Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 E 704/20
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist unbegründet.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i. S. d. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bietet.
4Der im SGB-II-Leistungsbezug stehende Kläger ist zur Vermeidung seiner Obdachlosigkeit seit dem 8. Dezember 2016 durchgehend ‑ aufgrund mehrerer, jeweils befristeter Ordnungsverfügungen - von der Beklagten in eine von dieser ‑ ebenfalls durch mehrere, jeweils befristete Ordnungsverfügungen ‑ beschlagnahmte Wohnung der H. Immobilien AG (H1. AG) eingewiesen. Nach Aktenlage ist dem Kläger die Wohnung der H2. AG (X. Str. , ) zuletzt durch Einweisungsverfügung vom 1. April 2020 für die Zeit vom 8. Dezember 2019 bis zum 7. Juni 2020 zugewiesen worden. Mit an die H3. AG gerichteter Ordnungsverfügung gleichen Datums hatte die Beklagte die Wohnung für den genannten Zeitraum beschlagnahmt. In den Begründungen der Ordnungsverfügungen führte die Beklagte jeweils aus, dass innerhalb der städtischen Obdachloseneinrichtungen keine Unterbringungsmöglichkeiten für den Kläger bestünden und sie eine anderweitige Unterbringung für den Kläger nicht habe finden können. Aufgrund der Beschlagnahme ihrer Wohnung und der Zwangseinweisung des Klägers macht die H4. AG gegenüber dem Kläger laufend ein „Nutzungsentgelt in Höhe der jeweils gültigen Gesamtmiete“ geltend. Diese Kosten werden vom Jobcenter monatlich direkt an die H5. AG gezahlt.
5Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ergangene Einweisungsverfügung der Beklagten vom 1. April 2020. Er hält seine (wiederholte) Einweisung in die Wohnung der H6. AG für rechtswidrig und begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm eine ordentliche und sanierte Wohnung zu vermitteln. Die Wohnung der H7. AG weise Mängel auf.
6Mit diesem Begehren bleibt die Klage voraussichtlich ‑ nach der im Prozesskostenhilfeverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung ‑ ohne Erfolg. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand verletzt(e) die mit dem angefochtenen Bescheid vom 1. April 2020 erfolgte Einweisung des Klägers in die Wohnung der H8. AG (bis zum 7. Juni 2020) diesen voraussichtlich jedenfalls nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat wohl auch keinen Anspruch auf die Zuweisung einer anderen Unterkunft durch die Beklagte.
7Dabei kann dahinstehen, ob die Inanspruchnahme der H9. AG als Nichtstörer i. S. d. § 19 OBG NRW rechtmäßig war, insbesondere, ob ‑ auch nach bereits über dreijähriger Beschlagnahmezeit ‑ mit Blick darauf, dass eine Wohnungsbeschlagnahme zur Unterbringung einer von Obdachlosigkeit bedrohten Person grundsätzlich nur als letztes Mittel zulässig ist,
8vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2017 ‑ 9 B 209/17 ‑, juris Rn. 15; zu den Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Nichtstörers zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und den Verpflichtungen der Ordnungsbehörde nach Zwangseinweisungen vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 11. April 1990 ‑ 9 B 1042/90 ‑, NVwZ 1991, 692 = juris Rn. 6 ff.,
9die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme der Wohnung der H10. AG im April 2020 (nach wie vor) vorlagen. Denn die gegenüber der H11. AG ergangene Ordnungsverfügung vom 1. April 2020 ist, soweit ersichtlich, von dieser nicht angegriffen worden und in Bestandskraft erwachsen.
10Dafür, dass die Einweisung des Klägers in die Wohnung der H12. AG diesen in seinen Rechten verletzt(e), ist nichts ersichtlich. Die Einweisung des Klägers in die Wohnung der H13. AG ist ‑ auf der rechtlichen Grundlage des § 14 Abs. 1 OBG NRW ‑ erfolgt, weil der Kläger seit der Zwangsräumung aus seiner Mietwohnung in der C. H14. Straße in im Dezember 2016 ohne eigene Wohnung ist. Einen Mietvertrag hat er seitdem nicht abgeschlossen. Er ist nicht in der Lage, sich aus eigenen Kräften mit einer Unterkunft zu versorgen. Da der Kläger deutlich zum Ausdruck bringt, dass er von der Beklagten eine Unterkunft zur Verfügung gestellt bekommen möchte, ist davon auszugehen, dass er nicht freiwillig ohne Unterkunft leben will. Er ist daher unfreiwillig obdachlos. Eine solche unfreiwillige Obdachlosigkeit stellt regelmäßig eine Gefahr i. S. d. § 14 Abs. 1 OBG NRW dar, die jedoch durch die Einweisung der betreffenden Person(en) in eine Unterkunft abgewehrt werden kann, weil dadurch deren Obdachlosigkeit (im rechtlichen Sinne) beendet wird.
11Vgl. Sächs. OVG, Beschluss vom 30. Juli 2013 ‑ 3 B 380/13 ‑, juris Rn. 10 (zu § 3 Abs. 1 SächsPolG).
