Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 1980/17.A
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der nicht durch Personaldokumente ausgewiesene Kläger ist nach eigenen Angaben am 4. Februar 1994 geboren, irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Volkszugehörigkeit. Er bezeichnet sich selbst als konfessionslos.
3Bis zu seiner Ausreise aus dem Irak lebte der Kläger in der Stadt Zakho bzw. in einem Dorf in der Nähe von Zakho in der Provinz Dohuk in der Autonomen Region Kurdistan. Eigener Darstellung zufolge reiste er am 5. August 2015 aus dem Irak aus und am 15. September 2015 über die Balkanroute in die Bundesrepublik Deutschland ein.
4Am 9. August 2016 stellte der Kläger einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am selben Tag führte er, befragt zu seinem Verfolgungsschicksal und den Gründen für seinen Asylantrag, im Wesentlichen aus: Er habe ein sehr schlechtes Leben im Irak gehabt. Als sein Vater verstorben sei, habe seine Mutter nochmal geheiratet. Er sei immer von allen „weggetreten“ worden. Es habe sehr wenig Arbeit gegeben, er habe aber trotzdem die ganze Zeit gearbeitet. Er habe Häuser und Wohnungen gestrichen. Sein Stiefvater habe ihm beigebracht, wie man arbeite und anstreiche. Im Sommer, wenn es keine Arbeit gegeben habe, habe er in einem Fitnessstudio in Zakho als Helfer gearbeitet. Die Schule habe er nur bis zur sechsten Klasse besucht. Er habe eigentlich weitermachen wollen, aber diese Möglichkeit nicht gehabt. Er hoffe, dass er das in Deutschland nachholen könne. Er sei zum einen aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen und zum anderen, weil er zur Schule gehen und etwas aus seinem Leben machen wolle. Im Irak seien „die“ einfach unmenschlich. Keiner helfe dort den armen Leuten. Das Geld, das er im Irak verdient habe, habe er seiner Mutter gegeben, sie habe es für ihn „an die Seite legen“ wollen. Sein Stiefvater habe nicht gewollt, dass er das Geld bekomme, seine Mutter habe es ihm aber trotzdem gegeben. Er habe das Geld dann für die Flucht verwendet. Er habe Angst, dass sein Stiefvater ihm etwas antun könne, weil er das Geld nun doch genommen habe und nach Deutschland gekommen sei.
5Auf die Frage, ob er selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von begangenem Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Übergriffen wie Folter oder anderen Misshandlungen geworden sei und wann diese Taten begangen worden seien, antwortete der Kläger: Er habe gesehen, wie Menschen im Gefängnis gefoltert und geschlagen worden seien. Er wisse es nicht genau, er glaube, es sei vor drei oder vier Jahren gewesen. Er selbst sei auch in diesem Gefängnis gewesen. Er sei einen Monat dort gewesen, weil sein Stiefvater die Polizei angerufen und gesagt habe, er ‑ der Kläger ‑ würde sie ‑ den Stiefvater und die Mutter ‑ belästigen. Daraufhin sei er verhaftet worden.
6Auf die Frage, warum er angegeben habe, konfessionslos zu sein, antwortete der Kläger: Da er bis jetzt nichts Gutes von den Muslimen erfahren habe, wolle er keiner von denen sein. Sein Vater, seine Mutter und sein Stiefvater seien alle Muslime. Er wolle eine friedliche Religion finden. Er habe immer gesagt, dass er nach Europa wolle. „Die“ hätten aber immer gesagt, dass „die“ ungläubig seien und was er von diesen Ungläubigen wolle. Er habe dann gesagt, wenn „die“ ungläubig seien, dann wolle er auch ein Ungläubiger sein.
7Mit Bescheid vom 7. Februar 2017, zugestellt am 16. Februar 2017, lehnte das Bundesamt die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2) und auf Gewährung subsidiären Schutzes (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Weiter forderte es den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm bei Nichtbefolgung der Ausreiseaufforderung die Abschiebung mit dem vorrangigen Zielstaat Irak an (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG befristete es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6). Zur Begründung führte das Bundesamt u. a. aus, dass aus dem Vorbringen des Klägers weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung noch eine etwaige Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in den Irak ersichtlich seien. Vielmehr habe der Kläger vorgetragen, aufgrund seiner schlechten wirtschaftlichen Lage und zwecks Schulbesuchs aus dem Irak ausgereist zu sein. Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Dem Kläger drohe weder die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) noch habe er Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung erlitten oder zu befürchten (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Ein Anspruch nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bestehe nicht, weil in der Autonomen Region Kurdistan kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrsche. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liege ebenfalls nicht vor, insbesondere auch nicht wegen der humanitären Verhältnisse im Irak.
8Der Kläger hat am 26. Februar 2017 Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Bei seiner Anhörung beim Bundesamt habe er nicht die wahren Gründe für seine Ausreise aus dem Irak vollständig angegeben, weil er der dortigen Übersetzerin misstraut habe. Er habe befürchtet, Einzelheiten seiner Aussage würden in seiner Heimat bekannt werden. Tatsächlich habe sein Stiefvater mit dem kurdischen Geheimdienst in Zakho zusammengearbeitet. Dort sei die Bevölkerung geschlossen für die KDP. Sein Stiefvater habe ihm offenbar einen „Denkzettel“ verpassen wollen und einen Bericht gefertigt, in dem es geheißen habe, dass er ‑ der Kläger ‑ zu Hause politische Diskussionen führen und sich klar als Sympathisant von Goran zu erkennen geben würde. Anhänger dieser Bewegung bzw. Partei seien in Zakho aber nicht akzeptiert. Deshalb sei er inhaftiert worden. Tatsächlich habe er allerdings nichts mit Goran zu tun. Durch den Bericht seines Stiefvaters sei ein völlig falscher Eindruck von seiner politischen Auffassung entstanden, den er nicht mehr richtigstellen könne. Nach seiner Inhaftierung habe sich seine Mutter eingeschaltet und mit seinem Stiefvater gesprochen. Man habe so eine Art „Einstellung“ erreichen können. Er habe unterschreiben müssen, dass er keinen Kontakt mehr mit Goran aufnehme. Im Fall der Zuwiderhandlung müsse er ca. 10.000 US Dollar bezahlen und ihm drohe eine Gefängnisstrafe. Das alles habe sich im Sommer 2015 ereignet. Inhaftiert gewesen sei er in einem Privatgefängnis der KDP. Bei einer Rückkehr in den Irak fürchte er außerdem, wegen seiner Konfessionslosigkeit ausgeschlossen zu sein. Er könne nur als gläubiger Moslem in seiner Heimat existieren, anderenfalls bekomme er keine Aufträge und könne deshalb keine Existenz aufbauen und sichern. Bislang habe er in seiner Heimat verschwiegen, dass er konfessionslos sei, es sei aber bereits vor seiner Ausreise aufgefallen, dass er kaum in die Moschee gehe. Eine inländische Fluchtalternative stehe ihm nicht zur Verfügung. Er spreche den kurdischen Dialekt Kurmanci und werde deshalb überall als Mensch, der aus der Grenzregion zur Türkei stamme, erkannt. Diese Menschen würden im gesamten Nordirak gleichgesetzt mit Anhängern der KDP, vor der er sich aber fürchte. In seiner Heimat werde er also für einen Anhänger der Goran-Bewegung gehalten und im übrigen Nordirak für einen KDP-Befürworter. Beides sei aber nicht der Fall und er könne sich auch nicht als einer von beiden verstellen, um von Nachbarn und potentiellen Kunden akzeptiert zu werden.
