Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 B 1122/20.NE
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
3Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO liegen nicht vor. Nach dieser Bestimmung kann das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
4Das Erfordernis eines schweren Nachteils bindet die Aussetzung der Vollziehung einer Norm an erheblich strengere Voraussetzungen als sie sonst für den Erlass einstweiliger Anordnungen gemäß § 123 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz verlangt werden. Die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans zur Abwehr eines schweren Nachteils ist nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen gerechtfertigt, die durch Umstände gekennzeichnet sind, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung gleichsam unabweisbar erscheinen lassen.
5Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998 – 4 VR 2.98 –, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 9. November 2006 – 7 B 1667/06.NE –, juris, Rn. 5.
6Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts stellt allein der Umstand, dass die Umsetzung des angegriffenen Bebauungsplans unmittelbar bevorsteht, noch keinen schweren Nachteil im Verständnis von § 47 Abs. 6 VwGO dar. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verwirklichung des Bebauungsplans in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eine schwerwiegende Beeinträchtigung rechtlich geschützter Positionen des jeweiligen Antragstellers konkret erwarten lässt.
7Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Oktober 2016 – 2 B 1368/15.NE –, juris, Rn. 7, vom 29. Februar 2016 – 10 B 134/16.NE –, juris, Rn. 5, vom 21. September 2005 – 10 B 9/05.NE –, juris, Rn. 8, und vom 9. November 2006 – 7 B 1667/06.NE –, juris, Rn. 11 ff.
8Aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten sein kann die Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans, wenn sich dieser bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich unwirksam erweist, und seine Umsetzung den Antragsteller konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung jedenfalls deshalb dringend geboten ist.
9Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24. Oktober 2016 – 2 B 1368/15.NE –, juris, Rn. 11, vom 29. Februar 2016 – 10 B 134/16.NE –, juris, Rn. 7, vom 27. April 2009 – 10 B 459/09.NE –, juris, Rn. 7, vom 25. Januar 2008 – 7 B 1743/07.NE –, juris, Rn. 8.
10Die begehrte einstweilige Anordnung ist hier weder zur Abwehr schwerer Nachteile noch aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten.
11Der Antragsteller befürchtet, dass von dem von der Beigeladenen geplanten Hochregallager mit Kommissionierungshalle, für deren Errichtung der angegriffene Bebauungsplan die planungsrechtliche Grundlage schaffen soll, eine erdrückende Wirkung zu Lasten des westlich des Plangebiets und der dort verlaufenden E.-straße gelegenen Grundstücks Gemarkung P., Flur 11, Flurstück 518, dessen Miteigentümer er ist, sowie des wiederum westlich hieran angrenzenden Grundstücks J.-straße 11 (Gemarkung P., Flur 11, Flurstücke 425, 489, 490 und 491) der I. Fenster- und Türenfabrik GmbH & Co. KG, deren Geschäftsführer er ist, ausgehen werde. Außerdem hält er die Beeinträchtigung der Besonnung der besagten Grundstücke durch das Hochregallager für unzumutbar und sieht sie erheblichen planbedingten Lärmimmissionen ausgesetzt.
12Einen schweren Nachteil in dem oben angesprochenen Sinne legt der Antragsteller damit nicht dar. Der Bebauungsplan setzt den wesentlichen Teil des Plangebiets als Industriegebiet fest. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung ermöglichen im westlichen Teil des Plangebiets im Abstand von 5,50 m zur E.-straße die Errichtung eines Hochregallagers mit einer Länge von Norden nach Süden von etwa 90 m und einer Höhe von im Mittel 37 m über dem Straßenniveau. Im mittleren und östlichen Teil des Plangebiets ist die Errichtung einer an das Hochregallager anschließenden Kommissionierungshalle mit einer Höhe von im Mittel 13 m über Straßenniveau vorgesehen. Der mit dem Betrieb des Hochregallagers und der Kommissionierungshalle insbesondere verbundene Werksverkehr und die Verladetätigkeiten werden zum großen Teil in dem gegenüber den besagten Grundstücken von dem Hochregallager abgeschirmten Bereichen südlich und östlich sowie in einem Bereich nördlich der Kommissionierungshalle stattfinden. Ausweislich des Schalltechnischen Berichts der A. Ingenieurgesellschaft vom 16. September 2019 unterschreiten die von dem von der Beigeladenen im Plangebiet beabsichtigten Betrieb ausgehenden Geräuschimmissionen an dem IP 01, der das nächstgelegene Büro- und Verwaltungsgebäude auf dem Grundstück E.-straße 12 unmittelbar nördlich des Plangebiets repräsentiert, den maßgeblichen Immissionsrichtwert für Industriegebiete von 70 dB(A) tags um 10 dB(A).
