Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 A 3419/19
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 25. Juni 2019 ist wirkungslos.
Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen tragen die Klägerin zu 80% und die Beklagte zu 20%.
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G r ü n d e
2Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und die Wirkungslosigkeit des angefochtenen Urteils auszusprechen (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
3Die Entscheidung über die Kosten des nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Danach ist über die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden.
4Hier entspricht es der Billigkeit, die Kostenlast in der tenorierten Weise aufzuteilen.
5Soweit das Verwaltungsgericht teilweise den Feststellungantrag der Klägerin (Klageantrag zu 2.) abgelehnt hat, ist es sachgerecht, die Kosten der Klägerin aufzuerlegen, da sie ihrerseits kein Rechtsmittel eingelegt hat. Soweit das Verwaltungsgericht dem Feststellungsbegehren zum Teil entsprochen hat, erscheint es billig, der Beklagten die Kosten aufzuerlegen, da diese sich innerhalb der Frist zu Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung mit diesem Streitgegenstand nicht auseinandergesetzt und insoweit auch keinen Zulassungsgrund dargelegt hat. Die Zulassungsbegründung der Beklagten verhält sich lediglich dazu, dass das Verwaltungsgericht dem Klageantrag zu 1. stattgegeben und die Tagespflegeerlaubnis insoweit aufgehoben hat, als der Klägerin auferlegt wurde, in der Großtagespflege zusammen mit den anderen Tagespflegepersonen auch bei Anwendung des Vertragssplittings insgesamt maximal neun Betreuungsverträge abzuschließen.
6Bezüglich des Klageantrags zu 1. entspricht es der Billigkeit, die Verfahrenskosten der Klägerin aufzuerlegen, weil ihre Klage insoweit bei der hier allein gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich unbegründet war. Es spricht Überwiegendes dafür, dass mit der streitgegenständlichen Begrenzung der Gesamtzahl der in einer Großtagespflege zu betreuenden Kinder auf neun lediglich eine gesetzliche Vorgabe wiedergegeben bzw. umgesetzt wurde und dass für die von der Klägerin begehrte hilfsweise Feststellung der Zulässigkeit des Abschlusses von mehr Betreuungsverträgen dementsprechend kein Raum war. Wie aktuell § 22 Abs. 3 Satz 1 KiBiz in der seit dem 1. August 2020 geltenden Fassung (n. F.) sah auch § 4 Abs. 2 Satz 1 KiBiz in der bis zum 31. Juli 2020 geltenden Fassung des Gesetzes vom 17. Juni 2014 (GV. NRW. S. 336) vor, dass in einer Großtagespflege "höchstens neun Kinder gleichzeitig und insgesamt durch höchstens drei Tagespflegepersonen betreut werden" können. Zwar lassen der Wortlaut, der systematische Regelungskontext und auch Sinn und Zweck der Vorschrift eine Auslegung sowohl dahingehend zu, dass damit lediglich die Anzahl der gleichzeitig in der Großtagespflege zur Betreuung anwesenden Kinder gemeint ist, als auch dahingehend, dass die Anzahl der für den gleichen Zeitraum mit Tagespflegepersonen aus der Großtagespflege einzugehenden Betreuungsverhältnisse begrenzt werden soll. Der in der Gesetzgebungshistorie und den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers spricht jedoch eindeutig für eine Beschränkung der Gesamtzahl der Betreuungsverträge in der Großtagespflege. Wie sich bereits aus den Formulierungen in den Vorgängerregelungen ergibt, war die Begrenzung der Kinderzahl in einer Großtagespflege vor dem Gesetz vom 17. Juni 2014 stets auf die Gesamtzahl der zu betreuenden Kinder, also der Betreuungsverhältnisse bezogen. So lautete § 4 Abs. 1 Satz 4 KiBiz in der ursprünglichen Fassung vom 30. Oktober 2007 (GV. NRW. S. 462) dahingehend, dass bei einem Zusammenschluss mehrerer Tagesmütter oder -väter höchstens neun Kinder insgesamt durch mehrere Tagesmütter oder -väter betreut werden können. § 4 Abs. 2 Satz 1 KiBiz in der Fassung des 1. KiBiz-Änderungsgesetzes vom 25. Juli 2011 (GV. NRW. S. 385) sah sodann vor, dass in einer Großtagespflege "höchstens neun Kinder insgesamt durch höchstens drei Tagespflegepersonen" betreut werden können. Das Wort "insgesamt" bezog sich dementsprechend auf die Gesamtzahl der zu betreuenden Kinder unabhängig von den Anwesenheitszeiten, also auf die Gesamtzahl der Betreuungsverhältnisse. Dies hat der Gesetzgeber bereits in der Begründung des 1. KiBiz-Änderungsgesetzes vom 25. Juli 2011 (GV. NRW. S. 385) deutlich zum Ausdruck gebracht.
7Vgl. LT-Drucks. 15/1929, S. 37: "Unverändert dürfen in einem solchen Verbund nicht mehr als neun Betreuungsverhältnisse eingegangen werden […]."
8Auch die Einfügung der Worte "gleichzeitig und" vor dem Wort "insgesamt" in § 4 Abs. 2 Satz 1 KiBiz a. F. durch Gesetz vom 17. Juni 2014 (GV. NRW. S. 336) bezog sich nach der ausdrücklich Vorstellung des Gesetzgebers auf die "mögliche Anzahl von Betreuungsverträgen",
9vgl. LT-Drucks. 16/5293, S. 76,
10und somit nicht auf die gleichzeitige Anwesenheit von Kindern in der Pflegestelle.
11Der Verweis der Klägerin auf die "Rechtsprechung des Senats zu Beschränkungen der Berufsfreiheit" führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn anders als in der von ihr angeführten Entscheidung,
12vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2013- 12 A 56/13 -, juris,
13geht es vorliegend nicht darum, dass der Klägerin vorgegeben wird, höchstens eine geringere als die grundsätzlich in § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII vorgesehene Zahl von fünf gleichzeitig anwesenden, ihr zugeordneten Kindern zu betreuen. Auch hat die Beklagte der Klägerin nach den vorstehenden Ausführungen aller Voraussicht nach keine geringere als die (landes-)gesetzlich hinreichend klar und eindeutig geregelte maximale Gesamtzahl an Betreuungsverhältnissen aller Tagespflegepersonen in einer Großtagespflege vorgegeben.
14Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs.1 VwGO).
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Referenzen
- 12 A 56/13 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 92 1x
- VwGO § 152 1x
- ZPO § 269 Klagerücknahme 1x
- § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 161 1x
- VwGO § 125 1x
- VwGO § 173 1x