9Der Kläger hat beantragt,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 7. Februar 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und ihn als Asylberechtigten anzuerkennen,
11hilfsweise, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,
12weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen,
13weiter hilfsweise, die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 6 des Bescheides des Bundesamtes vom 7. Februar 2017 zu verpflichten, die Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf weniger als 30 Monate, bestenfalls auf null zu befristen.
14Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung des Bundesamts. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Das Gericht sei nach dem Vorbringen des Klägers vor dem Bundesamt und im Klageverfahren davon überzeugt, dass der Kläger unverfolgt aus dem Irak ausgereist sei. Der Vortrag des Klägers zu seinen angeblichen Ausreisegründen sei derart oberflächlich, detailarm und widersprüchlich, dass sich der Schluss aufdränge, dass er in wesentlichen Teilen nicht der Wahrheit entspreche. Zudem habe der Kläger sein Vorbringen im gerichtlichen Verfahren gesteigert. Im Übrigen wäre der Kläger selbst bei Wahrunterstellung seiner Angaben nicht wegen erlittener Verfolgung aus seiner Heimat geflohen; denn er habe selbst erklärt, aus dem Gefängnis wieder freigelassen worden zu sein. Vor dem Hintergrund der Unglaubwürdigkeit des Klägers könne offen bleiben, ob sich sein Vorbringen mit den herrschenden politischen Verhältnissen in seiner Herkunftsregion, der Autonomen Region Kurdistan, in Einklang bringen lasse. Hieran bestünden Zweifel, weil die Goran-Bewegung nach den Erkenntnissen des Gerichts eine maßgebliche, auch im Parlament vertretene politische Kraft in der Region sei, die zwar (inzwischen) in Opposition zu der herrschenden KDP stehe, deren Mitglieder oder Sympathisanten aber nicht wegen ihres (mutmaßlichen) Einsatzes für die Bewegung asylerheblichen Repressalien durch die KDP ausgesetzt seien. Wegen des unglaubhaften Vorbringens des Klägers bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er bei einer Rückkehr in seine Heimatregion Kurdistan oder in andere Landesteile des Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen erleiden könnte. Aus diesem Grund bestehe auch kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes lägen ebenfalls nicht vor. Anhaltspunkte für drohende Gefahren im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG habe der Kläger nicht geltend gemacht; solche Gefahren seien bei einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan auch nicht ersichtlich. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG lägen nicht vor. In der Region Kurdistan-Irak sei die Situation nicht von kriegsähnlichen oder bürgerkriegsähnlichen Zuständen geprägt. Vielmehr herrschten dort vergleichsweise stabile Verhältnisse. Regelrechte Kämpfe oder kriegerische Auseinandersetzungen fänden dort zurzeit nicht statt. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen im Fall des Klägers ebenfalls nicht vor. Das gelte insbesondere auch im Hinblick auf die allgemeine schlechte Versorgungslage im Irak. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Kläger auch schon vor seiner Ausreise in der Lage gewesen sei, dort durch Arbeit seine Existenz zu sichern.
16Auf den Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung gegen das Urteil durch Beschluss vom 13. Juli 2018 wegen eines Verfahrensmangels zugelassen.
17Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, er habe in der mündlichen Verhandlung nur gut 15 Minuten Zeit gehabt, über sein Verfolgungsschicksal zu sprechen. Das Protokoll enthalte keine konkreten Fragen oder Nachfragen seitens der Einzelrichterin. Auch mit dem Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe er ‑ der Kläger ‑ Probleme gehabt. Er habe sich nicht getraut, etwas zu sagen. Der Dolmetscher habe gelacht, als er sich gegen den Präsidenten Barzani und die Politik der KDP geäußert habe.
18Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 24. August 2018 hat der Kläger einen „Haftbefehl vom 04.04.2018 mit Übersetzung“ nachreichen und dazu vortragen lassen: Der Haftbefehl sei im Original bei seiner Familie im Irak im April 2018 abgegeben worden. Die Familie habe ihn darüber aber zunächst nicht informiert. Als er vor kurzem mit seinem Bruder telefoniert und ihm erzählt habe, dass sein Asylverfahren jetzt beim Oberverwaltungsgericht anhängig und noch nicht beendet sei, habe sich der Bruder an den Haftbefehl erinnert. Der Bruder habe berichtet, dass der Haftbefehl damals ganz schnell vernichtet worden sei. Er ‑ der Bruder ‑ habe zuvor aber noch ein Foto davon gemacht. Dieses Foto habe der Bruder ihm ‑ dem Kläger ‑ dann geschickt. Die Übersetzung des Textes habe er am 23. August 2018 erhalten. Der Kläger hat weiter mitteilen lassen, dass die Situation in seinem „Heimatdorf Zakho“ unverändert sei. Seine Mutter habe ihm mitgeteilt, dass er nicht zurückkommen solle. Über die KDP werde weiterhin nach seinem Aufenthalt gefragt. Im Falle einer Rückkehr in den Irak könne er sich aber nur in seinem Heimatdorf niederlassen, weil er dort geboren und registriert sei und nur dort Verwandte habe.
19Der Kläger beantragt,
20das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. Juni 2017 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 7. Februar 2017 zu verpflichten,
21ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
22hilfsweise ihm subsidiären Schutz zu gewähren,
23weiter hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
24Die Beklagte beantragt schriftsätzlich unter Bezugnahme auf die Begründung des Bescheides vom 7. Februar 2017 und die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts,
25die Berufung zurückzuweisen.
26Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin erklärt.