13Ausgehend hiervon fehlt es an Anhaltspunkten für eine unzumutbare planbedingte Belastung zum Nachteil des ebenfalls in einem festgesetzten Industriegebiet liegenden, derzeit ohnehin nicht bebauten Flurstücks 518 sowie des gleichfalls als Industriegebiet festgesetzten, von der I. Fenster- und Türenfabrik GmbH & Co. KG genutzten, von dem geplanten Hochregallager circa 60 m entfernt liegenden Grundstücks J.-straße 11, die die Schwelle des schweren Nachteils nach dem Vorstehenden überschreiten könnte.
14Die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans ist auch nicht deshalb angezeigt, weil dieser sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig vorzunehmenden summarischen Prüfung als offensichtlich unwirksam erweist und seine Umsetzung den Antragsteller konkret so beeinträchtigt, dass die einstweilige Anordnung jedenfalls deshalb dringend geboten ist. Nach den vorstehenden Ausführungen ist auch für eine konkrete Betroffenheit des Antragstellers unterhalb der Schwelle des schweren Nachteils, die eine einstweilige Anordnung gebieten könnte, weder Näheres vorgetragen noch ersichtlich.
15Die Abwägungsfehler, die der Antragsteller geltend macht, sind bei summarischer Prüfung jedenfalls nicht offensichtlich.
16Dies gilt zunächst mit Blick auf die von ihm befürchtete erdrückende Wirkung des mit dem Bebauungsplan zugelassenen Hochregallagers auf die besagten Grundstücke.
17Eine bauliche Anlage kann im Ausnahmefall eine erdrückende Wirkung auf ein benachbartes Grundstück haben, wenn sie dieses wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung unangemessen benachteiligt, indem sie ihm förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die „erdrückende“ Anlage auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandsflächen derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Grundstück oder seine Bebauung nur noch oder überwiegend als von einer „herrschenden“ Anlage dominiert ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird.
18Vgl. zum Beispiel OVG NRW, Beschlüsse vom 30. August 2012 – 2 B 983/12 –, juris, Rn. 10, und vom 9. Februar 2009 – 10 B 1713/08 –, juris, Rn. 25, Urteil vom 15. März 2007 – 10 A 998/06 –, juris, Rn. 63.
19Ob eine solche Wirkung vorliegt oder nicht, kann nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Neben den Ausmaßen der „erdrückenden“ Anlage auch im Verhältnis zu einer möglichen Bebauung des „erdrückten“ Grundstücks – Bauhöhe, Ausdehnung und Gestaltung der Fassaden, Baumasse, usw. – kann die konkrete Lage der Baukörper eine wesentlich Rolle spielen. Von besonderer Bedeutung werden regelmäßig die Entfernung zwischen den Baukörpern beziehungsweise Grundstücksgrenzen, die Nutzung der Grundstücke und die jeweilige Umgebung sein. So kann es beispielsweise darauf ankommen, ob die „erdrückende“ Anlage für sich steht oder ob das „erdrückte“ Grundstück von anderen Anlagen vergleichbarer Dimension umgeben ist, die zu der erdrückenden Wirkung beitragen und diese verstärken können.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 2005 – 10 A 3138/02 –, juris, Rn. 50.
21Gemessen an diesen Maßstäben ist nicht erkennbar, dass das durch die Festsetzungen des Bebauungsplans ermöglichte Hochregallager wegen seiner baulichen Dimensionen gegenüber den besagten Grundstücken oder deren gewerblichen Zwecken dienenden Bebauung rücksichtslos und dem Rat insoweit ein Abwägungsfehler unterlaufen sein könnte. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Grundstücke ebenso wie das geplante Hochregallager in einem festgesetzten Industriegebiet gelegen und deswegen gegenüber den von Nachbargebäuden wegen ihrer baulichen Dimensionen ausgehenden optischen Wirkungen deutlich weniger schutzwürdig sind als es etwa benachbarte Wohngrundstücke in einem Wohnumfeld wären, für die die vorstehend wiedergegebenen Maßstäbe in erster Linie entwickelt worden sind. Geht es um die optische Auswirkungen, die von Industriebauten wegen ihrer baulichen Dimensionen auf andere Grundstücke in einem Industriegebiet und die dort befindliche Bebauung ausgehen, kommt eine Rücksichtslosigkeit wegen erdrückender Wirkung – wenn überhaupt – nur in absoluten Extremfällen in Betracht.
22Für das Grundstück J.-straße 11 scheidet eine erdrückende Wirkung nach diesen Maßstäben schon wegen seiner Entfernung von circa 60 m zu dem geplanten Hochregallager aus. Mit Blick auf die Größe des Flurstücks 518 und die baulichen Dimensionen der Bebauung auf den nördlich, westlich und südlich gelegenen Grundstücken – soweit sich diese aus den zur Verfügung stehenden Luftbildern ersehen lässt – kann auch nicht davon gesprochen werden, dass das um 5,50 m von der E.-straße zurückversetzte Hochregallager diesem Industriegebietsgrundstück und seiner etwaigen zukünftigen Bebauung „die Luft nehmen“, es „einmauern“ oder unzumutbar optisch „beherrschen“ wird. Soweit der Bebauungsplan unter bestimmten Voraussetzungen und in geringem Ausmaß etwa für technische Aufbauten und Anlagen eine Überschreitung der festgesetzten Höhe der baulichen Anlagen zulässt, ändert sich an dieser Einschätzung nichts.
