Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 19 A 1136/20.A
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
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Der Senat entscheidet über den Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 87a Abs. 2 und 3, § 125 Abs. 1 VwGO).
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn einer der in § 78 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 AsylG genannten Zulassungsgründe den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt wird und vorliegt. Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO wegen des allein geltend gemachten Verfahrensmangels der Verletzung rechtlichen Gehörs zuzulassen. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO nicht dadurch verletzt, dass es seinen in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag abgelehnt hat, eine Auskunft des Auswärtigen Amtes sowie von Amnesty International Deutschland e. V. zum Beweis der Tatsachen einzuholen, wonach
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1. U. L. in Nigeria bekannt ist,
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2. er bekannt dafür ist, dass er sich mithilfe krimineller Methoden in den Besitz von Grundeigentum bringt,
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3. er Einfluss auf die Polizei und die CID hat,
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4. ein Verfahren der CID gegen den Bruder des Klägers C. V. im Jahr 2014 eingeleitet worden war und dieser während der Untersuchung im Gewahrsam verstarb,
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5. der Kläger aufgrund dieser Ereignisse mit seiner Verfolgung und Verhaftung zu rechnen hat, wenn er nach Nigeria zurückkehrt,
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6. der Kläger bei einer Rückkehr nach Nigeria weiterhin Übergriffen seitens des U. L. ausgesetzt sein wird,
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7. die vom Kläger beim König eingereichte Petition noch läuft.
Der Kläger behauptet, er könne nicht nach Nigeria zurückkehren, da er mit Verfolgung durch das State Criminal Investigation Department, die örtlichen Polizeibehörden sowie durch „U. L. “ rechne. Letzterer wolle immer noch sein Grundstück in seinen Besitz bringen. Über seinen Namen und seine Fingerabdrücke könne man ihn finden. Das Verwaltungsgericht habe die Beweisanträge zu 1. bis 4. sowie zu 7. nach Unterstellung als wahr abgelehnt. Die Beweisanträge zu 5. und 6. seien auf die zentrale Frage gerichtet, ob der Kläger landesweit mit Verfolgung zu rechnen habe. Diese Frage könne das Verwaltungsgericht nicht einfach unter Hinweis auf das fehlende Meldewesen in Nigeria übergehen. Allein der Hinweis auf das faktisch fehlende Meldewesen belege nicht die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger könne außerhalb seiner Herkunftsregion nicht gefunden werden. Denn er könne gefunden werden, wenn er ein Bankkonto eröffne. Auch verkenne das Verwaltungsgericht den Einflussbereich und die Möglichkeiten des State Criminal Investigation Department. Diese Polizeibehörde agiere landesweit. Ein Ausforschungsbeweisantrag sei in den Beweisanträgen zu 5. und 6. nicht zu sehen, denn die übrigen Beweisanträge seien gerade nach Wahrunterstellung abgelehnt worden. Wenn damit auch die Tötung seines Bruders als wahr unterstellt werde, sei es keineswegs aus der Luft gegriffen, dass dieses Schicksal auch dem Kläger drohe.
13Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gebietet die Berücksichtigung von Beweisanträgen, die sich auf Tatsachen beziehen, welche nach der materiellen Rechtsauffassung des Tatsachengerichts entscheidungserheblich sind. Die Ablehnung oder Nichtberücksichtigung solcher Anträge verletzt Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet.
14BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. März 2020 ‑ 2 BvR 113/20 ‑, Asylmagazin 2020, 229, juris, Rn. 45, und vom 20. Dezember 2018 ‑ 1 BvR 1155/18 ‑, juris, Rn. 11; BVerwG, Beschlüsse vom 22. September 2020 ‑ 1 B 39.20 ‑, juris, Rn. 12, und vom 21. Januar 2020 ‑ 1 B 65.19 ‑, juris, Rn. 17; OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Februar 2021 ‑ 19 A 1510/19.A ‑, demnächst in juris, vom 26. Oktober 2020 ‑ 19 A 3067/18.A ‑, juris, Rn. 11 f., und vom 2. Januar 2020 ‑ 19 A 183/18.A ‑, juris, Rn. 3 f. jeweils m. w. N.