27In der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2020 ist der Kläger informatorisch angehört worden. Dabei hat er ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen im Wesentlichen vorgetragen: Grund für seine Ausreise aus dem Irak seien die Regierung und der IS gewesen. Er habe die Bewegung von Goran gemocht und einige Male unterstützt. Vor den Wahlen habe er deren Plakate an die Wände geklebt. Am Tag nach der Wahl sei er verhaftet worden. Hier in Europa sei er nicht politisch aktiv, er habe zurzeit keine Beziehung zur Politik. Er wolle hier ein normales Leben führen. Auf die Frage, was er bei einer Rückkehr in den Irak befürchte, gab der Kläger an: Er habe Angst vor der KDP. Vor etwa einem Jahr habe er Kommentare auf Facebook gegen sie gepostet. Den „Haftbefehl“ habe er bekommen, weil er auf Facebook so viel veröffentlicht habe. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
28Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Bundesamtes sowie die von der Stadt E. beigezogene Ausländerakte des Klägers Bezug genommen.
29Entscheidungsgründe:
30Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Bundesamts vom 7. Februar 2017 ist rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (I.) noch auf die hilfsweise begehrte Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG (II.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf die weiter hilfsweise begehrte Feststellung des Vorliegens eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 AufenthG (III.). Auch die Abschiebungsandrohung des Bundesamts und die Bestimmung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot sind nicht zu beanstanden (IV.).
31I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG.
32Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2a, Abs. 4 AsylG setzt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
33Die relevanten Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründe ergeben sich aus § 3a und § 3b AsylG. Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b AsylG und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. In § 3c AsylG sind die möglichen Verfolgungsakteure benannt, in § 3d AsylG diejenigen Akteure, die Schutz bieten können. Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn interner Schutz (§ 3e AsylG) besteht.
34Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren auf Grund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Im Fall der Vorverfolgung greift aber die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (RL 2011/95/EU), wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde beziehungsweise von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird.
35Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. April 2018 ‑ 1 C 29.17 ‑, BVerwGE 162, 44 = juris Rn. 14 f., und vom 27. April 2010 ‑ 10 C 5.09 ‑, BVerwGE 136, 377 = juris Rn. 20 ff.
36Das Gericht trifft seine Entscheidung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit ‑ nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit ‑ des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. November 1985 ‑ 9 C 27.85 ‑, InfAuslR 1986, 79 = juris Rn. 15, und Beschluss vom 21. Juli 1989 ‑ 9 B 239/89 ‑, NVwZ 1990, 171 = juris Rn. 3.
38Den Schutzsuchenden treffen im Asylverfahren Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten (vgl. Art. 4 Abs. 1 RL 2011/95/EU, § 25 AsylG). Insbesondere ist es Sache des Ausländers, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ‑ als wahr unterstellt ‑ ergibt, dass bei verständiger Würdigung eine Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, die geltend gemachten Schutzansprüche lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u. a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer aber nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden.
39Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2001 ‑ 1 B 24.01 ‑, AuAS 2002, 80 = juris Rn. 5; OVG NRW, Urteil vom 18. Mai 2018 ‑ 1 A 2/18.A ‑, juris Rn. 65.
40Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist nicht anzunehmen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im dargestellten Sinne droht.
411. Dem Kläger kommt die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU nicht zugute. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat das Gericht nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger aufgrund einer erlittenen oder ihm unmittelbar drohenden Verfolgung aus dem Irak ausgereist ist.
42a) Den Angaben des Klägers, die er bei seiner Anhörung beim Bundesamt auf die Aufforderung hin, die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen (vgl. Bl. 35 unten und Bl. 36 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten), gemacht hat, lassen sich auch bei Wahrunterstellung keine Anhaltspunkte für eine im Irak erlittene oder unmittelbar drohende Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure entnehmen. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung hat der Kläger dort nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er als Grund für seine Ausreise im Wesentlichen wirtschaftliche Gründe und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in Europa genannt. Soweit sich der Kläger (auch) auf Probleme mit seinem Stiefvater berufen hat, ist darin ebenfalls keine erlittene Verfolgung zu sehen, weil die von ihm geschilderten Handlungen seines Stiefvaters ‑ ungeachtet weiterer Fragen ‑ nach dem damaligen Vorbringen des Klägers jedenfalls nicht im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG an einen der Verfolgungsgründe des § 3b AsylG angeknüpft haben. Dass die Handlungen des Stiefvaters einen politischen Hintergrund gehabt haben sollen, hat der Kläger beim Bundesamt (noch) nicht behauptet. Entsprechendes gilt im Übrigen hinsichtlich des vom Kläger im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt ‑ allerdings bereits nicht auf die Frage nach seinem Verfolgungsschicksal und seinen Ausreisegründen ‑ erwähnten Gefängnisaufenthalts (vgl. Bl. 35 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten). Auch insoweit hat der Kläger (noch) nicht geltend gemacht, dass die Inhaftierung an einen der Verfolgungsgründe des § 3b AsylG, insbesondere an eine tatsächliche oder zugeschriebene politische Überzeugung, angeknüpft hätte.
43b) Die vom Kläger ‑ erstmals ‑ im gerichtlichen Verfahren geltend gemachte individuelle politische Vorverfolgung ist zur Überzeugung des Gerichts insgesamt unglaubhaft. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers ist erheblich gesteigert und widersprüchlich. Die zahlreichen Widersprüche und Ungereimtheiten in seinem Sachvortrag hat der Kläger auch nicht auflösen können.
44Der Kläger hat sein Vorbringen betreffend die behauptete politische Vorverfolgung ab der Bundesamtsanhörung bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat, zudem zum Teil in sich widersprüchlich, gesteigert. In der Anhörung beim Bundesamt hat der Kläger eine etwaige politische Verfolgung mit keinem Wort erwähnt und auch nicht irgendwie angedeutet. Weder war von einer aktiven politischen Tätigkeit oder einer bestimmten politischen Einstellung die Rede noch von Repressionen wegen einer ihm unterstellten politischen Überzeugung. Nach den Schilderungen des Klägers beim Bundesamt hatten weder die Probleme mit seinem Stiefvater noch der Gefängnisaufenthalt einen politischen Hintergrund. Einen solchen hat der Kläger erstmals im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht behauptet. Dort hat er in der schriftlichen Klagebegründung vom 6. Juni 2017 angegeben, sein Stiefvater, der „mit dem kurdischen Geheimdienst in Zakho zusammengearbeitet“ habe, habe ihn ‑ unzutreffend ‑ in einem Bericht als Sympathisanten der Goran-Bewegung dargestellt. Aus diesem Grund sei er inhaftiert worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger dann weiter angegeben, er sei tatsächlich ein Sympathisant der Goran-Bewegung gewesen. Dieses Vorbringen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weiter gesteigert, indem er angeben hat, er habe die Goran-Bewegung einige Male aktiv unterstützt, bei den Wahlen habe er deren Plakate aufgehängt.
