Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 14 A 2258/18.A
Tenor
Das angegriffene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die 1953 geborene Klägerin, eine syrische Staatsangehörige arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, verließ 2015 Syrien, reiste im selben Jahr über den Libanon, die Türkei und Griechenland mit dem Flugzeug nach Deutschland ein und beantragte am 27.1.2016 Asyl. Ihr 1987 verstorbener Ehemann war als palästinensischer Flüchtling bei dem UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) registriert. Vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) machte sie zu ihren Ausreisegründen geltend: Sie habe Angst vor den Bombardierungen in Syrien. Seit dem Tod ihres Mannes sei es sehr schwer gewesen, die Kinder zu erziehen. Sie sei sehr krank und müsse Medikamente nehmen, die sie sich nicht mehr leisten könne. Mit Bescheid vom 9.5.2017 gewährte das Bundesamt der Klägerin subsidiären Schutz, lehnte aber unter Nr. 2 den weitergehenden Asylantrag ab.
3Die Klägerin hat gegen die Verweigerung der Flüchtlingsanerkennung rechtzeitig Klage erhoben.
4Die Klägerin hat beantragt,
5die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 9.5.2017 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
6Die Beklagte hat beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten.
9Die Beklagte trägt vor: Nach zutreffender Rechtsprechung des erkennenden Senats drohe unverfolgt ausgereisten Syrern keine politische Verfolgung allein wegen illegaler Ausreise, eines Asylantrags und des Aufenthalts im europäischen Ausland. Die Klägerin sei keine Palästinenserin und habe auch keinen Unterstützungsanspruch gegen das UNRWA. Soweit sie gesundheitliche Probleme geltend mache, sei dies für den Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung irrelevant.
10Die Beklagte beantragt,
11das angegriffene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
12Die Klägerin beantragt,
13die Berufung zurückzuweisen.
14Sie trägt vor: Sie leide an verschiedenen Krankheiten. Bis zum Tod ihres Mannes habe sie soziale Hilfe von dem UNRWA erhalten. Danach sei diese Hilfe eingestellt und den Kindern gewährt worden. Sie selbst sei keine Palästinenserin. Bis etwa fünf Monate vor der Ausreise habe sie im Camp Jarmuk gelebt, das von Palästinensern bewohnt werde. Das Haus sei dann im Krieg zerstört worden, weshalb sie mit ihrer Tochter nach Rok El Din gezogen sei. Sie habe somit faktisch unter dem Schutz des UNRWA gestanden. Sie habe keine Möglichkeit mehr, in das Camp zurückzukehren, da ihr wohl das UNRWA den Schutz verweigern würde. Es müsse auch bezweifelt werden, ob das UNRWA überhaupt noch in der Lage sei, Schutz zu bieten. Auch wegen ihrer Erkrankungen könnten weder das UNRWA noch das syrische Gesundheitswesen einen ausreichenden Schutz zur Verfügung stellen. Da somit das UNRWA bis kurz vor der Ausreise Schutz gewährt habe, der dann weggefallen sei, habe sie Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung unabhängig davon, ob sie selbst Palästinenserin sei oder Anspruch auf Schutz des UNRWA habe.
15Der Senat hat eine amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt. Auf die Auskunft vom 7.5.2020 (GA 91) und auf den Beweisbeschluss vom 15.1.2019 (GA 65) wird Bezug genommen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe:
18Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑).
19Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Die Ablehnung der Zuerkennung im angegriffenen Bescheid ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
20Nach § 3 Abs. 1 des Asylgesetzes - AsylG - ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Ablommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention, GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
21Die Klägerin ist nicht von der Anwendung dieser Vorschrift nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG ausgeschlossen. Danach ist ein Ausländer nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D GFK genießt. Diese Ausschlussklausel bezweckt in Umsetzung von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU und des Art. 1 Buchst. D Satz 1 GFK, diejenigen Personen, denen bereits durch die Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge ein besonderer Flüchtlingsstatus eingeräumt wurde, von der Anwendung des allgemeinen Flüchtlingsrechts auszunehmen, also national von der Anwendung des § 3 Abs. 1 AsylG, so wie sie unionsrechtlich von der Anerkennung als Flüchtling nach Art. 2 Buchst d der Richtlinie 2011/95/EU und völkerrechtlich von der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention ausgenommen sind. Palästina-Flüchtlinge genießen einen solchen speziellen Flüchtlingsschutz, für die das UNRWA Schutz und Beistand gewährt.
