Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 A 2399/18.A
Tenor
Der Klägerin wird für das zweitinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt U. in G. beigeordnet.
Der Berufungszulassungsantrag wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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Gründe:
2Der Senat entscheidet über die Berufungszulassung und die Prozesskostenhilfebewilligung durch den Vorsitzenden als Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§§ 87a Abs. 2 und 3, 125 Abs. 1 VwGO).
3Der Prozesskostenhilfeantrag für das Berufungszulassungsverfahren ist begründet. Der Berufungszulassungsantrag hatte im Zeitpunkt der Bewilligungsreife hinreichende Erfolgsaussicht wegen der unten bezeichneten, zu diesem Zeitpunkt ungeklärten Grundsatzfrage, ob nationaldienstpflichtigen eritreischen Staatsangehörigen drohende Verfolgungsmaßnahmen wegen einer Entziehung oder Desertion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an eine ihnen zugeschriebene politische Überzeugung anknüpfen. Die Klägerin konnte die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens im Zeitpunkt der Bewilligungsreife nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
4Der Berufungszulassungsantrag ist unbegründet. Nach § 78 Abs. 3, Abs. 4 Satz 4 AsylG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn einer der in Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 aufgezählten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt. Die Klägerin stützt ihren Antrag bei sachgerechter Auslegung nach § 88, § 125 Abs. 1 VwGO ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG. Ihre mehrfache wörtliche Bezugnahme auf § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG „i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO“ rechtfertigt nicht die Annahme, sie habe neben der Grundsatzrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG auch eine Gehörsrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO erheben wollen. Denn der Antragsbegründung lässt sich weder ausdrücklich noch sinngemäß entnehmen, worin ein Gehörsverstoß des Verwaltungsgerichts liegen soll. Insbesondere führt ihre Rüge unter VI. der Antragsbegründung, das Verwaltungsgericht habe die flüchtlingsschutzrechtliche Bedeutung von Aufbausteuer und Reuebekenntnis „verkannt“, weder auf einen Gehörsverstoß nach § 138 Nr. 3 VwGO noch auf einen sonstigen Verfahrensfehler im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG. Namentlich benennt die Klägerin keine konkreten Tatsachen, welche das Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in seine Würdigung einbezogen haben soll. Mit der Rüge macht die Klägerin vielmehr sinngemäß lediglich geltend, das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung von Aufbausteuer und Reuebekenntnis für die materiell-rechtliche Frage falsch gewürdigt, ob Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung und Desertion in Eritrea generell an eine vermutete oder vorhandene politische Überzeugung anknüpfen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dasselbe gilt für den pauschalen Vorwurf der Klägerin unter VIII. ihrer Antragsbegründung, das Verwaltungsgericht hätte zu dem von ihr gewünschten Ergebnis kommen müssen, wenn es „die derzeitige Situation in Eritrea hinsichtlich der dortigen politischen Verhältnisse und d[ie] in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisse[n,] entsprechend gewürdigt“ hätte.
5Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung kommt der vorliegenden Rechtssache nicht zu. Als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet die Klägerin die Fragen,
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1. „ob in Eritrea die Landflucht und der Auslandsaufenthalt als Wehrdienstentziehung und Regimegegnerschaft angesehen und durch die eritreische Regierung und ihre Verfolgungsorgane als Ausdruck eines politischen oppositionellen Handelns gewertet und entsprechend politisch verfolgt werden“, und
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2. „ob die Flucht aus dem aktiven Nationaldienst sowie die Flucht vor dem Nationaldienst nach einer Einberufung, durch die eritreische Regierung und ihre Verfolgungsorgane als Ausdruck eines politischen oppositionellen Handelns gewertet und entsprechend politisch verfolgt werden.“
Keine dieser beiden Fragen rechtfertigt im vorliegenden Fall eine Berufungszulassung. Sie sind nicht mehr klärungsbedürftig, weil sie in der Rechtsprechung des beschließenden Senats inzwischen in verneinendem Sinn geklärt sind. Nationaldienstpflichtigen eritreischen Staatsangehörigen drohen danach Verfolgungsmaßnahmen wegen einer Entziehung oder Desertion nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an eine ihnen zugeschriebene politische Überzeugung.
10OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2020 ‑ 19 A 1857/19.A ‑, juris, Rn. 36 ff.
11In Bezug auf diese Grundsatzfragen ist die Berufung auch nicht wegen nachträglicher Abweichung von der zitierten Senatsrechtsprechung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen. Wegen nachträglicher Abweichung ist die Berufung nach dieser Vorschrift unabhängig davon zuzulassen, ob der Rechtsmittelführer diesen Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt hat, wenn der zunächst vorliegende Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nachträglich dadurch entfällt, dass ein übergeordnetes Gericht die als grundsätzlich klärungsbedürftig dargelegte Grundsatzfrage in einem anderen Verfahren klärt, und die angefochtene Entscheidung von dieser höchstrichterlichen oder obergerichtlichen Rechtsprechung objektiv abweicht.
12OVG NRW, Beschluss vom 10. Juni 2020 ‑ 19 A 4332/19.A ‑, juris, Rn. 2 f. m. w. N.
13Hier liegt keine solche Abweichung vor. Denn auch das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung durch Bezugnahme auf sein Urteil vom 23. März 2017 ‑ 6 K 7338/16.A ‑, juris, die Tatsachenfeststellung zugrunde gelegt, dass Sanktionierungen von Wehrdienstentziehung und illegaler Ausreise in Eritrea nicht generell an eine vermutete oder vorhandene politische Überzeugung anknüpfen (dort Rn. 32 ff., 65 ff., 138 ff.).
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
15Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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Referenzen
- 19 A 4332/19 1x (nicht zugeordnet)
- 6 K 7338/16 1x (nicht zugeordnet)
- 19 A 1857/19 1x (nicht zugeordnet)