23Ein offensichtlicher Abwägungsfehler ist auch nicht mit Blick auf die von dem Antragsteller gerügte zu erwartende Verschattung der besagten Grundstücke gegeben.
24Allgemein gilt, dass es einem Nachbargrundstück regelmäßig zumutbar ist, dass ein Gebäude einen Schatten auf dieses wirft. Dies entspricht in bebauten Gebieten dem Regelfall. Das Gebot der Rücksichtnahme fordert nicht, dass alle Fenster eines Hauses beziehungsweise das gesamte Grundstück das ganze Jahr über optimal besonnt oder belichtet werden.
25Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Juli 2012 – 2 D 27/11.NE –, juris, Rn. 63, Beschlüsse vom 29. August 2011 – 2 B 940/11 –, juris, Rn. 22, und vom 9. Februar 2009 – 10 B 1713/08 –, juris, Rn. 30, jeweils m. w. N.
26Dabei ist auch insoweit gewerblich genutzten Grundstücken und deren Bebauung in einem festgesetzten Industriegebiet ein deutlich größeres Ausmaß an Verschattung zuzumuten als etwa einem Wohngrundstück in einem Wohnumfeld.
27Der Rat hat die von dem Hochregallager und der Kommissionierungshalle ausgehende Verschattung der umliegenden Grundstücke ermittelt. Für eine unzumutbare Verschattung des Grundstücks J.-straße 11 ergeben sich schon angesichts der Entfernung des Grundstücks von dem Hochregallager und der Lage des Grundstücks westlich des Plangebiets keine Anhaltspunkte. Dass insbesondere in den Wintermonaten auch das Grundstück J.-straße 11 in den Morgenstunden im Schatten des Hochregallagers liegen kann, genügt hierfür nicht. Ein Anspruch darauf, dass bei einer weiteren baulichen Ausnutzung der Nachbargrundstücke etwa die in dem Betriebsgebäude der I. Fenster- und Türenfabrik GmbH & Co. KG befindlichen Ausstellungsräume nicht schlechter belichtet werden als derzeit, besteht nicht. Auch wenn das Flurstück 518 bei Errichtung des Hochregallagers zukünftig insbesondere in den Vormittagsstunden je nach Jahreszeit mehr oder weniger stark verschattet werden kann, ist insoweit ebenfalls keine Belastung zu erkennen, die für ein Grundstück in einem Industriegebiet unzumutbar sein könnte. Dass die Belichtung der zur Produktion oder als Büros genutzten Räume in einem künftigen Betriebsgebäude wegen des von dem Hochregallager verursachten Schattens mehr künstliches Licht erfordern würde, macht das Hochregallager nicht unzumutbar.
28Soweit der Antragsteller befürchtet, dass von dem Hochregallager und der Kommissionierungshalle erhebliche Lärmimmissionen auf die besagten Grundstücke ausgehen werden, zeigt er nicht auf, dass eine Umsetzung des Bebauungsplans insoweit zu einer offensichtlichen konkreten Beeinträchtigung führen würde, die eine einstweilige Anordnung jedenfalls deshalb dringend geboten erscheinen ließe.
29Wie bereits vorstehend ausgeführt unterschreiten die prognostizierten planbedingten Geräuschimmissionen an dem IP 01 den für den Tagbetrieb maßgeblichen Immissionsrichtwert für Industriegebiete um 10 dB(A). Der Antragsteller räumt selbst ein, dass die von dem Betrieb der neu zugelassenen Anlagen ausgehenden, auf das Flurstück 518 und das Grundstück J.-straße 11 einwirkenden Geräuschimmissionen wegen der abschirmenden Wirkung des Hochregallagers „von untergeordneter Bedeutung“ sind. Soweit er bezweifelt, dass die der schalltechnischen Untersuchung zugrunde gelegte Zahl der täglich zu erwartenden Lkw-Fahrten realistisch sei, ist angesichts ihrer Ergebnisse nicht davon auszugehen, dass bei einer nach Auffassung des Antragstellers realistischen Zahl von Lkw-Fahrten die Geräuscheinwirkungen auf die besagten Grundstücke die Schwelle einer konkreten Beeinträchtigung überschreiten würden. Dies gilt auch mit Blick auf die möglicherweise unterbliebene Berücksichtigung der von der bereits vorhandenen Lkw-Waage an der E.-straße ausgehenden Lärmbelastung.
30Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.
31Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
32Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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