12Soweit der Kläger meint, Zwangseinweisungen seien rechtswidrig und damit wohl zum Ausdruck bringen will, dass er nicht zwangsweise untergebracht werden dürfe, wird darauf hingewiesen, dass die Einweisungsverfügung der Beklagten vom 1. April 2020 ihn keinesfalls verpflichtet, sich (nur) in der Wohnung der H15. AG aufzuhalten. Vielmehr hat die Einweisung ihm gegenüber allein eine begünstigende Wirkung: Sie eröffnet ihm die Möglichkeit, die Wohnung der H16. AG zu nutzen und beendet damit seine (drohende unfreiwillige) Obdachlosigkeit. Eine Verpflichtung des Klägers, die ihm zugewiesene Wohnung der H17. AG auch tatsächlich zu beziehen und zu nutzen, begründet die Einweisungsverfügung dagegen nicht.
13Vgl. hierzu nochmals Sächs. OVG, Beschluss vom 30. Juli 2013, a. a. O.
14Dem Kläger steht es selbstverständlich frei, sich selbst eine Unterkunft bzw. Wohnung zu beschaffen. Ebenso steht es ihm frei, sich außerhalb der ihm zugewiesenen Wohnung der H18. AG aufzuhalten.
15Der Kläger hat voraussichtlich auch keinen Anspruch auf Zuweisung einer anderen Unterkunft durch die Beklagte. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist nicht zu erkennen, dass die dem Kläger von der Beklagten mit Bescheid vom 1. April 2020 (bis zum 7. Juni 2020) zugewiesene Wohnung der H19. AG die vom Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss zutreffend wiedergegebenen Anforderungen an die Unterbringung eines Obdachlosen auf der Grundlage des § 14 Abs. 1 OBG NRW nicht erfüllen würde. Weder aus dem von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang (VV) noch aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich derzeit Anhaltspunkte dafür, dass eine Unterbringung in der Wohnung der H20. AG dem Kläger nicht zumutbar (gewesen) wäre.
16Ausweislich des Verwaltungsvorgangs der Beklagten handelt es sich bei der beschlagnahmten und dem Kläger zugewiesenen Wohnung der H21. AG um eine ca. 41 m² große Wohnung bestehend aus jedenfalls einem Zimmer (so etwa VV Bd. 1, Bl. 158 und Bd. 2, Bl. 118), möglicherweise sogar auch aus zwei Zimmern (so die früheren Ordnungsverfügungen der Beklagten gegenüber dem Kläger vom 9. Januar 2017, vom 16. Juni 2017, vom 8. Januar 2018, vom 14. August 2018, vom 5. Dezember 2018 und vom 4. November 2019), sowie Bad, Arbeitsküche und Zentral-/Etagenheizung. Die Wohnung steht dem Kläger wohl zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Dass diese Art der Unterbringung den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft im Fall des Klägers nicht genügt, ist nicht ersichtlich. Das gilt namentlich hinsichtlich Größe und Ausstattung der Unterkunft.
17Soweit der Kläger pauschal den Zustand der Wohnung bemängelt bzw. auf einen „Mangel der Wohnung“ hinweist, lässt dieser Einwand schon nicht erkennen, was konkret er an der ihm zugewiesenen Wohnung für unzumutbar hält. Die Beschwerdebegründung enthält in diesem Zusammenhang nur die Behauptung, dass es in der Wohnung vermüffelt rieche. Insoweit ist nicht ersichtlich, warum diesem Umstand nicht hinreichend durch geeignetes Lüften und Reinigen der Wohnung durch den Kläger selbst begegnet werden könnte. Im Übrigen hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass Obdachlose bei ihrer Unterbringung im Verhältnis zur Versorgung mit einer Wohnung weitgehende Einschränkungen hinnehmen müssen. Anders als der Kläger offenbar meint, ist durch die Zuweisung der Wohnung in der X1. Str. durch die Beklagte kein zivilrechtliches Mietverhältnis begründet worden. Weder ist er Mieter der Wohnung noch ist die H22. AG (oder gar die Beklagte) seine Vermieterin. Sollte der Kläger meinen, dass ihm Ansprüche wie dem Mieter einer Wohnung zustehen, geht diese Einschätzung fehl.
18Schließlich ist nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand auch nicht erkennbar, dass dem Kläger die Unterbringung in der ihm zugewiesenen Wohnung in der X2. Str. wegen seiner gesundheitlichen Verfassung nicht zumutbar wäre. Das Vorbringen des Klägers beschränkt sich insoweit bislang auf die Behauptung, dass es ihm gesundheitlich „nicht gut“ gehe, seit er in der Wohnung wohne. Unter welchen konkreten gesundheitlichen Beschwerden er ‑ aktuell ‑ leidet, hat der Kläger jedoch nicht angegeben, geschweige denn durch (aktuelle) ärztliche Atteste belegt. Die im Verwaltungsvorgang der Beklagten befindlichen, den Kläger betreffenden ärztlichen Atteste stammen aus der Zeit vor der Einweisung des Klägers in die Wohnung X3. Str. (vgl. VV Bd. 2, Bl. 7 f. und Bl. 24). Sie sind im Übrigen aber auch nicht hinreichend aussagekräftig in Bezug auf die Frage, warum eine Unterbringung in der Wohnung X4. Str. dem Kläger (aus gesundheitlichen Gründen) nicht zumutbar sein sollte.
19Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
20Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
- 9 B 1042/90 1x (nicht zugeordnet)
- 3 B 380/13 1x (nicht zugeordnet)
- 9 B 209/17 1x (nicht zugeordnet)