsprotokolls am Vortag der mündlichen Verhandlung noch darauf hingewiesen hat, dass ein Attest, das seine Verhandlungsunfähigkeit nachweist, notwendig ist. Dass der Kläger gehindert gewesen sein könnte, vor dem Sitzungstermin einen Arzt aufzusuchen, um eine entsprechendes Attest zu erhalten, ist weder vorgetragen noch ist solches sonst ersichtlich, zumal die mündliche Verhandlung erst um 14 Uhr begonnen hat, dem Kläger also auch noch der Vormittag des Sitzungstags für einen Arztbesuch zur Verfügung stand. Abgesehen davon hat der Kläger nicht einmal im Zulassungsverfahren eine ärztliche Bescheinigung nachgereicht, die seine Verhandlungsunfähigkeit am Sitzungstag hätte bestätigen können.
21Der Kläger kann einen Gehörsverstoß durch die Ablehnung des Antrags auf Vertagung auch nicht darauf stützen, dass das Verwaltungsgericht ihn nicht persönlich angehört hat. Das Gericht hat – wie ausgeführt – der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung an den Prozessbevollmächtigten des Klägers den Hinweis beigefügt, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO) und das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet. Angesichts dessen musste der Prozessbevollmächtigte davon ausgehen, dass das Gericht eine persönliche Befragung des Klägers nicht für notwendig erachtet. Daher wäre vom Kläger darzulegen gewesen, dass und gegebenenfalls aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht dennoch seine persönliche Anhörung bzw. die Anordnung seines persönlichen Erscheinens für erforderlich hätte halten müssen. Dies ist jedoch weder zwischen der Ladung zum Termin und der mündlichen Verhandlung noch im Termin durch den anwesenden Prozessbevollmächtigten des Klägers geschehen. Den (umfassenden) Ausführungen des Verwaltungsgerichts, weshalb eine persönliche Anhörung nicht notwendig gewesen ist, ist der Kläger im Übrigen auch mit dem Zulassungsvorbringen nicht entgegengetreten.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 83b AsylG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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- 4 A 10/18 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 227 Terminsänderung 2x
- 4 A 524/19 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 87b 1x
- VwGO § 87 1x
- VwGO § 173 1x