45Das Vorbringen des Klägers, er habe der Übersetzerin beim Bundesamt misstraut und befürchtet, dass „Einzelheiten über seine Aussage“ in seiner Heimat bekannt würden, ist nicht geeignet, die Steigerung im Sachvortrag plausibel zu erklären. Es ist in keinster Weise nachvollziehbar, dass der Kläger die Flucht nach Europa auf sich nimmt, um dort Schutz vor politischer Verfolgung zu erlangen, dann aber bei der für die Entscheidung über seinen Asylantrag zuständigen Behörde diese Furcht vor politischer Verfolgung mit keinem Wort, nicht einmal in abstrakter Form, erwähnt. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger in der ihm bei der Asylantragstellung ausgehändigten Belehrung für Erst-antragsteller über Mitwirkungspflichten (vgl. Bl. 4 ff. des Verwaltungsvorgangs der Beklagten) ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass es wichtig sei, sein persönliches Schicksal und die ihm konkret drohenden Gefahren bei einer Rückkehr vollständig und wahrheitsgemäß darzulegen. Auch im Rahmen seiner Anhörung ist dem Kläger die Bedeutung der Anhörung von dem anhörenden Entscheider erläutert und er ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, bei seinen Schilderungen auf keinen Fall etwas Wichtiges und seiner Meinung nach Relevantes wegzulassen (vgl. Bl. 33 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten). Dass der Kläger dann gleichwohl seine eigentlichen Asylgründe ‑ in einer nichtöffentlichen Anhörung ‑ nicht benennt, ist mit Misstrauen gegenüber der Übersetzerin nicht plausibel zu erklären. Das gilt umso mehr, als der Kläger im Laufe des Verfahrens dann gegenüber mehreren Stellen (Anwältin, Gerichten) und sogar in öffentlichen Gerichtsverhandlungen dann doch von seiner angeblichen politischen Tätigkeit im Irak berichtet hat. Eine Begründung dafür, warum er erstmals ‑ nach über fünf Jahren seit seiner Einreise nach Deutschland ‑ in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eine konkrete Tätigkeit für die Goran-Bewegung (Aufhängen von Wahlplakaten) überhaupt erwähnt, die angeblich der Grund für Verfolgungshandlungen gewesen sein soll, fehlt völlig.
46Die Angaben des Klägers zu der behaupteten politischen Vorverfolgung sind zudem in zahlreichen Punkten widersprüchlich und darüber hinaus vage und oberflächlich geblieben. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zunächst angegeben, sein Stiefvater habe ihn in einem Bericht fälschlicherweise als Anhänger der Goran-Bewegung dargestellt. Tatsächlich habe er aber nichts mit Goran zu tun. Durch den Bericht sei ein völlig falscher Eindruck von seiner politischen Auffassung entstanden. Er sei kein Anhänger der Goran-Bewegung. In Widerspruch dazu hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, er sei ein Sympathisant der Goran-Bewegung gewesen. Entsprechendes hat er auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat behauptet. Auf den diesbezüglichen Vorhalt hat der Kläger diesen Widerspruch nicht auflösen können. Er hat sich vielmehr auf die Angabe beschränkt, sein erster Vortrag im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht sei unzutreffend gewesen, er habe die Goran-Bewegung gemocht. Damit hat der Kläger den Widerspruch nicht überzeugend aufgelöst, sondern vielmehr ein falsches Vorbringen eingeräumt.
47Widersprüche enthält auch das Vorbringen des Klägers zu seiner zuletzt behaupteten Unterstützung der Goran-Bewegung und zu dem angeblich damit im Zusammenhang stehenden Aufenthalt in einem „Privatgefängnis der KDP“. Beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, er sei inhaftiert worden, weil sein Stiefvater die Polizei angerufen und gesagt habe, er ‑ der Kläger ‑ würde sie ‑ seine Mutter und seinen Stiefvater ‑ belästigen (vgl. Bl. 35 unten des Verwaltungsvorgangs der Beklagten). Demgegenüber hat er im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht behauptet, er sei inhaftiert worden, weil ihn sein Stiefvater in einem Bericht unzutreffend als Sympathisanten der Goran-Bewegung dargestellt habe. Davon nochmals abweichend hat der Kläger im zweitinstanzlichen Verfahren dann ‑ ohne die Widersprüche zum früheren Vorbringen aufzulösen ‑ behauptet, er sei wegen tatsächlicher Anhängerschaft und aktiver Unterstützung der Goran-Bewegung inhaftiert worden. Widersprüchlich sind auch die Angaben des Klägers zum Ort des Gefängnisses. Während er zunächst einen Ort namens Zawita benannt hat (Schriftsatz vom 6. Juni 2017, S. 2), hat er später behauptet, das Gefängnis sei in Semile gewesen (Schriftsatz vom 20. August 2018, S. 3). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er dann angegeben, den Namen des Ortes, in dem das Gefängnis gewesen sei, nicht mehr zu wissen, es sei aber irgendwo in der Nähe von Dohuk bzw. zwischen Dohuk und Semile gewesen. Auf entsprechenden Vorhalt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger auch diese Widersprüche nicht auflösen können. Er hat sich vielmehr auf die Angabe zurückgezogen, er könne den Ort, wo das Gefängnis gewesen sei, nicht benennen. Widersprüchlich und nicht plausibel sind weiter die Angaben des Klägers zum Zeitpunkt des Gefängnisaufenthalts. Im Klageverfahren hat der Kläger den Zeitpunkt sehr konkret auf Mitte Juni bis Mitte Juli 2015 datiert (Schriftsatz vom 6. Juni 2017, S. 2). Das steht im Widerspruch zu seiner Angabe beim Bundesamt. Dort hat der Kläger angegeben, er wisse es (also den Zeitpunkt des Gefängnisaufenthalts) nicht genau, er glaube, es sei „vor drei oder vier Jahren“ gewesen (vgl. Bl. 35 unten des Verwaltungsvorgangs der Beklagten). Da die Anhörung am 9. August 2016 stattgefunden hat, wäre die Inhaftierung also im Sommer 2012 oder 2013 gewesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu dem Zeitpunkt der Inhaftierung befragt hat der Kläger zunächst angegeben, sich nicht erinnern zu können, wann er im Gefängnis gewesen sei, und auf weitere Nachfrage dann eingeräumt, es sei wahrscheinlich kurz vor seiner Ausreise gewesen. Dass sich der Kläger an den Zeitpunkt seiner Inhaftierung nicht mehr erinnern kann, hält das Gericht für unglaubhaft. Bei einem derart einschneidenden Ereignis wäre zu erwarten gewesen, dass er es jedenfalls ungefähr widerspruchsfrei zeitlich einordnen kann.
48Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals gemachten Angaben des Klägers zu seiner angeblichen Unterstützung der Goran-Bewegung vor seiner Ausreise (Aufhängen von Wahlplakaten) hält das Gericht ebenfalls für unglaubhaft. Sie sind im Vergleich zum bisherigen Vorbringen gesteigert, zudem vage und oberflächlich und weisen erneut Widersprüche auf. Eine aktive Tätigkeit für die Goran-Bewegung hat der Kläger im gesamten bisherigen Verfahren nicht behauptet. Schon dieser Umstand spricht deutlich gegen die Wahrheit der diesbezüglichen Angaben des Klägers. Zudem konnte der Kläger auf Nachfragen hierzu in der mündlichen Verhandlung nur oberflächliche Antworten geben, die zum Teil darüber hinaus unzutreffend waren. So hat der Kläger nicht einmal angeben können, welche Wahlen es gewesen sein sollen, in deren Rahmen er die Plakate aufgehängt haben will, und wann diese Wahlen stattgefunden haben. Weiter hat er auf die Frage nach dem Ausgang der damaligen Wahlen zunächst behauptet, sich nicht genau erinnern zu können. Auf weitere Fragen hat der Kläger dann angeben, die Goran-Bewegung habe ein paar Sitze bekommen, sie sei drittstärkste Partei gewesen. Dass der Kläger, wenn er angeblich Sympathisant der Goran-Bewegung gewesen und diese Partei sogar im Wahlkampf aktiv unterstützt haben will, nicht einmal ungefähr den Zeitpunkt und den Ausgang der Wahlen angeben kann, spricht deutlich gegen die Wahrheit seiner diesbezüglichen Angaben. Den Ausgang der Wahl hat der Kläger zudem nicht einmal ansatzweise zutreffend wiedergegeben. Wahlen zum kurdischen Regionalparlament haben vor der Ausreise des Klägers aus dem Irak im August 2015 zuletzt im September 2013 stattgefunden. Die Goran-Bewegung ist damals zweitstärkste Kraft geworden und hat die PUK auf den dritten Platz verdrängt. Es wäre, auch unter Berücksichtigung des Bildungsstands des Klägers, zu erwarten gewesen, dass er diesen großen Erfolg der von ihm angeblich unterstützten Partei zumindest im Ansatz erinnert hätte. Ein weiterer Widerspruch ergibt sich im Übrigen aus der Angabe des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er sei einen Tag nach den Wahlen inhaftiert worden. Dann wäre die Inhaftierung aber im September 2013 gewesen und nicht wie vom Kläger zuletzt behauptet im Sommer 2015.
49Dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auf mehrere Fragen hin letztlich in der Lage war, den Haftraum und den Tagesablauf während seiner Inhaftierung mit einigen Details zu beschreiben, führt nicht dazu, dass von einer Vorverfolgung auszugehen wäre. Das Gericht hält es zwar nach diesen Beschreibungen des Klägers und auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass er eine Inhaftierung bereits bei seiner Anhörung beim Bundesamt erwähnt hat, für möglich, dass er tatsächlich einmal für eine gewisse Zeit inhaftiert bzw. in einer privaten Einrichtung festgehalten worden ist. Aufgrund der dargestellten Steigerungen und zahlreichen erheblichen Widersprüche im Vorbringen des Klägers ist das Gericht aber davon überzeugt, dass ein etwaiger Gefängnisaufenthalt jedenfalls weder in kausalem Zusammenhang mit der Ausreise des Klägers aus dem Irak stand noch aus politischen Gründen erfolgt ist.
50c) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals (auch) seine Angst vor dem IS als Grund für die Ausreise aus dem Irak angegeben hat, hat er damit allein eine allgemeine Gefahr benannt. Anhaltspunkte für eine erlittene oder ihm vor seiner Ausreise unmittelbar drohende Verfolgungsgefahr durch den IS lassen sich diesem pauschalen ‑ im Übrigen wieder gesteigerten ‑ Vorbringen des Klägers nicht entnehmen.
512. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass staatliche irakische bzw. kurdische Stellen oder Dritte den nach den oben gemachten Ausführungen unverfolgt aus dem Irak ausgereisten Kläger nunmehr im Falle einer Rückkehr verfolgen werden.
52a) Dem Kläger droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgung durch den Staat bzw. die KDP (vgl. § 3c Nr. 1 und Nr. 2 AsylG). Der Vortrag des Klägers zu seinen politischen Aktivitäten und Äußerungen, die nach seinen eigenen Angaben Grund für eine drohende Verfolgung sein sollen, sind unglaubhaft. Hinsichtlich der Angaben des Klägers zu den Geschehnissen vor seiner Ausreise aus dem Irak wird insoweit auf die Ausführungen oben unter 1. b) verwiesen.
53Das Vorbringen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, er habe in Deutschland Kommentare auf Facebook gegen die KDP gepostet, hält das Gericht ebenfalls für unglaubhaft. Auch dieses Vorbringen ist gesteigert und widersprüchlich, ohne dass der Kläger hierfür eine nachvollziehbare Begründung gegeben hätte. Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob hinsichtlich des behaupteten Nachfluchtgrundes die Voraussetzungen des § 28 AsylG vorliegen.