22Vgl. EuGH, Urteil vom 25.7.2018 ‑ C-585/16 ‑, juris, Rn. 84 f.; Urteil vom 19.12.2012 ‑ C-364/11 -, juris, Rn. 48; Urteil vom 17.6.2010 ‑ C-31/09 ‑, juris, Rn. 44; BVerwG, Urteil vom 14.5.2019 ‑ 1 C 5.18 ‑, juris, Rn. 20; Urteil vom 25.4.2019 ‑ 1 C 28.18 ‑, juris, Rn. 18; Urteil vom 4.6.1991 ‑ 1 C 42.88 ‑, juris, Rn. 24.
23Der Ausschluss des allgemeinen Flüchtlingsrechts für solche besonderen Flüchtlinge, die anderweitigen Schutz oder Beistand der Vereinten Nationen als durch den UNHCR erhalten, und damit der Verweis auf diese Unterstützung statt des allgemeinen Flüchtlingsrechts ist nur gerechtfertigt, wenn diesen Flüchtlingen der Schutz oder Beistand auch noch gewährt wird. Daher regelt § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG in Übereinstimmung mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95/EU und Art. 1 Buchst. D Satz 2 GFK, dass der genannte Ausschluss nicht eingreift, wenn ein solcher Schutz oder Beistand nicht länger gewährt wird, ohne dass die Lage der Betroffenen endgültig geklärt worden ist. Dann sollen diese Personen, deren besonderer Flüchtlingsstatus ja bereits feststeht, "ipso facto" (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95/EU und Art. 1 Buchst. D Satz 2 GFK) den Flüchtlingsschutz der Richtlinie bzw. der Flüchtlingskonvention genießen, also durch die Tatsache des Wegfalls des Schutzes oder Beistands selbst und somit unabhängig von der Feststellung einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung im Einzelfall.
24EuGH, Urteil vom 25.7.2018 ‑ C-585/16 ‑, juris, Rn. 86; BVerwG, Urteil vom 14.5.2019 ‑ 1 C 5.18 ‑, juris, Rn. 26.
25Wie sich aus dem Zusammenspiel der Vorschriften, die eine Einheit bilden, ergibt, setzt eine ipso-facto-Anerkennung die Erfüllung beider Vorschriften voraus, nämlich erstens dass der Betroffene den Schutz oder Beistand der UNRWA genießt (weil er zum durch das UNRWA durch Schutz und Beistand unterstützen Personenkreis gehört) und zweitens dass dieser Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird.
26BVerwG, Urteil vom 14.5.2019 ‑ 1 C 5.18 ‑, juris, Rn. 14 f.
27Gehört jemand nicht zum durch Schutz oder Beistand unterstützten Personenkreis, ist die Anwendung des allgemeinen Flüchtlingsrechts von vorneherein nicht ausgeschlossen und der Betroffene muss, um als Flüchtling anerkannt zu werden, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG erfüllen, also flüchtlingsrechtlich relevant verfolgt werden. Nur wenn jemand zum durch Schutz oder Beistand unterstützten Personenkreis gehört, dieser Schutz oder Beistand aber aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, ist der Betroffene als ipso-facto-Flüchtling anzuerkennen.