15Die Ablehnung der als Hilfsbeweisantrag gestellten Beweisanträge zu 5. und 6. – hierauf allein bezieht sich die Gehörsrüge des Klägers – durch das Verwaltungsgericht findet eine hinreichende Stütze im Prozessrecht. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge als unzulässig abgelehnt. Sie zielten auf eine allein dem Gericht obliegende Wertungsentscheidung im Rahmen der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung. Konkrete und individualisierbare Tatsachen gäben sie nicht an, sie zielten alleine auf Schlussfolgerungen hieraus. Außerdem seien die Anträge mangels Substantiierung als Beweisermittlungsanträge zu qualifizieren und auch aus diesem Grund unzulässig (S. 9 f. des Urteils).
16Die mit dieser Begründung erfolgte Ablehnung der Beweisanträge zu 5. und 6. ist nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht hat zunächst zutreffend angenommen, dass mit den genannten Anträgen keine konkreten und individualisierbaren Tatsachen unter Beweis gestellt sind, sondern allein die an konkrete Tatsachen anknüpfenden Folgerungen. Ob die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer „Verfolgung und Verhaftung“ (Nr. 5) besteht und der Kläger „Übergriffen“ (Nr. 6) ausgesetzt sein wird, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Rahmen der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung zu bewerten. Schlussfolgerungen und Wertungen beruhen zwar auf in der Regel äußeren oder inneren Umständen oder Handlungen, sind aber selbst keine. Sie umschreiben mithin nur das mit der Beweiserhebung erstrebte Ziel, also die Folgerungen, die das Gericht aus der Beweiserhebung ziehen soll. Dies führt nicht auf einen zulässigen Beweisantrag, sondern allenfalls auf einen unzulässigen Beweisermittlungsantrag.
17Vgl. nur Bachler, in: Graf, BeckOK StPO, Stand Okt. 2020, § 244 Rn. 17.
18Auch unabhängig davon ist die selbstständig tragende Ablehnung der Beweisanträge zu 5. und 6. durch das Verwaltungsgericht als unzulässig nicht zu beanstanden. Die für die Ablehnung der Beweisanträge gegebene Begründung lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Ablehnung eines Beweisantrags als unzulässig (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) findet im Prozessrecht eine Stütze, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag handelt. Ein solcher liegt in Bezug auf Tatsachenbehauptungen vor, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, die mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich „aus der Luft gegriffen“, „ins Blaue hinein“, also „erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage“ erhoben worden sind. Eine Behauptung kann dabei nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Denn ein Beteiligter wird häufig von einer entscheidungserheblichen Tatsache, die sich ihm als möglich oder wahrscheinlich darstellt, keine genaue Kenntnis haben. Wenn die Gegenseite der Vermutung aber mit einer plausiblen Erklärung entgegentritt, darf diese nicht einfach ignoriert werden. Dem Beteiligten ist zuzumuten, sich hiermit auseinanderzusetzen, etwa greifbare Anhaltspunkte zu benennen, die für seine Vermutung oder gegen die Erklärung der Gegenseite sprechen. Einer Behauptung, die ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden ist und ohne ein Eingehen auf sie entkräftende Gegenbehauptungen aufrechterhalten wird, braucht das Gericht nicht nachzugehen.
19BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2017 ‑ 6 B 54.16 ‑, NVwZ 2017, 1388, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Oktober 2020 ‑ 19 A 2721/19 ‑, juris, Rn. 33, und vom 18. Mai 2020 ‑ 19 A 1178/19.A ‑, juris, Rn. 12 ff. m. w. N.
20Macht ein nigerianischer Asylkläger geltend, durch Polizeibehörden, nationale Sicherheitsbehörden oder einzelne Verfolger verfolgt zu sein, und beantragt er eine Beweiserhebung zu der Behauptung, er sei für diese landesweit auffindbar, so ist dieser Beweisantrag nach dem vorgenannten Maßstab ein Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag, wenn der Kläger keine greifbaren Anhaltspunkte für das Bestehen dieser Möglichkeit trotz fehlenden flächendeckenden Meldewesens benennt. Derartige Anhaltspunkte hat der Kläger nicht benennen können. Der Vortrag, er könne bei der Eröffnung eines Bankkontos aufgespürt werden, vermag ohne hinreichend nachvollziehbare und konkret verifizierbare Referenzfälle,
21vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. März 2020 ‑ 19 A 147/20.A ‑, juris, Rn. 27,
22solche greifbaren Anhaltspunkte nicht darzutun.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
24Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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