54Die Behauptung, in Deutschland gegen die Regierung Barzanis Facebook-Posts veröffentlicht zu haben, woraufhin er bzw. seine Familie im Irak bedroht worden seien, hat der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgebracht. Bei einer solchen Steigerung des Vorbringens in einem sehr späten Stadium des Verfahrens drängt sich die Annahme verfahrensangepassten Vorbringens auf. Das gilt umso mehr, als der Kläger die angeblichen Posts nicht von sich aus, sondern erst dann erwähnt hat, als das Gericht Zweifel an seinem Vorbringen geäußert hat, dass „die KDP“ noch immer, also mehr als fünf Jahre nach seiner Ausreise aus dem Irak, bei seiner Mutter nach ihm frage. Die Behauptung angeblicher politischer Äußerungen auf Facebook in Deutschland steht zudem in unauflösbarem Widerspruch zu früheren, im Verhandlungstermin gemachten Angaben des Klägers. Auf Befragen hatte der Kläger nämlich zuvor ausdrücklich angegeben, in Europa nicht politisch aktiv zu sein und keine Beziehung zur Politik zu haben. Er wolle hier ein normales Leben führen. Auf diesen Widerspruch hingewiesen, konnte der Kläger keine plausible Erklärung geben, außer erneut zu behaupten, er habe „diesen Post gemacht“, aber jetzt poste er nicht mehr. Auch die Angabe des Klägers, er habe die betreffenden Facebook-Posts „vor einem Jahr oder so“ gemacht, und die spätere Angabe, er habe „die Vorladung“ ‑ gemeint ist das mit Schriftsatz vom 24. August 2018 vorgelegte, dort als „Haftbefehl“ bezeichnete Dokument ‑ bekommen, weil er auf Facebook so viel veröffentlicht habe, sind nicht in Übereinstimmung zu bringen. Die Posts auf Facebook hätte der Kläger demnach im Sommer oder Herbst des Jahres 2019 veröffentlicht, der vorgelegte „Haftbefehl“ datiert jedoch bereits auf den 4. April 2018.
55Darüber hinaus sind die Angaben des Klägers zu den angeblichen Posts vage und unkonkret geblieben. Auf die Bitte des Gerichts, einen dieser Posts zu zeigen, hat der Kläger behauptet, die Kommentare seien blockiert worden. Den Inhalt der Posts konnte der Kläger nur damit wiedergeben, dass er zu einem Foto von Barzani geschrieben habe, dass nur dieser seit 24 Jahren an der Macht sei. Auch die angeblich durch diesen Post verursachten Drohungen gegen ihn bzw. gegen seine Familie im Irak hat der Kläger nicht näher beschrieben und nur angegeben, dass „sie“ danach „zu ihnen“, also zu seiner Mutter, nach Hause gekommen seien und gesagt hätte, dass sie gegen seine Familie vorgehen würden, wenn er das noch einmal machte.
56Aus dem vom Kläger mit Schriftsatz vom 24. August 2018 vorgelegten, als „Haftbefehl“ bezeichneten Dokument ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine begründete Furcht vor Verfolgung. Im Gegenteil bestärkt dieses Dokument die Annahme, dass das Vorbringen des Klägers zu der behaupteten politischen Verfolgungsgefahr unglaubhaft ist. Das Gericht wertet bereits den Zeitpunkt der Vorlage des „Haftbefehls“ ‑ etwa einen Monat nach Zulassung der Berufung durch den Senat, obwohl das Dokument angeblich aus April 2018 stammen soll ‑ und die hierzu gegebene Begründung als Indizien für ein unwahres, verfahrensangepasstes Vorbringen. Dass die Familie des Klägers diesen trotz bestehenden Kontakts zunächst nicht über den „Haftbefehl“ und damit insbesondere nicht über eine deshalb drohende Gefahr der Inhaftierung bei einer Rückkehr in den Irak informiert haben soll, erscheint vollkommen lebensfremd. Auch die Behauptung, dass sich der Bruder des Klägers erst auf die Information hin, dass das Asylverfahren des Klägers noch nicht abgeschlossen sei, wieder an den „Haftbefehl“ erinnert habe, ist nicht plausibel. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass nach Wegen gesucht wurde, die Chancen auf einen positiven Ausgang des Asylverfahrens (nach Zulassung der Berufung durch den Senat) zu erhöhen. Das weitere Vorbringen, das Originaldokument sei „damals ganz schnell vernichtet worden“, der Bruder des Klägers habe „aber zuvor noch ein Foto davon“ gemacht, ist ebenfalls nicht plausibel. Gerade mit Blick auf die grundsätzlich bestehende Beweisnot von Asylsuchenden hätte es sich, auch für die Familie des Klägers, unabhängig vom Stand des Asyl(erst)verfahrens aufdrängen müssen, dass die Vorlage eines irakischen Haftbefehls, wonach der Kläger wegen seiner politischen Überzeugung inhaftiert werden solle, ersichtlich dazu beitragen kann, eine Verfolgungsfurcht des Klägers gegenüber deutschen Behörden zu begründen. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass ein solches Dokument ohne Information an den Kläger einfach vernichtet wird. Noch weniger nachvollziehbar ist, dass das Dokument vorher noch abfotografiert wird. Hier liegt die Vermutung sehr nahe, dass es ein echtes Dokument ‑ das beispielsweise auch durch die Einholung einer Auskunft überprüft werden könnte - gar nicht gibt.
57Im Übrigen sieht das Gericht auch sonst keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der vorgelegte Ausdruck das Foto eines echten Haftbefehls sein könnte. Vielmehr geht das Gericht nach den ihm vorliegenden Erkenntnissen zu irakischen Haftbefehlen, namentlich in der Autonomen Region Kurdistan,
58vgl. hierzu Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) an das VG Gelsenkirchen vom 4. Oktober 2018 (Gz. 508-516.80/50905),
59davon aus, dass es sich bei dem vom Kläger vorgelegten Schreiben um die Fotokopie bzw. den Ausdruck eines unechten Dokuments handelt. Das ergibt sich bereits aus der äußeren Form des Schreibens. Schon das Schriftbild entspricht nicht demjenigen eines behördlichen Schreibens. Zudem weist das Dokument keinerlei Merkmale auf, die bei einem irakischen Haftbefehl in der Regel zu erwarten wären. Weder enthält es einen Briefkopf mit dem Namen der ausstellenden Behörde noch ein Aktenzeichen oder das Logo des Justizrates. Auch der Inhalt des Schreibens entspricht nicht dem Inhalt eines irakischen Haftbefehls. Das betrifft sowohl Angaben zur gesuchten Person, hier des Klägers, als auch ‑ hier gänzlich fehlende ‑ Angaben zur Art der Straftat und der einschlägigen Normen des (Straf‑)Gesetzes.
60Dass ein Haftbefehl gegen den Kläger, wie in dem Schreiben ausgeführt, (allein) wegen der Zugehörigkeit zur Goran-Bewegung erlassen worden sein soll, hält der Senat mit Blick darauf, dass die Goran-Bewegung im April 2018 nach der KDP zweitstärkste Partei im Kurdischen Parlament gewesen ist, im Übrigen auch nicht für plausibel. Anhaltspunkte für eine staatliche (Gruppen‑)Verfolgung von Mitgliedern oder Anhängern der Goran-Bewegung im Jahr 2018 in der Autonomen Region Kurdistan liegen dem Senat nicht vor.