28Hier erfüllt die Klägerin nicht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG, sie gehört nicht zum durch Schutz oder Beistand des UNRWA unterstützten Personenkreis. Dabei lässt es der Senat offen, ob allein die Tatsache, Schutz oder Beistand von dem UNRWA gewährt zu bekommen, bereits ausreicht, um zu dem von § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG erfassten Personenkreis zu gehören. Dem Wortlaut nach ist das der Fall. Der Sinn und Zweck der Ursprungsvorschrift des Art. 1 Buchst. D Satz 1 GFK war aber nicht, jedermann, der irgendwie in den Genuss von Schutz und Beistand der Vereinten Nationen gekommen ist, den allgemeinen Flüchtlingsschutz zu versagen, sondern Palästinenser in ihrer Eigenschaft als "Palästinaflüchtlinge" auf den besonderen Schutz der Vereinten Nationen statt den der Genfer Flüchtlingskonvention zu verweisen.
29EuGH, Urteil vom 25.7.2018 ‑ C-585/16 ‑, juris, Rn. 84.
30Im Laufe der Zeit hat das UNRWA jedoch seinen Aufgabenkreis weit über die ursprüngliche Zuständigkeit ausgedehnt. So gewährt es nicht nur den eigentlichen Palästinaflüchtlingen Schutz und Beistand, nämlich den zwischen dem 1.6.1946 und dem 15.5.1948 in Palästina ansässigen Personen, die Heim und Lebensunterhalt im Gefolge des 1. israelisch-arabischen Krieges 1948/49 verloren haben, und den Kindern männlicher Palästinaflüchtlinge (Kategorie III.A.1. der Consolidated Eligibility and Registration Instructions ‑ CERI ‑), sondern auch späteren Palästinaflüchtlingen, nämlich solchen, die im Gefolge des 3. israelisch-arabischen (Sechstage-)Krieges 1967 oder späterer Kriege geflüchtet sind (Kategorie III.B. Unterpunkt 1 CERI). Unterstützt werden weiter neben Gruppen, die heute allenfalls für deren Kinder noch relevant sind (Kategorien III.A.2.1 bis 2.3 CERI), die Ehemänner weiblicher Palästinaflüchtlinge und deren Kinder (Kategorie III.A.2.4 CERI, die Ehefrauen männlicher Palästinaflüchtlinge (Kategorie III.A.2.5 CERI) sowie nach islamischem Recht durch Palästinaflüchtlinge unterstützte Pflegekinder (Kategorie III.A.2.6 CERI), im Einzelfall vom Generalkommissar des UNRWA aus humanitären oder sonst mandatsbezogenen Gründen bestimmte Personen oder Personengruppen (Kategorie III.B. Unterpunkt 2 CERI), durch Notprogramme für die besetzten Palästinagebiete begünstigte Personen (Kategorie III.B. Unterpunkt 3 CERI), durch das Kleinkredit- und Kleinunternehmensprogramm der UNRWA unterstützte Personen (Kategorie III.B. Unterpunkt 4 CERI), UNRWA-Mitarbeiter und deren Familien (Kategorie III.B. Unterpunkt 5 CERI) sowie Personen, die in Flüchtlingscamps und ‑kommunen leben (Kategorie III.B. Unterpunkt 6 CERI). Durch diese Ausweitungen des Schutzes und des Beistands auf weitere Personengruppen jenseits der Palästinaflüchtlinge ist auch die Klägerin, die weder Palästinenserin noch ‑ bis zu ihrer Ausreise aus Syrien ‑ Flüchtling, sondern nur eine in Damaskus geborene syrische Staatsangehörige und Ehefrau eines Palästinaflüchtlings war, in den Genuss von Schutz und Beistand der UNRWA gekommen. Daher spricht vieles dafür, dass nach Sinn und Zweck des Art. 1 Buchst. D Satz 1 GFK § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG den Wortlaut einschränkend dahin auszulegen ist, dass nur Personen erfasst sind, die als Palästinaflüchtlinge Schutz oder Beistand der UNRWA genießen. Dann ist die Klägerin schon deshalb nicht vom allgemeinen Asylrecht ausgeschlossen und für die Anwendung des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG kein Raum.
31Das kann jedoch hier dahinstehen. Unabdingbar ist für § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG jedenfalls, dass das UNRWA einem Betroffenen Schutz oder Beistand gewährt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dies dahin konkretisiert, dass Personen von Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 der Richtlinie 2011/95/EU erfasst sind, die den UNRWA-Beistand "kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch genommen haben", dann aber nicht mehr gewährt bekommen haben.
