Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 E 694/20
Tenor
Das Ablehnungsgesuch wird abgelehnt.
1
G r ü n d e :
2Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht T. , Richterin am Oberverwaltungsgericht T1. und Richter am Verwaltungsgericht M. wegen der Besorgnis der Befangenheit ist unbegründet. Tatsachen, die eine Ablehnung dieser Richter rechtfertigen, liegen hier nicht vor.
3Nach § 42 Abs. 2 ZPO, der gemäß § 54 Abs. 1 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist, kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn ein Beteiligter die auf objektiv feststellbaren Tatsachen beruhende, subjektiv vernünftigerweise mögliche Besorgnis hat, der Richter werde in der Sache nicht unparteiisch, unvoreingenommen oder unbefangen entscheiden oder habe sich in der Sache bereits festgelegt. Die rein subjektive Besorgnis, die nicht auf konkreten Tatsachen beruht oder für die vernünftigerweise bei Würdigung der Tatsachen kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus.
4Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.9.1998 – 2 BvE 2/93 u. a. ‑, BVerfGE 99, 51 = juris, Rn. 20, und vom 13.2.2018 – 2 BvR 651/16 –, BVerfGE 148, 1 = juris Rn. 17; Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 54 Rn. 44 f. m. w. N.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2019, VwGO § 54 Rn. 14 m. w. N.
5Gemessen an diesen Grundsätzen liegen derartige objektive Gründe, die eine Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter begründen, nicht vor.
6Das gilt zunächst insoweit, als der Antragsteller sein Ablehnungsgesuch damit begründet, die Richter seien nicht bereit die Menschenwürde zu achten, und seien daher keine gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 GG, weil die Richter erklärt hätten, die Vertretungspflicht nach § 67 Abs. 4 VwGO stehe mit höherrangigem Recht in Einklang. Art. 19. Abs. 4 GG sei ebenso verletzt wie der Anspruch auf rechtliches Gehör.
7Damit hat der Antragsteller sein Ablehnungsgesuch ausschließlich mit Einwänden gegen den – aus seiner Sicht rechtswidrigen – Beschluss im Verfahren 4 E 637/20, an dem die abgelehnten Richter mitgewirkt haben, begründet. Er legt weder individuelle, auf die Person des einzelnen abgelehnten Richters bezogene Gründe für die Besorgnis einer Befangenheit dar, noch ist der Begründung seines Ablehnungsgesuchs zu entnehmen, dass sich aus der Kollegialentscheidung selbst Anhaltspunkte für eine Befangenheit in diesem Sinne ergäben.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.2.2017 – 4 A 427/16 –, juris, Rn. 3.
9Die Feststellung des Senats, wonach der Vertretungszwang mit höherrangigem Recht in Einklang steht,
10vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4.7.2006 – 10 B 39.06 –, juris, Rn. 1, und vom 25.7.1996 – 5 B 201.95 –, juris, Rn. 2; OVG NRW, Beschluss vom 19.5.2020 – 4 E 403/20 –, juris, Rn. 1; Czybulka/Siegel, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 45 f., jew. m. w. N.,
11wird durch das weitere Vorbringen des Antragstellers nicht in Zweifel gezogen. Seinem Vorbringen liegt die Annahme zugrunde, aus der Anerkennung „als selbstverantwortliche Persönlichkeit“ und aus der unmittelbaren Bindung der Grundrechte, folge zwingend, dass ihm die Wahrnehmung seiner Rechte vor Gericht ohne Bevollmächtigten und damit unmittelbar möglich sei. Dem ist nicht zu folgen.
12Die Unmittelbarkeit der Geltung der Grundrechte gibt für die Annahme des Antragstellers nichts her. Die in Art. 1 Abs. 3 GG bestimmte Bindung der Rechtsprechung an die Grundrechte hat seinen Grund darin, dass im gerichtlichen Verfahren der Richter den Verfahrensbeteiligten formell und in unmittelbarer Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber tritt. In der Folge ist er daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Entscheidungsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden.
13Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.10.1979 – 1 BvR 726/78 –, BVerfGE 52, 203 = juris, Rn. 11.
14Unmittelbarkeit bedeutet dabei gesetzesunabhängige Grundrechtsgeltung für die Rechtsprechung ohne notwendige Vermittlung durch einen Gesetzgebungsakt,
15vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, 91. EL April 2020, GG Art. 1 Abs. 3, Rn. 1,
16Die weiter erhobenen verfassungsrechtlichen Einwände des Antragstellers gegen den in § 67 Abs. 4 VwGO vorgeschriebenen Vertretungszwang greifen nicht durch. Dass sich ein Beteiligter vor bestimmten Gerichten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen muss, verletzt nicht die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Menschenwürde. Der grundsätzliche Vertretungszwang vor dem Oberverwaltungsgericht dient dem Schutz des Vertretenen sowie dem Interesse an einer geordneten Rechtspflege, insbesondere einem geordneten Gang des Verfahrens, dessen Vereinfachung, Beschleunigung und Sachdienlichkeit. Er verstößt auch nicht gegen das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG oder den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Zwar darf danach der Zugang zu den Gerichten und zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus sachlichen Gründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Der Gesetzgeber kann aber – wie geschehen – im Interesse einer geordneten und konzentrierten Verfahrensführung die Vertretung eines Beteiligten durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vorschreiben.
17Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 -, juris, Rn. 5, m. w. N.; Bay. VerfGH, Entscheidung vom 17.7.2014 - Vf. 65-VI-13 -, juris, Rn. 17; in einem Verfahren des Antragstellers so schon: OVG NRW, Beschluss vom 13.1.2020 – 13 A 138/20 –, Beschlussabdruck Seite 2 f.
18Auch die vom Antragsteller beanstandete Tätigkeit des Richters am Verwaltungsgericht M. , der nicht Richter am Oberverwaltungsgericht und folglich nicht gesetzlicher Richter sei, begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.
19Die Abordnung an das Oberverwaltungsgericht zur Erprobung eines Richters auf Lebenszeit für das Beförderungsamt eines Richters am Oberverwaltungsgericht verstößt nicht gegen Art. 97 Abs. 1 und 2 GG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 5 GG. Zwar verbietet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsgarantie der richterlichen Unabhängigkeit jede vermeidbare auch mittelbare, subtile und psychologische Einflussnahme der Exekutive auf die Rechtsstellung des Richters. Die Durchführung einer Erprobung eines Lebenszeitrichters ist jedoch mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar. Auch wenn sich der Richter in einer Erprobung besonderen Herausforderungen stellt, um das angestrebte Beförderungsamt zu erreichen, so liegt doch in der Erprobung als solcher noch keine Verletzung seiner Unabhängigkeit. In seinen Entscheidungsentwürfen und seiner richterlichen Tätigkeit innerhalb des Kollegialorgans ist er weisungsfrei. Von ihm ist gerade beim Erstreben eines Beförderungsamtes zu erwarten, dass er sich sachwidrigen Beeinflussungsversuchen widersetzt und seine richterlichen Entscheidungen nicht vom angestrebten Ziel - der Beförderung - abhängig macht. Eine sachgerechte Beurteilung des zur Erprobung an das Oberverwaltungsgericht abgeordneten Richters wird gerade auch diesen Aspekt, dass der Richter selbst seine persönliche und sachliche Unabhängigkeit wahrt, positiv hervorheben. Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt deshalb die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind.
20Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.6.2006 – 2 BvR 957/05 –, juris, Rn. 7.
21Der Antragsteller dringt auch nicht mit seiner Auffassung durch, die Richter hätten einen Moment ausgenutzt, in dem der reguläre Berichterstatter gerade im Urlaub gewesen sei. Die Vertretung von Richter am Oberverwaltungsgericht X. durch Richter am Verwaltungsgericht M. ist nicht zu beanstanden.
22Unter Verhinderung als Voraussetzung für den Vertretungsfall ist jede tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit zu verstehen, an einer richterlichen Aufgabe mitzuwirken. Nach ständiger Rechtsprechung bedarf die vorübergehende Verhinderung, die die Heranziehung eines Vertreters erforderlich macht, der Feststellung durch den Gerichtspräsidenten, es sei denn, der Hinderungsgrund ist offensichtlich und unzweifelhaft. Dabei stellt Urlaub einen offenkundigen Verhinderungsgrund dar.
23Vgl. BGH, Beschluss vom 5.4.1989 – 2 StR 39/89 –, juris, Rn. 4 f..
24Der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats im Zeitpunkt der Beschlussfassung am 5.8.2020 zuständige Berichterstatter, Richter am Oberverwaltungsgericht X. , befand sich vom 27.7.2020 bis zum 9.8.2020 im Urlaub und nahm seinen Dienst am 10.8.2020 wieder auf. In der Folge ist das Verfahren vom Zeitpunkt der Verfügung der Zustellung der Beschwerdeschrift am 27.7.2020 an bis zu der vom Antragsteller beanstandeten Beschlussfassung von dem nach dem Geschäftsverteilungsplan des Senats zuständigen Vertreter, Richter am Verwaltungsgericht M. , bearbeitet worden. Es fehlt demnach an jedwedem Anhalt dafür, dass – wie der Antragsteller meint – der Verhinderungsfall von den Richtern „ausgenutzt“ wurde.
25Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 146 Abs. 2, 152 Abs. 1 VwGO).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 2 BvR 651/16 1x (nicht zugeordnet)
- 13 A 138/20 1x (nicht zugeordnet)
- 4 E 637/20 1x (nicht zugeordnet)
- 4 E 403/20 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 726/78 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvE 2/93 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1411/91 1x (nicht zugeordnet)
- 2 StR 39/89 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvR 957/05 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 427/16 1x (nicht zugeordnet)