61Darüber hinaus weist das im Zusammenhang mit dem angeblichen Haftbefehl stehende Vorbringen des Klägers Widersprüche auf. Während der Kläger zunächst behauptet hat, er werde gesucht, weil er Anhänger der Goran-Bewegung sei, hat er in der mündlichen Verhandlung plötzlich angegeben, der Haftbefehl sei ergangen, weil er in Deutschland auf Facebook Kommentare gegen die Regierung Barzanis gepostet habe. Weiter hat er zunächst (vgl. Schriftsatz vom 24. August 2018) behauptet, das Original des Dokuments sei vernichtet worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger dann aber angegeben, er wisse nicht, was mit dem Original sei. Auf den Hinweis des Gerichts, dass auf dem vorgelegten Dokument etwa die ausstellende Behörde nicht zu erkennen sei, hat der Kläger sodann spontan angegeben, er könne sich das Originaldokument bei Bedarf aus dem Irak schicken lassen.
62Aufgrund der vorstehenden Ausführungen gibt es keinen Anlass, von Amts wegen hinsichtlich des angeblichen Haftbefehls und hinsichtlich des behaupteten früheren Gefängnisaufenthalts weiter zu ermitteln. Die Pflicht der Gerichte zur Aufklärung des Sachverhalts findet ihre Grenze dort, wo das Klagevorbringen des Klägers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Ein solcher besteht im Asylprozess dann nicht, wenn der Kläger ‑ wie hier nach den vorstehenden Ausführungen ‑ unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflicht seine guten Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht in schlüssiger Form im oben dargestellten Sinne vorträgt.
63Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 1989 ‑ 9 B 405.89 ‑, NVwZ-RR 1990, 379 = juris Rn. 8 m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2015 ‑ 3 A 2496/07.A -, juris Rn. 82.
64b) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak auch keine individuelle Verfolgung durch nichtstaatliche Dritte. Soweit der Kläger im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt noch geltend gemacht hat, er habe Angst vor seinem Stiefvater bzw. davor, dass dieser ihm bei einer Rückkehr in den Irak etwas antun könnte, hat er Derartiges in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht mehr erwähnt. Vielmehr hat der Kläger auf Fragen zu seiner Familie angegeben, keinen Kontakt mehr zu seinem Stiefvater zu haben. Dieser lebe inzwischen auch nicht mehr mit seiner Mutter zusammen. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass es noch zu Problemen mit dem Stiefvater kommen sollte. Das gilt umso mehr als der Kläger auch die Frage, was er bei einer Rückkehr in den Irak befürchte, (zuletzt) nicht (mehr) mit einer drohenden Gefährdung durch den Stiefvater beantwortet hat, sondern vielmehr (allein) mit seiner Angst vor der KDP. Im Übrigen würden etwaige gegen den Kläger gerichtete Handlungen seitens des Stiefvaters auch nicht im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG an einen der Verfolgungsgründe des § 3b AsylG anknüpfen. Die vom Kläger behaupteten politischen Hintergründe des Konflikts mit seinem Stiefvater sind, wie oben ausgeführt, unglaubhaft.
65II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG.
66Ein Ausländer ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach Satz 2 der Vorschrift die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Für die Darlegung der stichhaltigen Gründe i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG gelten die gleichen Anforderungen wie im Rahmen des § 3 AsylG. Für die zu treffende Gefahrenprognose gilt ‑ ebenfalls wie im Rahmen des § 3 AsylG ‑ der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit („real risk“).
67Danach sind die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes im Fall des Klägers nicht erfüllt.
681. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG). Derartiges macht er auch selbst nicht geltend.
692. Dem Kläger droht im Irak auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) durch einen Akteur im Sinne des § 4 Abs. 3 i. V. m. § 3c AsylG. Soweit sich der Kläger auf eine drohende Gefährdung in diesem Sinne, insbesondere auf eine drohende, möglicherweise auch mit Folter verbundene Inhaftierung wegen seiner politischen Überzeugung beruft, wird auf die vorstehenden Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers ist unglaubhaft.
703. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) besteht ebenfalls nicht. Offen bleiben kann, ob in der Provinz Dohuk derzeit ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne dieser Vorschrift stattfindet.
71Zum Begriff des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 ‑ Rs. C-285/12 (Diakité) ‑, juris Rn. 30 ff.; BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 ‑ 10 C 4.09 ‑, BVerwGE 136, 360 = juris Rn. 23 f.
72Jedenfalls ist der Kläger auch bei Annahme eines solchen Konflikts keiner ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt, weil das Niveau willkürlicher Gewalt in der Provinz Dohuk aktuell nicht derart hoch ist, das von einer individuellen Gefährdung,
73zu den (hohen) Anforderungen für eine solche Annahme vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 ‑ Rs. C-285/12 (Diakité) -, juris Rn. 30 ff.; BVerwG, Urteile vom 27. April 2010 ‑ 10 C 4.09 ‑, a. a. O., und vom 17. November 2011 ‑ 10 C 13.10 -, NVwZ 2012, 64 = juris Rn. 17 ff. m. w. N. (zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F.)
74des Klägers, bei dem keine gefahrerhöhenden Umstände vorliegen, auszugehen wäre.
75Vgl. EASO, Country Guidance: Iraq. Guidance note and common analysis, Juni 2019, S. 29 f. und 109; EASO, Herkunftsländerinformationen. Irak. Sicherheitslage (Ergänzung). Iraq Body Count - Zivile Todesfälle 2012, 2017-2018, Februar 2019, S. 20 (mit Angaben auch speziell zu zivilen Todesopfern im Distrikt Zakho).
76III. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG und nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf den Irak.
771. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist für den Kläger nicht festzustellen. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ‑ EMRK ‑ ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Das ist hier nicht der Fall.
78Eine Abschiebung verletzt insbesondere nicht das in Art. 3 EMRK normierte Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung. Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Irak einer solchen Behandlung ausgesetzt sein wird. Das gilt zunächst mit Blick auf die vom Kläger geltend gemachte Gefährdung durch „die KDP“ bzw. drohende Verfolgung und Inhaftierung wegen seiner politischen Überzeugung. Insoweit wird erneut auf die oben stehenden Ausführungen verwiesen, wonach das diesbezügliche Vorbringen des Klägers unglaubhaft ist.
79Ein Verbot der Abschiebung ergibt sich im Fall des Klägers aber auch nicht wegen der derzeitigen humanitären Verhältnisse im Irak. Schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat können nur in ganz außergewöhnlichen Fällen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK begründen.
80Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011 ‑ Nr. 8319/07 und 11449/07, Sufi u. Elmi ./. Vereinigtes Königreich -, NVwZ 2012, 681, 685; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, BVerwGE 146, 12 = juris Rn. 23 ff., m. w. N.; vgl. ferner BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 1 B 2.19 ‑, ZAR 2019, 121 = juris Rn. 6.
81Eine Abschiebung kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn humanitäre Gründe „zwingend“ gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen. Die im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein Mindestmaß an Schwere aufweisen.
82Vgl. dazu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 28. August 2019 ‑ 9 A 4590/18.A ‑, juris Rn. 152 ff. und 161 ff. m. w. N.
83Das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere kann erreicht sein, wenn Rückkehrer ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten.
84Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 ‑ 1 C 45.18 ‑, BVerwGE 166, 113 = juris Rn. 12, und Beschluss vom 8. August 2018 ‑ 1 B 25.18 ‑, NVwZ 2019, 61 = juris Rn. 11.
85Davon ist hier nicht auszugehen. Unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage in der Autonomen Region Kurdistan, insbesondere der dortigen Lebensbedingungen,
86vgl. hierzu etwa UNOCHA, Humanitarian Needs Overview 2019; EASO, Country of Origin Information Report. Iraq. Key socio-economic indicators, Februar 2019; UK Home Office, Country Policy and Information Note. Iraq: Security and humanitarian situation, November 2018, S. 18 ff.,
87als auch der individuellen Situation des Klägers ist vielmehr zu erwarten, dass der Kläger bei einer Rückkehr dorthin trotz der nach wie vor schwierigen wirtschaftlichen Situation und der teilweise angespannten Versorgungslage in der Lage sein wird, seine existenziellen Bedürfnisse zu sichern. Als junger, lediger, gesunder und voll erwerbsfähiger Mann gehört er nicht zu einer im Falle einer Rückkehr in den Irak aufgrund der dortigen allgemeinen Versorgungslage besonders gefährdeten Personengruppe. Er spricht zudem kurdisch und ist in der Autonomen Region Kurdistan aufgewachsen, so dass er mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist. Bereits vor seiner Ausreise hat der Kläger als Maler und in einem Fitnessstudio gearbeitet, in Deutschland arbeitet er als Lagerhelfer. Diese oder andere Erwerbstätigkeiten wird er auch bei einer Rückkehr in den Irak (wieder) ausüben können. Soweit der Kläger im Klageverfahren pauschal hat vortragen lassen, „nur als gläubiger Moslem könne er in seiner Heimat existieren“, andernfalls bekäme er keine Aufträge und könne deshalb keine Existenz wiederaufbauen, hält das Gericht dieses Vorbringen schon deshalb für unzutreffend, weil der Kläger bereits vor der Ausreise konfessionslos gewesen sein will und gleichwohl seine Existenz durch die genannten Arbeitstätigkeiten, insbesondere auch durch eine Anstellung in einem Fitnessstudio, sichern konnte. Zudem leben jedenfalls seine Mutter und sein jüngerer (erwachsener) Bruder, zu denen er eigenen Angaben zufolge Kontakt hat, nach wie vor in der Autonomen Region Kurdistan. Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger, soweit etwa in der Zeit unmittelbar nach der Rückkehr erforderlich, auf familiäre Unterstützung zurückgreifen kann.
882. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht ebenfalls nicht. Eine erhebliche konkret-individuelle Gefahr im Sinne dieser Vorschrift droht dem Kläger nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die vorstehenden Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG gelten insoweit entsprechend. Für ein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Der Kläger ist bei einer Rückkehr in den Irak auch keiner extremen Gefahrenlage ausgesetzt, die die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 6 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung rechtfertigen würde.
89Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 13. Juni 2013 ‑ 10 C 13.12 ‑, BVerwGE 147, 8 = juris Rn. 12 f., vom 31. Januar 2013 ‑ 10 C 15.12 ‑, a. a. O., juris Rn. 38, und vom 29. September 2011 ‑ 10 C 23.10 ‑, NVwZ 2012, 244 = juris Rn. 21 f.
90Auch insoweit wird auf die Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG verwiesen. Abgesehen davon besteht vorliegend aber ohnehin keine für die Gewährung von Abschiebungsschutz auf dieser rechtlichen Grundlage erforderliche verfassungswidrige Schutzlücke. Denn der Kläger ist aufgrund der im Land Nordrhein-Westfalen geltenden ausländerrechtlichen Erlasslage, wonach grundsätzlich ‑ ein Ausnahmefall liegt bei dem Kläger derzeit nicht vor ‑ keine zwangsweisen Rückführungen in den Irak stattfinden, vergleichbar wirksam vor einer Abschiebung geschützt.
91Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 ‑ 10 C 13.12 ‑, a. a. O., juris Rn. 15.
92IV. Die unter Ziffer 5 des angegriffenen Bescheides verfügte Abschiebungsandrohung mit Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung von 30 Tagen ist rechtmäßig. Sie beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, dessen Voraussetzungen im Fall des Klägers, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, nach den oben unter Ziff. I., II. und III. gemachten Ausführungen vorliegen, und § 38 Abs. 1 AsylG. Auch das auf 30 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (Ziffer 6 des Bescheides vom 7. Februar 2017) ist nicht zu beanstanden. In der hier erfolgten behördlichen Befristungsentscheidung, die vor einer Abschiebung des Klägers ergangen ist, liegt auch die konstitutive Anordnung eines befristeten Einreiseverbots,
93vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 21. August 2018 ‑ 1 C 21.17 ‑, BVerwGE 162, 382 = juris Rn. 20 ff., und vom 27. Juli 2017 ‑ 1 C 28.16 ‑, BVerwGE 159, 270 = juris Rn. 42,
94wie sie nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG in der seit dem 21. August 2019 geltenden Fassung, die vorliegend gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG anzuwenden ist, nunmehr ‑ in Umsetzung der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ‑ gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist.
95Vgl. BT-Drs. 19/10047, S. 31 zu Nummer 4.
96Fehler bei der Ermessensentscheidung über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) sind nicht zu erkennen. Das Bundesamt hat sich bei der Befristungsentscheidung an dem Mittelwert der in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG genannten Frist von bis zu fünf Jahren orientiert. Besondere persönliche, insbesondere familiäre Belange, die eine kürzere Frist rechtfertigen könnten, hat der Kläger nicht dargelegt; sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
97Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
98Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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