32EuGH, Urteil vom 19.12.2012 ‑ C-364/11 -, juris, Rn. 52.
33Das ist bei der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag seit dem Tod ihres Mannes 1987 nicht mehr der Fall. Die Klägerin zählt seitdem nicht mehr zum begünstigten Personenkreis, wie das Auswärtige Amt mit seiner Stellungnahme vom 7.5.2020 bestätigt hat. Sie mag darüber hinaus bis knapp fünf Monate vor der Ausreise im Flüchtlingscamp Jarmuk gewohnt haben. Das stellt aber keinen Schutz oder Beistand im Sinne § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG dar. Selbst wenn sie in dieser Zeit UNRWA‑Dienstleistungen genossen haben sollte (sanitäre Einrichtungen, Umweltgesundheitsmaßnahmen, vgl. Kategorie III.B. Unterpunkt 6 CERI für Bewohner von Flüchtlingscamps) und dies als Schutz oder Beistand im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG anzusehen wäre, wäre dies mit ihrem Auszug aus dem Camp nach Zerstörung des Wohnhauses und dem Umzug nach Rok El Din etwa fünf Monate vor der Ausreise aus Syrien beendet gewesen, die Klägerin wäre damit aus dem Kreis der unterstützungsberechtigten Personen herausgefallen. Die Klägerin genoss somit kurz vor ihrem Asylantrag keinen Schutz oder Beistand des UNRWA mehr. Damit ist § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht einschlägig und allgemeines Flüchtlingsrecht anzuwenden.
34Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Nach § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG kann als eine solche Verfolgung insbesondere die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt gelten. Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, sind u.a. gemäß § 3c Nr. 1 und 2 AsylG der Staat und Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen.
35Zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den genannten Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei es unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Erforderlich ist ein gezielter Eingriff, wobei die Zielgerichtetheit sich nicht nur auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst bezieht, sondern auch auf die Verfolgungsgründe, an die die Handlung anknüpfen muss. Maßgebend ist im Sinne einer objektiven Gerichtetheit die Zielrichtung, die der Maßnahme unter den jeweiligen Umständen ihrem Charakter nach zukommt.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.1.2009 ‑ 10 C 52.07 ‑, BVerwGE 133, 55, Rn. 22, 24.
37Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, BVerwGE 146, 67, Rn. 19.
39Beim Flüchtlingsschutz gilt für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (ABl. L 337/9) enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.3.2012 ‑ 10 C 7.11 ‑, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG, Nr. 43, Rn. 12, zur Vorgängerrichtlinie.
41Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Die Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, nicht durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Nach dieser Vorschrift besteht eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Verfolgungshandlungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgungshandlungen entkräften.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.6.2011 ‑ 10 C 25.10 ‑, BVerwGE 140, 22, Rn. 21 f.
43Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 ‑ 10 C 23.12 ‑, BVerwGE 146, 67, Rn. 32.
45Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Furcht der Klägerin vor politischer Verfolgung unbegründet.
46Die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer solchen Verfolgung kann nicht festgestellt werden. In Betracht kommt eine Verfolgung durch den syrischen Staat, da eine ‑ hypothetische ‑ Abschiebung alleine über eine Flugverbindung denkbar ist. Insoweit kommt hier ernsthaft nur Damaskus in Betracht.
47Vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme vom 12.10.2016 gegenüber dem Verwaltungsgericht Trier, Az. 313-516.00 SYR, zu den beiden allein geöffneten Flughäfen Damaskus und dem im Kurdengebiet gelegenen Qamishly. Daneben soll auch noch der unter Kontrolle des syrischen Regimes stehende Flughafen Latakia für internationale Flüge offen stehen, vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SFH-Länderanalyse vom 21.3.2017, Syrien: Rückkehr, S. 6.
48Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus den vor dem Bundesamt geschilderten Umständen. Aus ihnen ergibt sich allein, dass sie aus Furcht vor den Kriegseinwirkungen und mangelhafter Krankheitsversorgung das Land verlassen hat. Das begründet keine beachtliche Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung.
49Der Senat hat die tatsächliche Situation in Syrien dahin bewertet, dass aus dem Ausland rückkehrenden syrischen Asylbewerbern, auch wenn sie Syrien illegal verlassen haben, keine politische Verfolgung droht wegen einer zugeschriebenen regimefeindlichen Gesinnung.
50Vgl. zu den Gründen im Einzelnen OVG NRW, Urteile vom 21.2.2017 ‑ 14 A 2316/16.A ‑, NRWE, Rn. 30 ff. und juris, Rn. 28 ff., vom 4.5.2017 ‑ 14 A 2023/16.A ‑, NRWE, Rn. 32 ff. und juris, Rn. 30 ff., vom 7.2.2018 ‑ 14 A 2390/16.A ‑, NRWE, Rn. 36 ff. und juris, Rn. 34 ff., und vom 18.4.2019 ‑ 14 A 2608/18.A ‑, NRWE, Rn. 43 ff. und juris, Rn. 41 ff., und vom 13.3.2020 ‑ 14 A 2778/17.A ‑, NRWE, Rn. 35 ff. und juris, Rn. 33 ff.
51Daran hält der Senat fest.
52Politische Verfolgung aus diesen Gründen verneinend ebenso Schl.-H. OVG, Urteile vom 23.11.2016 ‑ 3 LB 17/16 ‑, juris, Rn. 37 ff., und vom 17.8.2018 ‑ 2 LB 30/18 ‑, juris, Rn. 35 ff. und 104; OVG Rh.‑Pf., Urteil vom 16.12.2016 ‑ 1 A 10922/16 ‑, juris, Rn. 55 ff.; OVG Saarl., Urteil vom 17.10.2017 ‑ 2 A 365/17 ‑, juris, Rn. 22 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris, Rn. 43 ff., und Beschluss vom 5.12.2018 ‑ 2 LB 570/18 ‑, juris, Rn. 28 ff.; OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 22.11.2017 ‑ 3 B 12/17 ‑, juris, Rn. 27 ff., Hamb. OVG, Urteil vom 11.1.2018 ‑ 1 Bf 81/17.A ‑, juris, Rn. 62 ff.; OVG Bremen, Urteil vom 24.1.2018 ‑ 2 LB 194/17 ‑, juris, Rn. 39 ff.; Sächs. OVG, Urteil vom 7.2.2018 ‑ 5 A 1245/17.A ‑, juris, Rn. 21 ff.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.10.2018 ‑ A 3 S 791/18 ‑, juris, Rn. 18 ff.; Thür. OVG, Urteil vom 15.6.2018 ‑ 3 KO 155/18 ‑, juris, Rn. 60 ff.; Bay. VGH, Urteil vom 22.6.2018 ‑ 21 B 18.30852 ‑, juris, Rn. 22 ff., insbes. 35; Hess. VGH, Urteil vom 26.7.2018, ‑ 3 A 403/18.A ‑, juris, Rn. 13.
53Das angegriffene Urteil und das klägerische Vorbringen geben keine Veranlassung zu einer veränderten Bewertung. Neuere Erkenntnisse, die darauf schließen lassen, dass die Situation von Rückkehrern aus Europa anders zu beurteilen wäre, liegen nicht vor.
54Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10 sowie 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen. Die hier allein ‑ erneut ‑ entschiedene Frage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist die Tatsachenfrage, ob eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG für nach Syrien rückkehrende Asylbewerber wegen der Asylantragstellung hier besteht. Das unterliegt nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO).
55Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 24.4.2017 ‑ 1 B 22.17 ‑, juris.
56Soweit die Auslegung des § 3 Abs. 3 AsylG in Rede steht, stellt sich keine klärungsbedürftige Frage, da die Klägerin eindeutig von der Regelung nicht erfasst wird, denn sie genoss keinen Schutz oder Beistand der UNRWA kurz vor Einreichung des Asylantrags.
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